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sich vor Allem mit vollster Berechtigung dem Bau des menschlichen Skeletes zu, dieses Grundgerüstes des Körpers, namentlich aber des Schädels, in welchem letzteren Gehirn und Sinneswerkzeuge ihren Sitz haben, an dessen Antlitztheil alle, die Physiognomie darstellenden Weichgebilde sich anlehnen. Die möglichst gründliche Erforschung dieser Theile ist sicherlich von der höchsten Wichtigkeit. Aber auch solche Arbeitsmethode hat ihre Gefahren, wenn sie zu einseitig betrieben, wenn ihre Leistungsfähigkeit für das grosse Ganze überschätzt wird. So hat man neuerlich leider schon begonnen, mit der reinen, einseitigen, ich möchte sagen, übertriebenen, Craniologie ins Blaue hinein, recht erkleklichen Unfug zu schaffen. Schädel messungen sind ja geradezu Modesache geworden, wie dies auch Aeby bemerkt.*)

Bei solchem Verfahren hat freilich die Ethnologie bis jetzt herzlich wenig gewonnen, besonders wenn man die Beschränktheit und Unbestimmtheit eines grossen Theiles des vorhandenen Materiales ins Auge fasst. Was kann es z. B. wohl viel nutzen, wenn ein Anatom aus irgend einer Saminlung dieses oder jenes Cranium, mit der Etiquette: Schädel eines Negers aus Sudan" versehen, herausgreift, dasselbe misst, beschreibt, zeichnet, kindliche Freude an den Tag legend, wenn er schliesslich dahin gelangt ist, besagtes Specimen unter einer der gebräuchlichen craniologischen Rubriken zu catalogisiren. Was haben wir ferner speciell für unsere Zwecke davon zu hoffen, wenn Männer, die niemals einen neueren Aegypter mit Augen gesehen, welche sich kaum je die Mühe gegeben, aus einer der Hauptquellen früherer aegyptischer Menschenkunde, aus den Denkmälern, zu schöpfen, mittelst etlicher irgend wie in ihren Besitz gelangter Mumienschädel, die sie hetasten, messen, beschreiben, allein sich den alta egyptischen Menschen reconstruiren wollen? Wie sonderbare Verirrungen bei solchem Beginnen schon stattgefunden und noch immer stattfinden, das zeigt, bis zum Ekel, die einschlägige Litteratur. Und ist es denn selbst mit gezeichneten oder skulpirten Darstellungen alter Bewohner des Nilthales, mit gemessenen und gezeichneten Mumienschädeln und Mumienhänden abgemacht, gehören nicht auch Forschungen über die physische Beschaffenheit der Nachkommen der alten Aegypter, Forschungen über die diesen zunächst stammverwandten Völker mit in den Kreis solcher Studien?

Ich zähle mich übrigens keineswegs zu Denjenigen, die einer auch craniologischen Behandlung der Ethnologie jede Bedeutung absprechen wollen. Ich stimme ferner nicht dem herben Urtheile eines berühmten lebenden Anatomen bei, welcher von der ganzen Geschichte nicht viel hält, welcher, den Craniologen gleichsam zum Memento, eine Sammlung aller möglichen sogenannten Rassenschädel aus den osteologischen Präparaten des ihm untergeordneten, innerhalb der deutschen Grenzen belegenen

*) Die Schädelformen des Menschen und der Affen. Leipzig 1867. Vorwort. Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 1869.

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Institutes zusammenstellt. Ich bin der Meinung, dass die von Blumenbach betretenen, von Baer, Scherzer und Schwarz, Broca, Lucae, Pruner, Krause, Aeby, Davis und noch mehreren Anderen geebneten Wege weiter verfolgt werden müssen, dass auch auf diesen der Wissenschaft vom Menschen neues Terrain gewonnen zu werden vermöge. Ich verkenne nicht, dass selbst Schädelmessungen auch ihren guten Werth für die Vergleichung haben können, d. h. als Beihülfe in der gesammten Methode. Bei alledem dürfte es sich aber als höchst wünschenswerth herausstellen, dass erst noch reichlicheres und noch besseres Material für diese Untersuchungen herbeigeschafft, dass letztere mit mehr Methode betrieben, dass sie mehr im Dienste der Ethnologie betrieben werden, als dies bis jetzt im Allgemeinen geschehen. Ferner sollte die Betrachtung der übrigen Theile des Organismus nie vernachlässigt und sollten besonders der physiognomische Bau, die Gliederbeschaffenheit, Hautfarbe, Haarstruktur, die Körperhaltung, der Modus der Bewegung, die Gebehrden u. s. w. als wichtige Gegenstände comparativer Forschung verwerthet werden.

