Pagina-afbeeldingen
PDF
ePub

Das Missale und Antiphonarium der Abtei Echternach O. S. B. saec. X in der Gr. Hofbibliothek zu Darmstadt.

Besprochen von

F. W. E. Roth.

Von den liturgischen Büchern des frühen Mittelalters sind die sogenannten Sacramentarien die bedeutendsten und interessantesten. Sie enthalten Alles, was der Priester bei Spendung der Sacramente der römischen Kirche, namentlich dem Messopfer, der Taufe, Ehe, letzten Oelung sowie der Beerdigung zu sprechen hatte. Von den verschiedenen im Gebrauche gewesenen Sacramentarien der römischen Kirche ist das des Papstes Gregor des Grossen das bedeutendste und fand desshalb seit dem achten Jahrhundert die verbreitetste Aufnahme und geradezu alleinige kirchliche Anerkennung. Dadurch ward es Grundlage des heutigen römischen Missale's und der römischen Kirchenagende.

[ocr errors]

L. Delisle beschreibt in den mémoires de l'institut national de France. Académie des inscriptions et belles lettres. tom. XXXII. Paris 1886 p. 65 f. nicht weniger als einhundertsiebenundzwanzig Sacramentarien des siebenten bis elften Jahrhunderts, theils ganze Codices, theils Bruchstücke, wie solche früher in Italien, Spanien, Frankreich, England und Deutschland im Gebrauche gewesen. Auf Deutschland kommen hiervon allein achtundzwanzig Exemplare. Delisle betont den Werth dieser Sacramentarien für Geschichte der Liturgie, der lateinischen Sprache, der Schriftschulen und Malerei. Es gereicht mir zur Freude, die Zahl der von Delisle beschriebenen Sacramentarien um ein weiteres Exemplar zu vermehren, das sich in der Hofbibliothek zu Darmstadt befindet und sich durch Alter, Schönheit der Schrift und Darstellungen, Wohlerhaltenheit und Inhalt seinen Genossen würdig anreihen dürfte.

§. 1. Die Handschrift.

Dieselbe ist Pergament von ziemlicher Stärke und Steifheit, sogenanntes deutsches Fabricat, von drei Händen des X. Jahrhunderts auf

279 Blatt zu 17 Zeilen per Seite aufs sorgsamste und gefälligste geschrieben, rubricirt und gemalt. Der ehrwürdige Quartband gehörte ehedem der reichen Abtei Echternach an der Mosel1), Benedictinerordens, kam nach der Klosteraufhebung 2) in die Bibliothek des Barons von Hüpsch in Cöln und von da durch Erbschaft in die Hofbibliothek zu Darmstadt3), Auf meinen Wunsch neu foliirt trägt der Codex die Handschriftenstandnummer 1946 und ist in den handschriftlichen Verzeichnissen der Handschriften als Missale saec. X eingetragen. Jetzt befindet dieselbe sich unter den Cimelien der Bibliothek aufgestellt. Dieselbe dürfte nicht allein der kostbarste Codex durch Alter und Erhaltung, sondern auch der wissenschaftlich werthvollste der alten Codices der Bibliothek sein. Ein Eintrag des frühern Besitzers, der Abtei Echternach, findet sich nicht, die Eigenthumschaft dieser Abtei geht aber aus der Nennung Willibrords in den Gebeten als Patron Echternachs aufs bestimmteste hervor. Der Einband des Codex ist braunes Leder mit einem ziemlich einfachen Linienmuster, mit je fünf Buckeln von Messing und dürfte dem 15. oder 16. Jahrhundert angehören. Die Erhaltung des Codex ist gut und zeigt derselbe auffallend wenig Gebrauchsspuren am untern Rande. Blatt 1, 9, 18, 109 und 279 sind leer, mehrere Zettel von späterer Schrift sind eingebunden und bei der Foliirung mitgezählt. Die Schrift ist dreierlei, eine gefällige runde Majuskel in zartem Roth für die Rubriken, eine grössere Minuskel in Schwarz für die Gebete des Priesters, eine kleine Minuskel in Schwarz für die gesang

1) Die Abtei Echternach liegt 5 Stunden nördlich von Trier, 7 Stunden von Luxemburg, 698 von Willibrord Mönch zu Rathmelsing in Irland, dann Gründer und erster Abt zu Echternach, errichtet. cf. Reiners, A., Historisches und romantisches Echternach. Echternach 1880.

2) Nach Aufhebung der reichen Abtei Echternach 1803 resp. 1801 kam die Bibliothek nach Paris, wo dieselbe theilweise noch ist. Von diesen wertvollen Codices ist Nr. 9433 der Nationalbibliothek das Echternacher Sacramentarium des X. Jahrhunderts mit dieser Inschrift: Continet ordinationem beati Jeronimi de officio missae. Orationes pro fratribus in via dirigendis. Epistola Chromatii ad Hieronymum. ConQuatuor versus de quolibet mense. fessio peccatorum et litania omnium sanctorum, praefationes, benedictio episcoporum et benedictiones sacerdotum, exorcismi etc. Nr. 10510 der Nationalbibliothek ist das Echternacher Graduale saec. XII, ein kleiner Quartband von 117 Blatt, theilweise von Thiofrid (im Jahre 1110 zu Echternach gestorben) geschrieben, cf. Studien aus d. Benedict. - Orden 1883, II, 429 f.

