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Wenn daher jene Vertheidiger des historischen Rechtes auf dem Gebiete der Orthographie nichts einwenden gegen das Fortschreiten des Lautes, warum suchen sie mit solcher Aengstlichkeit die Schrift in ihren alten Formen festzubánnen? Müsste nicht vielmehr ihr sehnsüchtiger Blick nach der guten alten Zeit in dem Reiche des Lautes zum Vorschein kommen? In der That, man sieht es nicht ein, warum gerade die Schrift leiden soll, während der eigentliche Urheber, der Laut, ungeschoren bleibt.

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Als völlig unberechtigt erweist sich daher ein Ausfall, den Weinhold bei Gelegenheit seiner Darlegung des verschiedenen Ursprungs des verdoppelten scharfen „,s" gegen die phonetische Partei macht. Er sagt: „Von Männern, welche den Satz: schreib' wie du sprichst entweder ohne weiteres oder nur verhüllt zum Grundgesetz der Lautbezeichnung machen, ist allerdings keine andere Ansicht zu erwarten und mit ihnen lässt sich nicht rechten; mögen sie ihre Schreibweise nach jedem Jahre und nach jedem Hause ändern! Ich aber glaube noch an eine Geschichte und ein inneres fest und fein gegliedertes Leben der Sprache und habe Ehrfurcht vor ihr als der Schöpfung des ewigen Geistes, an der nicht jeder nach seinem zufälligen Belieben und nach der Biegung seiner Zunge ändern darf.“ Was hat wohl in diesen Worten der letzte Satz mit dem vorangehenden zu schaffen? Muss denn derjenige, welcher für die Schrift keine andere Norm hinstellt als den gesprochenen Laut, darum den Glauben an die Geschichte und das innere fest und fein gegliederte Leben der Sprache, darum die Ehrfurcht vor ihr verloren haben? Die Geschichte und das Leben der Sprache ist doch die Geschichte und das Leben des Lautes. Nun beweist der Phonet doch wahrlich mehr Ehrfurcht vor dem Laute, er der jenes Leben des Lautes, jene Entwicklung desselben auch in die Schrift eingraben und durch die Schrift in recht weiten Kreisen zum Bewusstsein bringen will. Von gleicher Verwirrung zeugt es, Weinhold dem Phoneten vorwirft, dass er es jedem anheimstelle, die Sprache nach seinem Belieben und nach der Biegung seiner Zunge zu ändern. Den Laut lässt der Phonet völlig unangetastet; ja auch die Schrift giebt er nicht im entferntesten dem Belieben des Einzelnen preis; er will nur, dass die Schrift dem

wenn

Laute in seinen Entwicklungen folgen, nicht aber bei einem Entwicklungsstadium desselben stehen bleiben soll. Wenn daher der Phonet wirklich, um mich jener Uebertreibung Weinhold's zu bedienen, nach jedem Jahre und nach jedem Hause seine Schreibweise ändern müsste, so würde er hierzu doch nur durch die Veränderlichkeit des Lautes gezwungen werden. Wenn aber gegen jene Veränderlichkeit des Lautes man sich nicht sträubt, wenn man dagegen keine Hemmungen zu bereiten strebt, SO bleibt es in der That unbegreiflich, warum Veränderungen der Schrift, die doch nur dazu da ist, den Laut sichtbar zu machen und dadurch zugleich festzuhalten und zu verbreiten, mit so missgünstigem Auge aufgenommen werden.

Wir kommen nun zu dem zweiten Nebengesetze, nämlich dem, welches man hinsichtlich derjenigen Laute aufgestellt hat, die ein Volk von einem andern Volke herübernimmt. In der Praxis finden wir hier ein eigenthümliches Schwanken, das sich oft auf die seltsamste Weise äussert. So zeigt sich bisweilen in deutschen Schriften, dass in einem Fremdworte ein und derselbe Buchstabe, wenn er zweimal darin vorkommt, einmal durch das fremde, das andere Mal durch das einheimische Zeichen angedeutet wird. Z. B. fand ich: „Conflikt“ (Vossische Zeitung vom 31. Dez. 1865: Die Geschichte der Geographie im 16. Jahrh.); „Blutzirkulation“ und zugleich: „Blutcirkulation" (Magazin f. d. Lit. d. Ausl. v. 16. Sept. 1865: Der Zusammenhang der menschlichen Empfindungen mit dem körperlichen Herzen); „, Classifikation, Classifizierung, Präjudicierende, Conjunctionen, Disjunktiv fragen" (Zeitschr. f. d. Gymn.wesen, hrsg. v. Jacobs u. Rühle. Febr. 1866, S. 116 f.) Im Ganzen lässt sich jedoch von der Praxis sagen, dass in ihr immer mehr und mehr bei Wörtern, die unsrer Sprache eingebürgert sind, die einheimische Lautbezeichnung sich geltend macht.

