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XI.

Resultate aus germanischen Gräbern.
Vom Geh. Regierungsrath Blumenbach in Hannover.

Die folgenden Betrachtungen sind das Ergebniß einer vieljährigen Lieblingsbeschäftigung mit germanischen Alterthümern, soweit selbige die heidnischen Grabstätten und die darin gefundenen Gegenstände betreffen. Ich habe versucht, den Gegenständen dieser Art Zweck, Bedeutung und Ursprung ab. zugewinnen. Wo eigene Anschauung fehlte, mußte natürlich auf die vielen Monographien über solche Ausgrabungen zurückgegangen werden, an denen unsere Litteratur so reich ist. Indessen habe ich vermieden, die hieraus entnommenen Resultate

zur Ermüdung des Lesers, wie des Sezers mit den einzelnen Citaten jener Schriften zu belegen: dem Alterthums. forscher und Kenner sind sie ohnedies bekannt, dem bloßen Leser aber sind jene Schriften doch schwerlich im Bereich.

I.

Bedeutung der f. g. Hünenbetten, Steinhäuser oder Steinkammern.

Unter den germanischen Alterthümern hat kein Gegenstand die Alterthumsforscher so vielfach beschäftigt, als der Versuch, den augenfälligen Unterschied zwischen den oft riesenhaften Anlagen der bei uns sogenannten Hünenbetten oder Steinhäuser im Vergleich mit den, selbige gewöhnlich dicht umgebenden, unscheinbaren Grabhügeln zu erklären. Zwei verschiedene Theorien wurden bei diesen Erklärungsversuchen

zum Grunde gelegt. Die eine und ältere erblickte in jedem solchen Steinhause das Grab eines ausgezeichneten Helden, wobei denn wohl die Bewohner ganzer Gaue zusammengetreten seien, um mit gemeinsamen Kräften einen solchen Riesenbau über dessen Asche zu errichten: während die bloßen Grabhügel zwar der nämlichen Zeitperiode angehören allein die gewöhnliche Begräbnißart der ohne weitern Nachruhm Verstorbenen bezeichnen sollten. Diese Theorie mußte in sich selbst zerfallen, seitdem die Nachforschungen unsrer neuern Zeit ergaben, wie unendlich größer die Anzahl jener Steingebäude in einzelnen Gegenden - namentlich des nördlichen Deutschlands sei, als man ehemals vorausgesetzt 1).

Die zweite und neuere Theorie trennt die beiden Begräbnißarten historisch von einander, indem sie die Steinhäuser und Grabkammern für bedeutend älter als die Grabhügel erklärt, und erstere einem Urvolke beilegt, welches durch spätere Einwanderung eines germanischen, nur die Sitte der Grabhügel fennenden Volks vertrieben worden sei. Aber auch gegen diese Erklärungstheorie erheben sich gerechte Zweifel. Da nämlich weder Geschichte, noch Sage von einem solchen Urvolke und von dessen Vertreibung durch spätere germanische Einwanderer etwas weiß, so müßte ein solches Ereigniß, sollte es wirklich stattgehabt haben, weit über alle Tradition hinausfallen, und es wäre alsdann eine höchst auffallende Erscheinung, daß zwei Völker, die sich in dem Gräberbau ihrer Verstorbenen so bedeutend unterschieden, in Allem, was dagegen zum äußeren Leben gehört, auf ganz gleicher Stufe ihrer gegenseitigen Sitten und Cultur sollten gestanden haben. Denn in der That unterscheiden sich die Urnen, sonstigen Geschirre und übrigen Leichenmitgaben, die in jenen Grabkammern gefunden sind, in nichts von solchen, die in den angeblich späteren Grabhügeln ausgegraben werden 2). Doch hiervon

1) Ich erinnere hierbei nur, soviel unser besonderes Vaterland betrifft, an: v. Estorff, heidn. Alterthümer d. Gegend um Uelzen. 1846.

