ihm treu bleiben könne, ohne von den Erscheinungen genöthigt, in die beiden nebenstehenden Betrachtungsweisen, sei es in die eine oder in die andere, in die teleologische (organische) oder die mechanische zu verfallen. Es kommt auf diese Frage als auf die Grundfrage alles an. In ihr entscheidet es sich, ob Spinoza's Lehre als System stehe oder falle, und ob sie eine Basis sei, auf welcher sich weiter bauen lasse. Es ist über Spinoza und zur Kritik Spinoza's viel geschrieben. Aber die bisherige Kritik geht weder von diesem Punkte aus, noch zu diesem Punkte hin. Erst in dem Grundgedanken und dessen Erfolg, erst in der Aufgabe, die der Grundgedanke stellt, und in dem Erfolg der Lösung messen wir ein System nicht nach fremdem Gewicht, sondern nach eigenem Mass. Eine solche immanente Kritik mufs nach dem dargelegten Zusammenhange für Spinoza um so wichtiger sein, weil dadurch jener Kampf der Weltansichten, die in der bezeichneten dreifachen Stellung ihren ursprünglichen Ausdruck haben, wenigstens in Einem Gliede der Entscheidung entgegengeführt wird. Wir richten unsere Untersuchung auf dies Ziel und wollen so verfahren, dass wir zuerst den ganzen Gedankengang Spinoza's in der Kürze überblicken, und dann die Angeln prüfen, in welchen sich das Ganze bewegt. Sollte sich die Untersuchung hie und da von der Grundfrage entfernen, weil die Kritik von Glied zu Glied führt: so werden doch am Schlusse die Ergebnisse von selbst dahin zurückbiegen. Wir erinnern also zunächst an den Zusammenhang des Ganzen. Das System ist in den 5 Büchern der Ethik einfach angelegt. Von. der Metaphysik der Einen Substanz ausgehend (Buch 1) läuft es durch die Erkenntnifslehre des Geistes (B. 2) und durch die Psychologie der leidenden Zustände hindurch (B. 3 u. 4) und erreicht in der Ethik der befreienden Erkenntnifs sein Ziel (B. 5). Gott ist die Eine Substanz, deren Wesen der Verstand in zwei verschiedenen Ausdrücken als Denken und Ausdehnung auffafst (1). Es darf jedoch (1) Eth. I. def. 4. Per attributum intelligo id, quod intellectus de substantia percipit tanquam eiusdem essentiam constituens, vgl. eth. II. def. 2. Ad essentiam alicuius rei id pertinere dico, quo dato res necessario ponitur et quo sublato res necessario tollitur; vel id, sine quo res et vice versa quod sine re nec esse nec concipi potest. Also Gott kann nicht ohne Denken und Ausdehnung, und Denken und Ausdehnung nicht ohne Gott gedacht werden. B dies Verhältnifs nicht so vorgestellt werden, wie es öfter geschieht, als ob Denken und Ausdehnung, der Substanz fremd, erst durch den Verstand von aufsen an die Substanz herangebracht würden. Wie wäre dies für die Substanz, für welche es kein Aussen und kein Innen giebt, zu denken? Vielmehr sind die Attribute Gottes ewig d. h. inwiefern das Nothwendige sein Dasein immer bejaht, nothwendig. (1) Ausser Gott giebt es keine Substanz; das Endliche und Einzelne ist daher nicht in sich, sondern nur eine Weise in Gott (modus). Gott ist die wirkende Ursache des Wesens, wie des Daseins der Dinge. Das Unendliche (Gott) ist der schlechthin positive (bejahende) Begriff; das Endliche hingegen ist begrenzt und bestimmt, und jede Begrenzung und Bestimmung ist eine Verneinung. Es giebt in der Natur nichts Zufälliges; denn Gott, in welchem alles ist, was da ist, ist auf nothwendige Weise da; sein Wesen schliefst sein Dasein ein (eth. I, 29). Gottes Macht ist sein Wesen; denn er ist Ursache seiner selbst (I, 34); und was in Gottes Macht liegt, ist nothwendig (I, 35). Die endlichen Dinge entspringen aus Gott oder einem seiner Attribute, insofern dasselbe durch einen Modus afficirt betrachtet wird, die Ausdehnung durch Ruhe oder Bewegung, das Denken als Verstand und Wille. Alles Einzelne oder jedes Ding, welches endlich ist und ein bestimmtes Dasein hat, wird durch eine andere Ursache, welche auch endlich ist und ein bestimmtes Dasein hat, zum Dasein und Wirken bestimmt und so fort ins Unendliche. Dies gilt nach dem