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Untersuchungen

über

die Vegetation des nordwestdeutschen Tieflandes.

Von Dr. W. O. Focke.

Eine Aufzählung von Pflanzennamen, welche die in einer bestimmten Gegend wildwachsenden Arten und Formen umfasst, erscheint Manchem bei oberflächlicher Betrachtung als ein langweiliges Register, welches höchstens den Zwecken eines Sammlers dienen kann, dessen Ideal einzig und allein im Aufstöbern und Trocknen von möglichst vielen seltenen ,,Species" besteht. Von einem andern Standpunkte aus wird man den Werth solcher Verzeichnisse oder ,,Lokalfloren" als Hülfsmittel für den naturgeschichtlichen Unterricht betonen, und wird diese Auffassung auch durch den Nachweis unterstützen können, dass ein beträchtlicher Theil der vorhandenen Floren in der That nur für die unmittelbaren Bedürfnisse von Lehrern und Schülern geschrieben zu sein scheint. Es ist daher auch nicht zu verwundern, wenn manche derartige Arbeiten sich äusserst bescheidene Aufgaben stellen.

Eifrigere und tüchtigere Botaniker, welche die Vegetation ihrer Heimath gründlich erforscht hatten, glaubten den von ihnen verfassten Floren dadurch einen höheren Werth zu verleihen, dass sie Beobachtungen über die morphologischen und physiologischen Eigenthümlichkeiten der aufgeführten Gewächse in ihre Arbeit verflochten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass durch dieses namentlich in Deutschland beliebte Verfahren die wissenschaftliche Bedeutung vieler solcher Werke in der That wesentlich erhöht worden ist. Allein es darf nicht übersehen werden, dass man dadurch ganz verschiedenartige Untersuchungen mit einander vermengt hat. Die Bedeutung der sogenannten ,,Floren" für die wissenschaftliche Pflanzenkunde ist keineswegs eine untergeordnete; ihre Aufgabe besteht darin, brauchbare Beiträge für die botanische Chorologie oder die Lehre von der räumlichen Verbreitung der Gewächse über die Erdoberfläche zu liefern. Gleich wie gute statistische Zusammenstellungen den klarsten Ueberblick über viele höchst verwickelte Verhältnisse liefern können, ebenso führen auch einfache Verzeichnisse der in einer bestimmten Gegend vor

kommenden Pflanzenarten eine sehr beredte Sprache, vorausgesetzt, dass sie von den zum vollen Verständniss erforderlichen Erläuterungen begleitet sind. Wer einigermassen mit der natürlichen Beschaffenheit des betreffenden Landstrichs und mit den Lebensbedingungen der aufgeführten Pflanzenformen vertraut ist, vermag in einem solchen Verzeichnisse Schilderungen voll Leben. und Farbenreichthum zu erblicken. Zunächst geben sie uns einen Begriff von Boden und Klima, von den Producten und dem landschaftlichen Character der betreffenden Gegend. Aber sie gestatten noch weitere Blicke. Die Veränderungen, welche die Pflanzendecke des Landes mit diesem selbst im Laufe der Jahrtausende erfahren hat, die allmäligen Umgestaltungen der Vegetation, die Einwanderungen neuer Formen, die gewaltigen Eingriffe des Menschen in die urwüchsige Natur: alle diese Vorgänge werden in hieroglyphischen Zügen durch die nackten Namensregister der Lokalfloren angedeutet. Freilich lässt sich diese eigenthümliche Blumensprache bis jetzt nur höchst unvollkommen entziffern und es wird noch vieler gründlicher Forschungen bedürfen, um uns das wissenschaftliche Verständniss derselben vollkommen zu

erschliessen.

