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Fleiß und Scharfblick dahin, um die Ideen zu erkennen, welche das Völkerleben in den verschiedenen Zeiten der Geschichte bald instinctiv bald bewußt erfassen und bewegen. Zudem er diese Ideen in ihrer historischen Beziehung zu dem Gange der Weltgeschichte betrachtet, und ihren logischen Zusammenhang mit der Harmonie des Menschengeistes prüft, gelangt er zu einem Urtheil über ihren vorübergehenden oder bleibenden Werth. Indem er die Lebens- oder Handlungsweise der Menschen, die als Vertreter dieser Ideen gelten, und die realen Wirkungen derselben auf die gemeinen Zustände nach den Anforderungen und Verheißungen jener Ideale bemißt, hat er auch einen Maßstab gerechter Beurtheilung sowohl über die handelnden Menschen als über die Ausführbarkeit ihrer Gedanken gewonnen.

Der Standpunkt, von dem aus Laurent diese Entwicklung überschaut, ist weder ein katholischer noch ein protestantischer, überhaupt kein confessioneller, nicht einmal ein christlicher, sondern ein wissenschaftlich menschlicher. Er steht auf einer der Bergeshöhen, deren eine auch Lessing jene entzückende Aussicht gezeigt hat, von der er in der "Erziehung des Menschengeschlechtes. der Welt einiges mittheilte. Auch Laurent hat diese Höhe nur mit schwerer Arbeit des Forschens und des Denkens ersticgen, aber nun fühlt er sich auf derselbenauch frei und licht, und hat den Muth, was er da gesehen, denen zu sagen, welche die Kraft nicht haben, sich ebenso hoch emporzuarbeiten, und dennoch wissen möchten, was ein aufrichtiger Weiser erschaut hat.

Wie er in dem vierten Bande seiner Geschichte des Völkerrechts das Christenthum betrachtet, und in dem fünften die beiden entscheibenden Mächte zur Zeit des ersten Mittelalters, den Katholicismus mit seiner erziehenden Mission und die noch barbarischen Germanen mit ihrer Mission die Welt zu erfrischen und zu befreien dargestellt hat, so behandelt er in dem sechsten Bande "das Papstthum und das Kaiserthum. zur Zeit des zweiten, eigentlichen Mittelalters. Er theilt den Stoff in drei Bücher. Das erste bespricht die christliche Einheit in dem Papstthum und in dem Kaiserthum, die Mission des Papstthums, die geistliche Macht desselben, die Reformen und Ansprüche Gregor's VII, die angestrebte weltliche Macht der Päpste, die Idee 28 Kaiserthums und des deutschen Reichs. Das zweite Buch stellt Kampf der beiden Hauptmächte dar, zunächst den Kampf zwischen

Heinrich IV. und Gregor VII., die Stellung Heinrich's V., dann die geistig bewegtern Kämpfe der Hohenstaufen Zeit, Friedrich's I. mit Alexander III., der Weltmonarchie Innocenz III., Friedrich II. gegen Gregor IX. und Innocenz IV. In dem dritten Buche wird der Verfall des deutschen Reiches und Königthums, aber auch der Verfall des Papstthums, das Schisma, die beginnende Erhebung der Nationalitäten und die ersten Regungen der Gedankenfreiheit gezeichnet.

Ueberall belegt er die behaupteten Thatsachen und die berichteten Aeußerungen mit Quellenzeugnissen. Ein mit der Geschichte des Mittelalters vertrauter Leser wird gelegentlich diese oder jene Ergänzung des Bildes vermissen, da oder dort eine Berichtigung wünschen, aber er wird nie eine Spur von Unwahrhaftigkeit entdecken und mehr noch als den rühmlichen Fleiß die freie Umsicht bewundern, womit der Autor aus der Masse der Wahrnehmungen das für die Hauptaufgabe seines Werkes Erhebliche herauszufinden und zu ordnen weiß. Auch wer an der historischen Kritik der Begebenheiten Manches auszusetzen weiß, wird doch von der logischen und moralischen Kritik der mittelalterlichen Ideen und Zustände die reichste Anregung und Belehrung erfahren. In seltener Weise finden wir in Laurent viele löbliche Eigenschaften und Dinge vereinigt, welche meistens nur in einseitiger Richtung sich finden, den spekulativen Weitblick des Philosophen und den sondernden Scharfblick des Juristen, den religiösen Glauben an die göttliche Weltleitung und die freieste Kritik aller religiösen Offenbarung, Fleiß des Forschens und anmuthige Schönheit im Ausdruck, wissenschaftliche Größe und hohen persönlichen Muth, schneidende Schärfe der Polemik und zugleich humane Milde des Urtheils.

