§. 96. Was die Privatbehältnisse betrift, so sind die Rechtsgelehrten in Betrachtung Ansehen der ihres Anseheus nicht einig. Einige behaupten, daß man ihnen gänzlichen und vol: Privatbe: ständigen Glauben beimessen müsse; andere räumen ihnen hingegen nur eine halbe hältnisse. Glaubwürdigkeit (femiplenam fidem) ein (i). Viele überlassen die jedesmalis ge Entscheidung der Klugheit eines verständigen und behutsamen Richters; doch so, daß das Ansehen eines schriftlichen Beweises, welches jederzeit sehr gros ist, nicht alzuenge eingeschränkt werde: ita tamen, ne fauor probationis, qui vbique magnus eft, nimium coarctetur (f). Du Molin hält dafür, daß man Schrif ten, die aus Privatarchiven genommen worden, keinen Glauben beizumessen vers pflichtet sen (1); wenn sie nicht auf eine authentische Art abgefasset sind, oder wenn es nicht bereits zur Gewonheit geworden, sich auf ihr Ausehen zu berufen. Die gemeinste Meinung aber ist diese, daß sie einen halben Beweis abgeben kön men. Durch einen halben Beweis verstehet man denjenigen, der auf sehr starke Warscheinlichkeiten gegründet ist, deren Verbindung einen volständigen Beweis aus: macht; indem es moralisch unmöglich ist, daß sie mit einander verbunden werden könten, die Richtigkeit einer Sache zu beweisen, die doch falsch ist, oder die Unrichsigkeit einer an sich wahren Sache darzuthun. Man nimt vier Arten von halben Be: weisen an. Unverdächtige Zeugen, Privatschriften, die Vergleichung der Schriften und die Flucht. Jedes diefer Stücke macht wenigstens an und vor sich einen halben Be: weis aus. Es giebt aber hierbey noch viele Fälle, die man nicht mit einander vers wechseln mus; imgleichen finden noch viele Ausnamen stat, die man bey den Rechtsgelehrten weiter nachsuchen kan (21). Fünf (i) Beim Wencker de jure arch. p. 49. (F) Ibidem (1) Molin. tom. 1. tit. 1. (21) Da dieser Abschnit von dem Ansehen und Recht der Archive und der Documente noch in vielen Stücken mangelhaft ist, besonders was die Verfassung unsers teutschen Reichs be trist, die den Verfassern in manchen Stücken unbekant gewesen zu seyn scheinet: so kan man hierbey ausser den gewönlichen Auslegern der Rechte und ansfer der vom Jac. Wender 1715. zu Strasburg in 4. herausgegebenen Sam: hung hieher gehöriger Schriften, folgende Schriftsteller mit Nußen gebrauchen: Joban Eisenhardts tractat. jurid. de Jure Diplomarum, wovon die zweite Ausgabe zu Halle im Magdeb. 1736. in 4. herausgekommen. Jo: ban Viti difp. de Probatione, quae fit per inftrumenta, Erfurt 1703. Johan Wilhelm Waldschmidts diff. de probatione per Diplo. mataria. welche 1726. ju Marpurg gehalten worden und auch in Dan. Überh. Barings clav. Ursprung und nter dem Ausdruck Archiv verstehet man sowohl die alten Urkunden selbst, als auch den Ort, wo dieselben aufbehalten werden. Zu diesen Urkunden gehör ren nicht allein die Originale; es werden auch die Übschriften dahin gerechnet, und zwar sowohl diejenigen, die ein öffentliches Ansehen haben, als auch diejenigen, welche solches nicht besißen. Die Copialbücher machen auch einen Theil derselben aus, und zwar entweder als Originale, oder als authentische Abschriften, oder auch als Denkmåler, die in der Geschichte der ältesten Zeiten und in streitigen Rechten und Ansprüchen ein grosses Licht ertheilen können. Der lateinische Ausdruck Archivum wurde ehedem sowohl von den Samlungen von Urkunden, als auch von den Behältnissen der Reliquien gebraucht (1). Ja beide wurden oft in einem und eben demselben Gebäude aufbehalten, wie solches noch zu S. Denis in Frankreich ge schiehet. In der 74 Novelle Justiniani heist es, daß die Archive der Kirchen von den Behältnissen der gottesdienstlichen Gefässe gar nicht verschieden wären (m). Der V. Germon läugnet nicht, daß es in den Kirchen und Klöstern von den ersten Zeiten an Archive gegeben (n). Er ziehet den ganzen Streit nur darauf zusammen, ob dieselben sorgfältig oder nachläßig bewaret worden. Wir wollen seine dagegen gemachte Einwürfe ohne Anstand beantworten; vorher aber müssen wir noch einige Untersuchungen über den Ursprung der öffentlichen Behältnisse, die zur Erhaltung als ter Urkunden bestimt worden, anstellen (22). S. 98. (1) Ingulf. inter hift. Angl. Spript. tom. 1. p. 97. (m) Cap. IV. §. 