Bisher hat man die einzelnen Pflanzenarten in der Regel nur als Producte von Boden und Klima aufzufassen versucht. Offenbar ist diese Anschauungsweise eine höchst einseitige. Die Ursachen, durch welche das Gedeihen einer jeden Art bedingt wird, sind im Gegentheil äusserst mannichfaltig und verwickelt. Wenn auch die meteorologischen Verhältnisse so wie die chemische und physikalische Beschaffenheit des Bodens für die Pflanzenwelt von höchster Wichtigkeit sind, so darf die Bedeutung anderer Factoren doch in keiner Weise unterschätzt werden. Die verschiedenen Arten streiten z. B. mit einander um den Platz; die schmarotzenden und schattenliebenden Formen bedürfen zu ihrem Gedeihen anderer Pflanzen. Die Gewächse stehen ferner in einem mehrfachen Abhängigkeitsverhältniss zur Thierwelt; sie werden grossentheils durch Insecten befruchtet und ihre Samen werden häufig durch Thiere verbreitet, während die Pflanzen andrerseits wiederum Thieren als Nahrung dienen und von diesen gefressen, beschädigt oder vertilgt werden. Die für eine bestimmte Pflanzenart nützlichen oder schädlichen Thiere sind in ihrer Existenz meistens wiederum von andern Pflanzen und Thieren abhängig. So bildet die gesammte Fauna und Flora einer Gegend gewissermassen ein organisches Ganzes, dessen einzelne Glieder sämmtlich durch einander bedingt sind und direct oder indirect zu einander in Beziehung treten. Es ist klar, dass sich im Laufe der Zeit eine Art von Gleichgewicht zwischen den thierischen und pflanzlichen Bewohnern eines jeden Erdflecks herstellen muss, welches sich nur allmälig zu Gunsten oder Ungunsten dieses oder jenes Gliedes verändern kann, so lange keine mächtigen fremden Elemente eingreifen. Aenderungen in Boden und Klima, gelegentliche Zerstörungen durch Wasser, Feuer und Sturm, Einwanderung fremder Arten und endlich die Thätigkeit des Menschen geben

Anlass zu Verschiebungen des bestehenden Gleichgewichts. Gegenwärtig verursacht der Mensch bekanntlich die beträchtlichsten Veränderungen, bald absichtlich, bald unabsichtlich und manchmal entschieden wider seinen Wunsch und Willen. Von grosser Wichtigkeit für das Verständniss der chorologischen Erscheinungen ist sodann ein anderer bisher wenig beachteter Factor, nämlich die geschichtliche Entwickelung. Die einzelnen Pflanzenarten haben sich den Platz, welchen sie inne haben, im Kampfe um's Dasein erobert und behaupten ihn nun gegen fremde Eindringlinge. Es würde zu weit führen, hier die Vortheile auseinander zu setzen, welche der Inhaber einer bestimmten Lokalität vor dem noch nicht ansässigen Mitbewerber voraus hat. Obgleich bis jetzt nur wenige Thatsachen bekannt sind, welche für eine Geschichte der Pflanzenwanderungen in der Vorzeit verwerthet werden können, so sollen doch die folgenden Untersuchungen unter anderm auch darauf gerichtet sein, uns einige Aufschlüsse über die allmälige Einwanderung und Verbreitung unserer jetzigen Vegetation zu verschaffen.

Unter dem Namen des nordwestdeutschen Tieflandes ist zunächst das Schwemmland zwischen der Unterelbe und der holländischen Grenze zu verstehen. Die Südgrenze des Gebietes wird bezeichnet durch die vorgeschobenen Posten anstehenden Gesteins bei Bentheim, Lemförde, Rehburg und Braunschweig. Der Character der Vegetation in diesem Gebiete bleibt im Wesentlichen derselbe, doch erscheint es aus Zweckmässigkeitsgründen 1)

