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Erstes Capitel.

Reise bis Petersburg.

Abreise; Berlin; Stralsund; Pferderennen; das preußische Dampfschiff; Seekrankheit; Dornbusch; vergebliches Warten auf das Lübeck : Petersburger Dampfschiff; Rückkehr nach Stralsund; die Insel Umanz; Rügen; abermalige Abreise; das Lübeck: Petersbur ger Dampfschiff; Reisegesellschaft; ein Brand; der Sonnenaufgang und Untergang auf dem Meere und auf dem Lande; Eintönigkeit des Schifflebens; finnischer Meerbusen; Kronstadt; die Zollbeamten; die diplomatischen Depeschen; Petersburg.

Tausenderlei Gedanken zogen meiner Seele vorüber, als ich nach einem schweren Abschiede früh am 5. Mai 1836 allein in dem mir bekannten Postwagen saß und dem freundlichen Naumburg zufuhr. Die Einsamkeit war mir wohl niemals theurer gewesen, als gerade jetzt, wo ich noch einmal überlegte, was ich eigentlich unternahm und welchen Gefahren ich entgegenging. Früher hatte ich nie an Gefahren gedacht, aber jetzt, wo ich nicht mehr mir ges hörte, wo mein Leben an ein zweites sich gekettet hatte, mußte auch ich diese bedenken. Der Wunsch, die Natur in der Natur, wie sie frei und unverfälscht ist, zu studiren, wenn auch nicht zu ergründen, trieb mich fort in die unbekannten Gegenden des Gebirges, von wo aus Prometheus den Göttern das Feuer heimlich entwendete und wo er so grausam büßen mußte. Die Wissenschaft, der ich mich gewidmet, hatte ein Recht auf mich, daß auch ich auf ihrem Altare Opfer bråchte, und so reifte nach und nach der Entschluß in mir, die unbekannten Gegenden des Kaukasus zu besuchen. Und was ich einmal fest in mir beschlossen, konnte auch die Liebe, welche erst später in meinem Herzen eingezogen, nicht vereiteln. Ja, was vielleicht unglaublich scheinen kann, sie bestårkte den Vorsaß in mir und schwärmte im voraus in den Genüssen, welche aus der Trennung selbst hervorgehen mußten und in der Trennung lagen. Dem theuern Vaterlande und all den Bergen und Triften, auf denen ich so oft und so gern, an jedem Pflänzchen mich erfreuend, herumgeschwärmt war, hatte ich das lezte Lebewohl zugerufen und dachte schon wieder an den Tag der Rückkehr, wo auch ich für den Ruhm des Vaterlands etwas beiReisen und Länderbeschreibungen. XXIII. (Reise nach Kaukasien.)

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getragen håtte und vielleicht, gewiß zum Theil, Anerkennung finden würde und sie gefunden habe.

Rasch eilte ich von Naumburg aus mit der Post über Leipzig und Wittenberg nach Berlin, wo ich erst die Männer kennen lernen wollte, deren Namen an dem Horizonte der Naturwissenschaften hell leuchten. An ihrer Persönlichkeit wollte ich die Kraft, die mich beseelte, ståhlen; von ihnen wollte ich selbst die Erfahrungen holen, die mir Neuling in der Wissenschaft und im Reisen entgingen, be vor ich selbst in die unbekannte Fremde auszog. Den Cyklus von Männern, die uns Amerika erst aufschlossen, welche die Länder der Südspitze Afrika's unserer Wißbegierde eröffneten, die uns sogar mit den Infusorien der Wüsten Arabiens und Aegyptens bekannt machten, die uns die Pflanzen des äußersten Westens von Europa kennen lehrten, welche die Gefahren und Mühen einer Weltumseglung nicht scheuten, die ganz Europa durchwanderten und den Pic auf Teneriffa erklimmten, um der Wissenschaft und ihrem innern Drange zu genügen; den Cyklus von Männern, die Deutschland sein nennt, auf die Europa mit Stolz blickt, wollte ich von Angesicht zu Angesicht schauen und dann kühn vorwärts schreiten, bis ich die eigene Sendung vollendet. Auch den Mann, der mitten in der Sandwüste Deutschlands die Dase der Aufklärung und Wissenschaft bewohnt und von da aus die unbekannten Gegenden der Erde, besonders Asiens, unserer Einsicht eröffnet hat, den größten Geographen Europa's suchte ich auf und erfuhr so manches Interessante, was auf meine Reise Bezug hatte.