Auch in seinem größeren Hauptwerke, wovon der bezeichnete Band nur einen Theil bildet, verfolgt Laurent in gewissem Sinne ein Jnteresse menschlicher Vervollkommnung. Er hat das Alterthum und das Mittelalter nicht aus Vorliebe für diese Zeiten durchforscht, sondern er hat sich in der Vergangenheit umgesehen, um in ihr Lehren für die Gegenwart und die Zukunft zu finden. In höherem Grade noch zeigt sich dieses praktische Streben in der Schrift über Kirche und Staat, die wir in dieser Studie vorzüglich beachten. Das Ganze ist auf drei Abtheilungen angelegt, wovon aber vorerst nur die

beiden ersten erschienen sind, welche Kirche und Staat im Mittelalter, die Reformationszeit inbegriffen, betrachten. Die dritte Abtheilung soll dann sich unmittelbar mit der Gegenwart beschäftigen und so die Spitze des ganzen Buches werden. Die ersten historischen Abtheilungen dienen zur Orientirung. Sie veranschaulichen die Gegensätze des Mittelalters und der modernen Zeit, sie bezeichnen die Uebergangsstufen aus jenem in diese und schildern im Bilde der Geschichte die Gefahren, in welche ein falscher Weg in verkehrter Richtung die heutigen Völker verwickeln würde.

Indem wir nun seinem Vortritte nachgehen und seine Darstellung nachzubilden versuchen, sehen wir uns sofort in eine von der heutigen völlig verschiedene Weltanschauung verseßt.

Dem Mittelalter schwebte das Ideal eines heiligen Christenereiches als das Ziel der Weltgeschichte vor. Die ganze Christenheit wurde aber als Eine Person betrachtet, deren geistige Potenzen in der Kirche ihre Ordnung und ihren Ausdruck finden und deren leibliche Bedürfnisse in dem Staate ihre Befriedigung suchen. Wie die Seele über den Leib erhaben ist, wie die Seele der Herr und der Leib der Diener ist, so wurde in der mittelalterlichen Theorie der ideale Vorzug der Kirche über den Staat dargestellt.

Diesem Grundgedanken entspricht die Scheidung des Klerus und der Laien, und die Erhebung des erstern über die letztern. Die falschen Decretalen führen diese für das Verständniß der mittelalterlichen Kämpfe so wichtige Unterscheidung auf die Autorität des Apostels Petrus zurück. Die Kleriker sind die Männer des Geistes, die Laien sind die Männer des Fleisches. Jene sind die Hirten, deren Beruf es ist, diese als die Schafe zu leiten. Jene werden dem Golde, diese dem Eisen verglichen, wie die päpstliche Gewalt der Sonne und die kaiserliche dem Monde. Der verworfenste der Kleriker, schrieb Pilichdorf gegen die Waldenser, besißt dennoch eine höhere Würde als der heiligste der Laien. Als das ideale Haupt der Christenheit wird Christus verehrt, und die Priester sind seine Stellvertreter auf der Erde. Bis zum Wahnsinn erhißt sich dieser geistliche Hochmuth in sonst verständigen Männern.

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Das war nicht etwa nur die Meinung einzelner Eiferer und eitler Narren. Es war die gemeine orthodoxe Lehre aller Schulen.

