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N. V. DRUKKERIJ V/H KOCH & KNUTTEL GOUDA

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VORWORT.

Es gibt in Deutschland eine niederländische Legende, eine traditionelle Vorstellung der kulturellen Vergangenheit und Gegenwart Niederlands, die nicht nur der Privatbesitz breiterer Laienkreise ist, sondern auch in der wissenschaftlicheren Welt noch immer sich ihres Daseins erfreut. Niederland oder,,Holland" - wie es die Überlieferung mit geschichtlicher Berechtigung, pars pro toto, nennt gilt als ein Land von typischnationalem Charakter, in dem sich die volkstümliche Eigenart auf dem Gebiet des nationalen Kulturlebens ganz unversehrt erhalten haben soll. Für die Laienkreise verkörpert sich diese Vorstellung sogar in den Holzschuhen und Pumphosen, womit man sich jeden echten Holländer ausgestattet denkt.

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Dieser Umstand nun ist darauf zurückzuführen, dass die deutsche Wissenschaft im allgemeinen nie versucht hat, direkt in die kulturellen Verhältnisse des Nachbarlandes einzudringen, sondern sich meistens nur auf die niederländischen Darstellungen verlassen hat. Nicht nur dass die Arbeit eines deutschen Forschers, Hoffmann von Fallersleben, der durch längeren Aufenthalt im Lande und eingehende Untersuchungen zu ganz entgegengesetzten Resultaten gelangt war, unbeachtet blieb, noch mehr: die erste Erkenntnis der wirklichen Sachlage in Niederland selbst, das inhaltschwere Geständnis Jonckbloets), die ganze niederländische Dichtung sei immer ein,,Treibhausgewächs" gewesen, fand in Deutschland energischen Widerspruch bei Forschern, die sich mit der niederländischen Kulturgeschichte eingehender befasst hatten. 2) Derselbe Bann einer grossen wirtschaftlichen Vergangenheit, der die niederländischen Anschauungen noch immer fesselt, hält auch die deutschen umfangen.

Noch immer betrachtet man ,,Holland" im zauberhaften Licht des

1) W. J. A. Jonckbloet: Geschiedenis der Nederlandsche Letterkunde. 1885. II, S. 11. 2) Karl Men ne: Die Entwicklung der Niederländer zur Nation. 1903. S. 84. (Angewandte Geographie I. Serie, Heft 6):

Den höchsten Flug nahm die niederländische Literatur in Joost van den Vondel, Niederlands grösstem Dichter. Durch ihn wird genugsam Jonckbloets einseitige Behauptung von der poetischen Treibhauspflanze der Niederlande wiederlegt.

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Vgl. auch S. 82.

,,goldenen Zeitalters": es ist ein plantastisches Bild, wie aus der Zauberlaterne, worin der abstrakteste Humanismus mit dem plastischen und realistischen Volksleben zu einem harmonischen Ganzen verschmilzt, und die Dichter Vondel und Cats zu dem Inbegriff der volkstümlichen Kunst werden, wie etwa Frans Hals, Jan Steen, Teniers, Vermeer u. A. auf dem Gebiete der Malerei.

Es ist dies ein ganz einzig dastehendes Beispiel der suggestiven Wirkung einer geschichtlichen Vergangenheit. Diese Vergangenheit, diese Grösse war bisher das Verhängnis des niederländischen Volkes. Um jeden Preis hat man die Traditionen des „,goldenen Zeitalters" zu erhalten versucht. Der schlimmste Lokalpatriotismus wurde dadurch gezüchtet: aus Vondel wurde ein Shakespeare, aus Bilderdijk ein Goethe gemacht und alles Niederländische wurde verherrlicht, um nur ja nicht hinter anderen Nationen (besonders Deutschland) zurückzubleiben. Dadurch wurde jede nationale Wiedergeburt, jede neue Belebung stets im Keime erstickt und ihr jede Lebensmöglichkeit genommen.

Eine Kultur, die im Humanismus stecken geblieben war: diesen Eindruck — sagt Kossmann 1) machte Niederland auf die Deutschen am Anfange des 19. Jahrhunderts.

