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Ob nun auch Dacier in seinen Briefen sehnsüchtig um die Rückkehr der Brüder bat und sich ,,traurig wie sein Alter, und wie der Winter" darstellte, so konnte sich doch Figeac vorerst nicht von François, dem lange Vermissten, trennen; er reiste daher erst Mitte Dezember ab, allein. Denn er hielt es für richtig, seinen Bruder nicht unnütz den schweren Aufregungen eines Aufenthaltes in Paris auszusetzen, bevor noch in der Livorner Angelegenheit das letzte Wort gesprochen war. Diese sollte, wie es immer deutlicher zutage trat, den Gegnern des Entzifferers dazu dienen, ihn aus Frankreich wegzutreiben. Sie wussten, dass er verschiedene gute Anerbietungen fürs Ausland erhalten hatte, dass ihn aber der Ankauf der Saltschen Sammlung unfehlbar in Paris zurückhalten würde. Damit war alles gesagt und die Art des Vorgehens für seine Feinde vorgezeichnet. Wurde dann vollends die Sammlung Passalacqua für das Königliche Antikenkabinet angekauft und Jomard zum Konservator ernannt, so musste sich infolgedessen Champollion als Forscher in Frankreichs Erde wie entwurzelt vorkommen.

Aber wie günstig auch die Gelegenheit, sich des immer noch Widerstrebenden zu entledigen, erscheinen mochte, so es seinen Widersachern doch nicht beschieden, seine Vorsehung zu spielen.

François begleitete seinen Bruder bis nach Lyon, um den treuen Artaud zu sehen und zugleich noch einige Stelen zu besichtigen, die Drovetti inzwischen dem dortigen Museum geschenkt hatte. Auch war er von der Lyoner Akademie zum Mitglied erwählt worden, ,,um seinem unermesslichen. Ruhme ein Körnchen unter tausend beizufügen," wie Artaud bei der Mitteilung bescheiden bemerkt. Dieser nützliche, die Förderung der jungen Wissenschaft im Auge haltende Freund erbot sich, ihm von neuerworbenen Papyri im Besitze Salliers in Aix die Kopien der Anfänge zu verschaffen. Das Anerbieten das sich übrigens sobald nicht realisieren liess wurde um so freudiger angenommen, als der unvorhergesehen lange Aufenthalt in Grenoble einen schweren Zeitverlust bedeutete. War doch unglücklicherweise die grosse Masse des italienischen Materials direkt nach Paris gegangen, so dass Champollion nur weniges zur

Weiterführung des Pantheon, und gar nichts zur Vollendung seines Numeralsystems, sowie zur Abfassung des dritten Briefes an Blacas zur Hand hatte. Schon vor Weihnachten hatte er deshalb Figeac gebeten, ihm ,,etwas Nahrung" zu senden,,,und wäre es auch nur das Viertel von einem Monolithen um Geduld zu üben."

Er suchte sich zu dieser Zeit ,,eine klare Vorstellung von der Einteilung des altägyptischen Himmels in Regionen“ zu machen: „Ich bin schon sicher, schreibt er Ende Dezember 1825 an Gazzera, unter Beifügung der entsprechenden hieroglyphischen Gruppen, dass der ganze Himmel in vier Teile zerfiel, in den südlichen, den nördlichen, den östlichen und den westlichen Himmel. Diese vier Himmelsgegenden enthielten je ein Land oder eine grosse Gebietsabteilung, die sich in Regionen und diese in Wohnorte oder Wohnungen, und sogar in Städte teilten . . . Ich kenne die lokale und die relative Lage einer Menge von Regionen und von Wohnplätzen und halte es für möglich, nach Durchsicht und Vergleichung der Manuskripte mit Sicherheit eine Karte der himmlischen Reiche mit ihren Unterabteilungen, ihren Städten und den Wohnplätzen der Götter zu entwerfen. Aber dazu gehören Zeit und eine Menge von Sachen, die ich in Grenoble nicht zur Hand habe...)."

