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Lehrer an der höheren Bürgerschule, Lector für Zoologie am Senckenbergischen Museum in Frankfurt a. M.

No. 5.

Frankfurt a. M., Mai 1870.

XI. Jahrg.

Inhalt: Ein Besuch des Schleswig'schen Wattenmeeres und der Insel Sylt im März 1870; von K. Möbius, Professor in Kiel. Aus meinen Erfahrungen über Singvögel in der Gefangenschaft; von Pfarrer Karl Müller in Alsfeld. (Fortsetzung.) Die Vögel auf Sicilien; von J. P. Muth in Palermo. Nachrichten aus dem zoolog. Garten in Dresden; von dem Inspector Alw. Schöpf. Allerlei Beobachtungen aus dem Thierleben, insbesondere um Worms am Rhein; von Gymnasiallehrer Dr. L. Glaser. (Schluss.) Miscellen. Literatur. Anzeige. Beiträge.

Ein Besuch des Schleswig'schen Wattenmeeres und der Insel Sylt im März 1870.

Von K. Möbius, Professor in Kiel.

In der letzten Woche des März dieses Jahres machte ich eine Reise nach der Insel Sylt, um im Auftrage der Königl. Regierung zu untersuchen, wie der harte Winter auf die Austernbänke eingewirkt habe. Ueber einen Monat war Eis zwischen der Schleswig'schen Küste und den Inseln gewesen. Eismassen bis zu sieben Fuss Dicke und mehrere hundert Fuss lang hatten sich an manchen Stellen zusammengehäuft, und von der östlichsten Spitze der Insel Sylt fuhr man mit Pferd und Wagen über das Eis nach dem Festlande hinüber. Die Austernfischerei konnte des Eises wegen vom 4. Februar bis

zum 7. März nicht betrieben werden. Nach früheren Wahrnehmungen musste man befürchten, dass der strenge Frost den Austernbänken Schaden zugefügt habe, und dies ist in der That auch geschehen. Am meisten erfrorne Austern lagen auf den flacheren Bänken, die bei Ebbe nur wenige Fuss Wasser über sich behalten. Hier waren

von den in meiner Gegenwart gefischten Austern 7 bis 8 pCt. todt. Am wenigsten hatte der Frost denjenigen Bänken geschadet, welche nahe bei den tiefen Stromrinnen liegen, durch welche das Fluthwasser aus dem freien Meere in das Wattenmeer eindringt. Hier fand ich nur 2-3 pCt. der gefangenen Austern erfroren.

Das erste Zeichen der Frostkrankheit ist die Bedeckung des Mantels, der Kiemen und des Mundes mit Schlamm. Weiterhin kann der Schliessmuskel die Schalen nicht mehr festschliessen, die Flimmerwimpern der Kiemen schwingen langsamer. So werden das Athmen und die Ernährung gestört und die Auster stirbt endlich ab. Die Schalen klaffen weit auseinander. Schnecken (Buccinum undatum), Krebse (Portunus maenas, Hyas aranea) und Seesterne (Asteracanthion rubens) haben nun ungehinderten Zutritt, um die blossgelegten Weichtheile zu verzehren. In manchen Austern traf ich nur noch den Schliessmuskel an, in vielen war auch dieser bis auf geringe Reste verschwunden.

Am 28. März ging das Untersuchungsfahrzeug im Hafen von List am nordöstlichen Ufer der Insel Sylt vor Anker. Ich ging ans Land und beeilte mich noch vor Untergang der Sonne die nächsten hohen Dünen zu besteigen. Wenn man diese Berge und Thäler ohne irgend einen Baum und Busch und ohne alle Zeichen der Herrschaft des Menschen über die Natur im Sommer vor sich sieht, so glaubt man in die ödeste Einöde versetzt zu sein. Jetzt lag sie aber doch noch öder vor mir da. Im Sommer ist doch fahlgrünes Leben in den Büscheln der Dünengräser; jetzt waren sie abgestorben und fast ebenso bleich wie der Sand, den sie nur dünn bedecken. Im Sommer erscheinen die dichtstehenden Heidekräuter (Calluna vulgaris und Erica tetralix) und die Heidelbeergewächse (Vaccinium uliginosum, myrtillus und Vitis idaea) unten in den Thälern wie ein grünlichbrauner Teppich; jetzt hatten die Thäler eine schwarzbraune Todtenfarbe angenommen. In einem der grösseren Thäler, das ich im August des vorigen Jahres oft durchschritten hatte, war ein kleiner See entstanden, dessen stille, glänzende Oberfläche den schroffsten Gegensatz zu seinen schwarzbraunen Ufern bildete. Wenn ich im Sommer durch die Dünen ging, sassen auf ihren hellgrünen