2. (n) Germon. Difcept. 2. p. 405. (22) Der lateinische Ausdruck Archivum, welcher auch zuweilen Archivium, Arcivum, Arcibus, Archibus, Arceps, in den römischen Gesetzen aber und bey den ältern Auslegern derselben mehrentheils Archium geschrieben wird, ist unstreitig von dem griechischen ag χείου, §. 98. Das Altertum der Archive steiget so hoch hinauf, daß sich auch die eigentliche Zeit Archive der des Ursprungs derselben nicht bestimmen läst. Wohl eingerichtete Völker haben fast zu Ifraeliten. allen Zeiten eine besondere Sorge für dieselben getragen. Wenigstens haben sie ih re wichtigsten Acten in öffentlichen Behältnissen verwaret. Sowohl die Hebråer, als auch die Phonicier, Egyptier, Babylonier, Perser, Griechen und Römer haben es zu ihrem Besten und zum Nußen ihrer Nachkommen für nötig gehalten, fie in gewisse Orte einzuschliessen, zu welchen nicht jederman einen freien Zutrit hatte, Die Israeliten hatten anfänglich keine andern Archive, als die Bundeslade (0) und die Stiftshütte, worauf nachmals der Tempel folgte. Als Nehemias die Mauren zu Jerusalem wiederaufgebauet hatte, fand er das Verzeichnis derjenigen Juden, die aus der erstern babylonischen Gefangenschaft wiederzurückgekommen waren (p): woraus erhellet, daß das Volk, seines elenden Zustandes ohnerachtet, dennoch seine öffentlichen Verzeichnisse aufbehalten hatte; ob es demselben gleich nicht erlaubt war, ordentliche Archive zu halten. Sie errichteten zwar nach verschie denen Abwechselungen dergleichen, sie waren aber auch mit der Zeit verschiedenen Un: glücksfällen ausgeseht. Nachdem sie von dem åltern Herodes verbrant, bald dars auf aber wiederhergesteller worden, widerfur ihnen nicht lange hernach von den Aufrü: rern, die sich wider die Römer empöreten, eben dasselbe Schicksal (9) (23). (0) 1 König. 10, 25. (p) ehem. 7, 5. (9) Jofeph. hift. de la §. 99. guerre des Xelov, und mit diesem wiederum von dem Nen: gen zum Pollur B. 6. Segm. 35. angemerket Diplom. I. Th. sprung aller Künste und Wissenschaften aus den Fortfehung. §. 99. Auch zu Babylon und in Meden fanden sich Archive unter dem Namen der Bibliotheken, worin die alten Verordnungen der Könige aufbehalten wurden (r). Tertullianus gedenket der phonicischen, chaldäischen und egyptischen Archive (s). Wenn im Königreich Juda vor der babylonischen Gefangenschaft jemand ein Stück Land kaufen wolte; so war es gewönlich, daß ein Vertrag darüber ausgefers tiget und in Gegenwart gewisser Zeugen untersiegelt wurde, worauf man denselben auf der Rückseite dieser Acte unterschreiben lies. Es erhellet solches deutlich aus dem Propheten Jeremia (t). Ja, wenn man von der hier gemeldeten Schrift auf andere dergleichen schliessen darf, so wurden damals zwey Exemplaria von einer und eben derselben Urkunde verfertiget. Eines muste in Gegenwart der Zeugen versies gelt werden, das andere aber blieb offen. Der Marquis Maffei trägt in seiner Kritik einige Zweifel wider den wahren Verstand dieser Stelle vor (u). Nach dem hebräischen Tert, sagt er, und nach den siebenzig Dolmetschern wurde der Kaufs brief des Jeremias von den Zeugen selbst unterzeichnet; nach der Vulgate aber was ren (r) Efr. 5, 17.11.6, 1.2. (8) Tertullian. Apol. c. 19. (1) Jerem. 32, 10. 44. (u) Maffei Iftor. diplom. lib. 1. n, 2. der Sündfluth zugeschrieben worden; welches tige Aufbehaltung der biblischen Bücher und andrer historischen Denkmäler in dem Tempel wenigstens das erste Beispiel von erweislicher Richtigkeit in dieser Art ist. Mit der bier dem Herodes aufgebürdeten Verbrennung des jádis schen Archivs, wird unstreitig auf die ihm Schuld gegebene Vertilgung der jüdischen Ges schlechtregister gesehen; welche deswegen ges schehen seyn sol, damit aller Unterschied der Ges schlechter, der ihm als einem Idumaer von Ge burt nachtheilig seyn können, wegfallen, er und seine Nachkommenschaft aber desto ungehinder ter regieren möchte. Ohnerachtet nun diese Bes gebenheit vom Africanus beim Eusebio hift, ec clef. libr. 1. cap. 7. berichtet wird, so ist sie so er: weislich doch noch nicht. Wenigstens kan sols ches nicht mit allen