Figeac drang auf sofortige Herausgabe der grossen hieratischen Denkschrift vom Jahre 1821 und auf die des koptischen Wörterbuches, doch wies François dies Ansinnen zurück, weil er in dieser Periode schnell wachsender Erkenntnis die Zeit dazu noch nicht gekommen wähnte. Dagegen plante er eine leichte Überarbeitung des Précis, dem der Brief an Dacier als zweites Kapitel) eingefügt werden sollte. Ob also auch der Précis als solcher dem König gewidmet ist, so steht doch dem gesamten Entzifferungswerk nach wie vor und für alle kommenden Zeiten der Champollion so teuer gewesene Name Dacier voran.

1) „Je pelotte donc, en attendant partie."

2) Das erste insofern, als das voranstehende nur erst auf die Entzifferungsgenese hinweist.

Eine ihm recht angenehme Arbeit war bald nach seiner Ankunft in Grenoble erledigt worden: die Besprechung der Broschüre von Henry Salt'). Er hebt darin hervor, dass dieser mehrfach dieselben Mittel wie er selber zur Erreichung derselben Zwecke verwandt habe, so z. B. das Studium der phonetisch geschriebenen Götternamen zur besseren Erschliessung der Menschen- und besonders der Königsnamen. In der grossen Streitfrage wegen des pharaonischen Titels „Sohn der Sonne" hatte er, gegen Young, Champollions Idee (siehe p. 434) erfasst und an einer Menge ägyptischer Denkmäler bestätigt gefunden. Immer auf Grund des Briefes an Dacier arbeitend, hatte Salt 25 neue Lautwerte erkannt, von denen 15 inzwischen im „Précis" ebenfalls erschienen waren, während 7 andere vom Meister nicht als phonetisch anerkannt, 3 dagegen als wirklich neu hingestellt wurden.

Um seine Dankbarkeit gegen Salt noch allgemeiner zur Kenntnis zu bringen, hatte Champollion seinerzeit Gazzera bewogen, in mehreren italienischen Blättern eine Würdigung der verdienstlichen Arbeit zu bringen, was im Dezember 1825 und Januar 1826 u. a. auch im Journal de la Savoie (Turin) geschah. Der Artikel wurde durch die Brüder in Paris verbreitet, wo inzwischen auch Sacys Stimme zu Gunsten Salts laut geworden war, so dass man allgemein den Eindruck gewann, dass in dem Generalkonsul dem ägyptischen Studium ein hervorragender Mitarbeiter erwachsen sei.

Aber auch eine Apologie seines Systems musste der Entzifferer trotz seines Widerwillens gegen dergleichen Hilfsmittel zu dieser Zeit verfassen. Sie betraf die schon erwähnte, im Juli 1824 herausgegebene Streitschrift Gulianoffs: Opuscules archéologiques, auf die er nichts hatte erwidern wollen; nun musste er es dennoch tun), da neuerdings ein Pamphlet ehrenrührigster Art) ihn sein Schweigen

1) Essay on Dr. Young and Champollions System of Hieroglyphics etc. Siehe die Rezension, B. Fér., Vol. 5, Nr. 5. Januar 1826.

2) Vgl. Band I, p. 468, über den mit A. M. unterzeichneten Artikel. 3) Der Baron Merian aus Basel, Klaproths Freund, unterschrieb dieses Machwerk, das er aber wohl schwerlich verfasst hatte.

grausam entgelten liess. „Ich bin keineswegs verpflichtet," bemerkt er dazu,,,meine Sache gegen den ersten besten Dummkopf zu verteidigen, dem es beliebt, sie anzugreifen, und lediglich wegen des hinterlistigen Artikels dieses Russen Mairian habe ich mich entschlossen, Herrn Ausonioli') durch Herrn X. antworten zu lassen. [Es wäre geschmacklos, persönlich zu werden]."