1) Die östlichen Theile des Gebietes kenne ich zu wenig aus eigener Anschauung; auch würde es unnatürlich sein, die Flora beider Elbufer zu trennen. Als die wichtigsten Quellen für die vorliegende Arbeit betrachte ich: Lantzius Bening a Beiträge zur Kenntniss der Flora Ostfrieslands; Nöldeke, Flora von Hoya und Diepholz im 14 Jahresbericht der Naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover; Stölting, primitiae florul. Hudemolan. in den Jahresheften des naturwissenschaftlichen Vereins für Lüneburg II. S. 32 ff.; O. F. Lang in Flora (B. Z.) 1846 p. 450-460, p. 466-477, endlich die in diesen Abhandlungen Bd. I. S. 1 ff., S. 85 ff., Bd. II. S. 83 ff., S. 201 ff. erschienenen Aufsätze. Einige brauchbare Beiträge sind noch in Wessel, Flora Ostfrieslands und verschiedenen zerstreuten Arbeiten enthalten. Was das östliche Gebiet betrifft, so giebt Sonder in der Flora Hamburgens. einzelne Notizen über die Harburger Flora, während die Arbeiten von Steinvorth, Zur wissenschaftlichen Bodenkunde des Fürstenthums Lüneburg S. 15 ff. und ein Nachtrag in den Jahresheft des naturwissenschaftlichen Vereins für Lüneburg I. S. 15 ff., so wie Pape's Verzeichniss der im Amte Celle wildwachsenden Pflanzen im 12. Jahresbericht der Naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover die wichtigsten Materialien zur Kenntniss der Flora dieser Landstriche liefern. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass ich an dem wirklichen Vorkommen einiger in einzelnen neueren Verzeichnissen aufgeführten Pflanzen vorläufig zweifle und dieselben daher nicht als einheimisch anerkenne. So vermuthe ich z. B., dass es sich bei folgenden für unser Gebiet angegebenen Arten um zufällige oder vorübergehende Erscheinungen oder um ungenaue Bestimmungen handelt: Trifolium alpestre L, Medicago minima Lam., Vicia tenuifolia Roth, Potentilla opaca L., Herniaria hirsuta L., Melampyrum cristatum L., Mentha rotundifolia L., Euphorbia amygdaloides L., Chenopodium Vulvaria L., Orchis sambucina L. Die Angaben über Vorkommen von Melampyrum arvense L. und M. nemorosum L. in den nördlicheren Theilen des Gebietes halte ich ebenfalls für unrichtig, an der Südgrenze ist ihr Vorkommen unzweifelhaft. Es mag sein, dass einer oder der andere Standort für eine dieser Pflanzen Bestätigung findet; bis dahin kann ich sie nicht als Bürger unsrer Flora betrachten.

geboten, die folgenden Untersuchungen zunächst auf ein noch engeres Gebiet zu beschränken, nämlich, unter Ausschluss des Lüneburgischen und der Elbmarschen, wesentlich auf die Gegenden der unteren Weser und Ems. Es sollen indess die Eigenthümlichkeiten der östlicheren Striche nicht unberücksichtigt bleiben, und werden die an der Unterweser hervortretenden Erscheinungen um so weniger als rein örtliche gelten können, als sich im Grossen und Ganzen der Character der Vegetation sowohl in Holland als in Schleswig-Holstein nicht wesentlich davon unterscheidet.

Das nordwestdeutsche Tiefland hat nur unbedeutende und ganz vereinzelte Vorkommnisse anstehenden Gesteins bei Lüneburg und an der untern Oste aufzuweisen; abgesehen davon besteht sein Boden aus losen, aufgeschwemmten Gebirgsarten, sandigen, thonigen und sparsamen mergeligen Schichten, an vielen Stellen von einer mehr oder minder mächtigen Humusdecke (Torf) überlagert. Die Einwohner unterscheiden in diesem Gebiete zwei verschiedene Bodenformationen: Geest und Marsch, mit welchen Benennungen die wissenschaftlichen Ausdrücke Diluvium und Alluvium zusammenfallen. Eine dritte Bodenformation, das Moor, kann sowohl auf der Geest als auf der Marsch vorkommen. Die Geest zeichnet sich vor allen Dingen durch ihre grössere Höhe über dem Meeresspiegel aus. Dieselbe ist freilich in den verschiedenen Gegenden eine sehr ungleiche. Im Nordwesten, in Ostfriesland, beträgt sie nur 10 12 Meter, an der Weser steigt sie auf 30-40 Meter, ostwärts, auf der Wasserscheide zwischen Weser und Elbe, erhebt sich das Land bis über 100 Meter. Der höchste Punkt scheint der Wilseder Berg zu sein, dessen Höhe zu 170 Meter angegeben wird. Das Niveau der Geest dacht sich im Allgemeinen sowohl in der Richtung von Süden nach Norden als auch von Osten nach Westen ab. Die Flussthåler zeigen durchgängig zwei verschiedene Richtungen, ihre Sohle neigt sich entweder nach Westnordwest 1) oder nach Norden. Weserthal z. B. läuft von Minden bis in die Gegend von Verden in nördlicher Richtung, dort kreuzt es sich mit dem nach Westnordwest geneigten Mittelelbe-Aller-Thal, in welches der Hauptstrom dann einbiegt. Das Süd-Nord-Thal der Mittelweser lässt sich aber deutlich weiter verfolgen; es erstreckt sich als eine moorige Mulde über Langwedel und Ottersberg zu der grossen Moorniederung, welche sich von der Wumme und Hamme zur Oste hinzieht, und geht oberhalb Bremervörde in das jetzige Ostethal über. Aehnliche Verhältnisse finden sich an den andern grösseren Flüssen, während die kleinen Geestbäche in der Regel direct von der Höhe des Geestrückens dem nächsten Hauptthale zufliessen. Es finden sich nur drei bedeutendere Wasserscheiden in dem Gebiete, von denen die eine sich zwischen Elbe und Weser von Gardelegen bis Bederkesa erstreckt und unterhalb Bremer

