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aber können nach ihren strengen Instituten auf Gewalt und Herrschaft keinen Anspruch machen, und die despotische Hierar chie der spåtern Zeit ist erst Entärtung des alten Inder thumes. Anfänglich war diese Einrichtung gewiß gut und milde, weil sie im entgegengesezten Falle keine Anerkennung, feste Dauer und Umfang würde erlangt haben; die Gesetzgeber suchten die Cultur des Volkes in Religiositát, guten Sitten und nüßlichen Künsten, fie gingen auf Sanftmuth, Mäßigkeit und Keuschheit aus, und schon als Erzieher der. Jugend haben die Brahmanen ein Verdienst wie kein Stand bei irgend einem Volke der alten Welt, da sie selbst einfacher Sitten sich beslissen und kein Streben nach irdischen Gütern sie beseelen sollte. Erst als die Gerechtigkeit handhabende Caste der Brahmanen den Sinn für das Gute und Heilige verloren und sich in stolzer Anmaßung für die Herren der Schöpfung erklärt hatte, als sie das Volk mit den Banden der Caste immer enger zu umstricken trachtete, erst dann wirkte diese Institution auf die Volksbildung verderblich ein. Indeßen håtte bei Betrachtung der Casten vor allen Dingen berücksichtigt werden sollen, daß Manus Gesetz niemals in seiner ganzen Strenge ausgeübt worden, und daß es fast den selben Gang genommen, wie die Levitischen Unordnungen, die, zuerst eine Zeitlang im Volke lebend, durch immer wachsende Priestergewalt befestigt, endlich mit ihren kleinlichen Vorschriften der jüngsten Zeit aufgeschrieben, und zum Theil befolgt wurden, als der jüdische Staat bereits seinem Untergange sich nahte. Die priesterliche Geschichte hat es auch hier genugsam gerügt, wie oft die Geseze umgangen worden und wie unwillig der Geist den Feßeln sich gefügt habe, gerade wie es in Indien der Fall ist, wo selbst in der jün geren Zeit, nachdem die Hierarchie die höchste Stufe der Tyrannei erreichte, so manche Schranke durchbrochen worden. Wir sehen dieses bereits zu den Zeiten der Macedonier im Penjab, welches von jeher in freieren Kreisen sich bewegte, wie eine ganze Stadt der Brahmanen fich in kriegerische Verhältniße einläßt, und wo nach dem Mahabharata das Band

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der Caste so locker geworden ist, daß es fast unbeachtet scheint. Die dortigen Inder waren so weit davon entfernt, ihrem Gewerbe fest anzuhängen, daß sie augenblicklich von Haaren die Schwämme nachmachten, welche sie bei den Griechen erblick-. ten 143), wozu also keine eigene Mittelcaste bis dahin sich gebildet hatte. Und wie vertrüge es sich mit den Casten, wenn die Trennung so scharf wäre, als einige Berichterstatter es uns einreden wollen, daß der Inder nach europäischen Mustern arbeitet, um sich den Abnehmern gefällig zu machen 144)? wie mögte wol diejenige Caste entstehen oder Fortgang haben, welche gegenwärtig mit der Englischen Sprache und Literatur fich beschäftigt, oder die, welche Pistolen und Schnupftabaksdosen mit französischen Devisen verfertigt 145)? Von jeher gab es in Indien eine zahlreiche Menge von Anhängern derjenigen Religionsphilosophie, welche den Namen jnâna führt, und diese wenigstens achten keinen Castenunterschied, sondern eßen mit jedem Menschen, und werden deshalb im Geringsten nicht als Keher, vielmehr noch als Weise betrachtet 146). Von jeher treiben die Kshatriyas Handel und Gewerbe, selbst Sudras` haben, wie der tapfere Mahrattenanführer Mararow, Fürstenthümer an sich gerißen 147), und im Alterthume schwang sich bekanntlich Sandrakottus aus niederem Stande zum Alleinherrscher auf, wie nicht sowohl die Geschichte verbürgt, als selbst sein Name andeutet, der nur einem Vaisya zukommt. Und so dürfen wir wol mit dem gründlichsten Kenner des alten Inderthums und des jeßigen Volkslebens schließen, daß aus den unzähligen Mischungen hervorgehe, wie eigentlich kein Stand abgeschloßen sey, als das Brahmanenthum 148), oder

143) Strabo p. 493.

