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feigen Ganelon, seinem Neffen, gegebenes Wort kann er un möglich halten, ohne Abendland und Christenheit dem offenbaren Verderben preis zu geben. Er versucht deßhalb von Ganelon durch Gute sein gegebenes Versprechen zurück zu erhalten. Da dieß umsonst ist, Ganelon, hier einzig ein Mann, auf sein erworbenes Recht besteht, zwingt ihn die Nothwendigkeit, das Wort, der Einreden des frommten Turpin ungeachtet, zu brechen, und Roland, den einzigen, der dieser schwierigen Stelle gewachsen ist, zum Könige zu ernennen. Die Mohren bieten' Frieden an, Ganelon aber, der, um ihn zu vermitteln, nach Saragossa gesandt wird, spielt dort aus Rache den Verräther. Als Karls Heer schon auf dem Rückzuge nach den Pyrenden ist, und Roland, die Nachhut führend, sich im Thal von Ronceval befindet, kommt seine heldenmüthige Geliebte, Zoraide, des Mohrenkönigs Tochter, zu spät, um ihn und die Paladine vor dem Verrath zu warnen. Das ungeheure Heer der Mohren, von Ganelon geführt, hat die Christen umzingelt und von Karls Heere abgeschlossen. Zoraide wird vor der Entscheidungsstunde von Turpin getauft und Rolands Gattin. Dann fällt der Paladin mit allen feinen Helden nach einem Kampfe der Verzweiflung, jedoch nicht ohne daß Karl und die Seinen ihm zu Hülfe eilend siegreich wenigstens den Sterbenden sehen.

Dieß ist die wesentliche Handlung und Entwickelung der Tragödie; zum wesentlichen Inhalt gehört allerdings noch Rolands romantische Liebe zu seiner ritterlichen Feindin, der Sieg der Liebe über den Haß und ihre endliche Vereinigung im Tode; aber in die Haupthandlung greift dies Verhältniß nur schwach ein. Die Katastrophe ist gebaut auf den Bruch des ge= gebenen Königswortes. Ganelon, zulest gefangen und zum Gerichte abgeführt, sagt zum ergrimmten Kaiser:

So fahre fort, du fährst mit gutem Winde.
Wie schade, daß ein einzig Wort von mir
Des stolzen Schiffes stolze Masten knickt.
Ich bin verdammt für Zeit und Ewigkeit,
Du aber leistest unter mir Gesellschaft.
Du hast dem bösen Feind mich zugetrieben,
Weil du gelogen, ward ich der Verräther,
Rein ftünd ich vor dir, wärst du rein geblieben,
Und keine Leichen sähe dieses Thal.

Halt nur Gericht in Achen über mich,
Dort will ich meine Seele von dir fordern,

Und auf dem Sandberg ruf ich dir noch zu:

Nicht Ganelon, Du mordetest das Heer!

Diese Worte werden vom Kaiser approbirt; er will sich die Hände abhauen, will in ein Kloster gehen, bis ihn Turpin aus der

Verzweiflung des Wahnsinns durch einige Worte der Erhebung reißt.

Die Wahrheit, daß ein Königswort so heilig sey, daß es unter keinerley Verhältnissen gebrochen werden dürfe, ist zwar eine sehr erhebende; aber das hier gegebene Beyspiel von der Art, daß man an der Wohlthat jener Wahrheit eher zweifeln möchte. König Karl hat, einmal, als Ganelon, verspottet und verachtet, so tief unter seinem gefeyerten und beglückten Bruder Roland ihm besonders bedauernswürdig erschien, aus Re-gung des Mitleids das nächste Königreich, das er aufrichten werde, demselben versprochen. Nun trifft es sich, daß dies das höchst wichtige Königreich der spanischen Mark ist, ein Posten, dem Ganelon in keiner Art gewachsen ist. Wer könnte es hier dem Beherrscher und Schirmherrn der ganzen Christenheit verdenken, wenn er, von hundert höheren Gründen getrieben, die Erfüllung seines flüchtigen Versprechens aufschiebt; wer möchte es Karl dem Großen nicht zur Pflicht machen, lieber sich selbst zu vergessen, als seine großen Plane und die höheren Verpflichtungen gegen Glauben und Reich. So ist das dramatische Interesse auf ein sehr schwaches Fundament gebaut. Zwar soll die Verschuldung des Kaisers, welche die Katastrophe herbeyzicht, noch durch die des Helden Roland unterstügt werden. Der Paladin, in der Liebe träumend, vergißt, bis auf die Momente der That, seine hohe Stellung; diese Schuld ist aber nur leise angedeutet, und greift nicht sichtbar genug in die Haupthandlung ein.

