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der

deutschen und ausländischen Literatur.

Sechster Jahrgang.

Heft 27.

7. Juli 1848.

Staatswissenschaften.

[4306] Philosophie der Staatsökonomie oder Nothwendigkeit des Elendes. Von P. J. Proudhon. Deutsch bearbeitet von Karl Grün. 2 Bde. Darmstadt, Leske. 1847. XLIV u. 401, LVI u. 492 S. gr. 8. (3 Thlr. 10 Ngr.)

Unter allen Schriftstellern der im Allgemeinen als socialistisch bezeichneten Richtung, der revolutionären Opposition im Gebiete der Nationalökonomie, erscheint uns Hr. Proudhon jedenfalls als der scharfsinnigste, geistvollste und kenntnissreichste und dabei als ein sehr achtungswerther, von lauterem Gefühl für das Wohl der Menschheit belebter Mann. Er kennt die Wissenschaft und hat von ihr gelernt; er kennt das Leben; er ist nicht, wie die Meisten jener Richtung, in bornirten Materialismus gebannt, sondern hat eine edle sittlich-religiöse Weltanschauung und dem entsprechende Bedürfnisse; er vermag zu denken und zu schliessen, was weit seltener ist, als man meinen sollte; er ist selbst ein praktischer Mann, der sich, wenigstens in diesem Buche, nicht in utopische Träume und Phantastereien, in willkürliche Voraussetzungen und Selbstbetrug verliert, vielmehr als scharfer Kritiker solcher Dinge auftritt. Weil das aber Alles so ist, steht er auch eigentlich allein und opponirt gegen Alles: gegen die geltende Schule, gegen die Grundlagen der bestehenden Gesellschaft, aber auch gegen alle socialistisch-communistischen Theorien und Projecte Anderer; er opponirt gegen SchutzZöllner, wie gegen die Vertreter der Handelsfreiheit, gegen Say und Rossi, wie gegen Fourier und Blanc. Aber auch seine Stärke ist mehr in der Kritik, als im Aufbau, mehr im Aufdecken der Unzulänglichkeit geltender Systeme und der Sinn- und Haltlosigkeit neuer Entwürfe, als im eigenen Aufstellen von Haltbarerem. Er zeigt uns, dass Manches sehr problematisch ist, worin man Sicherheit und Gewissheit zu suchen gewohnt war, aber mit der eigenen Lösung der Probleme haperts. Zum Theil vertröstet er auf weitere Untersuchungen. Mit der deutschen Wissenschaft, die auch innerhalb der Schule manchen Fingerzeig für Lösung jener Probleme geboten hat, scheint er zu wenig bekannt zu sein. Dagegen hat er sich zu seinem Unglück einige

1848. III.

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Anklänge von deutscher Philosophie angeeignet, was nicht gedient hat, die Klarheit und das Praktische seiner Erörterungen zu fördern. Ueberhaupt wirkt eine gewisse Geschwätzigkeit des Werkes nicht selten störend. Doch betrachten wir es uns im Einzelnen. Es beginnt mit einem Prolog, der sich um die ,,Hypothese eines Gottes" dreht und eigentlich eine Variation auf das Thema ist:,,ein wenig Philosophie entfernt von der Religion und viel Philosophie führt zu ihr zurück". Der Glaube an Gott sei zunächst eine sociale Idee und komme dem Einzelnen von der Gesammtheit; er bekomme seine Form von der Analogie und weil das vor der philosophischen Prüfung nicht bestehen könne, so erwachse der Zweifel an der ganzen Idee, der Unglaube.

,,Indem er sich Gott gleich machte, machte der Mensch Gott sich gleich. Jetzt scheint es, als ob Alles zu Ende sei, es scheint, dass, wenn die Menschheit aufhört, sich selbst anzubeten und zu mystificiren, das theologische Problem auf immer beseitigt ist. Die Götter sind abgezogen: der Mensch kann sich nur noch in seinem Egoismus langweilen und sterben. Es ist möglich, dass ich immer noch ein Ich bin, aber es ist mir sehr schwer, mich für das Absolute zu nehmen, und wenn ich nicht das Absolute bin, so bin ich nur die Hälfte einer Idee".

Die Philosophen seien über die Unterscheidung des Geistes und der Materie einig. Auch diese Ausdrücke besagten nichts Reelles und Wahres, sondern jeder von ihnen bezeichne nur eine Spaltung des Absoluten, das einzig wahr und reell sei. Aber das Absolute sei uns unzugänglich, wir kennten es nur durch seine Gegensätze, die allein in unsern empirischen Bereich fielen, und wenn wir auch nur an die Einheit glauben könnten, so sei doch die Dualität die erste Bedingung der Wissenschaft. Nun stellt er zuvörderst den Aberglauben der Materialisten recht gut in seiner Blösse dar. Hierauf kündigt er eine Kritik des Humanismus an, d. h. er will zusehen:

,,ob die Menschheit, in ihrem Ganzen und in allen Perioden ihrer Entwickelung betrachtet, der Idee Gottes Genüge leistet, selbst wenn alle hyperbolischen und phantastischen Attribute Gottes abgezogen sind; ob sie der Fülle des Wesens, ob sie sich selbst Genüge geleistet. Wir müssen, mit Einem Wort, nothgedrungen untersuchen, ob die Menschheit zu Gott hinstrebt, nach dem alten Dogma, oder ob sie es selbst ist, die Gott wird, wie die Modernen sagen".