2) Einige Alterthumsforscher haben freilich an denjenigen Töpfen, Schüsseln und Trinkgeschirren, die innerhalb von Steinhäusern gefunden find, eine, nur diesen Gefößen eigenthümliche, eingedruckte

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auch abgesehen, so giebt es noch eine allgemeinere Betrachtung, welche jener Annahme widerstreitet. Es finden sich nämlich unsere Steinhäuser ringsum von Grabhügeln dicht umgeben, ja Nachgrabungen ergeben gewöhnlich, daß sogar der innere Raum des solche Steinhäuser umgebenden Steinkreises zur Beisegung von Aschenurnen benugt ist. Es widerstreitet aber aller auf die menschliche Natur selbst gegründeten Er fahrung, daß ein neu einwanderndes Volk sich die zurückgebliebenen Begräbnißpläße eines vertriebenen Volkes von anderen Sitten und Religionsbegriffen in der Maaße aneignen sollte, daß es seine eigenen Verstorbenen, gleichsam vermischt mit den Leichenresten einer fremden Völkerschaft, an einer und derselben Stelle bestattet hätte. Alles dies deutet vielmehr auf einen innigen Zusammenhang zwischen unsern Steinhäusern und den umliegenden Grabhügeln.

Nach Widerlegung dieser beiden Theorien will ich versuchen, in Folgendem eine andere Ansicht von der Bedeutung dieser Riesenbaue aufzustellen. Auch sie bleibt, bei dem Mangel aller historischen Aufklärung, immer nur Hypothese; allein ich hoffe, diese Hypothese durch viele Einzelheiten wenigstens der Wahrscheinlichkeit nahe zu bringen.

Vor einigen Jahren hielt ich mich einige Tage in dem lüneburgischen Dorfe Rieste (Amts Medingen) auf, um die daselbst befindlichen Hünenbetten in genauere Untersuchung zu

Berzierungsart erblicken wollen. Diese Verzierungen gleichen in ihren einzelnen Theilen entweder einem Haarkamme, dessen Zähne hinunterwärts stehen (man bezeichnet sie in Schriften kurzweg: Kammverzierungen), oder einem bald stehenden, bald hängenden Tannen= baume. Das Eigenthümliche aber ist, daß diese rohen Bilder aus dicht punktirten Linien zusammengesetzt sind. Allerdings werden Gefäße und Scherben dieser Art häufig in Steinhäusern angetroffen, allein ich zweifle, daß sich daraus irgend eine begründete Folgerung für das Alter oder den Zweck der Steinhäuser im Allgemeinen ableiten lasse. Denn 1) finden sich in denselben gleichzeitig auch Gefäße mit andern, oder ohne alle Verzierungen; und 2) kommen die also verzierten Ge= schirre ebenso auch in gewöhnlichen Grabhügeln vor, s. z. B. Dorom, Opferstätten und Grabhügel (bei Wiesbaden); Wigand, Archiv Westphalens Bd. II, Hft. 2; Kruse, Deutsche Alterthümer Bd. 1, Hft. 2.