Inzwischen war Figeac nicht müssig gewesen, und am 4. Januar vermochte François aus einem „,erzdemotischen“ Briefe von ihm so viel zu ,,entziffern", dass es mit der Livorner Angelegenheit gut stand. „Lass meine Reisekosten regeln, . . . sende die Papiere, [eile Dich, damit ich die schönen Tage benutze; der Mont-Cenis ist prächtig und ich wäre glücklich, von seiner Huld profitieren zu können].“ Selbst in dieser eiligen Erwiderung vergisst er nicht, nach Blacas' Anteil an dem endlichen Erfolg zu fragen, damit er ihm danken könne. Denn auch Russland hatte letzthin Schritte zum Ankauf der Sammlung unternommen, doch durch den Tod Alexanders I. war diese Gefahr beseitigt: -,,falls nicht gewisse Leute in Paris nun die Begräbniskosten des Autokrators zum Vorwand für neues Verschleppen der Angelegenheit gebrauchen möchten,“ scherzt Champollion im Hinblick auf die zwei Millionen für die Königskrönung, die man fortgesetzt den Bewerbern um die Saltsche Sammlung als Schreckgespenst entgegenhielt. Nun dennoch der Sieg gesichert schien, galt es, in grosser Eile eine Menge Instruktionen und Vollmachten ausfertigen zu lassen, und nachdrücklichst auf die bereits für das Budget 1826 zu berücksichtigende Anstellung des neuen Konservators hinzuwirken; denn erklärlich genug wünschte Champollion schon in Livorno vor die schöne Sammlung,,wie ein Oberst vor die Spitze seines Regiments zu treten." Aber bereits weit über Italien hinaus, ,,nach dem grossen Mittelpunkt, dem reichen Quell," nämlich nach Ägypten hin, richtet sich nun wieder seine ,,durstige Seele." "Alle Reisenden der Welt könnten das nicht ersetzen, was ich selber in sechs Monaten an Ort und Stelle zu tun vermöchte. Es ist, ohne

1) Pseudonym Gulianoffs; vergl. Band I, Seite 462.

eitel zu sein, die Geschichte unseres guten Lafontaine vom Auge des Meisters."

Mit den Vorbereitungen in Paris ging es nur sehr langsam weiter, doch er tröstete sich zwei Wochen später damit, dass der Mont-Cenis, der plötzlich ein anderes Gesicht zeigte, nun Zeit gewinne, „ein wenig Toilette zu machen.“ ,,Ich verlasse jedenfalls meine Kaminecke nicht ohne verbürgte Sicherheit." Es war nämlich als der Übel kleinstes ein Aufenthalt im Hospiz zu befürchten, wo man eine Portion Kartoffeln mit vier Franken bezahlte! Er setzte sich daher mit dem Kommissar von Maurienne in Verbindung, um fortgesetzt über dessen,,weisshäuptigen Untergebenen“ Nachricht zu erhalten.

Während er siegesgewiss Tag und Stunde bis zur Abreise zählte, sah Figeac infolge neuer Denunziationen des Bruders Interessen plötzlich so sehr gefährdet, dass er alle Hoffnung verlor, denn Blacas weilte wieder in Neapel und Doudeauville vermochte anscheinend dem Ansturm nicht zu widerstehen. Es war das Gerücht, der Entzifferer selber solle Konservator der ägyptischen Altertümer werden, das wie der Funke im Pulverfass wirkte! Nicht nur Jomard empörte sich gegen diese „,Ungerechtigkeit“, sondern auch Graf Forbin, Generaldirektor der Museen, sah sich bereits bedroht und der Graf Clarac, Konservator der Altertümer des Louvre, glaubte sich vollends schon verloren. Da nun Forbin dank seiner Vielseitigkeit und seines glatten Wesens der unentbehrliche Liebling des Hofes war, so kann man sich Doudeauvilles und seines Sohnes1) Verlegenheiten gegenüber diesem gewandten Gegner ihrer loyalen Absichten leicht vorstellen.

Am 7. Februar kam die Hiobspost nach Grenoble: ,,Dein Brief vom zweiten hat mir Entsetzen in alle Fibern gejagt. So kann man sich also niemals auf das Wort gewisser Leute verlassen, ohne zu riskieren, [für einen Knaben] von denen gehalten zu werden, welche nicht alle Schleichwege der Höhle des Gil Blas kennen. Wenn die Intrigue siegt, gerate ich [den beiden Santoni gegenüber in eine schöne

1) Vie Sosthène, damals Direct. du Département des Beaux-Arts.

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