Geschlechtregistern geschehen seyn; indem Josephus in vita fua bey Bes schreibung seines Geschlechts versichert, diese Nachrichten in den öffentlichen Verzeichnissen, iv rais nuosiaus déλrois, gefunden zu haben, daher es noch zu seiner Zeit einige gegeben has ben mus. Zu geschweigen, daß bey der erstaus nenden Anhänglichkeit und Sorgfalt der Juden an und für ihre Geschlechtregister, fie solches als die größte Beleidigung würden angefehen haben. ren sie nur bey der Verfertigung desselben gegenwärtig, ohne ihn zu unterschreiben. Und dies ist, ihm zu Folge, noch die Gewonheit der Morgenländer. Wenn eine Acte für authentisch gehalten werden sol, so verlanget man von den Zeugen weiter nichts, als daß sie bey deren Ausfertigung nur gegenwärtig sind. Es mag nun mit der Auslegung dieser Stelle, und mit der morgenländischen Gewonheit, die wir zu untersuchen nicht willens sind, beschaffen seyn, wie es wolle; so ist doch unstreitig, daß der Gebrauch, schriftliche Verträge zu errichten, unter den zwölf Stämmen Israels lange vor den Zeiten Jeremiå üblich gewesen. Sobald Raguel seine Tochter dem jungen Tobias zugefaget hatte, nam man Papier die Ehestiftung aufzusehen (w). Gabel hatte etliche Jahr vorher dem ältern Tobias eine Schuld verschreibung gegeben, die ihn der Sohn nach Abtrag der geborgten zehn Talente wieder aushändigen solte (24), (m) Tob. 7, 16. (24) Wenn man auch von dem von den Chaldaern, Egyptiern und andern Völkern bis zum Lächerlichen übertriebenen Altertum ih res Volks und ihrer öffentlichen Geschichtbüs eher abstehet; so ist doch unstreitig, daß sich von den ältesten Zeiten der bürgerlichen Ge: felschaft an deutliche Spuren einer ganz beson: bern Sorgfalt für die Erhaltung wichtiger Denmaler unb fentlider Sdriften fiuben. Die Egyptier, cin Bolf, weldes unfireitig bie ersten Züge zu den nachmals so hochgetriebenen Künsten und Wissenschaften entworfen hat, ver: dienen unter den heidnischen Völkern billig oben an gesetzet zu werden. Die Gewonheit, die Rechtshandel vor Gericht schriftlich zu füren mit Ausschliessung alles mündlichen Vortrags, ist bey ihnen sehr frühe und vielleicht zuerst ent: standen. Sie hielten besondere Verzeichnisse aller Veränderungen der Natur und der Fol: gen derselben. Ihre Gesetze waren in acht Bus chern verfasset und wurden mit einer besondern Achtung verwaret. Ihre heiligen Bücher, die nicht nur alles in sich fasseten, was zum Got: tesdienst und den Gesetzen des Reichs gehörete, fondern auch historische Samlungen, ja allerley vermischte Abhandlungen enthielten alle diese Schriften waren der Gegenstand ihrer Archive und Bibliothecken, die sich in den Tempeln und andern öffentlichen Gebäuden befanden. Sais, das Grabmal des Osimanduå, das berümte Labyrinth nicht weit von dem See moris, Heliopolis, Theben, Memphis und andere M 2 §. 100. Orte find ben den ältern Schriftstellern destes gen sonderlich bekant. Was vom Maffei von der Stelle Jerem. 32, 10. f. behauptet worden, hat seine völlige Richtigkeit, indem der Aus druck v. 12. yn so übersetzet werden kan und mus: die Jeugen, die sich uns terschrieben batten. Bey den siebzig Dol metschern lautet diese Stelle so: nai nar ὀφθαλμους τῶν ἀνδρῶν τῶν παρεσηκό των καὶ γραφόντων ἐν τῷ βιβλίῳ τῆς Thosos. Aus den jüdischen Altertümern ist überdem bekant, daß bey dergleichen Kaufund andern Verträgen, Ehestiftungen, Scheides briefen u. f. f. nicht nur die Gegenwart und Un terschrift zweier Zeugen, sondern auch die Beifü: gung des öffentlichen Siegels nötig war, wenn eine solche Schrift rechtskräftig seyn solte. Wo: von Sam. Petit lection. var. c. 23. Godwyns Mofes and Aaron S. 231. der zwölften englis schen Ausg. vom Jahr 1685. Seldens vxor bebr. 1. 2. c. 15. u. a. m. zu vergleichen sind. Zur Abfaffung und Ausfertigung solcher feierlichen Schriften wurden bey den Juden die gebraucht, die Luther durch Kanzler oder Schreiber übersetzt hat. Von diesen kan man mit dem Conftantin l' Empereur in den An merkungen zu Bonav. Cornel. Bertrams Schrift de rep. Hebr. cap. 10 und 18. eine gedoppelte Art annemen. Einige was ren blos geiftliche oder gottesdienstliche Schreiber, die unter dem Hohenpriester stanz den, |