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dieses Wenige vermochte nicht, auch nur auf Augenblicke das Land zu ersetzen. Das unfreundliche Wetter gönnte uns nur einmal den Sonnenaufgang und zweimal den Untergang, aber nur dem, der einen von beiden auf dem Meere zum erstenmale er= blickt, mag der Genuß deßhalb höher erscheinen, weil ihm ein Auf oder Untergang auf dem Lande, wenn auch schöner, doch alltäglicher ist. Der Augenblick, wo die Sonne, einer feurigen Kugel gleich, zuerst in dem Meere sich spiegelt und dann ihrem Bilde sich nähernd endlich hinab sich senkt, ließ auch mich nicht gleichgültig, und kaum vermag auch ich Epitheta aufzufinden, die ganz die Gefühle zu bezeichnen im Stande wåren. Aber wenn die Sonne von der Erde scheidend ihre lehten Strahlen dem stillen Beschauer entgegenwirft und dann die Spißen der Bäume und Berge vergoldet, ist der Anblick herrlicher und schöner, da eben noch tausend Gegenstånde vielfach und verschieden beleuchtet nur allmählich mit dem purpurnen Schleier der Finsterniß bedeckt unsern Blicken sich entziehen. Und wenn uns gar vergönnt ist, das Alpenglühen in seiner Eigenthümlichkeit zu betrachten, dann ver= schwinden alle Schönheiten, die das stets sich gleiche Meer uns bieren kann. Nur der Mond mit seinem milden ruhigen Licht vermochte mich eigen zu stimmen. Wenn dann zugleich der Wind nur leise die Wellen plåtscherte und diese Elfen gleich vor uns sich bewegten, regte es sich mehr als je in mir und alles um mich her vergessend, verseßte ich mich in die theure Heimath. Die Hun derte von Seefischen, welche die meisten Seefahrer ihren Schiffen folgen lassen, hatte wahrscheinlich das Getdse unserer Råder verscheucht, aber auch weder Quallen noch Sepien wurde ich gewahr. Von den Langen, die sonst in allen Meeren frei im Wasser schwimmen sollen, begegnete uns nur und zwar einzeln der gemeine Blasentang (Fucus vesiculosus).

Unsere Fahrt ging nicht so schnell als ich geglaubt hatte, und wenn wir auch in der Regel contråren und nur einen Tag günstigen Wind hatten, so bin ich überzeugt, daß, wenn man gewollt, wir gewiß einen Tag früher in Petersburg angekommen wåren. So segelten wir den 29. Mai bei der felsigen Insel Bornholm, den 30. Nachmittags 4 Uhr bei Gothland, die Nacht bei Desel vorbei und den 31. Abends erblickten wir erst in weiter Ferne den Leuchthurm von Reval, befanden uns demnach in dem finnischen

Meerbusen. Den 1. Junius hielten wir uns hart an der Küste von Wiborg und gelangten endlich Abends 6 Uhr in die Rhede von Kronstadt, den Schlüssel von Petersburg. Hunderte von Schiffen lagen hier und ihre mit den Flaggen verzierten Mastbåume gewährten schon in der Ferne einen freudigen Anblick. Noch nicht hatten wir Anker geworfen, als auch schon eine Menge Boote mit Mauthbeamten beseßt auf uns lossteuerten. Es war keine freundliche Erscheinung, als diese unser Schiff erstiegen, alles was sie vorfanden in Empfang nahmen und plombirten. Soldaten standen allenthalben, damit Niemand etwas verstecken konnte. Man war eben nicht mehr Herr seines Eigenthums. Unsere Pässe hatten wir schon früher dem Capitån abgegeben, aber trotz dem wurde ein jeder Reisende vor ein Comité citirt und über den Zweck seiner Reise weiter befragt. Auch nach den Empfehlungen frug man und schrieb genau die Namen auf, welche genannt wurden. Ich halte es übrigens für meine Pflicht, hier offen zu bekennen, daß Jedermann mit der größten Artigkeit behandelt und Niemanden zur Klage Gelegenheit gegeben wurde. Leider war ich durch die Unvorsichtigkeit des Schiffssecretårs in eine Unannehmlichkeit versetzt worden, die zwar weniger für mich, doch für diesen sehr üble Folgen håtte haben können. Eines Tages frug ich nåmlich nach der Bibliothek des Schiffes und bekam, da diese noch nicht herausgepackt war, von dem Secretår ein Paket mit der Bitte, die Bücher herauszunehmen. In der düstern Cajute zerschnitt ich ohne Zögern die Bindfåden und löste die Siegel, war aber nicht wenig verwundert, als ich anstatt Bücher Briefe, kleine Pakete und ähnliche Sachen an den Grafen Nesselrode adressirt fand. Erschrocken betrachtete ich mit dem åltern Wulfert das ganze Paket noch einmal und fand die Adresse: A son excellence le comte de Nesselrode.. Eiligst riefen wir den Secretår. Dieser betrachtete das Paket nåher und fand, daß er uns die diplomatischen Depeschen des Hamburger Generalconsuls anstatt der Bibliothek gegeben hatte. Blaß wie eine Leiche stand der unvorsichtige Secretår vor uns, die nicht weniger bestürzt waren. Ohne Fassung träumte er nur von Sibirien und wähnte sich schon in dem tiefsten Bergwerke daselbst. Auch mir wurde es bang, und wäre der Herr Wulfert nicht gewesen, gewiß noch banger. Auch der Capitån glaubte sich abgesetzt und zeigte den