Doch auch außerdem wurde mir mein zehntågiger Aufenthalt in Berlin werth und nüglich, da ich mich der Bekanntschaft zweier Månner erfreute, von denen der eine Dubois de Montpéreur eben die Gegenden, denen ich zueilte, verlassen hatte. Alexander von Humboldt verdanke ich neben so vielem, was mir seine liebenswürdige Leutseligkeit schuf, auch dessen Bekanntschaft. Der andere war Graf Pappenheim, eben aus Petersburg kommend, wo er Capitån in der Garde gewesen war. Von ihm erfuhr ich so viel über Rußland und seine Bewohner und erhielt so viele wichtige Empfehlungen, die mich in meinen Zwecken förderten, daß ich erst jeßt ihm recht dankbar seyn kann.

Ungern und doch freudig verließ ich endlich Berlin und eilte über Stettin und Anklam nach Greifswalde und Eldena, um da

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selbst noch einige Bekannte zu besuchen und noch einmal mit ih nen mich des Vaterlandes zu erfreuen. Auch die Zeit verging und so fuhr ich der letzten deutschen Stadt Stralsund zu. Alle die geschichtlichen Erinnerungen einer thatenreichen, aber doch traurigen Vorzeit erwachten in mir, als ich die engen Straßen Stralsundes durchfuhr. So düster mir auch die alten Häuser entgegentraten, so freundlich nahmen mich doch die Wirthsleute im deut schen Hause auf. Das Wirthshaus war mir empfohlen, und wenn auch nicht große Eleganz und übermäßiger Lurus in ihm mir entgegentraten, so war doch der biedere Sinn seiner Bewohner meinem Herzen wohlthuend. Reinlichkeit und Pünktlichkeit machen mir auch einen Gasthof zweiten Ranges werth, und dieser wurde mir um so interessanter, als der Besizer, ein achtzigjähriger ehrwürdiger Greis, als Schiffer die ganze Erde bereist hatte und mir manche Stunde verkürzte, bevor der Tag der Abreise herankam. Aufmerksam hörte ich seinen Erzählungen zu und folgte seinen Wanderungen nach der Südspitze Afrika's, nach Süd- und Nordamerika, nach Ostindien und fast nach allen europäischen Häfen. Er hatte einen Theil der schauderhaften Revolutionstage in Frankreich, in Marseille verlebt und gerade in einer Zeit, als schwedische Schiffe von Algier nicht respectirt wurden und Gustav III, der größte Feind der französischen Revolution, zu einem Bündnisse gegen Frankreich warb.

Das Pferderennen, was gerade in der Nähe von Stralsund gehalten wurde, machte die Straßen belebter, als sie sonst wohl seyn mögen. Alle reichen Gutsbesitzer Pommerns und der Insel Rügen hatten sich eingefunden. Mit eigenem Selbstgefühle blickten die Besitzer der Pferde, welche den Preis für ihren Herrn erlaufen sollten, auf diese, und Freude wechselte mit Bangigkeit in ihren Zügen. Der Fürst von Putbus und um ihn die Damen in schönem Kranz auf hohem Balcone,“ nahmen die vorderste Galerie ein. Ob aber der Werth unserer Pferde in dem Rennen liegt und ob nicht Schlauheit des Reiters oft mehr als Schnellfüßigkeit thut? Diese Fragen zu beantworten, will ich dahingestellt seyn lassen. Auch für die Bauernpferde waren Preise ausgesetzt. Daß dabei viel gewettet wurde, versteht sich von selbst.

Endlich war der Tag und die Stunde nicht mehr fern, wo ich nun den Boden des deutschen Vaterlandes auf einige Jahre nicht wieder be

treten sollte. Ich war traurig, als ich die Straßen Stralsundes entlang dem Dampfschiffe zuging, aber freudig durchzuckte es mich, als die Råder laut tosend die Wellen peitschten und ich meinem Ziele zusteuerte. Die entgegengesetzten Gefühle der Wehmuth, dem Vaterlande den Rücken zu kehren und die Sehnsucht nach dem fremden Lande, durchkreuzten mich, und zum zweitenmale war ich deßhalb erfreut, allein und ungestört nur mir anzugehören. Auf dem Verdecke stand ich und blickte bald hinaus in das offene weite Meer, was sich immer deutlicher vor meinen Blicken entfaltete; bald streifte mein Auge hinüber nach dem schönen Ruigen, dem Sige der alten deutschen Mythe, bald sah ich unverwandt der Gegend zu, wo all' die Lieben, die ich in der theuren Heimath ließ, wohnten und meiner gedachten. Aber immer blauer wurde die Küste und immer undeutlicher erschienen die Thürme Stralsunds, bis alles in der fernen Blåue zerrann.