144) Munro bei Sprengel: Neue Beiträge zur Völkerkunde, VII G. 80.

145) Heber Journal II. p. 306. 382.

146) Lacroze Indischer Kirchenstaat S. 635.

147) Papi Briefe S. 42.

148) Colebrooke in Asiat. Res. V. p. 64.

mit einem neuern Werke einstimmen, wenn es zu zeigen sich bemüht, daß die ganze Casteneintheilung in Indien null und nichtig sey 149). In der That greifen selbst da, wo eine strenge Absonderung angenommen wird, die Stånde so unmerklich in einander, wie in jedem andern Staate, und zwar in dem Maaße, daß sie dem Unkundigen fast verborgen bleibt. Besonders ist dieses außerhalb der Städte der Fall, und wir erlauben uns in dieser Hinsicht die Schilderung eines Indischen Dorfes nach Mark Wilks mitzutheilen, welche ebenfalls von Heeren und Rhode angezogen wurde: »Jedes Indische Dorf ist, und scheint es immer gewesen zu seyn, eine abgesonderte Gemeinde oder Republik, und giebt ein lebendiges Bild von dem Zustande der Dinge, wie ihn Theoretiker sich auf der ersten Stufe der Sittigung vorstellen, wenn Menschen in Gemeinden sich sammeln und gegenseitig einer den andern unterstüßt. Folgende zwölf Personen findet man in jedem Dorfe: den Richter (Potail), den Registrator oder Einnehmer, zwei Wächter, einen für das Dorf, den andern für die Felder, den Vorsteher des Waffers, der dieses aus Flüßen und Behåltern auf die verschiedenen Felder gleichmäßig vertheilt, den Astrologen, der die Zeit der Aussaat und Ernte ankündigt, und die glücklichen und unglücklichen Stunden für alle Wirthschaftsangelegenheiten bestimmt. Ferner findet man den Schmid und den Zimmermann, welche die rohen Hausgeråthe und die noch rohern Wohnungen der Wirthe verfertigen, den Töpfer, welcher den Bedarf des Dorfes liefert, den Wäscher, der die wenigen Kleider reinigt, die in den Familien selbst gesponnen, gewebt und verfertigt, oder auf dem nächsten Markte gekauft sind, den Barbier und den Silberschmid, welcher die einfachen Zierrathen verfertigt, die Frauen und Mädchen schmücken. Diese zwölf, in jeder Gemeinde angestellten, Mitglieder erhalten den Lohn für ihre

149) Rickards India, or facts submitted to illustrate the character and condition of the native inhabitants. Lond. 1828. Ich ha be mir dieses Werk nicht verschaffen können, sondern kenne es nur aus Anzeigen.

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Dienste entweder in einem Antheil an den Gemeindeåckern, oder einen Gehalt, der in einem bestimmten Theil der Ernte jedes Wirths im Dorfe besteht. Zuweilen werden die Felder des Dorfes gemeinschaftlich bearbeitet, gewöhnlich aber bestellt jeder seinen eigenen Acker 150).« Wilks fügt noch hinzu, daß Indien eine Masse solcher Republiken bilde, daß die Gemeinden mit großer Ergebenheit an ihrem Potail hangen, und es ihnen gleichgültig sey, wer Oberherr des Landes werde, wenn nur die durch Grenzsteine abgemarkte Ortschaft ganz bleibe.