Hochwichtig sind ferner in dieser Beziehung das Studium des Verhaltens der Völker zu krankmachenden Einflüssen, die Art und Stärke ihres Widerstandes gegen dieselben, die Beschaffenheit und der Gebrauch der Arzneimittel, der chirurgischen Hülfe.*)

Was also haben wir zu thun? Fassen wir noch einmal diejenigen Grundsätze zusammen, nach denen wir mit Aussicht auf Erfolg verfahren können. Wir unterrichten uns zunächst über die physische Beschaffenheit eines Menschenstammes. Alsdann müssen wir die gesammte äussere und innere Existenz der Mitglieder desselben kennen zu lernen suchen. Sitten und Gebräuche, Verfassung, Recht, religiöse Anschauungen, geschichtliche Traditionen, Sagen, physische Eigenthümlichkeiten u. s. w. müssen genau studirt werden. Erst so gewinnt man Material zu Vergleichungen, erst dadurch gelangt man auf die richtigen Wege, welche verfolgend, man diejenige Stelle finden wird, die der betreffende Stamm einnimmt. Wollen wir also z. B. ein Volk wie die Funje im Sennâr kennen lernen, so müssen wir zunächst ihren Körperbau und dessen Verrichtungen in den Kreis unserer Studien ziehen. Dann haben wir die einzelnen Stücke ihrer dürftigen Tracht und ihres nicht minder dürftigen Zierrathes anzusehen, in ihren Hütten am Mahle theilzunehmen, den Frauen bei der Kinderwartung zuzuschauen, den jungen Mädchen an den Wasserborn zu folgen, mit den Leuten zu plaudern und sie nach jeder Richtung auszuforschen, gerade recht bei ihren Alltagsbeschäf tigungen. Wir müssen den Hirten unter seinen Rindern aufsuchen, dem Jäger in das Walddickicht folgen, wir müssen der Rathsversammlung bei

*) Man wird sich freilich von dieser naturwissenschaftlichen" Methode einen grösseren Erfolg mehr nur in der Hand des tüchtigen, gründlich gebildeten Arztes versprechen dürfen. Diesen weiht, schult seine ganze Richtung vornehmlich für dergleichen Studien.

wohnen, wir müssen den Krieger auf blutiger Wahlstatt fechten sehen, wir müssen sehen, wie er gegen den besiegten Feind verfährt. Die Feste für den Sieg, die Klage der Geschlagenen, das Gebet, die Gründung der Familie, die Vergnügungen der Jugend, das Alles sind wichtige Gegenstände der Untersuchung. Nie dürfen wir eine Gelegenheit vorüber gehen lassen, am abendlichen Feuer den Auslassungen der Weisen der Nation zu lauschen; wir müssen um den Fürsten sein, wenn er vor versammeltem Volke Rechtspflege übt. Wir müssen natürlich auch die Sprache kennen lernen und Einsicht in die geschriebenen Dokumente nehmen. Und so noch sehr Vieles mehr. Es wird dem Reisenden nicht immer möglich sein, das Alles auszuführen, er muss es sich aber wenigstens zur strengsten Pflicht machen, nach solchen Grundsätzen, so weit es die Umstände zulassen, zu verfahren.*)

Vita brevis, ars longa! könnte auch hier gesagt werden. Wie, wird man auch hier fragen, soll in jedem gegebenen Falle der Forscher Anatom, Ethnolog im engeren Sinne, Historiker, Linguist u. s. w. zugleich sein? Freilich ist das Alles schwierig, trotzdem aber muss in dieser Beziehung das Vollkommenste angestrebt werden. Besonders wollen wir nun wünschen, dass diejenigen Forscher, welche, wie bisher so häufig geschehen, nur vereinzelte Gebiete des grossen Terrains bearbeiten, nicht mit Geringschätzung einander meiden, nicht feindselig einander befehden, sondern vielmehr, dass sie einander aufsuchen, dass sie sich zu gemeinschaftlichem Thun die Hand reichen mögen. Daraus kann ja nur der grösste Vortheil für das Ganze erspriessen.