Ein Dampfschiff führte im Jahre 1836 noch Reisende und Briefe dem Lübeck - Petersburger Dampfschiffe zu und fuhr deßhalb an jedem Sonnabende Nachmittag 1 Uhr der westlichen Küste Rügens und Hiddensee's entlang, an eine Stelle welche von den Schiffern der Dornbusch genannt wird und der nördlichen Spitze Hiddensee's gegenüberliegt, um daselbst jenes zu erwarten. Man hatte mich schon auf dem Festlande gewarnt und gerathen, lieber von Berlin direct nach Lübeck zu gehen, da Fälle vorgekommen. seyen, wo das Lübeck - Petersburger Schiff nicht angehalten habe, und da überdieß noch das Uebersehen bei hoher See besonders für einen Neuling sehr gefährlich sey. Ich weiß nicht mehr was mich bestimmte den gutgemeinten Rath zu übersehen, und die Folge wird gleich lehren, wie schwer ich büßen mußte.

Kaum waren wir eine Stunde entlang gefahren, als ein heftiger Wind sich erhob und unser Schiff hin und her schaukelte. Auch in mir wurde es unruhig, und des Rathes eingedenk, daß der Plak, wo es am wenigsten schaukelt, am geeignetsten ist, der Seekrankheit zu trohen, seßte ich mich hart am Mastbaume nieder. Es half aber nichts und selbst der Bogen Löschpapier mit Branntwein getrånkt und auf die Herzgrube gelegt, verfehlte seine Wirkung. Die See ging immer hdher und die Wellen tobten fürchterlich. Der Himmel wurde finster und der Wind verwandelte sich in Sturm. Mein Uebelbefinden vermehrte sich, und

kaum vermochte ich noch an dem Geländer des Schiffes hinzuschleichen, um von Zeit zu Zeit der Natur, die immer mehr wider die ungewohnten Bewegungen sich empörte, zu genügen. Die Seekrankheit läßt sich am besten mit den Folgen eines heftigen Rausches vergleichen, nur mit dem Unterschiede, daß man im letzteren Falle wirklich krank ist, und der Körper die Umstimmungen nicht so deutlich erkennen läßt, als hier, wo er vollkommen gesund die auf mechanische Weise hervorgerufene Umstimmung der Magennerven klarer zu unserm Bewußtseyn gelangen läßt. Der Mensch kommt sich seekrank so erbårmlich vor, weil er eben alles mehr fühlt, und die Unmöglichkeit, den Ort des Elendes zu verlassen, erhöht das geistige Uebelbefinden. Gebannt auf die Stelle, wo ich eben stand oder lag, blickte ich hinüber nach den felsigen Küsten Hiddensee's und beneidete Jedermann, unter dessen Füßen es nicht wankte. Endlich erreichten wir die Stelle unserer Bestimmung und ein Anker heftete das Schiff an den Boden des Meeres. Aber es war noch nicht ruhiger geworden und eine Welle peitschte die andere, so daß unser Schiff in einem Kreis herumgetrieben wurde. Als es dunkelte, schleppte ich mich mühsam in meine Cajute und versuchte in Morpheus Armen Ruhe zu fin= den. Die Seekrankheit hatte alle Gedanken aus mir verscheucht, und durch das beständige Erbrechen ermattet, schlief ich schon zeitig ein.

Die Sonne war schon aufgegangen als ich erwachte. Rasch sprang ich auf, wåhnend, man håtte mich vergessen. Auf dem Verdecke fand ich den Capitån mit dem Fernrohre nach Westen und Norden lugend. Verwundernd frug ich ihn, wo das Dampfschiff bliebe, und selbst verwundert über die Abwesenheit desselben zuckte er die Achseln. Es muß vorbeigesegelt seyn, meinte endlich ein Matrose, doch der Sturm hatte sich in der Nacht gelegt und es war fast Windstille eingetreten! Sogar in mir war es ruhig geworden und keine Spur meines gestrigen Unwohlseyns fühlte ich mehr. Doch ångstlich harrend sah ich hinaus in die Fluthen, und wenn in weiter Ferne ein dunkler Punkt sich zeigte, faßte das zagende Herz schnell frische Hoffnung. Aber von all den Schiffen, die nach Osten gingen, kam keines auf uns zu, um mich aus dem bangen Zweifel zu reißen. Mein Zustand war im hohen Grade peinigend, und wäre ich abergläubisch gewesen, ich håtte es für eine böse Vorbedeutung halten können. Im Innern

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