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zwischen ihm, dem Minister, und mir statt fand, ganz vergessen Es ist hier nicht der Plaß, was Graf Kankrin (dessen Name früher Krebs war) für Rußland gethan hat, weitläufig auseinander zu setzen; aber der größte Beweis für ihn ist die allgemeine Liebe seiner Untergebenen. Niemand kennt wohl die Gebrechen des russischen Volkes und seiner Regierung mehr als er, und Niemand hat ihnen zum Theil so schnell abgeholfen, als er. Wie genau er z. B. die Langsamkeit der russischen Behörden kennt, erfuhr ich selbst, als ich unterthänig um Rückgabe meiner mir confiscirten Flinte bat. Ein Billet an den Chef im Departement des auswärtigen Handels überreichte er mir mit folgenden Worten:,,Morgen um 10 Uhr gehen Sie in das Departement des auswärtigen Handels, fragen nach dem Chef und überreichen ihm selbst dieses Billet. Gehen Sie genau um 10 Uhr, wenn der Chef auch wie gewöhnlich gegen die Ordnung um 11 Uhr kommt; sagen Sie Jedermann, der Sie um Ihr Begehren fragt, Sie hätten ein Billet von mir an den Chef selbst abzugeben. Sagen Sie auch Niemandem was darin steht, man wird es für eine Kleinigkeit halten und Sie wiederum für eine andere Zeit bestellen. Auch bei dem Chef bestehen Sie in meinem Namen um Ausfertigung des Befehles zur Auslieferung der Flinte. Lassen Sie sich einmal auf eine andere Zeit vertrösten, dann währt es eine geraume Zeit, bevor Sie Ihr Ziel erreichen. Sie wissen, wie langsam es in unserm deutschen Vaterlande geht, aber noch viel langsamer wird alles in Rußland besorgt.“ Niemand konnte wahrer sprechen, als Graf Kankrin, und genau traf seine Voraussage im Betreff des Wartens ein. Streng hielt ich mich aber an seinen Befehl, und ver= ließ nicht eher jene Behörde, als bis ich nach 2 Stunden wirklich mein Ziel erreicht hatte und endlich mit der liebgewonnenen Flinte meiner Wohnung zueilte.

Durch die freundliche Güte, mit der mir Fischer die ganze Zeit meines Aufenthaltes in Petersburg entgegenkam, erhielt ich auch eine Empfehlung an den Vicepräsidenten der Akademie, den Fürsten Dondukoff-Korsakoff, und ihm verdanke ich wohl allein die freundliche Aufnahme daselbst. Der Fürst ist ein schöner kräftiger Mann, der wohl in dem Alter steht, das man das reife nennt. Eine große Leutseligkeit spricht sich schon in seiner Physiognomie aus, und wenn man einige Zeit mit ihm eine Unterhaltung gepflo

gen hat, so legt er eine solche Liebenswürdigkeit an den Tag, daß es am Ende scheint, als wåre man schon seit langer Zeit mit ihm bekannt gewesen, und als sey gar kein Unterschied im Stande. Besonders bin ich dem Fürsten dankbar, daß er mich der Familie des damaligen Oberbefehlshabers in Cis- und Transkaukasien empfahl, und mir dadurch so viele schöne und angenehme Stunden in Tiflis verschaffte.

Nächst den gelehrten Anstalten Petersburges interessirten mich, dem wenn auch nicht praktischen Arzte, doch dem Doctor medicinae rite promotus und Apostaten der Medicin, die medicinischen Anstalten. Es ist bekannt, so sehr auch die Russen als Barbaren im übrigen Europa verschrien sind, daß doch kein Volk mehr Wohlthätigkeitssinn zeigt, als gerade das russische. Die Gaben, welche jährlich, besonders im Winter, der Armencasse und den Armen überhaupt zufließen, sind sehr bedeutend und übertreffen alle Erwartungen. Was Wunder demnach, wenn wenige Städte eine solche Menge Krankenhäuser aufzuweisen haben, als Petersburg. Der Kaiser und die ganze kaiserliche Familie geht mit gutem Beispiele in der Mildthätigkeit voran, und Jedermann beeifert sich so viel als möglich zu folgen. Es gehört wirklich in Petersburg und in ganz Rußland zum guten Tone, mildthåtig zu seyn. Die Großen bemühen sich, schwierige und oft weitläufige Stellen, die Mildthätigkeit betreffend, zu erhalten, und sparen dabei ihr eigenes Vermögen durchaus nicht. So haben alle Krankenhäuser irgend einen begåterten Großen zum Vorsteher, und alle Vorsteher sind dem Kaiser strenge Rechenschaft schuldig. Aber außer den milden Beiträgen werden die Hospitåler noch hauptsächlich durch besondere städtische Abgaben erhalten. Die wirklich prächtigen Krankenhåuser entsprechen auch in ihrem Innern dem Aeußern, und große Reinlichkeit tritt allenthalben dem, der zufällig es betrachtet, entgegen. Die Treppen sind sehr breit, mit Teppichen belegt, und kein Zugwind tritt dem Kranken daselbst entgegen. Die Zimmer erscheinen geräumig, hoch und enthalten in der Regel nicht zu viel Betten. Diese haben weiße reinliche Ueberzüge, und neben ihnen steht ein kleines Schränkchen für die nåhern Bedürfnisse des Kranken. Eine Tafel über dem Bette zeigt die Krankheit, den Eintritt des Kranken in das Krankenhaus, sein Alter und die Recepte, welche ihm verschrieben sind, an. Auch die Stärke der Portionen ist be= stimmt. Badezimmer sind stets mehrere vorhanden, und besigen