4. Das Alter der aegyptischen Kultur ward bis zu demjenigen Zeitpunkte, in welchem Leonard Horner die Resultate ausgedehnter, im Nilthale ausgeführter Bohrarbeiten veröffentlichte, sehr gewöhnlich auf 4-5000 Jahre vor Christi Geburt, d. h. bis vom Beginne der Mena-Dynastie, geschätzt. Es geschah dies auf geschichtliche Spekulationen hin. Nun hat in dieser Angelegenheit gerade die Naturwissenschaft in sofern einen Triumph

* Am 7. Oktober 1859 für eine Reise nach Afrika engagirt, musste ich bereits am 26. desselben Monates auf den Weg. Von Vorbereitungen grösseren Styles war daher keine Rede. Ich nahm eben nur Das mit, was man von einem angehenden Arzte und Naturkundigen etwa verlangen konnte. Dennoch suchte ich, von höchstem Interesse für die Sache beseelt, so gut es ging, nach jenen oben von mir selbst aufgestellten Grundsätzen zu verfahren. Zum Glück fand ich in dem verstorbenen Dr. Th. Bilharz einen Mann, der mich zur Erforschung mancher wichtigen Frage im Bereiche der afrikanischen Menschenkunde anregte, wobei seine langjährige Erfahrung sehr gut zu Statten kam. Damals erst begann die Anthropologie jenen Aufschwung zu nehmen, der sich jetzt so mächtig entfaltet. Meine Apparate zur Messung bestanden nur in einem Tasterzirkel, sowie in Metermassen von Holz, Fischbein (biegsam, sehr practisch), Leder und Metall.

In meinen hier folgenden Arbeiten soll es sich hauptsächlich um die vergleichende Naturgeschichte der nordostafrikanischen und centralafrikanischen Völker, unter Mitbenutzung der von mir anderweitig schon ausführlicher behandelten, mehr geschichtlich-ethnographischen Fragen, handeln. Dem linguistischen Gebiete soll ein eigener Artikel gewidmet werden.

gefeiert, als es an der Hand oryktognostischer Versuche gelungen, die Existenz gewisser menschlicher Gesittung auf aegyptischem Boden noch für mindestens etliche Jahrtausende früher nachzuweisen.

Horner hat nämlich bei Gelegenheit einer grossen Anzahl von Ausgra bungen und Bohrungen in dem Nil-Sedimente auf verschiedener Tiefe, häufig sogar auf der grössesten Tiefe, Fragmente von gebrannten Ziegeln und von Töpfergeschirr gefunden. So ward z. B. in der tiefsten Schicht eines ächten Nil-Sedimentes an Seite der zu Memphis befindlichen Kolossalstatue Ramsses des Grossen,*) d. h. in einer Tiefe von 39 Fuss, ein Stück Töpfergeschirr blossgelegt. Dasselbe war etwa einen Zoll im Geviert gross, Zoll dick, an beiden Flächen ziegelroth, im Innern dunkelgrau. Entsprechend den von Horner vorgenommenen Schätzungen über die Bildung der Nil-Sedimente musste besagtes Stück einem 13,371 Jahre vor 1854 (n. Chr.) ange fertigten Geschirr angehört haben. Denn an jener Stelle beträgt der 100jährlich sich bildende Schlammniederschlag 3 Zoll Dicke, d. h. also es hat derselbe bei 39 Fuss Tiefe ein Alter von 11,517 Jahren vor Beginn der christlichen Aera und von 7625 Jahren vor Beginn der Mena-Dynastie (nach Lepsius.)

In einem 354 Yards**) nördlich von der Kollossalstatue, 330 Yards weit vom Strome, angelegten Schachte wurden bei 38 Fuss Tiefe Topfscherben gefunden. Fragmente gebrannter Ziegel und irdenen Geräthes sind 10-16 Miles stromabwärts von Cairo, unfern der Nilufer, in noch grösseren Tiefen aufgedeckt worden. Man brachte z. B. gelegentlich einer zu Sigiul ausgeführten Bohrung dergleichen aus einer Tiefe von 45-50 Fuss herauf, gelegentlich einer anderen, zu Bessûs angestellten, aber aus der untersten Schicht, d. h. 59 Fuss tief, welche letztere hier jedoch schon von Sand gebildet ward. Die unterste Schlammschicht aber enthielt an dieser Stelle solche Dinge noch bei 48 Fuss Tiefe. Horner erfuhr von Linant-Bey, dass dieser auf der libyschen Seite des Rosette- (bolbitinischen) Armes des Nil, bei einer davon 200 Meter (= 656 Fuss engl.) weit geführten Bohrung noch bei 72 Fuss die Bruchstücke von rothen (d. h. also gebrannten) Ziegeln erlangt habe. Rozier aber schätzt die einhundertjährige Schlammablagerung im Delta auf eine Mächtigkeit von nur 2 Zoll 3 Linien paris. = 2, 3622 Zoll englisch.