Seine Liebe steht so abgesondert, so vereinzelt da, wie die meisten Partien der Tragödie. Es ist nicht genug, daß man den innern Zusammenhang ahnë, der dramatische Dichter muß auch vor allem bemüht seyn, ihn in der Entwicklung der Haupthandlung und der Verschmelzung des Episodischen zu zeigen. Wer für die Bühne schreibt, kann hierin nicht genug thun, denn beym gegenwärtigen Zustande unserer Theater wird selbst das wohl Zusammenhängende so zerrissen, daß der Zuschauer aller Anstrengung bedarf, die kleinen Fäden nicht aus den Augen zu verlieren. Doch gibt es einen Moment, der, wahrhaft dramatisch, in seiner lebendigen Wahrheit und raschen Entwickelung die Tragödie schmückt, dieß ist das kurze Gespräch zwischen König Karl und Ganelon. Die Künste der Ueberredung, zu welchen die faule Sache den ihnen nicht gewachsenen Kaiser sich herabzulassen zwingt, im Gegensah zu dem kecken Stolze, welcher den dießmal im Recht befindlichen Feigling und Schurken erhebt, alles trefflich gezeichnet. Wir möchten kein Wort kürzen und

zusehen, und nur wünschen, daß in demselben dramatischen Geiste das ganze Stück ausgeführt wäre.

Wenn das dramatische Leben des interessanten Süjets nicht gehörig hervorgehoben worden, so dürfte man erwarten, der Dichter werde das Mährchenhafte, welches diesem alten Romanzenstoff so innig anhaftet, mit besonderer Liebe pflegen. Wie schön läßt er die Sage über den Gräbern der gefallenen Helden im Thal von Ronceval den Prolog sprechen:

Die Hüterin des Schlachtenfelds, die Sage,
Stieg vor euch auf..

Erst unterm Runenstein der Heldenzeit
Hauf ich mit Geistern in der moos'gen Halle.
Tritt nun ein redliches Gemüth zum Stein,
Tiefsinnig seine dunkle Schrift beschauend,
So tönen Stimmen, sie ihm auszudeuten,
Und diese Quell', in meiner Kluft entsprungen,
Geschwängert mit dem Rost versunkner Waffen,
Sie flüstert, über Kies und Wurzeln strömend,
Von seiner großen Väter Lust und Leid.

Auch euch faßt füßer Schauder, hört ihr mich.
Verworren kreist vor euch des Tages Bild,
Die Gegenwart verleßt, die Zukunft schreckt:
Drum flüchtet ihr aus peinlichem Gewirr
Zum stillen Borne der Vergangenheit,
Kühlt euch die heißen Augen, blickt geklärt
Auf meinen grünen Teppich!

Der weist Gestalten euch, so männlich groß;
Sie sind nicht mehr, doch sind sie einst gewesen -
Und mit der Wehmuth nun verblichner Pracht
Kommt auch erhabne Nuhe über euch.

Der Dichter, diesem Wort vertrauend, hat
Strengen Gebotes mich heraufbeschworen.
Das schlichte Wort, das ich ihm gerne gab,
Taucht' er in Regenbogenfarben ein;
Da glänzte auf ein wechselvolles Spiel,
Das Bild der Liebe und das Bild des Hasses,
Der Freude und des Todes Doppelbild.

Was daran gut ist, glaubt, er hat's von mir,
Und drum vertret' ich's als mein theures Kind,
Das selber ich, euch erst begrüßend, bringe.

