ten Affecte kennen. Wenn überall die adaequate Vorstellung sich nur im Allgemeinen bewegt, in demjenigen, was gleicher Weise im Ganzen und im Theil ist so kann auch im Ethischen, insofern es auf dem intelligere ruht, das Besondere in seiner Eigenthümlichkeit nicht zum Rechte kommen. Dafs bei Spinoza die Unterscheidung fehlt, die aus dem Allgemeinen heraus gestaltet und die in diesem Falle nur in den Zwecken der menschlichen Natur und ihrer Unterordnung gefunden werden kann, zeigt sich bei Spinoza auch äufserlich. Wo er, wie im tractatus politicus, von Verfassungen und Gesetzen handelt, nimmt er ohne Ableitung Gegebenes auf und verknüpft es für den äussern Zweck des Bestandes und der Einheit. Wir haben die theoretische und praktische Seite des intelligere verfolgt und sahen darin mehrfach den Grundgedanken durchbrochen, indem das Denken eine höhere Bedeutung gewinnt, als die ist, in welcher es nur den mit der Ausdehnung gleichlaufenden Ausdruck Einer und derselben Substanz bildet. Vielleicht tritt dasselbe schliefslich in den Worten hervor, mit welchen Spinoza am Ende des vierten Buchs die Ergebnisse zusammenfasst: „Wir sind ein Theil der ganzen Natur, deren Ordnung wir folgen. Wenn wir klar und deutlich einsehen, so wird der Theil von uns, der als Verstand bestimmt wird, d. h. unser besserer Theil, daran Genüge haben und in dieser Genüge zu verharren trachten. Denn inwiefern wir Einsicht haben, können wir nur begehren, was nothwendig ist, und schlechthin nur im Wahren Genüge haben. Inwiefern wir daher dies richtig einsehen, kommt das Bestreben unsers bessern Theils mit der Ordnung der ganzen Natur überein" (1). Wo Spinoza sonst den Ausdruck „übereinkommen" (convenire) gebraucht, z. B. wenn er sagt (eth. IV, 31), dafs eine Sache, soweit als sie mit unserer Natur übereinkomme, nothwendig gut sei, bezeichnet er jene Verbindung, welche unsere Macht verstärkt. Schwerlich gilt diese Bedeutung hier, da von der Ordnung der Natur die Rede ist. Wenn aber jene (1) eth. IV. app. c. 32. nosque partem totius naturae esse, cuius ordinem sequimur. Quodsi clare et distincte intelligamus, pars illa nostri, quae intelligentia definitur, hoc est, pars melior nostri, in eo plane acquiescet et in ea acquiescentia perseverare conabitur. Nam quatenus intelligimus, nihil appetere, nisi id quod necessarium est, nec absolute nisi in veris acquiescere possumus; adeoque quatenus haec recte intelligimus, eatenus conatus melioris partis nostri cum ordine totius naturae convenit. Harmonie gemeint wäre, in welche wir mit der Ordnung des Ganzen treten: so liegt dieser Verheifsung eine Einheit in der Entzweiung zum Grunde, welche sonst das Zeichen der durch einen innern Gedanken geforderten Theile ist. Wäre dies der Fall, so schweifte hier Spinoza über seinen Grundgedanken hinaus. Sicherlich thut er es in der Bezeichnung des ,,bessern Theils von uns' (pars melior nostri), die wir bei seiner Richtung auf scharfen und eigentlichen Ausdruck auch dann nicht für eine Metapher halten würden, wenn sie nicht in anderen Schriften wiederkehrte, z. B. in dem tractatus theologico politicus c. 4 (1). Es hängt die Ansicht von einer pars melior nostri mit Spinoza's Lehre zusammen (eth. V, 23. vgl. V, 49), dafs der menschliche Geist nicht mit dem Leibe schlechthin zerstört werden kann, sondern dafs etwas von ihm übrig bleibt, das ewig ist. Während die Vorstellung in Bildern (das imaginari) nur während der Dauer des Leibes möglich ist, hängt das Begreifen (intelligere) davon nicht ab, denn die Beweise (2), die das Nothwendige ergreifen, sind die Augen des Geistes. Aus der Erkenntnifs des Nothwendigen entspringt, wenn sie von der Vorstellung Gottes begleitet wird, die intellectuale Liebe Gottes, welche ewig ist (eth. V, 33), und soweit diese den