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diese Ausnutzung zustandegekommen sind. Dafür wurden einige Beispiele angeführt zahlreiche andere werden uns im Verlaufe der Darstellung entgegentreten. Es sei der dabei vertretene Standpunkt nochmals kurz gekennzeichnet.

Ebenso wie der Verf. der Meinung ist, daß die Mannigfaltigkeit der Formen größer ist, als die Mannigfaltigkeit der Lebensbedingungen 1), hält er viele Lebenserscheinungen nicht für ,,Anpassungen“.

Ein Vergleich wird vielleicht am einfachsten diesen Standpunkt erläutern.

Die Schrift ist ein Mittel zur Mitteilung. Jeder Mensch aber hat seine eigene Handschrift. Vorausgesetzt, daß diese leserlich ist, ist ihre Eigenart für den Zweck der Mitteilungen gleichgültig. Die Verschiedenheit der Handschriften beruht sicher auf der Veranlagung des Einzelnen, nicht auf Anpassung wenngleich eine schöne Handschrift dem Besitzer unter Umständen nützlich sein kann. Es kann also ein und dieselbe Aufgabe (wie die schriftlicher Mitteilung) je nach der Beschaffenheit des sie Lösenden auf verschiedene Weise gelöst werden, ohne daß man sagen könnte, daß die Verschiedenheit eine durch Anpassung oder Zuchtwahl erworbene sei. Ebenso ist es, wie Verf. seit langer Zeit betont 2) hat, auch bei den Eigenschaften der Organismen, namentlich auch vielen Bewegungen.

Für eine Reihe von Sproß- und Blattbewegungen sind die bisher aufgestellten teleologischen Deutungen nichts weniger als sicher begründet. Die folgende Darstellung soll untersuchen, in welchem Zusammenhang diese Bewegungen mit Entfaltungsvorgängen stehen, und wie weit sie bedingt sind durch die Symmetrie der die Bewegungen ausführenden Organe. Es wird sich zeigen, daß die primäre Funktion mancher sog. Bewegungsorgane eine andere ist, als angenommen wurde. Das schließt nicht aus, daß die Bewegungen anderweitig von Nutzen sein können. Aber selbst wenn ein solcher nachweisbar ist, kann man ihn nicht als „Ziel und Zweck" der Bewegung betrachten namentlich wenn es sich um „Bewegungsorgane" handelt, die normal gar keine Bewegungen ausführen, obwohl sie ihrer Entstehung und ihrem Bau entsprechend dazu veranlaßt werden können.

Das ist das Ergebnis einer vergleichenden Betrachtung der genannten Erscheinungen, einer Betrachtungsweise, die bisher sehr wenig auf sie angewandt worden ist. Es ist auch wichtig, festzustellen, wie weit derartige Bewegungen verbreitet sind und ob sie in verschiedenen Abstufungen auftreten.

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Der Nachweis, daß die bisherigen teleologischen Deutungen eines Vorganges nicht zutreffen, sagt auch abgesehen von dessen primärer Funktion natürlich noch nicht, daß dieser überhaupt keinen Nutzen für die Pflanze habe. Dieser kann ja in ganz anderer Richtung liegen als in der, in welcher man ihn zunächst suchte. Aber auch für den, der an der allgemeinen teleologischen Auffassung festhält, ist dann wenigstens die Bahn freigemacht für eine neue Fragestellung. Daß eine Kritik der bisherigen Deutungsversuche jemand von der Aufstellung eines neuen abhalten könnte, ist aber nicht anzunehmen.

1) Organographie, 2. Aufl., p. 39.

2) Pflanzenbiolog. Schilderungen, I (1889), p. 2 ff.

Die Teleologie ist eben deshalb, weil sie anthropomorphistisch ist, so sehr mit uns verwachsen, daß sie immer wieder sich geltend machen wird auch wenn sie zeitweilig in den Hintergrund tritt.