Das

1) Die untere Hase verläuft nach Westen und ebenso der nördlich davon gelegene Haiderücken.

vörde von der Oste durchbrochen wird, die zweite sich zwischen Unterems und der Küste von Rastede nach der Stadt Norden hinzieht. Beide verlaufen in westnordwestlicher Richtung. Die dritte hat einen rein westlichen Verlauf, sie geht von Hoya an der Weser nach Lathen an der Ems und wird oberhalb Wildeshausen von der Hunte durchbrochen.

Die Geest tritt in der Gegend von Bremen in zwei Terrassen auf, welche als Geest und Vorgeest unterschieden werden. können. Die Vorgeest ist durchschnittlich nur wenig höher als die Marsch und erstreckt sich in weiter Ausdehnung unter der Marsch hin. Ihr Boden ist im Allgemeinen als ein Schlämmungsproduct der Gebirgsarten zu betrachten, welche den ursprünglichen Geestkörper zusammensetzen. Man hat die Geest selbst bisher gewöhnlich kurzweg als Diluvialablagerung betrachtet; eine nähere Untersuchung zeigt indess, dass diese Auffassung ungenau ist. Den Grundstock des Geestbodens bildèt in hiesiger Gegend ein feiner, glimmerhaltiger Quarzsand, welcher frei von Geschieben ist und offenbar der Tertiärformation angehört. Er tritt an vielen Punkten zu Tage, wird aber an andern von Diluvialablagerungen (Geschiebeformation, 1) Glacialschichten) bedeckt. Diese bestehen aus Geschiebemergel, Geschiebelehm und geschiebeführendem Sand. Der Geschiebelehm ist vielleicht nur ein entkalkter Mergel; sowohl der Lehm als der Mergel enthalten grosse Mengen von Feuersteinknollen, denen im Mergel zahlreiche Trümmer von Kreidekalk beigesellt sind. Es liegt die Vermuthung nahe, dass auch der Feuerstein des Lehms ursprünglich von Kreidebrocken begleitet war, die jedoch im Laufe der Zeit durch Wasser aufgelös't wurden. Der Geschiebesand ist keine Formation, deren Ablagerung einem bestimmten geologischen Zeitalter entspricht; er ist vielmehr nur das Product der Einwirkung der Meereswellen auf den Geschiebelehm oder Geschiebemergel. Bei Hebung der Geest wurde nothwendig jeder Punkt einmal Meeresküste und kam in den Bereich der Brandung. Die Folge davon war ein Schlämmungsprocess: der Kalk- und Thongehalt wurde fortgespült; die grossen Geschiebeblöcke sanken entweder auf ein tieferes Niveau herab und wurden von Sand überlagert, oder sie wurden durch die Wellen in Trümmer geschlagen; der Sand wurde vielfach zu Dünen aufgehäuft. Solche Sande, die meist mehr oder weniger Kies und Gerölle 2) führen, sind also Producte des Wellenschlages und des Windes aus dem Geschiebelehm, sie bedecken die Geest in grosser Ausdehnung und sind leider sehr unfruchtbar. Die Vorgeest besteht nur aus solchen Sand- und Kieslagern von erheblicher Mächtigkeit; die Geschiebeblöcke, welche ursprünglich in dem Lehmlager vertheilt waren, scheinen bis zu einem tieferen Niveau hinabgesunken zu sein und dort schichtenweise zu lagern. Die Marsch ist das niedrige Land in den Thälern der grossen

1) Vgl. diese Abhandl. I S. 80 ff.

2) Gerölle, welche lange Zeit auf Sandbänken hin- und hergespült wurden, zeigen characteristische Schliffflächen, auf welche ich hiemit vorläufig aufmerksam gemacht haben möchte.

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