Geist ausmacht, ist er ewig (eth. V, 39. dem.). Auf solche Weise wird das intelligere zu einer Macht für sich, zu dem bessern und ewigen Theil unserer selbst. Es tritt darin deutlich die Richtung hervor, dem Geiste oder einem Theil desselben nachträglich einen Vorzug zu geben, welchen die Grundansicht nicht gestattet. Denken und Ausdehnung, die beiden Attribute, drücken Eine und dieselbe Substanz nur verschieden aus. Beide gehen daher parallel. Die Ordnung und der Zusammenhang der Vorstellungen ist derselbe, als die Ordnung und der Zusammenhang der Dinge und umgekehrt. Wenn nun der Leib vergangen und ein Theil des Geistes übrig bleibt, wo ist denn da noch das gleichlaufende Correlat in der Ausdehnung? Während früher (vgl. besonders eth. III, 2. schol.) dem Geiste nichts gelassen wird, als dafs er mit dem Körper eine und die (1) tractat. theolog. polit. c. 4. p. 208. cum melior pars nostri sit intellectus etc. (2) eth. V, 23. schol. At nihilominus sentimus experimurque nos aeternos esse. Nam mens non minus res illas sentit, quas intelligendo concipit, quam quas in memoria habet. Mentis enim oculi, quibus res videt observatque, sunt ipsae demonstrationes. selbe Sache sei, die bald unter dem Attribut des Denkens, bald unter dem Attribut der Ausdehnung aufgefafst werde: so wird nun ein Theil vom Leibe abgetrennt, so dafs ihm im Attribute der Ausdehnung nichts Wirkliches mehr entspricht. Es fällt dies um so mehr auf, da sonst nach Spinoza der Theil nichts in den Dingen, sondern nur eine Weise des Denkens ist. Es leuchtet hieraus ein, dafs diese Ansicht in doppeltem Betracht von dem Grundgedanken abfällt, einmal inwiefern der Parallelismus zwischen Denken und Sein als verschiedenem Ausdruck Einer und derselben Sache abgebrochen ist, sodann weil dem Denken über die Ausdehnung, obwol sie beide als Ausdrücke Eines und desselbigen gleich berechtigt sein müssen, plötzlich ein wesentliches Übergewicht gegeben wird. Wenn in den frühern Büchern der Bezug auf das Leibliche dergestalt vorherscht, dafs die Vorstellung fast nur wie ein Abbild desselben erscheint: so wird zuletzt dem Gedanken als dem ewigen vor dem vergänglichen Leibe die Ehre gegeben. Ein solches Schwanken steht mit dem festen Grundgedanken in Widerspruch, aber es ist, wie wir sahen, nach den verschiedensten Richtungen da. Aus diesem Schwanken erklärt sich auch die entgegengesetzte Wirkung, welche Spinoza in der Geschichte der Philosophie auf die Geister gehabt hat. Bald folgten ihm solche, welche allein den Determinismus der materiellen Ursache wollen, wie in neuester Zeit viele; bald erhoben ihn solche, welche, wie Schelling und Schleiermacher, auf der Seite eines idealen Platonismus stehen. Beides liefse sich kaum neben einander denken, wenn nicht dazu im Spinoza selbst die Veranlassung läge. Spinoza's Grundgedanke steht klar da, wenn er Denken und Ausdehnung als die Attribute bestimmt, die, unter sich in keinem Causalzusammenhang, nur für den Verstand die verschiedenen Ausdrücke Einer und derselben Substanz sind. Zur Kritik dieser eigenthümlichen Auffassung ergab sich, wenn wir die entscheidenden Punkte aus der Verflechtung ablösen, Folgendes. Zunächst ist die ganze Ansicht formal gehalten und die reale Untersuchung, ob die Ausdehnung auf das Denken und das Denken auf die Ausdehnung wirken könne, durch die gleich Axiomen gesetzten Definitionen von vorn herein abgeschnitten (s. oben S. 14 f. S. 18 ff.). Ferner lässt sich der Parallelismus zwischen den Erzeugnissen des Denkens und den Gestalten der Ausdehnung, inwiefern die einen den un endlichen Gedanken Gottes, die andern die unendliche Ausdehnung bilden, aber beide nur der verschiedene Ausdruck einer und derselben Substanz sein sollen, nicht durchführen. Das Continuum der Körper bildet die