zichen. In einem Umkreise von einer halben Stunde fand ich 15 solcher Hünenbetten, darunter jedoch nur zwei in ihrer ursprünglichen Gestalt, alle übrigen waren durch Verschleppen der kleineren Steine und Platten so weit zernichtet, daß nur noch die rohen Felsblöcke der ursprünglichen Dachbedeckung, in die Grabkammer hinabgestürzt, zu sehen waren. Jedes dieser Hünenbetten war auf einer hügelartigen Erhöhung angelegt, wie dergleichen dem natürlichen Boden der Haide eigen sind, und jedes war, gleichsam zur Befriedigung, mit einem langgedehnten Rechteck von aufrechtstehenden Steinblöcken umgeben, innerhalb dessen am äußersten Ende das Hünenbett selbst angelegt war. Es ist dies die Lage und Bauart, wie wir sie in der Regel bei allen noch wohlerhaltenen Hünenbetten vorfinden. Rings um diesen Hügel herum erblickte man die gewöhnlichen, künstlich aufgeworfenen Grabhügel, jedoch ohne eine besondere Ordnung in ihrer Vertheilung. Zu wiederholten Malen hatte ich, im Umhergehen von einem solchen Hügel zu andern, diese Gleichförmigkeit in ihrer Anlage betrachtet, als mir unwillkürlich der Gedanke einfiel, daß man jeden solchen Hügel mit dem darauf stehenden Steinhause und den ihn umlagernden Grabhügeln füglich mit unsern christlichen Begräbnißplägen oder Kirchhöfen und der gewöhnlich daraufstehenden Leichenkapelle vergleichen könne. Dieser Gedanke war natürlich nichts weiter, als eine bildliche Aehnlichkeit zwischen unsern jeßigen Begräbnißpläßen und jenen heidnischen; allein er erregte zugleich einen andern in mir: Ob nicht das Steinhaus und die umherliegenden Grabhügel als ein zusammengehöriges Ganze zu betrachten, und beides in einer gegenseitigen Beziehung zu einander aufzufassen sei? Dieser Gedanke ward dadurch von Neuem unterstügt, daß ich bei einem dieser Steinhäuser wahrnahm, wie außen an jeder Ecke der im Rechteck aufgestellten Umfassungsmauer ein bedeutend großer Grabhügel aufgeworfen war, von denen jeder genau die nämliche Richtung und Entfernung von der ihm angewiesenen Ecke der Umfassungsmauer hielt. Die hierbei vorwaltende Absicht, die Anlage dieser vier Erdhügel mit dem Steinhause selbst in eine symmetrische Grundform zu bringen, war so unverkennbar, daß

fie auch meinen Reisegefährten ohne mein Bemerken auffiel: es leuchtete uns ein, daß diese Grabhügel in einer deutlichen Beziehung zu dem Steinhause aufgeworfen waren. Von dieser Zeit an hat mich die Verfolgung jener Wahrnehmung und der Gedanke vielfältig beschäftigt: Ob nicht unsern alten nordischen Steinhäusern ein anderer Zweck als der eines bloßen Begräbnisses, wie bisher angenommen, beizulegen sei?

Wir wiffen aus öffentlichen Mittheilungen über die erst vor einigen Jahren in Italien entdeckten etruskischen Gräber bei Chiusi 1), daß jedes dieser Gräber, außer der eigentlichen Grabkammer, mit zwei oder drei damit verbundenen Grabzellen versehen war, die nur als eine Zugabe zu dem Leichengewölbe ́selbst erschienen. Hier, in diesen Grabzellen, waren die Wände mit Malereien verziert, und sowohl einzelne Size als ganze Lagerbänke, in Gestalt der alten Triclinien mit Polstern, waren an den Seitenwänden angebracht und aus dem natürlichen Fels ausgehauen. Nach den Berichten gewährte der Anblick der ganzen Einrichtung die Ueberzeugung, daß hier nicht bloß die Beise zung eines Verstorbenen, sondern auch das vermeinte Fortleben desselben, nach den Bedürfnissen und Bequemlichkeiten des wirklichen, irdischen Lebens zu erblicken sei, so daß der Mittheiler dieser Entdeckung diese Grabeinrichtungen ausdrücklich nicht Behälter, sondern Behausungen der Todten" nennt. Es war aber nicht bloß die Vorstellung eines einsamen, für sich abgeschlossenen Fortlebens des Beerdigten in der ihm bestimmten Grabeinrichtung, die man hier erblickte, sondern auch die bei weiterer Nachgrabung entdeckten Familiengräber deuteten auf ein gemeinsames Zusammenleben, indem diese ein einziges großes Gemach enthielten, worin Wandmalereien glänzten, und welches man, nach den Worten des Berichterstatters, als eine Art Salon und Prunkgemach scheint betrachtet zu haben, während

1) S. Die neuentdeckten etruskischen Gräber bei Chiust. Von Prof. A. Feuerbach.

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