ganzen Vorfall, wie er war, hier an. Alles wurde (und zwar immer auf die freundlichste Weise) zu Protokoll genommen. Doch um im voraus diese fatale Sache zu beendigen, so will ich jezt gleich sagen, daß alles, selbst für den Secretär günstig ablief. Herr Wulfert verwandte sich mit der größten Aufopferung für den Secretår, und besonders durch die Fürsprache des Baron Sacken wurden alle weitern Untersuchungen bei Seite gelegt. Man sah eben die Unvorsichtigkeit nicht als Vorsah an und der Secretår erhielt einen wohlverdienten Verweis.

Es war wohl gegen 9 Uhr, als wir endlich mit den Soldaten Kronstadt, was wir aber gar nicht betreten hatten, verließen und dem nur noch 6 Stunden entfernten Petersburg zueilten. Je nåher wir unserm Ziele kamen, um so reizender entfalteten sich die Küsten vor unsern Augen. Nördlich lag Finnland, weniger Schönheiten darbietend, südlich hingegen Ingermannland mit Villen und Palästen dicht besetzt.

Ich glaubte mich nicht unter dem 60° N. B., in dem Lande der Eisbåren, wo es eigentlich nie Sommer werden sollte, zu bez finden, sondern wähnte mich an den lieblichen Ufern des Bodensee's, so sehr hat die Kunst mit enormem Aufwande ersetzt, was die Natur versagte. Und als ich Oranienbaum und später Peter= hof mit seinen Schönheiten erblickte, war ich ganz außer mir vor Freude. Doch noch immer hatte diese ihren Culminationspunkt nicht erreicht, denn in noch nie gesehener Pracht trat Petersburg aus dem Schleier der Entfernung allmählich hervor. Stau= nend stand ich auf dem Vordertheile des Verdeckes und schaute lautlos vor mich hin. Hoch über alle Häuser ragten die vergol= deten Kuppeln des Admiralitäts- und Festungsthurmes hervor. Alles was ich von diesem Anblicke gehört hatte, blieb doch weit hinter der Wahrheit zurück. Und als wir nun gar die freundlichen Anlagen Katharinenhofs erblickten und die Newa einfuhren, da lag vor uns in herrlicher Schönheit zur einen Hand der englische Quai mit seinen Palästen ähnlichen Häusern, zur andern dffneten sich die langen Straßen Wasiljiostroffs. Alles ruhig zu betrachten, blieb mir hinlänglich Zeit, als wir anhielten, weil wir das Schiff noch nicht verlassen durften. Ein jeder kam wieder vor ein neues Comité, was erst jekt zu uns gekommen war, wurde nochmals befragt, ob er etwas Zollbares bei sich habe und erhielt

endlich mit dem Passe die Erlaubniß, das Schiff verlassen zu können.

Zweites Capitel.

Aufenthalt in Petersburg.

Deutsches Gasthaus; Eindruck Petersburgs; den 2 Junius Schnee; die Mauth; das Kalinka:Hospital; der Admiralitätsthurm und die drei von ihm auslaufenden Straßen; Wasiljioftroff; der botanische Garten; Staatsrath von Fischer; die Akademie der Wissenschaften; das kaiserliche Herbarium; Graf von Nesselrode; Herr v. Uworoff; Graf v. Cancrin; Fürst Dondukoff-Korsakoff; die Hospitäler; Volksleben; Iswoschtschiks; Ausrufer und öffentliche Verkäufer; das Kaufhaus; Geselligkeit und Familienleben; Dat: schen; die kamennoioßtroff'sche Brücke; Mangel an Wirthshäusern; der Vorwurf von Seiten der Zeitschrift „nordische Biene" beseitigt.