[ocr errors]

Kalendarium.

3) Auf den Codex, der unbeachtet unter den anderen Handschriften stand, ward ich 1886 bei Herausgabe meiner latein. Hymnen durch den Catalog aufmerksam. Geheimrath Walther, der doch so Vieles als Cimelien vereinigte, das unbedeutend ist, scheint den Werth des Codex nicht geahnt zu haben.

lichen Theile des Codex, die dann immer Neumenschrift ohne Liniensystem überschrieben haben. Die Schrift ist die rheinischer Schriftdenkmäler im X. Jahrhundert und hat in den Majuskeln auffallend Aehnlichkeit mit jener berühmten Steintafel des Mainzer Erzbischofs Willigis von Mainz in der Pfarrkirche zu Eltville am Rhein. Es lässt sich leicht feststellen, dass der Codex Arbeit der Echternacher Schreiberschule ist und nicht etwa ein Geschenk von Ausserhalb. Durch die dreierlei Schrift des Codex gewinnt derselbe an Mannigfaltigkeit für den Typenforscher, wie sich ja überhaupt die Sacramentarien in dieser Beziehung mannigfaltig und formenreich erweisen. Abkürzungen finden sich wenige: Ps. für Psalmus, off. für offertorium, tr. für tractus, v. für versus, or. für oratio; Siglen kommen sparsam vor, die meisten Worte sind ausgeschrieben nach Art des Jahrhunderts, die Silben zweier Wörter hängen oft zusammen, grössere Worte sind in zwei getrennt, wie dieses in Handschriften des frühen Mittelalters üblich.

§. 2. Der Inhalt des Codex.

Der Codex enthält zwar das Sacramentarium Gregors des Grossen, aber nur gekürzt. Das ganze Sacramentarium enthält bekanntlich die Messen durchs Jahr, die kleinen Weihen am Lichtmessetag, Ascherwittwoch, Palmtag und vor Ostern, den Taufritus, Ritus der Ehe, Priesterweihe, letzten Oelung, die Beerdigungsfeier bis zum Dreissiger sowie Gebete für besondere Zwecke. Von allem diesem enthält der Codex nur ein gekürztes Messformular, die Festmessen durchs Jahr gekürzt, die kleinen Weihen, sowie die Votivmessen für Verstorbene bis zum Dreissiger. Der Codex ist also kein Plenarium oder Missale plenum, er hat nämlich keine Evangelien und Episteln noch einen comes dieser Lesestücke. Es fehlt ihm also alles, was bei festlichen Aemtern der Diacon zu singen hatte. Das Sacramentar Gregors erfuhr im Laufe der Zeit vielerlei Veränderungen durch Weglassung und Zusatz. Das Sacramentar Gregors war ja vorerst für den Cultus Roms und Italiens bestimmt und zeichnete sich durch dort namentlich verehrte Heilige aus. Als das Sacramentar sich verbreitete, liessen die deutschen Domkirchen, Stiftskirchen und Klöster diese Heiligenfeste theilweise weg, es blieben in den Ferialmessen der Quadragesima, der Ostern und Pfingsten die Stationen des Sacramentars zwar erhalten, doch wurden sonst deutsche Heilige eingefügt und damit der Umfang einerseits gekürzt, anderseits erweitert. So entstand ein Sacramentar Gregors mit deutschem Heiligencharacter. Gleiches thaten die andern Länder für ihre Heiligenfeste. Auch richtete man die Gebete vor der transsubstantiatio, das memento für die Lebenden und Abgestorbenen so nach

örtlichem Gebrauche ein, dass man die Heiligen, welche Gregor dem Sacramentar einverleibt, zwar beibehielt, aber um die Patrone einer Kirche vermehrte. Das Sacramentar wuchs also an Festofficien von