Talabot bestimmte den tiefsten Stand am Mekias oder Nilmesser auf Rhodah bei Cairo im Jahre 1847 zu 46 Fuss 2 Zoll über dem Tiefstande des Meeres. Das Nilwasser fällt zwischen Cairo und der Deltaspitze im Bereich einer Mile um 3 Zoll. Sigiul und Bessus liegen etwa 10 Miles

*) Jene Statue, welche ungefähr 422 Fuss hoch gewesen, befindet sich, mit dem Antlitz nach unten gekehrt, nicht weit vom Dorfe Mitrahineh, am Wege von hier nach Bedreschen, an einer künstlichen Vertiefung, die zur Zeit der Nilschwelle ganz unter Wasser steht.

**) Ein Yard = 3 Fuss.

unterhalb des Nilmessers; der tiefste Stand an beiden ersteren Lokalitäten beträgt ungefähr 43 Fuss. Demnach müssten die hier gefundenen Ziegelund Geschirrreste ein wenig oberhalb der Tiefstandsmarke des Meeres gelegen haben, wogegen aber die von Linant-Bey so tief unter der Bodenfläche gefundenen ganz unterhalb jener Marke gelegen haben. Horner vermuthet indessen, dass jene Fragmente in einer den Deltabildungen voraufgegangenen Zeit aus den oberen, bewohnten Theilen des Landes herabgeschwemmt worden seien u. s. w.

Ich selbst erhielt im Jahre 1860 durch Vicekonsul von Herford die etwa 6 Cent. im Geviert haltende, bis zu 2 Cent. dicke Scherbe eines Töpfergeschirres, deren beide Flächen wohl geglättet*) und ganz roth sind, während das Innere an den Bruchflächen einen hellgrauen Streifen zeigt. Die Masse ist ziemlich fein. Diese Scherbe nun soll nebst anderen, ähnlichen im Jahre 1858 nicht weit vom Abfalle des Nilufers unfern Girgeh in einer Tiefe von 30 Fuss paris. gefunden worden sein.

Sir John Lubbock berichtigt einige Berechnungen Horner's, erhält aber die Angaben seines Landsmannes im Allgemeinen aufrecht.**) Auch Sir Charles Lyell ***) und Mayer†) behandeln die Horner'schen Versuche und die daraus gezogenen Schlüsse in kritischer Weise. Ich selbst halte dieselben nichtsdestoweniger der Hauptsache nach für gesichert. (Note II.)

Russegger fand in den an verkalkten und in Braunkohle umgewandelten Resten lebender Pflanzen und an denen lebender Flussmollusken reichen Alluvien des blauen Flusses bei Donthâje im District Seru „verkalkte Menschenknochen im Zustande einer beginnenden Verkohlung."††) Es ist dies ein gewiss interessanter Befund, obwohl er in seiner Vereinzelung und ohne dass dabei Abschätzungen im Prinzip der Horner'schen angestellt, uns nicht sehr fördern kann. Die Verkalkung tritt hier übrigens sehr energisch ein. Pruner fand z. B. ein bis auf den Schaft in eine harte Kalkmasse umgewandeltes Apishorn.†††) Ich erhielt in Aegypten und Nubien aus, im 12ten und 15ten Jahrhundert (n. Chr.) angelegten, Gräbern viele Menschenknochen, die ihres Ossein's fast gänzlich verlustig gegangen, sehr stark verkalkt waren.

*) Es sind daran noch Spuren einer künstlichen Abglättung zu sehen, wie dergleichen auch jetzt an den berühmten Thonwaaren von Siût, Géneh und Denderah vorgenommen wird. Auch die Farbe und Masse der Fragmente entspricht denjenigen der besseren neueren Gulleh's oder Kühlgefässe von dort.

**) Prehistoric Times, as illustrated by ancient Remains, and the Manners and Customs of Modern Savages. London 1865. p. 323.

***) Das Alter des Menschengeschlechtes auf der Erde u. s. w. Deutsch von Dr. L. Büchner. Leipzig 1864. S. 23, 24.

†) Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin von C. B. Reichert und E. Du Bois-Reymond. Leipzig, Jahrgang 1864. S. 724.

††) Reise in Aegypten, Nubien und Ost-Sudan. Stuttgart. II. Th. S. 717.

†††) Die Krankheiten des Orients vom Standpunkte der vergleichenden Nosologie. Erlangen 1847. S. 16.

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