Aber das Versprechen wird nicht erfüllt. Hätte der Dichter es bey dem schlichten Wort« belassen! Durch das »Eintauchen in die Regenbogenfarben« ist das, was das Leben des Mährchens ausmacht, und sich besser fühlen als beschreiben läßt, entflohen. Das Mährchen, um nicht in seiner zarten Innigkeit verlegt zu werden, verlangt die allersorgsamste Behandlung; ein rauhes Wort, aus dem Gedankenkreise heraus, kann die ganze Wirkung

stören. Es wäre thöricht, wollte ein Rec. genau angeben, was der Verfasser hätte thun müssen, um dem Drama den eigenthümlichen Zauber zu ertheilen, welcher der Sage anheftet; jedenfalls aber hätte er die seltsam modernen Anspielungen fortlassen müssen, welche nirgend mehr, als in diesem heiligen Sagenkreise stören. So die Scenen unter den Kriegsknechten, besonders wenn der gelehrte Thürsteher des Kanzlers Eginhard sich laut macht; wie dann für jeden, welcher an die historische Entstehung des von Dagobert angeführten Spruches: »Ruh ist erste Pflicht des Unterthanen« denkt, bey diesen Worten alle Wahrheit des Mährchens verschwinden muß.

Alle Wanderer, welche des Pyrenäus Felsenmauern gesehen haben, versichern, daß der süße, heilige Schauer der Sage dort unwillkürlich jeden Beschauer ergreife. Sie lebt noch unter den Bewohnern, wo die geschichtlichen Erinnerungen kaum über drey Menschenalter zurückgehen. Unter den himmelstrebenden, mit Eis und Schnee bedeckten Granitpfeilern, in dem Circus der ungeheuren Felsenwände, die sämmtlich in ihren Benennungen noch die Erinnerung an Karls Paladine tragen, bekommt die Sage Leben, und Zweifel und Kritik verschwinden; hätte doch dem Dichter diese Scenerie im Hintergrunde vorgeschwebt; hätte er uns die Pyrenäen mit dem Aufwande aller Phantasie hingestellt, vielleicht wäre dann auch der Duft des Mährchens über alle Gestalten ausgegossen, deren größere Zahl, wie sie jest erscheinen, ganz fremden Regionen angehört. Auch die Sprache, nicht so prácis als in späteren, entbehrt dieses Duftes. Vielleicht wäre hier der Reim, welcher im Cardenio und Celinde so unangemessen verschwendet scheint, von günstigerer Wirkung gewesen. Doch zeigen mehrere lyrische Partien, daß der Dichter schon hier die Fähigkeit besessen, jenen zarten Duft durch die Verse walten zu lassen. So die Gefänge der drey Mohrenknaben, welche im zweyten Akt, Geschenke bringend, zu Kaiser Karl kommen; so die Umschreibung der in Krystallschalen dargereichten Goldkörner:

Unter des Nigers
Wogengerolle
Schliefen die goldnen
Eyer der Fei

Euß hinträumenden, ahnenden Schlaf.

Siche, da nahen
Maschige Neße
Suchender Fischer,
Fahn die Geborgnen.
Und auch die Wellen
Unwillig rauschend,

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Aehnlich der Gesang von der Entstehung des Weihrauchs und der Perlen.

Unter den Charakter - Schilderungen nähert sich dem vom Dufte des Orients geschwängerten Mährchen am meisten Zoraide. Sie wird lebendig in ihrer orientalischen Gluth und der Kraft der Liebe. Etwas ausgeführter, und die Heldin des Mohrenlandes müßte unsere ganze Theilnahme in Anspruch nehmen. Durch ihre Bekehrung tritt sie nicht aus ihrem Charakter heraus. Ihr gegenüber, aber unausgebildet, steht Roland. Er ist der träumerische Mährchenheld; die wenigen Züge, die ihn als strahlenden Paladin der Christenheit in seiner gebornen und früher be wiesenen Kraft und Herrlichkeit hinstellen sollen, genügen nicht. Vor seinem Tode könnte der Aufschwung des Heldengeistes kräf- ' tiger seyn. König Karl tritt ganz aus der Mährchenwelt, wie er uns dort geschildert ist, heraus. Er hat, nach der ausgesprochenen Absicht des Dichters, Glanz und Ceremoniell feiner gothischen Majestät von sich abgeworfen, und steht wieder in rüstiger Kraft halb als ritterlicher König, halb als umsichtiger Monarch Um ausgeführtesten erscheint der Verräther Ganelon. Seine eingewurzelte Feigheit und Nichtigkeit darzuthun bedurfte es keiner besondern Kunst; denselben Feigen aber, gestüßt auf

da.

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