durchgängigen Parallelismus der beiden At. tribute vom Endlichen ebenso im Denken als in der Ausdehnung. Die ganze Natur ist Ein Individuum, dessen Theile, die Körper, auf unendliche Weise wechseln ohne irgend eine Veränderung des ganzen Individuums (II. lemma 7. schol. p. 94). Auf ähnliche Weise sind die menschlichen Geister Theile des unendlichen göttlichen Verstandes (II, 11. coroll. V, 40). Seele und Leib sind Ein und dasselbe Individuum, welches einmal (1) Eth. I, 19. Deus sive omnia Dei attributa sunt aeterna. Vgl. in der Demonstration: -per Dei attributa intelligendum est id, quod divinae substantiae essentiam exprimit, hoc est, id quod ad substantiam pertinet: id ipsum, inquam, ipsa attributa involvere debent. Atqui ad naturam substantiae pertinet aeternitas, ergo unumquodque attributorum aeternitatem involvere debet, adeoque omnia sunt aeterna. unter dem Attribut des Denkens und dann wieder unter dem Attribut der Ausdehnung begriffen wird (eth. II, 21. schol.). Jedes Wesen, sei es Ding sei es Gedanke, sucht sich in seinem Sein zu behaupten (eth. III, 6). Dieses Streben ist nichts als seine wirkliche Natur. Der Geist sucht sich daher, sowol inwiefern er klare und deutliche, als inwiefern er verworrene Vorstellungen hat, in seinem Sein zu behaupten. Es kann keine Vorstellung in unserm Geiste geben, welche das Dasein unsers Leibes ausschliefst. Vielmehr was die Thätigkeit unsers Leibes mehrt oder mindert, fördert oder hemmt, dessen Vorstellung mehrt oder mindert, fördert oder hemmt das denkende Vermögen unsers Geistes. Unter Lust wird der leidende Zustand begriffen, durch den der Geist zu grösserer Vollkommenheit übergeht; unter Unlust derjenige leidende Zustand, durch den er zu geringerer Vollkommenheit übergeht. Indem nun die Seele das sich vorzustellen strebt, was ihre oder des Leibes Thätigkeit mehrt und das Gegentheil ausschliefst, entsteht aus diesem Streben Liebe und Hafs, d. h. Lust und Unlust, begleitet von der Vorstellung der äussern Ursache. Zunächst begleiten wir die real wirkende Ursache der Lust und Unlust mit Liebe und Hafs, dann die in der Vorstellung Lust und Unlust hervorbringende Ursache mit Liebe und Hafs. Daher bestimmt, abgesehen von der Verkettung der wirklichen Ursachen, auch das Gesetz, das Vorstellungen mit einander verkettet,-man nannte es später die Ideenassociation-die leidenden Zustände unserer Seele in Liebe und Hafs. Die Vorstellungen, die einander rufen, theilen einander, wenn sie nicht im Gegensatz stehen, die Lust und Unlust und dadurch die Liebe und den Hafs mit, welche ihnen einwohnen. Ferner bejahen und verneinen wir uns in Andern, inwiefern wir sie in Beziehung zu uns setzen. Aus diesen Quellen fliessen Sympathie und Antipathie, Mitleiden und Wohlwollen, Undank und Schadenfreude, Neid und selbst Bewunderung, Feindschaft und selbst Grofsmuth, lauter leidende Zustände, welche hiernach aus dem Naturgesetz der Selbsterhaltung hervorgehen. Die Macht dieser leidenden Zustände liegt in den inadaequaten Vorstellungen, und diese entstehen in uns daraus, dafs wir nur Theile eines denkenden Wesens sind, von dem zwar einige Gedanken ganz, aber andere nur theilweise unsern Geist ausmachen (de intellectus emendatione p. 441). Wir verhalten uns überhaupt insofern leidend, als wir ein Theil der Natur sind, der an sich ohne die andern nicht kann begriffen werden (eth. IV, 2). Wie der Mensch desto mehr leidenden Zuständen unterworfen ist, mehr inadaequate Vorstellungen er hat: so ist er desto thätiger (freier), je mehr adaequate er hat. Daher führt das imaginari, die Quelle der inadaequaten Vorstellungen, zur Knechtschaft, das intelligere, die Quelle der adaequaten, zur Freiheit. Nos eatenus tantum agimus, quatenus intelligimus. Wir sind nur so weit thätig, als wir begreifen (eth. IV, 24). Wie die Gedanken im Geiste geordnet werden, so ordnen sich die Affectionen, die Bilder der Dinge, im Leibe (eth. V, 1. vgl. V, 10). Der Affect, der ein leidender