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sind es noch ganz die Müllnerschen Elemente, welche er geschickt, wenn auch zugleich bizarr auffaßte, und die auf den Bretern einen scheinbar festen Stand gewannen. Das Gräßliche dieser mit Blut getränkten Sinnesmenschen, die in ihrer Hohlheit beständigen Durst nach etwas Unnennbarem empfinden, tritt hier durch den Aufwand der Theaterreizmittel, Spannung, Schreck, peinliche Angst, mehr als irgend in einem ähnlichen Stücke hervor. Wenn wir auch zugeben müssen, daß wenige Dramen neuerer Zeit eine so geschickte Abründung der Fabel aufweisen können, so spukt doch auch in keinem eine so entsegliche Rohheit, und nirgends tritt die einst so beliebte Genialität des gegen die Schranken der gefeßlichen Ordnung anstürmenden Renomisten so leer hervor, als in diesen Räubern. Welch eine Abstufung von Karl Moor bis zum Räuber Jaromir! Von dem freyen Geiste des Dichters zeugte es, als er in seiner Sappho die dumpfe Blutbahn gänzlich verließ und sich zur heitern Klarheit der Antike zu wenden schien. Aber auch nur schien; denn auch Sappho war auf jenen Elementen verkehrter Bildung, jenem Streben nach Interessantseyn, jener hohlen Sehnsucht nach einer bessern Natur, als die wir nun einmal besigen, gegründet. Durch seine Trilogie der Medea wurde es klar, daß das Antike nicht sein Feld sey, und er kehrte neuerdings zum historischen Schauspiel zurück, zum vaterländischen Interesse, dem höchsten und heiligsten, welches den dramatischen Dichter begeistern sollte. Shakspeare stand ihm unverkennbar als Musterbild bey der Ausarbeitung seines Trauerspiels Ottokar vor Augen; aber es scheint, als sey ihm hier die Kraft ausgegangen, welche zur dramatischen Durch arbeitung eines so großen Thema erforderlich ist. Sein Streben verdient alle Anerkennung, die mannigfaltigen Schönheiten springen hervor, die drastische Kraft einzelner Scenen ist groß; allein jene reproducirende Kraft, welche bey Dramen dieser Art mehr gestählt seyn muß, als bey Erschaffung eigner Phantasiegemälde, eine Kraft, die wir völlig ausgebildet freylich nur bey Shakspeare finden, sie ging dem jungen Dichter ab. Gewiß dürfen wir einen Geist bewundern, der sich über so manche selbst gestellte Schranken hinausarbeitete, der rastlos nach dem Bessern und Wahren rang; wir müssen aber zugleich bedauern, daß er auf seine früheren Produktionen eine Kraft verwendete, welche, gleich auf das Rechte hingewiesen, vielleicht andere Resultate hervorgebracht hätte. So hat Grillparzer der deutschen Dramatik noch kein neues Feld errungen.

Eines größeren Beyfalls als beyde Vorgänger erfreute sich noch vor kurzem auf den deutschen Bühnen Ernst von Hou wald. Die große Anzahl der weichen Seelen finden bey ihm in

reicherem Maße die Nahrung, welche der verschwindende Oehlenschläger ihnen nur zum Theil gereicht hatte. Zugleich sprach sich in der Anerkennung dieses Dichters das Bedürfniß aus, einmal aus der kriminalistischen Welt der Schuld und Büße, aus dem zerrissenen Zustande der Halbheit, aus den von der Schnsucht zerstörten Wesen in eine reinere Welt hinaus zu kommen. Diese fand man allerdings bey Houwald, aber noch nicht die gesunde Natur, kein frisches behagliches Leben. Wesen begegnen uns, die der Schmerz niedergedrückt hat, ohne sie zu verklären. Wir können nicht zürnen, wir werden nicht empört; aber auch nirgends erhoben, und wenn wir lange unter den schmachtenden Nebelgestalten uns umgetrieben haben, regt sich recht deutlich das Verlangen, einmal andere Nahrung zu uns zu nehmen, sollten wir auch den gefährlicher Rückschnitt zu den Gottlosen machen 'müssen. Auf keinen Fall hat Houwald das deutsche Drama erfolgreich kultivirt. Es wird noch lange ein Publikum geben, das seine Stücke gern sieht und noch lieber liest, aber sie werden nur wie Gespenster über die Bühne gehen, da es auch zur Zeit ihrer Blüthe nur Erscheinungen waren, ohne Wurzeln in dem wahren dramatischen Leben und ohne Stämme aufschießen zu lassen mit Kronen, Aesten, Zweigen und Laub, die ihr Daseyn durch sich selbst vertheidigen.