Die teleologische Betrachtung hat sich mit Recht berufen auf die Erfolge, die sie in der Auffassung der biologischen Bedeutung der verschiedenen Blütengestaltung gehabt hat. Es möge deshalb versucht werden, von dem Beispiel einer bestimmten, vielfach untersuchten Gruppe von Blütenpflanzen die Fragen zu erörtern, welche uns hier beschäftigen. An diese Ausführungen kann die Kritik anknüpfen und zeigen, inwieweit die vom Verf. vertretenen Anschauungen haltbar sind oder nicht. Das wird zweckmäßiger sein als allgemeine Erörterungen, die ja doch meistens nur von vorgefaßten Meinungen ausgehen und über subjektive Auffassungen nicht hinauskommen.

Zweiter Abschnitt: Die Verschiedenheiten in der Blütengestaltung der Papilionaceen und ihre biologische

Bedeutung.

§ 1. Einleitung.

Während man früher die Gestaltungsverhältnisse der Blüten nur im Interesse der systematischen Einteilung untersucht hatte, ist bekanntlich seit den Tagen KOELREUTER's und CHR. K. SPRENGEL'S der Zusammenhang zwischen den Bestäubungsvorgängen und dem Blütenbau in zahlreichen Fällen nachgewiesen worden. Namentlich wurden die Orchideen seit DARWIN'S klassischen Untersuchungen oft als Beispiel für besonders merkwürdige Anpassungen im Blütenbau angeführt.

Damit begnügte sich aber die Forschung nicht. Sie suchte auch das Zustandekommen dieser ,,Anpassungen" verständlich zu machen -sei es, daß sie wie DELPINO den Pflanzen die Fähigkeit zuschrieb, von vornherein ihre Organbildung zweckmäßig zu gestalten, sei es, daß sie die selektionistische Lehre auf das Zustandekommen der Blütenformen anwandte. Letzteres geschah namentlich durch HERM. MÜLLER, dem wir zahlreiche verdienstliche blütenbiologische Arbeiten verdanken. Er vertrat die Meinung, daß die verschiedenen Blütenformen durch Insekten unbewußt gezüchtet worden seien1), und zwar namentlich dadurch, daß die für Fremdbestäubung zweckmäßigen „Variationen“ erhalten, die anderen im Kampf ums Dasein ausgeschaltet werden.

Daß die damit verbundene Annahme, die kleistogamen Blüten träten nur als ,,Notbehelf" auf, wenn Fremdbestäubung aus irgendeinem Grunde nicht möglich sei, nicht zutrifft, wurde schon p. 30 hervorgehoben.

Wir können indes von Fremd- und Selbstbestäubung ganz absehen und wollen nur fragen: kann die Selektionstheorie es uns verständlich machen, daß innerhalb eines natürlichen Verwandtschaftskreises die Bestäubungsvorrichtungen nicht einheitlich, sondern höchst mannigfaltig sind? Sind diese verschiedenen Bedingungen z. B. verschiedenen Bestäubern angepaßt, sind sie alle gleich zweckmäßig, oder übertreffen die einen die anderen, und wie sind sie zustandegekommen?

Wenn wir innerhalb einer natürlichen Gruppe (z. B. einer Gattung) Verschiedenheiten bezüglich der Bestäubungseinrichtungen antreffen, so ist über deren Zustandekommen noch gar nichts ausgesagt, wenn wir das auf die Variabilität" zurückführen. Das ist zunächst nur ein von dem Standpunkt der Deszendenztheorie ausgehender anderer Ausdruck für die Vielförmigkeit. Die Frage, um die es sich handelt, ist vielmehr die; ob,

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1) An anderem Orte (Organographie, 2. Aufl., p. 1512) hat der Verf. darauf hingewiesen, daß auch bei den windblütigen Pflanzen in der Blütengestaltung große Mannigfaltigkeit herrsche, welche nicht durch den Wind,,gezüchtet worden sein könne. Schon aus diesem Grunde hat die von MÜLLER vertretene Auffassung wenig Wahrscheinlichkeit für sich.

wie die Selektionstheorie das annimmt, diese verschiedenen Einrichtungen unter dem Einfluß der natürlichen Zuchtwahl durch Anhäufung kleiner aber doch an sich schon nützlicher Abänderungen zustande gekommen sind?