Es war bald Mitternacht, als der Tifliser Kaufmann und ich durch Herrn Lamprecht den englischen Quai hinauf, quer über den Isaaksplaß und vor den Boulevards vorbei in den NeffskyProspect zum deutschen Gasthaus geführt wurden und daselbst auch sogleich ein Unterkommen fanden. Es war noch so hell, daß wir deutlich die grandiose Statue Peters des Großen, das Senatsgebäude, das Winterpalais und alle Merkwürdigkeiten auf unserm Wege betrachten konnten. Diese hellen Nächte kennt man in Deutschland gar nicht und sie übertreffen noch weit an Helligkeit die unserigen, wenn der Vollmond am Himmel steht. Lange stråubte es sich in mir gegen die Wirklichkeit, daß es Mitternacht sey, so sehr war ich immer um diese Stunde an Dunkelheit gewöhnt und wähnte kaum die Zeit, wo bei uns Tag und Nacht sich die Hand reichen. Die Lebendigkeit auf den Straßen, das Gewühl von Menschen, die auf den schönen Trottoirs des NeffskyProspect sich bewegten, und der Lårm, mit dem wir im Gasthof empfangen wurden, deuteten ebenfalls nicht auf Mitternacht hin. Jeht erst vermochte ich mir einen Begriff von dem einige Monate langen Tage der Bewohner des äußersten Nordens zu machen, nachdem ich während meines ganzen Aufenthaltes in Petersburg nie dunkle Nacht, sondern höchstens nur eine helle Dämmerung gefunden hatte. Kaum einige Stunden des Tages steht in Petersburg um diese Zeit die Sonne unter dem Horizonte.

Mein achtwöchentlicher Aufenthalt in Petersburg håtte wohl hingereicht die Stadt und ihre Eigenthümlichkeiten zum großen Theile kennen zu lernen, wenn auch Jahre dazu gehören mögen, die verschiedenartigen Elemente, aus welchen die schönste Stadt Europa's und wohl der ganzen Erde besteht, zu ergründen. Vielleicht wäre ich aber doch bei den günstigen Umständen, welche sich mir die ganze Zeit hindurch darboten, eher im Stande gewesen, eine Beschreibung Petersburgs zu geben, als viele andere, die eine gleiche Zeit die Straßen Petersburgs durchlaufen haben, wenn ich nicht lieber vorzöge, Bekannteres nur kurz zu erwähnen, um desto länger auf unbekanntem Terrain zu verweilen. Petersburg ist in der neuesten Zeit so vielfach bereist und beschrieben wor= den, daß ich dem schon Gegebenen nur wenig hinzufügen will, in der Voraussetzung, daß diese Schilderungen doch einiges Interesse erwecken. Aus dieser Ursache hebe ich nur das Interessan= teste von meinem Aufenthalte daselbst heraus und überspringe alles andere. Der Eindruck, den Petersburg besonders bei einem Kleinstädter hervorruft, ist wirklich großartig, da allenthalben herrliche Paläste, prachtvolle Kirchen, schöne Monumente, belebte Straßen 2c. ihm entgegentreten. Dazu kommt nun noch die ungemeine Gastfreundschaft, durch die der Fremde in kurzer Zeit sich heimisch fühlen kann und muß, selbst wenn er vorgefaßte Meinungen mitge= bracht hat. Wie sehr hat sich dieses an den bekannten Russenfeinden Durham und Mauguin bewiesen; diese Månner, die früher öffentlich gegen Rußland predigten, sind nach kurzem Aufenthalte so befriedigt und selbst mit Vorurtheilen für Rußland aus Petersburg in ihre Heimath zurückgekehrt, daß man glauben möchte, sie wåren nicht mehr dieselben. Kein Volk versteht aber auch wirklich so dem Haß und Widerwillen ein freundliches, offenes Wesen, das immer dabei fern von aller Kriecherei und Zudringlichkeit bleibt, entgegenzusetzen als die Russen, so daß es gar nicht auffallen darf, wenn jene Russenfresser timide Russenfreunde geworden sind. So sehr früher Mauguin seine Landsleute zum Beistande für die Polen gegen den russischen Despoten aufforderte, so sehr suchte er nun vor einiger Zeit dieselben Franzosen zu überreden, daß ein Bündniß mit dem freundlichen und milden Selbstbeherrscher aller Reußen sie allein gegen die Anmaßungen Englands schützen könnte.

Wie war ich verwundert, als ich am andern Tage nach meiner

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