Raupachs früheren Dichtungen sieht man es an, daß sie in der Fremde, als der Dichter abgeschlossen vom geselligen und literarischen Verkehre Deutschlands lebte, komponirt sind. Es Find Früchte des Nachdenkens, der Abstraktion, die lebendige Anschauung fehlte ihm in jeder Hinsicht. Daher behandelt jedes dieser Dramen irgend einen philosophischen Sah, und da der Quell des Lebens nicht aus den Charakteren hervor sprießt, ist auch die dramatische Kraft dieser ältern Tragödien des Dichters so gelähmt, daß nur einige davon, weil sie Glanzrollen für berühmte Künstler oder Künstlerinnen liefern, sich auf den Bühnen Eingang verschafft haben. Dazu kam noch ein Element, welches ihn von dem wahrhaft dramatischen Leben abzog, die Polemik. Es ist feines der ältern Gedichte ohne einen Stachel, welcher sich ziem= lich deutlich als der eigentliche Stimulus zur Erschaffung des Drama fund gibt. Wenn gleich die ersten Dichter und Dramatiker ihrem Unmuth über Welt und Leben in ausgezeichneten Dramen Luft gemacht haben, so bleiben dies doch immer nur Einzelheiten, und eine dramatische, auf Bitterkeit begründete Thätigkeit vermag nie das frische Leben hervor zu bringen, welches im Drama die Flügel entfalten soll. Was Raupa ch neuerdings, nachdem er Deutschland zum zweyten, das Theater aber zum ersten Male kennen gelernt hat, im Begriffe zu leisten

steht, mag künftigen Betrachtungen überlassen bleiben; beym gegenwärtigen Zustande der Bühne sind die wenigen Dramén, meistens Lustspiele, die von ihm sich Bahn gebrochen haben, erfreuliche Lichtpunkte in der tiefen Nacht der Mittelmäßigkeit.

So viele Versuche von geachteten Talenten, alle fruchtlos zur Begründung eines nationalen Theaters verwandt, mochten den Mißmuth und die Verachtung erzeugen, welche manche ausgezeichnete Köpfe gegen das theatralische Bestreben überhaupt ausgesprochen haben. So spöttelte Jean Paul mit Unrecht über die Vorliebe der Zeit zur dramatischen Dichtung. Wie groß würde der Einfluß dieses reichbegabten Genius geworden seyn, wenn es ihm möglich gewesen, durch das Organ des Theaters zum Volke zu sprechen! Auf der andern Seite die Schwierigkeiten betrachtet, welche der jezige verderbte Zustand der Bühne und der noch viel verderbtere des Publikums, das nur pikante, durch Neuheit reizende Gerichte verlangt, den Dichtern entgegenseht, ist es nicht zu verwundern, wohl aber zu bedauern, daß die Bessern sich mehr und mehr vom Theater zurückgezogen haben. Ist es aber zu billigen, wenn produktive Geister, deren Neigung sie durchaus zur dramatischen Thätigkeit treibt, diese Verachtung so mächtig bey sich werden lassen, daß sie vorsäßlich bey der Dichtung von Dramen von der Aufführbarkeit abstrahiren? Die ser Vorwurf trifft namentlich bey uns Deutschen so viele Dichter. Daher die vielen dramatischen Ungeheuer, die als Zwitter keinem Gesetz unterworfen seyn wollen; daher daß die Spaltung zwischen dem Theatralischen und dem Dramatischen (wie es diese Dichter verstehen) immer größer wird, eine Eintheilung, welche mehrere Aesthetiker sonst nicht einmal gelten lassen wollten.

Bey aller Verkehrtheit unserer Bühneneinrichtungen, bey aller Verderbtheit des Geschmacks sind es doch Geseze, ursprünglich der Natur entnommen, welche die dramatische Entwickelung der heutigen Theater- und Kassenstücke bedingen, während Dichter, die an feine Aufführung denken, meist nur die Laune als Gesetzgeberin erkennen. Einer solchen Richterin ist jener, wenn gleich ausgeartete, Gefeß- Coder immer noch vorzuziehen. Die Bühnenstücke verlangen wenigstens immer Handlung, der für die Theater arbeitende Dichter darf sich keinen Träumereyen überlassen, das Leben muß sich entwickeln, alles Erschei nende muß lossteuern auf ein Ziel. Diese aus der Natur der Sache entspringenden Bedingungen verliert der nur für den Druck Dichtende zu leicht aus den Augen. Während er sich in die Irrgärten der Reflerion verliert, ist auch das wahre Leben so bald verschwunden. Wer das Gesez der Anschaulichkeit nie aus dem Gesichte läßt, fühlt sich gedrungen, auch dem, was dem

sogenannten innern Leben angehört, Gestaltung zu geben. Er verwandelt den Gedanken in das Bild, und mit Bildern läßt sich kürzer und eindringlicher der Sinn darstellen, wo die philosophische Sprache weiter Umwege bedarf, um ihn auszudrücken, So bleibt ihm das endliche Ziel aller, besonders der dramatischen Poesie immer nahe.