So finden wir denn auch bei Theoretikern auf diesem Gebiete, dass sie nur bei solchen Wörtern, welche noch nicht eingebürgert oder deren Lautverhältnisse den deutschen nicht anbequemt sind, verlangen die fremde Schreibweise treu wiederzugeben. Nicht genug kann man sich freilich bei einigen dieser Theoretiker wundern, welches Urtheil sich in ihrer Praxis über

das Eingebürgertsein oder Nichteingebürgertsein eines Wortes kund giebt. Sie scheinen hier dem Grundsatze zu huldigen, einem Fremdlinge das Bürgerrecht so lange wie möglich vorzuenthalten. So schreiben sie: „Punkt," aber: „Vocal", „Consonant"; "Concurs", aber: "Gouvernante"; "Silbe", aber: "System". Selbst ein Wort wie Charakter erscheint bei ihnen noch immer mit „ch." Ja sie sprechen ihre Neigung zur Beibehaltung der fremden Schreibweise wohl auch aus und gestehen uns z. B. bei Wörtern, die aus dem Lateinischen stammen, dass sie das „c" gern als charakteristisch beibehalten möchten, obwohl dem allmählich fortschreitenden Gebrauche von „,k" und „z“ für „c“ wohl kaum Einhalt gethan werden könne.

Entschiedener tritt dagegen eine Partei auf, der besonders altklassische Philologen angehören. Nach ihnen soll die fremde Schreibweise streng und konsequent festgehalten werden. So schreiben die neuen Jahrbücher für Philologie und Pädagogik von Fleckeisen und Masius in ihrem ersten Theile, der sich bekanntlich von dem zweiten in der Schreibweise unterscheidet, bei, jedem Worte lateinischen Ursprungs beharrlich „c“ und geben durch die Schreibweise die griechische oder lateinische Abstammung eines Fremdwortes an. Also: „Classe," aber: „praktisch;" Capitel," aber: „syntaktisch."

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Welcher Richtung sollen wir uns nun anschliessen? Sollen wir bei Fremdwörtern die fremde Schreibweise unberührt lassen und dadurch das Fremdwort, obgleich wir es zu uns herübergenommen haben, dennoch stets als Fremdling kennzeichnen oder sollen wir es, eben weil wir es bei uns aufgenommen haben, es auch als unser betrachten und behandeln? Um diese Frage zu entscheiden, ist es gut auf das Motiv zu achten, welches eine Anzahl von Männern zu der Aufstellung eines solchen Nebengesetzes für die Schrift geführt hat, das von der alleinigen Aufmerksamkeit auf den in unserm Munde lebenden Laut abzieht. Es ist dies wohl hauptsächlich ein gewisses Gefühl der Achtung, das mit fremdem Gute nicht wie mit eigenem schalten zu dürfen glaubt. Allein dies Gefühl der Achtung ist doch hier, wie mir scheint, schlecht angebracht. Man stelle sich nur einmal die Sachlage klar vor! Aus dem Lautschatze eines fremden Volkes entlehnen wir Laute, um unsere Gedanken

damit zu bezeichnen. Entspringt nun freilich auch häufig die Herübernahme eines fremden Lautes aus der Eitelkeit, die nach dem Seltnen, Aussergewöhnlichen hascht, so ist doch andrerseits nicht zu verkennen, dass auch der empfundene Mangel eine Macht ist, die uns treibt, anderwärts Laute zu entnehmen. Ja es kommt sogar vor, dass wir gezwungen sind, Laute zu borgen, sobald wir Begriffe herübernehmen, die auf fremdem Boden entsprossen sind. Ich erinnere an den Begriff des Naiven. Muss nun nicht ein Volk darüber Stolz empfinden, wenn ein andres das von ihm entlehnte Gut ganz wie sein eignes behandelt und nicht als fremdes kalt von dem eignen absondert? Umgekehrt aber von dem Standpunkte des entlehnenden Volkes, wird man die von ihm gemachte Entlehnung nicht dann erst recht billigen, wenn sie ganz in Fleisch und Blut übergegangen ist? Wenn wir ferner andre Erzeugnisse eines fremden Landes nach unsern Bedürfnissen, nach unsern Interessen verarbeiten und verwerthen, warum sollen wir es mit den ausländischen Lauterzeugnissen nicht ebenso machen?