Zunächst aber bringt der Prolog weiter nichts, als eine beredte, mit manchen treffenden Seitenhieben versehene Ausführung, wozu der Vf. die Hypothese eines Gottes brauche. Der Prolog schliesst mit den Worten:

,,Noch möchte ich, lieber Leser, um dein Urtheil ganz sicher zu stellen, dir die Seele unzugänglich fürs Mitleid, erhaben über die Tugend, gleichgültig gegen das Glück machen. Aber das hiesse zu viel von einem Neuling verlangen. Erinnere dich nur, und vergiss es nie, dass Mitleid, Glück und Tugend, eben so wie Vaterland, Religion und Liebe, Masken sind....".

Das klingt schrecklich; der Vf. meint es aber hier, wie an andern ähnlichen Stellen, an denen seine Schriften reich sind, lange nicht so schlimm, wie es scheint. Er liebt Paradoxen und Kraftsprüche. Das 1. Cap. handelt von der ökonomischen

Wissenschaft. Der Vf. erklärt den Satz, mit dessen Behauptung er beginnt dass es eine Wissenschaft der Oekonomie gebe, für vielleicht den kühnsten, den jemals ein Philosoph behauptet hat". Die grösste That des menschlichen Geistes" bestehe darin, ihn praktisch zu beweisen. Er behauptet aber auch sowohl die absolute Gewissheit, als den progressiven Charakter der ökonomischen Wissenschaft, welche die umfassendste, reinste und am Besten ins Thatsächliche übersetzte Wissenschaft sei und fügt hinzu, dieser Satz mache aus der Oekonomie eine Logik oder (sic) Metaphysik in concreto und gestalte die Grundlage der alten Philosophie radical um. Nur dass die Nationalökonomie absolute Gewissheit biete und einen progressiven Charakter habe, das haben schon Viele vor ihm behauptet, ohne desshalb zu glauben, dass diese Einsicht die Grundlagen der alten Philosophie radical umgestalte. Der Vf. hält aber freilich die zeitherigen Theorien über diese Wissenschaft nur für das ABC, oder die erste Abtheilung derselben und setzt hier hinzu: „, aus diesem Grunde sind sie sämmtlich im Widerspruche mit sich selbst und in den meisten Fällen unanwendbar". Nun das ABC ist jedenfalls die Vorbedingung jeder Wissenschaft und ist im Uebrigen nicht mit sich im Widerspruch und nicht unanwendbar. Weiter sagt er ganz richtig, und eigentlich im Widerspruch mit sich selbst:

,,

,,Die politische Oekonomie ist die Sammlung der Beobachtungen, welche bis auf den heutigen Tag über die Erscheinungen der Erzeugung und der Vertheilung der Güter, das heisst, über die allgemeinsten, natürlichsten, folglich am besten bekundeten Formen der Arbeit und des Tausches gemacht worden sind. Die Oekonomen haben, so gut sie es vermochten, diese Beobachtungen classificirt; sie haben die Erscheinungen beschrieben, ihre Zufälligkeiten und ihre Beziehungen constatirt; sie haben ihnen bei mehreren Gelegenheiten einen Charakter der Nothwendigkeit abgemerkt, wegen dessen sie sie Gesetze nannten; und diese Zusammenstellung von Kenntnissen, die man an den, ich möchte sagen, naivsten Manifestationen der Gesellschaft gewonnen hat, macht die politische Oekonomie aus“.

Er erkennt ganz richtig an, dass der Socialismus, indem er die zeitherige politische Oekonomie verwirft, auch die zeitherige Jurisprudenz und öffentliche Ordnung verwerfen muss, was er auch thut. Er sagt:

Wenn aber die politische Oekonomie falsch ist, so ist die Jurisprudenz, welche in jedem Lande die Wissenschaft des Rechts und des Herkommens ist, ebenfalls falsch, weil sie, gestützt auf die Unterscheidung von Mein und Dein, die Berechtigung der Thatsachen voraussetzt, welche von der politischen Oekonomie beschrieben und classificirt worden".

Nun geht er zur näheren Kritik der von ihm hervorgehobenen Gegensätze der politischen Oekonomie und des Socialismus über. Die erstere wolle nichts von der Organisation der Arbeit wissen und behaupte höchstens: die Arbeit sei bereits organisirt.

,Das aber ist völlig unhaltbar, weil es notorisch ist, dass die Arbeit in keiner Beziehung, dass weder Angebot, noch Nachfrage, noch Vertheilung, weder Quantität und Verhältnisse, noch Preis und Garantie, dass schlechterdings nichts geordnet ist; Alles im Gegentheil ist den Launen der Willkür, d. h. (sic) dem Zufalle überlassen“.

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