unendliche Ausdehnung, aber es lässt sich nicht auf gleiche Weise ein Contitinuum der Gedanken vorstellen, welche zusammen den Verstand Gottes bildeten. Wo blieben in Gottes unendlichem Gedanken die irrigen Vorstellungen der Menschen? und wo entsprächen allen wirklichen Bewegungen wahre Vorstellungen? (s. oben S. 25. S. 36) Die inadaequaten Vorstellungen wurzeln in der Imagination, inwiefern wir als Theile eines denkenden Wesens Theile auffassen, aber der Begriff der Theile, der hier den Irrthum erzeugt, ist in der Lehre des Spinoza so wenig erklärt, als die Determination, wodurch es geschieht, dafs der Intellectus vom Unendlichen zum Endlichen übergeht und im Endlichen wahre Vorstellungen bildet. Soll wirklich eingesehen werden, dass Denken und Ausdehnung nur verschiedene Ausdrücke einer und derselben Substanz sind: so darf diese Frage, wie sich das Denken bestimme, so wenig uner ledigt bleiben, als die Frage, wie sich die Ausdehnung determinire (s. oben S. 32. 33). Spinoza leitet alle Affecte aus dem Satze ab, dafs jedes Wesen sich in seinem Sein zu behaupten strebe, und alle Tugend aus der Macht etwas zu bewirken, was aus den Gesetzen der eigenen Natur verstanden werden kann (s. oben S. 37. 39). In diesen Sätzen verbirgt sich das individuelle Leben, das in seiner Determination keine blofse Negation, sondern Bejahung ist, aber ohne die zum Grunde liegenden Zwecke nicht gedacht werden kann. Spinoza setzt mitten in dieser Betrachtung der Naturgesetze der Seele den teleologischen Standpunkt voraus (s. oben S. 39. 40). Wie die verworrene Vorstellung, das imaginari, die leidenden Zustände der Seele bedingt und festhält, so werden wir von denselben durch die Einsicht, das intelligere, befreiet, indem sich die Zustände des Leibes nach den Bedingungen des Begriffs ordnen. Dem intelligere wird darin eine Wirkung auf die leiblichen Zustände zugeschrieben, welche der Grundgedanke nicht erträgt (s. oben S. 43. 44). Im Ethischen führt das intelligere, die Einsicht in die durch Vereinigung verstärkte Macht zur Anerkennung von Zwecken, z. B. der allgemeinen Gerechtigkeit, die ursprünglicher sind, als dafs sie sich aus der blofsen H 58 TRENDELENBURG über Spinoza's Grundgedanken und dessen Erfolg. wirkenden Ursache ableiten liefsen. Auf diese pafst Spinoza's Wort nicht, dafs die Zwecke nur eine menschliche Erfindung sind (s. oben S. 48. 50.53). Endlich ist es in der Consequenz der Grundansicht, dafs Denken und Ausdehnung nur der nothwendige Ausdruck einer und derselben Substanz seien, nicht zu begreifen, wie der Intellectus, als der bessere und ewige Theil von uns, der übrig bleibe, wenn der Körper zerstört wird, bezeichnet werden könne (s. oben S. 54 ff.). Diese Einwürfe ergeben sich, wenn man Spinoza auf seinem eigenen Wege verfolgt und alle Hauptpunkte an der Consequenz oder Inconsequenz mit dem Grundgedanken mifst. Wenn Spinoza seiner Lehre, wie im Eingang bemerkt wurde, unter den Systemen von der Wurzel aus eine neue Stellung gegeben hatte: so erhellt aus dieser Untersuchung, dafs der Grundgedanke in den wichtigsten Punkten, in denen er sich bewähren sollte, von sich abfällt und in die beiden andern Betrachtungsweisen, bald in die teleologische, bald in die materialistische übergeht. Zwischen diesen beiden allein geht nun der Kampf der Principien fort, wenn nach dem grofsen, aber vergeblichen Versuch die Grundansicht Spinoza's, jene dritte Möglichkeit, um die Einigung von Gedanken und Kraft zu begreifen, aus der Reihe der Streitenden ausscheidet. Die meisten der hervorgehobenen Punkte weisen auf eine Idee im Grunde der Dinge hin, und obwol Spinoza die Idee nicht anerkennt, so dienen ihr doch die Naturgesetze des Geistes, welche er selbst, wie im dritten und vierten Buch der Ethik, scharfsinnig dargestellt hat. |