Abhängen Silbermöven, in weiter Ferne schon als schneeweisse Punkte wahrnehmbar. Sie erhoben sich, wenn ich näher kam, und vereinigten ich über mir zu einem kreischenden Schwarm, der mich bis an die Grenzen ihres Gebietes verfolgte. Jetzt war es todtenstill in den Dünen, und statt der lebendigen Silberpunkte des Sommers lagen Flecke von Schnee auf den Dünenabhängen. Als ich von den Höhen herabgestiegen war und in die kleineren Vorthäler kam, stiess ich auf eine kleine Schar Schafe. Sie flohen vor mir, machten aber in der Ferne Halt und blickten mir furchtsam nach. Ein Mensch ist ein ihnen selten erscheinendes Wesen.

In den Dünen von List, die ungefähr 1/4 Quadratmeile einnehmen, weiden den Winter hindurch 900 Schafe, die den beiden Bauern des Dörfchens List gehören. Im Sommer werden noch einige Hundert Schafe mehr von anderen Dörfern der Insel Sylt in die Lister Dünen getrieben. Eigentlich gehütet werden diese Schafe nicht, sondern nur von der östlichen und westlichen Grenze des Dünenlandes im Sommer wieder zurückgetrieben, wenn sie sich den dort liegenden Feldern und Wiesen nähern. Im Winter dürfen sie auch auf diesen Futter suchen, werden aber dann zuweilen durch hohes Wasser vom Trocknen abgeschnitten und von den Fluthen begraben. Auf diese Weise waren acht Tage vor meinem Besuche fünfzehn Schafe umgekommen. Futter finden die Schafe selbst in harten Wintern in genügender Menge. Wollen sie trinken, wenn die Wasseransammlungen in den Dünenthälern zugefroren sind, so stossen sie das Eis mit den Füssen entzwei. Sie bleiben bei der strengsten Kälte auch des Nachts im Freien. Höchstens die trächtigen Mutterschafe bringt man in den Stall. Die Schur ihrer Schafe nehmen die Lister Bauern Ende Mai vor. Das Schaf gibt durchschnittlich 3 Pfund Wolle. In den andern Theilen der Insel Sylt werden die Schafe zweimal geschoren. Die Wolle ist grob und wird auf Sylt selbst von den Frauen verarbeitet. Sie stricken warme Jacken und Strümpfe daraus, von welchen viele ausgeführt werden.

In den Lister Dünen brüten Tausende von Seevögeln, hauptsächlich Silbermöven. Auf dem Ellenbogen der nordöstlichsten Landzunge der Insel brütet auch Sterna caspia. Eiderenten (Somateria mollissima) sollen wenigstens hundert Paare in den Thälern nisten. Das Einsammeln der Eier steht den beiden Lister Bauern zu. Sie verpachten es. Es werden jährlich wohl 30-40000 Eier ausgenommen. Die Silbermöven legen 8-9 Eier; man lässt ihnen drei zum Ausbrüten.

Das Legen fängt um den 10. bis 12. Mai an.

Das Eiersammeln beginnt Mitte Mai (den 15. bis 18.) und wird am 18. Juni, spätestens am 20. geschlossen. Aus dem Nest der kaspischen Seeschwalbe wird nur Ein Ei genommen.

Für die Bergenten (Anas marila), welche im März ankommen, legen die Lister neben ihren Häusern Nistlöcher an. Sie graben an Stellen, wo dichte Rasendecken wachsen, runde Löcher, etwa 1 Fuss weit, aus, verbinden dieselben durch Gänge und decken dann Alles wieder mit der Rasendecke zu. (+ in der beistehenden Figur bezeichnet ein Nestloch.) Für alle Löcher

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Eingang.

ist nur ein Zugang vorhanden. Will man + Eier ausnehmen, so setzt man das gemeinsame Eingangsloch zu, damit die Enten nicht weglaufen können, und hebt dann die Decken der einzelnen Löcher nach einander in die Höhe. Die Legzeit der Bergenten dauert von Ende Mai bis Ende Juni. Sie legen 15-20 Eier. Man lässt ihnen fünf zum Ausbrüten,

Das Sammeln der Eiderenteneier ge

statten die Lister Bauern ihren Eierpächtern nicht. Sie selbst haben zu wiederholten Malen Eiderenteneier an einen Sylter abgegeben, der sie für den zoologischen Garten in Hamburg auf der Insel ausbrüten liess.