Man wagte es wohl, die Consequenzen der Theorie zu bestreiten und ihre Anwendung zu ermäßigen. man entzog sich ihr häufig im praktischen Leben und ließ nicht selten auch die Geistlichkeit die Uebermacht des weltlichen Arms empfinden; den eigentlichen Grundgedanken, die geistige Natur der Kirche und die leibliche Natur des Staates, wagte man nicht ernstlich anzugreifen. Der kirchlichen Lehre, daß Gott die beiden Schwerter erst dem Papste verliehen habe, damit dieser das weltliche Schwert dem Kaiser übergebe, sette die kaiserliche Partei die Meinung entgegen, daß Gott selbst das weltliche Schwert dem Kaiser verleihe wie das kirchliche dem Papst. Aber die Gibellinen waren ebenso wie die Guelfen geneigt, unter dem Gott, von dem sie die kirchliche und die staatliche Macht ableiteten, sich Christus zu denken und diesem Gotte stand der Papst um seines religiösen Berufes willen offenbar näher als der weltliche Kaiser. Die Erinnerung freilich an den einen weltbeherrschenden Römerstaat, dessen Haupt der Kaiser und dessen Unterthan der Papst gewesen, war nie ganz erloschen und die Ahnung, daß der Staat etwas Anderes und Höheres sei als der Diener der Kirche, lebte wohl fort in dem Gemüthe der politischen Männer; aber man wußte doch nicht dem kirchlichen Grundgedanken gegenüber die höhere Natur des Staates in einem durchgreifenden Worte zu bezeichnen; und weder die Philosophie noch die Rechtswissenschaft waren bewußt und stark genug, um von der bindenden und hemmenden Autorität der Theologie sich ganz zu befreien.

Man muß es anerkennen, die Erhebung des Klerus über die Laien und der Kirche über den Staat hatte im Mittelalter einen Sinn und eine gewisse Berechtigung. Die Geistlichkeit war damals den Laien in der That geistig sehr überlegen. Fast alle Bildung, insbesondere die wissenschaftliche Bildung, war in ihr concentrirt, die Traditionen der antiken Civilisation wurden durch sie vornehmlich erhalten, sie bewahrte die Einheit der europäischen Cultur während der Auflösung des fränkischen Reiches in feudale Anarchie; sie war der Träger der religiösen Dogmen und der Vertreter der christlichen Moral; ihrer Erziehung ergaben sich die Fürsten und die Völker, deren wilde, trozige Roheit nur durch eine göttliche Autorität allmählich gezähmt werden konnte. Verglichen mit der brutalen Gewalt, welche

das rauflustige und ausschweifende Treiben der mittelalterlichen Aristokratie charakterisirt, erscheint der damalige Klerus trotz aller seiner Mängel und Sünden doch wie ein Wohlthäter des Volkes. Seine Macht war unentbehrlich, um die Welt vor dem Rückfall in die Barbarei zu retten.

Nach allen Richtungen breitete die Kirche damals ihre Macht aus; und merkwürdiger Weise mit besonderem Fleiße und nie erschlaffender Zähigkeit, daher mit größtem Erfolge auch in der Richtung, welche ihrem geistigen Berufe am fernsten steht, auf Vermögens erwerb. Sie sammelte unermeßliche Reichthümer und vertheidigte dieselben auf das tapferste wider die Spoliationen und Säcularisationen, welche von Zeit zu Zeit ihren materiellen Besiß bedrohten. Wie die Fluth und die Ebbe wechselt die Strömung, welche bald die Schätze der Kirche anfüllt, bald wieder entleert, und der Kampf des Klerus mit den Laien um den Besitz auch der irdischen Güter hört während des ganzen Mittelalters bis auf die neueste Zeit nie ganz auf. Die Klagen der alten Frankenkönige über das furchtbare Wachs thum des kirchlichen Grundbesitzes werden noch im XVI. Jahrhundert von den katholischen deutschen Fürsten und im XVII. von der Republik Venedig erneuert, und die Säcularisation der Kirchengüter, welche von den karolingischen Fürsten im VIII. Jahrhundert vollzogen worden, wird in der europäischen Säcularisation des XVIII. und XIX. Jahrhunderts in größeren Dimensionen und principieller begründet wiederholt.

Das Eigenthum als römischer Rechtsbegriff ist die absolute Herrschaft des egoistischen Selbstgefühls. Der Eigenthümer will die irdischen Dinge für sich haben mit Ausschließung alles Andern. Wenn die Kirche dem religiösen Princip der Liebe und der Opfer treu blieb, das sie bekannte, so konnte sie am wenigsten an diesem Begriff Gefallen finden. In der That in der idealen Doktrin, welche sie erdachte, um ihren Vermögenserwerb zu rechtfertigen, hat das römische Eigenthum keinen Raum. Sie will kein Eigenthum für sich an den Gütern, die sie verachtet, sie entzieht nur diese Güter der Habsucht und dem Geize der Laien und verwaltet sie nur zu Gunsten der Armen, der Eigenthumslosen. Das Kirchengut gehört nicht mehr dem kalten herzlosen Egoismus der Eigenthümer an, es ist geheiligt

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