Zustand ist, hört auf leidend zu sein, sobald wir von ihm eine klare und deutliche Vorstellung bilden (eth. V, 3. vgl. V, 11). Alle Begierden sind nur insoweit leidende Zustände, als sie aus inadaequaten Vorstellungen entstehen und dieselben werden der Tugend zugerechnet, insofern sie von adaequaten Vorstellungen erregt oder erzeugt werden (eth. V, 4. schol.). Auf diese Weise löst sich die Knechtschaft der leidenden Zustände in Freiheit. Tugend und Macht (virtus und potentia) sind dasselbe, und Tugend auf den Menschen bezogen ist die Macht, etwas hervorzubringen, was nur aus den Gesetzen seiner Natur eingesehen werden kann (eth. IV. def. 8). In demselben Sinne ist die Macht auch das Recht; und jedes Ding hat von Natur soviel Recht, als es zum Dasein und zum Wirken Macht hat (tractat. pol. c. 2. p. 307. tractat. theolog. pol. c. 16. p. 359. ed. Paul.). Jedes Wesen strebt sich selbst zu erhalten, oder, was dasselbe ist, seine Macht zu behaupten und zu mehren. Es ist daher das Streben sein eigenthümliches Sein zu erhalten die Grundlage der Tugend (eth. IV, 18. schol. p. 216), also für den Geist das Streben zu begreifen (intelligendi conatus) die erste und einzige Grundlage (eth. IV, 26 u. 27). Diese Einsicht giebt die höhere Macht und daher auch die eigentliche Tugend. Die menschliche Macht wächst, wenn alle Menschen in Allem so zusammenstimmen, dafs aller Geister und Leiber Einen Geist und Einen Leib bilden und alle zugleich, so weit sie können, das eigene Sein zu behaupten streben und das gemeinsame Beste aller suchen. Daraus folgt, dafs die Men schen, welche nach der Vernunft ihren Nutzen suchen, nichts für sich erstreben, was sie nicht auch den übrigen Menschen wünschen und dafs sie daher gerecht, treu und sittlich sein werden (IV, 18. schol.). Was Eintracht erzeugt, erzeugt gröfsere Macht und ist das, was zur Gerechtigkeit, Billigkeit und Sittlichkeit gehört (eth. IV. app. c. 15. P. 262. vgl. tractat. theo log. c. 16). Inwiefern jedoch Menschen Leidenschaften unterworfen sind, sind sie einander entgegen und kommen unter sich nicht überein (eth. IV, 32). Daher muss man die Leidenschaften meiden. Wer vernünftig lebt, wird dahin streben, dafs er nicht von den Affecten des Hasses beunruhigt werde und folglich dahin wirken, dass auch kein anderer dieselben Affecte leide (eth. IV, 46). Er wird daher, so viel er kann, des Andern Hafs und Zorn und Verachtung durch Liebe oder Grofsmuth ausgleichen. Das intelligere, die Erkenntnifs des Nothwendigen und Ewigen, ist auch von dieser Seite die Quelle des Sittlichen; denn Wille und Verstand sind eins und dasselbe (eth. II, 49. coroll.). Inwiefern wir erkennen (quatenus intelligimus), können wir nichts begehren aufser dem, was nothwendig ist, und uns schlechthin nur im Wahren befriedigen; und insofern stimmt das Streben unsers bessern Theils mit der Ordnung der ganzen Natur zusammen (eth. IV. c. 32. p. 267). Inwiefern unser Geist erkennt, ist er eine ewige Weise des Denkens, die von einer andern ewigen Weise des Denkens bestimmt wird, und diese wiederum von einer andern und so ins Unendliche, so dafs alle zusammen den ewigen und unendlichen Verstand Gottes ausmachen (eth. V, 31). Je mehr wir nun uns und unsere Affecte, je mehr wir die einzelnen Dinge begreifen, desto mehr begreifen und lieben wir Gott; und so weit wir Gott betrachten, so weit sind wir thätig (eth. V, 16. 18. 24). Es ist das höchste Gut des Menschen Gott zu erkennen (eth. IV, 28). Es entspringt daraus die intellectuale Liebe des Geistes zu Gott, welche, da Gott alles Sein ist, ein Theil der unendlichen Liebe ist, mit welcher Gott sich selbst liebt, und zwar inwiefern er durch das Wesen des menschlichen Geistes, wenn es unter der Form der Ewigkeit betrachtet wird, begriffen werden kann. Aus diesen Grundzügen der Lehre heben wir nun die wesentlichen Punkte hervor, welche wir erörtern müssen, wenn wir über die Bündigkeit und den Erfolg des Grundgedankens urtheilen wollen. |