Wir können diese Frage auf zweierlei Weise prüfen: einmal, indem wir untersuchen, ob tatsächlich solche kleinen (aber erblichen) Abänderungen, durch deren Anhäufung eine Abweichung von dem gewöhnlichen Typus entstehen könnte, vorkommen, und zweitens, indem wir innerhalb einer natürlichen Gruppe prüfen, ob die Mannigfaltigkeit ihrer Einrichtungen einer Mannigfaltigkeit der Lebensbedingungen entspricht oder nicht. Dabei sei nochmals betont, daß das Auftreten von Mutationen (nach verschiedenen Richtungen hin) selbstverständlich an sich noch keineswegs die Richtigkeit der Selektionstheorie beweist, wie neuerdings mehrfach angenommen worden ist. Es müßte erst gezeigt werden, daß nur nach irgendeiner Richtung hin vorteilhafte Mutationen sich erhalten!

Die Papilionaceen scheinen zur Erörterung dieser Fragen ganz besonders geeignet. Ihre Blütengestaltung ist eine leicht auf einen „Grundplan" zurückführbare. Bekanntlich besteht die Blumenkrone der typischen Papilionaceen aus fünf Blättern: der Fahne, den beiden Flügeln und zwei das Schiffchen (oder den Kiel, carina) bildenden, welches die 10 Staubblätter und den aus einem Fruchtblatt aufgebauten Fruchtknoten einschließt. Wir können auch nicht bezweifeln, daß diese auffallend dorsiventral ausgebildete Blüte aus einer mit zahlreicheren Staubblättern versehenen und was Blumenkrone und Androeceum betrifft nicht dorsiventralen Blüte hervorgegangen ist, wie sie jetzt noch bei manchen Mimosaceen sich findet. Ausgehend vom Gynaeceum hat die dorsiventrale Ausbildung dann auch die übrigen Blütenteile sozusagen ergriffen. Auch ist die funktionelle Deutung der einzelnen Teile der Papilionaceenblüte eine allgemein anerkannte. Jedes Lehrbuch der Botanik sagt uns, daß die Fahne ein,,Aushängeschild" für Insekten usw. sei, daß die „Flügel" als Halteplatz, als Hebelarme zur Abwärtsbiegung des Schiffchens (mit welchem sie vielfach durch Ausstülpungen verbunden sind), ferner als Klammerorgane, durch welche das Schiffchen in seiner Lage zu der (durch Androeceum und Stempel gebildeten),,Geschlechtssäule" gehalten wird, dienen, und daß das Schiffchen Androeceum und Gynaeceum,,schützend" umhülle. Das bedingt, daß der Pollen später, um auf eine andere Blüte übertragen werden zu können, auf irgendeine Weise aus dem Schiffchen herausgelangen muß. Zunächst aber fragt es sich, ob er eines Schutzes z. B. gegen Durchnässung wirklich bedarf.

Die Untersuchung von Pollen beliebig herausgegriffener Papilionaceen (Cytisus Laburnum, C. praecox), Ulex europaeus, Thermopsis fabacea, Lathyrus sp., Lotus corniculatus u. a., ergab, daß zwar ein Platzen in destilliertem und in Leitungswasser, wenn überhaupt, so nur vereinzelt eintrat, daß aber ein längeres Verweilen in Wasser (24 Stunden) eine Schädigung zur Folge hatte. Es war die Keimfähigkeit heruntergesetzt wobei zwischen den verschiedenen untersuchten Arten sich Verschiedenheiten ergaben, die hier aber nicht einzeln angeführt werden sollen.