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So finden wir denn auch, dass, was den Laut betrifft, sich die einheimischen Lautgesetze bei der Aussprache häufig gebrauchter Fremdwörter bald geltend machen, weil sie den Organen naturgemäss innewohnen. Z. B. sieht man es im Deutschen bei dem anlautenden ,,8," welches hier ein weiches ist. Wie oft hat dasselbe bei Fremdwörtern das anlautende scharfe „8" verdrängt! Man vergleiche nur die Aussprache des „s" in dem französischen Worte: „Salade" mit der in dein davon herkommenden deutschen Worte: Salat." Man beachte auch in demselben Beispiele, wie das weiche auslautende „d“ in „salade" bei dem Uebergang in's Deutsche zu einem harten: „t" geworden ist, eine Veränderung, die gleichfalls auf einem der deutschen Zunge innewohnenden Naturgesetze beruht, nämlich dem, dass weiche Laute, wie: b, g, d, w im Deutschen nur als Anlaute, nie aber als Auslaute einer Silbe gesprochen werden können. Glücklicherweise hat bei dem genannten Beispiel die Veränderung des Lautes auch in der Schrift Berücksichtigung gefunden, da das französische „de" durch „t" ersetzt worden ist. Wenn man nun gegen solche Veränderung im Laute nichts einwendet, ja nichts einwenden kann, warum soll es dann ver

boten sein, sie auch in der Schrift bemerkbar zu machen? Was soll daher jene Aengstlichkeit, mit der man z. B. bei den aus dem Griechischen stammenden Wörtern das „ph" für das griechische," festzuhalten sucht. Dem Laute nach klingt das griechische," im deutschen Munde wie „f" und es kann nicht anders klingen, da dem Deutschen als Aspirata zu „b“ und „p“ von Natur kein andrer Laut als das „f" gegeben ist. Diese lautliche Veränderung ist also keine willkürliche, sondern eine durchaus gesetzmässige. Wenn man Achtung vor dem Fremden hat, so dünkt mich, müsste diese sich in der Reinerhaltung des fremden Lautes offenbaren, nicht aber auf dem untergeordneten Gebiete der Schrift. Für die Reinerhaltung des fremden Lautes aber, wofern sie nach den einheimischen Lautgesetzen möglich ist, hat sich die Beibehaltung der fremden Schreibweise nur schädlich erwiesen, indem man die fremde Schreibweise nach einheimischer Art gelesen hat. Dies würde bei der Wiedergabe des fremden Lautes durch die einheimischen Schriftzeichen vermieden werden. Fremde Schriftzeichen wären demnach nur dann festzuhalten, wenn sich unter den einheimischen Schriftzeichen keine entsprechenden fänden, weil eben die betreffenden Laute nicht in dem einheimischen Lautsystem vorhanden sind.

Es bleibt uns endlich noch die Prüfung des dritten Nebengesetzes, welches für die Rechtschreibung aufgestellt worden ist. Es befielt uns dasselbe, bei zusammengehörigen Lauten den Grundlaut als normativ für die Schreibung der übrigen Laute zu betrachten. Es gilt dabei die durch eine vokalische Endung verlängerte Gestalt des Stammes als Grundform und die hier sich zeigende Stammesform soll in der Schrift unverändert festgehalten werden. Demnach soll bei „lob-en" in allen durch die Flexion entstehenden Formen stets das „b“ geschrieben werden, obgleich es dem Laute nach in mehreren Formen zu "p" wird; z. B. in: „gelobt." So soll ferner in: „,seh-en" das „h" stets bleiben, obgleich es am Ende oder vor einer konsonantischen Endung nicht gesprochen wird wie in: „,sah," ,,sahst." Dasselbe findet bei Hauptwörtern statt. Man soll z. B.: „Glied" schreiben, weil das „d“ in „Glied-er" gesprochen wird, es also dem Stamme eigen ist.

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