Eine Hypothese über die Entstehung der Casten hat Heeren aufgestellt 151), die bei der anscheinenden Einfachheit dennoch ihre Schwierigkeiten hat: die Rangordnungen nämlich seyen wol durch wechselseitige Besiegung herbeigeführt und zwar so, daß man die Sudras als die primitiven Einwohner Indiens anzusehen habe, wohin besonders die Kämpfe zwischen Brahmanen und Kshatriyas deuten mögten. Allein Herder bemerkt sehr richtig, daß eine ähnliche Abtheilung der Stände zu den einfachsten Einrichtungen der menschlichen Gesellschaft, auch bei andern Völkern gehöre; die Brahmanen seyen ja nicht kriegerisch, aber sie hätten alle Weisheit in Hånden, und Weisheit gehe vor Stärke. Auf gleiche Weise sucht auch Schloffer die natürliche Entstehung einer denkenden, wehrhaften, verwaltenden und arbeitenden Volksclasse zu entwickeln 159), und wahrlich, gerade in Indien konnte nach religiösen Ideen diese Entwickelung sich am ehesten so gestalten, wie wir sie entfaltet finden, da nach der Emanationstheorie sich Alles verschlechtert, und wie der Brahmanenstand das göttliche Weltalter auf Erden repräsentiren soll, so stellt dagegen der Sudra die gegen wärtige, schlechte Zeit dar. Zudem hat die physische Bildung

150) M. Wilks sketches I. p. 117. Heeren hist. Werke XII. 6. 307. Rhode a. a. D. II. S. 565.

151) Heeren a. a. D. S. 251. ff.

152) Schlosser Universalhist. I. E. 66. Vergl. auch Edinburgh review XLVIII. p. 33. seq.

des gesammten Indischen Volks längst gezeigt, daß auch die vierte Caste zu demselben brahmanischen Stamme gehöre, und daß man als bezwungene Urbewohner des Landes nur die. Parias und ähnliche verwilderte Ståmme anzusehen habe, die aber nicht zu den Casten gerechnet werden. Die Bemerkung von Malcolm, welche man etwa hier noch in Anwendung bringen könnte, daß manche Gewerbe, wie unter andern das der Goldarbeiter, den untersten Abcasten überlassen sind, die also wol zurückgedrängt seyn mögten, als die brahmanische Castenverfaßung eintrat 153), entscheidet hier fast gar nichts, da jene doch immer zum Indischen Stamme gehören, und die Gesetze des Manus eine zu willkürliche Entartung der Casten annehmen, als daß sie irgend für historische Thatsache gelten dürfe; noch weniger aber ist auf die Ansprüche der Bhills zu geben, daß sie einst eine cultivirte Nation gewesen, denn sie haben sich, wie es aus den brahmanischen Göttern, denen sie huldigen, und aus andern Einrichtungen ersichtlich wird, nur den Brahmanen anbequemt, und gehören ohnedieß nicht zum Indischen Stamme. Das Argument der gegenseitigen Unterjochung müßte man doch auch bei mehren alten Nationen mit gleicher Verfaßung geltend machen können, indeßen ist bei der altpersischen Casteneintheilung keine Spur von dem Waffenglücke der Magier; der Stamm Levi erwarb sich nicht durch Uebermacht den Vorrang in der jüdischen Hierarchie; in Aegypten läßt sich keine solche Entstehung der Casten nachweisen, eben so wenig wie in Iberien, wo Strabo eine völlig Indische Verfaßung von vier Stånden: Priestern, Kriegern, Ackerbauern und Sclaven namhaft macht 154), ja selbst in Merico hatte sich neben dem Priesterstande eine Art Adel von selbst gebildet, während die unterdrückten Mayeques die Sudras der Uzteken vorstellen konnten 155). Die Kämpfe der

153) Transactions I. p. 65.

154) Strabo p. 501.

155) Robertson Geschichte von Amerika II. S. 332.

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