Wohl kaum ward ein Glaubenssatz zu solch einer hohlen Form wie in Niederland die Bewunderung für die humanistischen Dichter des 17. Jahrhunderts. Grade hier zeigt sich noch, wie stark die Nachwirkung dieser Vergangenheit ist, dass zwar die Oligarchie einer städtischen Patrizierclique im politischen Leben verschwand, aber auf kulturellem Gebiete noch immer vorherrschend blieb. Aus Furcht, „,ungebildet" zu erscheinen, stimmt jeder, der zu den „gebildeten" Kreisen gehören will, in die Bewunderung für jene Dichtung ein, obgleich keiner im Stande ist, sich daran zu erwärmen, und besonders die Jugend in den Schulen mit leerem Herzen dabei ausgeht. Und grade in diesem konventionellen Glauben zeigt der Niederländer, der sich gelegentlich gerne über die barbarische Stufe des Nationalismus erhaben wähnt, seinen starken patriotischen Sinn, indem er meint, die Verehrung der politisch-wirtschaftlichen Ruhmeszeit seines Landes notwendig auf die gleichzeitige literarische Periode ausdehnen zu müssen.

In den letzten Jahrzehnten aber zeigte sich ein leises Schwanken in dem von den Vätern überlieferten Glauben, schien es, als dämmerte schon die Erkenntnis der nationalen Verarmung vor den Augen einzelner Suchenden auf. Es wurden Stimmen laut, die der jahrhundertelangen Herrschaft der bürgerlichen Poesie offen den Gehorsam und den Glauben kündigten.

1) E. F. Kossmann: Holland und Deutschland. 1901. S. 32.

Nicht direkt von aussen kam die Anregung zu dieser Umwälzung. Der Deutsche verkennt den niederländischen Charakter sehr, wenn er annimmt, ihn unmittelbar beeinflussen und bestimmen zu können. Eine jahrhundertelange Trennungszeit liegt zwischen beiden: in dem Niederländer ist die Erinnerung an eine soziale Anciennität und kulturelle Überlegenheit noch zu lebendig. Sogar die Arbeit eines Deutschen, der im Lande heimisch geworden war, die Tätigkeit Hoffmanns von Fallersleben blieb vorläufig scheinbar ohne Einfluss, ohne Nachwirkung, obwohl er sich rühmen konnte, dass der echteste „Holländer" und zugleich der grösste Deutschenhasser, der Dichter Bilderdijk, von ihm gesagt hatte,,,obschon er ein M of ist, so mag ich ihn doch wohl leiden" 1), und er von ihm sogar zum Abschied in bezug auf seine Tätigkeit die Widmung erhielt:

En wie de vaderlandsche taal

Voor wanspraak stelt en klaterpraal,
Of wien de aaloude Biederkeit
In 't Duitsche hart besloten leit:
Dien bied ik willig hart en hand
Ter eer' van 't oude Vaderland.

(1821) 2)

und ihm der gefeierte Redner Jan Hendrik van der Palm zum Andenken schrieb:

,,Zonder geestdrift werd nooit iets groots verrigt. Zij alleen komt hindernissen te boven, die zonder haar zelfs door vlijt en volharding niet te overwinnen zijn. Ga dan voort Hoffman, in de schoone taak, die gij op u naamt, met diezelfde edele geestdrift, die u de achting en liefde der brave Nederlanders verzekerd heeft." 3)

Es gehörte eine grosse Selbstüberwindung dazu, von dem hohen Piedestal herunterzusteigen, nachdem man allmählich zu der Entdeckung gekommen, dass schon zwei Jahrhunderte verstrichen waren, seit man den hohen Posten eingenommen hatte.

Denn Bilderdijk glaubte noch felsenfest an die Überlegenheit der niederländischen Sprache und Dichtung und spricht noch i. J. 1808 von Deutschland als het domst en geestloost land" und von „Schillers drekhoop bij 't goud van Sophokles". 4) Zu dieser Zeit aber besass Deutsch

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1) H. Hoffmann von Fallersleben: Loverkens. Horae Belgicae, Pars VIII. 1852. Vorrede, S. III.

2) Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinne. rungen. 1868. S. 284.

3) ibidem. S. 287.

4) J. W. Bilderdijk: Mijn Buitenverblijf. (Dichtwerken. 1859). Deel XII. S. 104, 105.

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