Es schien von Interesse, Papilionaceenpollen zu prüfen, der nicht im Schiffchen geschützt" ist. Die weiterhin zu besprechenden Blüten von Amorpha (Fig. 11) besitzen nur eine Fahne die übrigen Teile der Blumenkrone sind verkümmert, und die Staubblätter ragen frei hervor. Wenn das Schiffchen der typischen Papilionaceenblüte sozusagen ent

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standen ist, um den Pollen gegen Benetzung zu schützen", müßte man wohl erwarten, daß Amorpha einen gegen Nässe unempfindlichen Pollen besitzt, oder an ihren heimatlichen Standorten der Gefahr der Befeuchtung überhaupt nicht ausgesetzt ist. Das letztere konnte ich nicht prüfen. Leider keimte der Pollen unserer Amorphapflanzen schlecht. Noch das beste Ergebnis zeigte sich in 5-20% Rohrzucker (mit 112% Gelatine), hier waren etwa 10-15% gekeimt. Pollen, der 24 Stunden im Regenwasser gelegen hatte, keimte aber überhaupt nicht mehr. Soweit man aus diesem Ergebnis einen Schluß ziehen kann, geht er dahin, daß der ungeschützte Amorphapollen nicht weniger, sondern mehr durch Benetzung geschädigt wird, als der geschützte" anderer Papilionaceen, daß also die Verkümmerung des Schiffchens usw. nicht mit der Unempfindlichkeit des Pollens gegen Befeuchtung zusammenhängt. Übrigens wird von den zahlreichen kleinen Amorphablüten so viel Pollen hervorgebracht, daß auch ein Verlust durch Benetzung offenbar nicht viel ausmacht. Mit der schlechten Beschaffenheit des Pollens mag es zusammenhängen, daß die ungeheure Mehrzahl der Amorphablüten in unserem Garten im Sommer 1923 abfielen, ohne zur Fruchtbildung zu schreiten. Nur sehr wenige zeigten (trotz reichlichen Bienenbesuches) Anschwellung des Fruchtknotens. Ob sie keimfähige Samen bildeten, wurde nicht untersucht. Angaben über den Fruchtansatz in der Heimat der Pflanze waren mir nicht zugänglich. Es ist aber wahrscheinlich, daß die schlechte Keimfähigkeit des Amorphapollens durch ungünstige äußere Einflüsse bedingt war. Wenigstens wurden nach der zweiten Blüte (im Herbst) viel mehr Früchte angesetzt als bei der ersten, auch die Samen waren normal entwickelt.

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Anders ist es bei der großen Mehrzahl der übrigen Papilionaceen die Bestäubungseinrichtungen ermöglichen eine reiche Samen bildung. Mit der Bestäubung hängt die Blütengestaltung auf das engste zu

zusammen.

Wie kommt es aber, daß in einer so einheitlichen Familie sich in der Ausbildung der Blüten und dementsprechend in der Art der Pollenübertragung eine Anzahl von Abweichungen finden? Läßt sich das aus der Verschiedenheit der Lebensbedingungen verstehen, etwa dadurch, daß die verschiedenen Blütenformen verschiedenen tierischen Bestäubern angepaßt sind, oder ist auch hier die Mannigfaltigkeit der Organbildung eine größere, als die der Lebensbedingungen?

Die Antwort auf diese Frage, zu der der Verf. gelangte, sei vorausgenommen die folgenden Ausführungen haben den Zweck, sie zu begründen. Sie lautet dahin, daß wir uns die Abweichungen vom „Typus“ nicht durch Häufung kleiner vorteilhafter Abweichungen verständlich machen können, weil schließlich nur etwas zustande kommt, welches dasselbe wie. der „Typus", nur in anderer Weise erreicht.

Statt uns mit der theoretischen Annahme, alle diese Besonderheiten seien besonders vorteilhafte, von vornherein zu belasten, wollen wir vielmehr untersuchen: worin bestehen die Abweichungen vom Typus, und wie ist es möglich, daß trotz dieser Abweichungen von einem trefflich funktionierenden Blütentypus die Bestäubung nach wie vor gesichert bleibt? Wie diese Abweichungen entstanden sind, wissen wir nicht und folgern auch nicht im voraus, daß sie einen bestimmten ,,Zweck“ oder Nutzen hatten. Es dürfte sich ergeben, daß die Mannigfaltigkeit der Bestäubungseinrichtungen bei dieser nicht teleologischen Betrachtungsweise eher verständlich ist, als bei der selektionistisch-teleologischen.

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