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Strand kam, waren
Gegen 400 bis 500
Grenze von Wasser

Am 29. März, als ich früh Morgens an den grosse Scharen von Vögeln auf den Watten. Rottgänse (Anas torquata) hatten sich an der und Land zu einer langen, schwarzen Reihe vereinigt, aus der ohne Aufhören das tieftönende Rrrot Rrrot erklang. Viele standen still; andere gingen nach Nahrung suchend langsam vorwärts; ganze Kolonnen schwammen; kleinere und grössere Völker erhoben sich, machten einen kurzen Flug und fielen dann wieder in die grosse Schar nieder. Neben den Rottgänsen, etwas weiter in See hinaus, schwamm ein Heer von Möven auf dem Wasser, die durch ihre helle Farbe und ihre schärferen, höheren Töne auffallend von dem Schwarm der Gänse abstachen. Von diesen beiden Heeren getrennt, schwamm eine kleine Gesellschaft Eiderenten nahe dem Strande entlang. Es waren 5 Männchen und 4 Weibchen, die, meistens bunte Reihe haltend, im Fortrudern oft die Köpfe unter Wasser tauchten.

In dem höheren, trocken gelaufenen Theil der Watten waren Männer und Frauen beschäftigt, um, da die Eiszeit vorbei war,

wieder Apparate zum Fang der Plattfische auszusetzen. Sie bestehen aus zwei über 200 Fuss langen Zäunen, die gegen das Wasser hin convergiren. Die Winkelspitze wird durch einen Netzbeutel geschlossen. Die Fluth läuft über die Zäune weg und bringt Fische mit. Bei der Ebbe folgen diese dem ablaufenden Wasser und gerathen so schliesslich in das Netz. Bei der Insel Ré an der Westküste von Frankreich, gegenüber La Rochelle, errichten die Fischer halbkreisförmige Mauern unter dem Strande, um bei Ebbe die Fische zurückzuhalten. In diesen kostspieligen Bauten, Ecluses genannt, sind an mehreren Stellen vergitterte Ausgänge für das Wasser angebracht, innerhalb welcher bei niedrigem Wasser die Fische mit Kätschern ausgeschöpft werden.

Am 30. März trat ich die Rückreise an. Von dem Fahrzeug des Austernfischers ging ich um 2 Uhr Nachmittags an Bord des vorbeisegelnden Postschiffes. Um 4 Uhr musste dieses auf zwei Stunden vor Anker gehen, bis die Fluth wieder Wasser genug in das flache Wattenmeer hereingebracht hatte. Es wehete Nordostwind; die Sonne ging in glühender Röthe hinter den Lister Dünen unter. Als es anfing dunkel zu werden, naheten wir uns der kleinen Insel Jordsand, auf deren höchster, aufgeworfener Stelle ein einsames Haus steht. Auf einer Sandbank vor der Insel lagen achtzehn Seehunde, mit ihren Köpfen alle gen Westen gekehrt, wo sich noch ein hellrother Lichtsaum über den Horizont hinzog, während in der Höhe schon einzelne Sterne erschienen. Im Osten der Sandbank hatte sich eine Schar Rottgänse versammelt, die trotz der Dämmerung an ihrem dunklen Gefieder und ihrer Stimme doch noch kenntlich waren.

Gegen acht Uhr sass das Fahrzeug auf dem Grunde fest. Nach einer Stunde wurde es wieder flott und gegen zehn Uhr war es so weit gesegelt, als es kommen konnte. Nun wurden die Passagiere und Gepäcke in einem Boote dem Lande, das nur durch ein fernes Licht erkennbar war, näher gebracht. Durch Blasen auf einem Kuhhorn gegen das Land hin meldete man die Ankunft der Post. Es verging aber eine Stunde, ehe sich uns ein Licht näherte. Endlich hörten wir Plätschern aus der Ferne. Ein Wagen mit zwei Pferden kam langsam heran. Vor diesen her schritt mit Wasserstiefeln, die bis an die Hüften reichten, ein Mann, der eine Laterne mit ausgestrecktem Arme über dem Wasserspiegel hielt. Wir bestiegen den Wagen, um noch eine lange Strecke hinter dem Laternenträger her durch das Meer zu fahren, ehe wir gegen Mitternacht bei dem dänischredenden Dorfe Emmerleff das trockene Land betreten konnten.

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