Hätte jeder dramatische Dichter bey der Entwerfung der Fabel nur ihre Ausarbeitung, die Möglichkeit der Aufführung vor Augen, wie viel Mäßiges, wie viel Leeres wäre niemals erschienen. Welchen Wust von Neuigkeiten, erstickend in ihrer eigenen nüchternen Nichtigkeit, bringt in allen Regionen der Poesie jedes Jahr hervor, weil die Leichtigkeit, Produkte in die Welt zu fördern, zu groß ist. Verflüchtigen doch selbst bessere Talente durch diese Leichtigkeit. Wie könnten sich die, welche den bestehenden Bühnen das Wort führen, nicht mehr damit entschuldigen, daß unter dem vorhandenen Bessern nichts für das Theater sich eignendes sey, und daß die Direktoren gezwungen wären zum Schlechten aber Bühnengerechten zu greifen, wenn die Besseren die Anforderungen des Bühnengerechten im Wesentlichsten berücksichtigten. Und die Bedingungen sind in der That nicht so schwierig zu erfüllen, und nicht so unvereinbar mit der wahren Poesie.

Um namhaftesten tritt in der neuesten Zeit Immermann als Dramatiker auf, welcher von Anfang an seine Dramen außerhalb theatralischer Berechnung gestellt hat. Er kann sich darüber nicht beschweren, daß keines seiner Stücke auf deutschen Theatern aufgeführt worden; denn selbst bey ernstem Willen der Direktionen wäre es ihnen unmöglich gewesen, unter der Zahl der von ihm bekannt gewordenen Tragödien eine aufführbare ausfindig zu machen. Daß Immermann so dauernd seine poetischen Kräfte auf die Produktion von Dramen gerichtet hat, zeugt wohl an sich schon von seinem Berufe für das Fach. Nicht also, daß seine Tragödien ohne dramatisches Element wären; aber dies Element ist nicht gehörig ausgebildet worden; selbst nicht die wesentlichsten Erfordernisse eines ausgeführten Drama finden sich in den seinigen, als daß eine Umbildung für unser Theater leicht angebracht wäre. Shakspeares Stücke find eben so wenig als die Calderons in ihrer vorliegenden Gestalt für unsere Zeit und unser Theater aufführbar; aber sie sind ihrem innersten Wesen nach dramatisch; Calderon ist namentlich ein unerschöpfliches Muster im Reichthum seiner sceni schen Anordnungen und Intriguen für das Theatralische. Beyde bedürfen nur einer geschickten Zurichtung für unsere Verhältnisse und Ansichten im Einzelnen, und sie verfehlen, wo die Mittel

sie würdig darzustellen vorhanden sind, nirgends ihre Wirkung, es wäre denn, daß sie von Grund aus auf solche Ansichten und Begriffe basirt sind, welche den unsern durchaus entgegen gesezt erscheinen.

Dem Leser der Immermannschen Tragödien drängt sich die Vermuthung auf, daß der Dichter von allen theatralischen Vorstellungen entfernt gelebt habe; sonst müßte, glaubt man, die Einsicht in das wahre dramatische Wesen, welche sich hie und da unverkennbar ausspricht, zu größerer Reife gediehen seyn. Scenen sind wie für die Aufführung geschrieben, der Theaterfreund verfolgt sie mit Lust, bis er dann wieder auf Dialoge, Verwicklungen, Sprünge und Auflösungen stößt, welche eben so weit vom Dramatischen als Theatralischen entfernt liegen.

Die, vielleicht mit aus dem Mangel an Sachkenntniß hervorgegangene Geringschäßung dramatischer Regeln rächt sich selbst. Wir reden nicht von den äußern Folgen, daß jeder Dramatiker, der nicht auf die Bühne rechnet, weniger bekannt wird, obgleich, da das Ziel aller Poesie die Mittheilung des in uns Lebenden bleibt, auch das Theater, als das zur ausgebreitetsten Mittheilung geeignete Organ von unverkennbarem Werthe ist. Form und Gehalt zeugen in den Immermannischen Dramen von einer starren Sprödigkeit, die, wie bey werthvollen Menschen durch den Umgang, durch nähere Bekanntschaft mit dem Theater leicht hätte abgeschliffen werden können. Im Gegentheil hat diese Sprödigkeit immer mehr den Charakter der Seltsamkeit angenommen, der bis in's innerste Wesen zurück gedrungen ist. Seine Dichtungen schwanken zwischen dem Schein der Originalität und dem eines verhärteten Stolzes, beydes Eigenschaften, die auf der einen Seite anziehen, während sie auf der andern der lebendigen Wahrheit des Gemäldes Eintrag thun.

So ist, weil der Verfasser nie daran dachte, daß er im Munde eines Schauspielers Leben gewinnen solle, sein Vers oft hart und schroff. Obgleich äußerst richtig gezählt und scandirt, geht ihm der melodische Rhythmus ab, der, besonders in lyrischen Stellen, das Feuer, welches den Dichter ergriffen hat, verráth. So wird hie und da der Gedanke durch den Vers abgebrochen, wo es dem Ohr wehe thut und schwer auszusprechen ist. Daß dieß Schwierigkeiten sind, die er hätte überwinden können, bezeugen dazwischen vorkommende sehr gelungene Stellen. Er liebt auch die kurzen Wechselreden in einem oder zwey Versen, deren Wirkung doch übrigens auch größer in der Vorstellung, als in der Wirklichkeit auf dem Theater ist. Hierin und in andern Stellen, besonders den Eingangsreden, zeigt sich das Studium der griechischen Tragiker; wo sich dann die feyerlich einherschreiten

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