Patronen und nahm an Namen in den preces zu. Dadurch blieb das Sacramentar im grossen Ganzen erhalten, gewann aber an localer Färbung und Mannigfaltigkeit. Der Messcanon war im IV. und X. Jahrhundert längst feststehend, nur in den Gebeten kamen Weglassungen und Zusätze vor. Auf diese Weise lässt sich oft bei Sacramentarien ohne Inscripte feststellen, welchem Orden oder welchem Kloster der Codex seine Entstehung verdankte. In vielen Fällen hat dieses für Geschichte der Schreiberschulen, der Malerei und Feststellung der Herkunft der in den Calendarien so oft enthaltenen Listen von verstorbenen Wohlthätern, von Würdenträgern, von beigeschriebenen Urkunden und andern Aufzeichnungen grossen Werth. Auf die oben beschriebene Art der Weglassung und des Zusatzes entstand auch der Darmstädter Codex. Die in demselben aufgeführten Heiligenfeste sind diejenigen, wie sie im Benedictinerorden im X. Jahrhundert üblich waren, die Nennung des Eucharius und Willibrord in der Allerheiligenlitanei, im Stillgebete vor der Wandlung, im memento sowie speciell als Officien gibt zur Genüge an, dass der Codex der Abtei Echternach jener Stiftung Willibrords angehörte. Als sich das Christenthum nach dem achten Jahrhundert in Deutschland immer mehr verbreitete und der Cultus an Mannigfaltigkeit gewann, damit die priesterlichen Verrichtungen an Umfang zunahmen, machte man für die verschiedenen Verrichtungen des Priesters aus dem einen Sacramentarium Gregors mehrere Bücher für sich und bediente sich derselben für specielle Zwecke. Aus dem Sacramentarium entstand das missale plenum, das missale itinerantium, das collectaneum, epistolarium, evangeliarium, das ad te levavi, das Benedictionale, oft sogar noch ein Buch mit den Praefationen. Diesen zertheilenden Gebrauch kannte man in Echternach im X. Jahrhundert längst und der Darmstädter Codex ist ein weiteres Zeugnis von solchem Verfahren. Die Messe, wie sie der Priester alltäglich in ihrer unwandelbaren Formel am Altare betete, stand in einem andern Buche, ein zweites enthielt die Evangelienlesestücke, ein drittes die Episteln, ein Umstand, der das Fehlen dieser Stücke in dem Darmstädter Codex verstehen lässt. Derselbe erhielt nur das einverleibt, was der Priester zu dem gewöhnlichen Messformular für die einzelnen Festtage speciell beten musste, die Weihen und Votivmessen. Bekanntlich pflegte die römische Kirche frühe den Kirchengesang und gerade jener Papst Gregor, welcher sich so verdient um das Sacramentar machte, lieferte auch in seinem Antiphonar eine Sammlung von damals üblichen Kirchengesängen

[ocr errors]

mit Notation. Aus diesem Antiphonar machte man im Laufe der Zeit ebenfalls kleinere Bücher als Auszüge. Es entstand das Graduale, das Troparium, der neumirte Psalter, das Hymnarium. Oft machte man auch eine Verschmelzung des Missale mit dem Antiphonar, wie ja das heutige römische Missale nichts Anders als eine solche Verbindung ist. Der Darmstädter Codex ist einerseits ein Auszug aus dem Sacramentar, resp. Missale, andrerseits ein solcher des Antiphonars und bietet hierin eine Merkwürdigkeit für die Geschichte des römischen Messbuchs. Es geschah dieses aus dem Grunde, um dem Codex eine doppelte Brauchbarkeit für Priester und Sänger zu verleihen. Ganz klar ist dieses Verhältnis wohl nicht, da auch hier der Sänger ein zweites und zwar vollständiges Antiphonar zur Hand haben musste, wenn er nicht als so geschult zu denken ist, dass er Text und Singweise auswendig wusste. Der Annahme, dass das Buch das des regens chori gewesen und derselbe nur die Anfänge der Psalmen, Offertorien und Versus nöthig gehabt, widerspricht wohl die Sorgfalt, mit der die Gebete dem Codex in grösserer Schrift einverleibt sind. Möglicherweise sollte der Codex aber diesem und dem Priester dienen und wurde von letzterem vorausgesetzt, dass er das tägliche Messformular auswendig kannte. Beides war bei den Sängern und Priestern keine Seltenheit.

§. 3. Die Musik des Codex.

Papst Gregor der Grosse lieferte, wie bemerkt, auch ein Antiphonar der römischen Kirche. Dieses verbreitete sich bald durch Abschriften. Enge damit zusammenhängt, dass an den grossen geistlichen Culturplätzen des 8. Jahrhunderts: Mainz, Fulda, St. Gallen, Reichenau, Prüm, Trier, Cöln etc. sich Sängerschulen bildeten, die die Singweise dieses Antiphonars zwar practisch erhielten, aber ebenso auch im Laufe der Zeit verderbten. Im Jahre 790 sandte Papst Hadrian I auf Wunsch Karls des Grossen zwei römische Sänger nach Metz, den Petrus und Romanus, versehen mit zwei Abschriften des ächten Antiphonars Gregors. Romanus blieb in St. Gallen, mit ihm die Abschrift desselben, die Schicksale des Petrus und dessen Abschrift kennen wir nicht. Jedenfalls bildeten sich von beiden Antiphonarien wiederum zahllose Abschriften, und zwar in jener Schrift, die man die Romanus'sche nennt nach Romanus dem Sänger und die im allgemeinen Neumenschrift heisst. Es ist wahrscheinlich, dass Echternach alsbald ebenfalls direct oder auf Umwegen das Antiphonar Gregors erhielt. Die Abtei gehörte ja dem Benedictinerorden an und bei diesem stand die Gesangskunst in hoher Blüthe. Sängerschule und Antiphonar ist also in Echternach vorauszusetzen. Im Laufe der Zeit trat durch Willkür und Versehen der

« VorigeDoorgaan »