die neuesten Verbesserungen. Einer besondern Aufmerksamkeit hat man die Abtritte unterworfen, und fast in allen Krankenhäusern ist die Einrichtung getroffen, daß das Wasser den Koth sogleich wegspült. Dadurch ist selbst in dem heißesten Sommer nicht die Möglichkeit eines übeln Geruchs gegeben. Ueberhaupt leiten Röhren das Wasser durch das ganze Gebäude, so daß es in jedem Zimmer augenblicklich erhalten werden kann. Die Kranken, selbst die, welche durch eigene Schuld jene schmußige Seuche des Mittelalters sich zugezogen haben, behandelt man mit der größten Freundlichkeit, und jede Anmaßung von Seiten der Diener oder selbst des Arztes wird mit der größten Strenge gerugt. Die Kleidung der Kranken ist weiß und wird sehr häufig gewechselt. An mehreren Krankenhäusern sind noch Gärten, in denen bei guter Jahreszeit Reconvalescenten sich erholen können; ja einige, wie das Kalinka-Hospital, in dem nur Syphilitische zugelassen werden, besitzen sogar Sommerwohnungen, damit die Hauptwohnung von neuem durchgefegt und überall ge= lüftet werden kann. Dadurch werden wohl auch am besten alle die ansteckenden Krankheiten, welche so leicht in Krankenhäusern sich erzeugen, vermieden. Das årztliche Personal besteht aus einem Oberarzte (im Kalinka - Hospital Dr. Zimmermann, im Abuchoff'schen Dr. Mayer, im Peter-Paul'schen [damals] Dr. Koch (jezt in Warschau]) und verschiedenen Unterärzten. Die lehteren sind immer in größerer Anzahl vorhanden, als ursprünglich nothwendig sind, und ein Drittel ist in der Regel supernumerår. Die Ursache liegt in dem Zudrange der jungen Aerzte zu diesen Stellen. Eine Apotheke befindet sich in jedem Hospitale und wird von einem Apotheker und mehreren Gehülfen versehen. Die rohen Arzneien werden aber nicht selbst besorgt, sondern jährlich wird die Lieferung derselben an den Wenigstnehmenden versteigert.

Bevor ich aber meine eigene Meinung über die Petersbur= ger Krankenhäuser ausspreche, muß ich noch hinzufügen, daß es nicht der Zufall war, der mich diese in solchem Zustande finden ließ. Wie ich sie beschrieben, sind sie immer, und wehe dem Oberarzte, wo es einmal anders gefunden würde. Verlust der Stelle ist das Geringste, was ihm widerfahren könnte. Der Kaiser, dieser wirklich unermüdliche und rastlose Geist, thut und sieht alles in Rußland, und plößlich, gleichviel in einer Tag- oder Nachtzeit, erscheint er in einem Krankenhause, selbst eine Inspection haltend.

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Und doch trok aller der gepriesenen und von mir anerkann= ten Vorzüge der Petersburger Krankenhäuser, wage ich dreist zu behaupten, daß diese in den meisten Städten Deutschlands besser find. Zuerst, was hilft die übertriebene Eleganz in einem Krankenhause, in dem nur Arme und Hülfsbedürftige aufgenommen werden? Ist es nicht eine Verschwendung, wenn man Lausende von Rubeln anstatt noch mehr Kranke aufzunehmen, oder dieses Geld anderswo anzuwenden, an Lurus verschwendet? Zu was diese glasirten Wånde, diese breiten mit Delfarbe gebräunten Treppen 2c.? Verwöhnt man nicht dadurch Leute, die zu Hause in einer armseligen Hütte wohnen und Jahre lang in ihr der rauhesten Witterung getrost haben? Macht man sie nicht, indem man das geringste Lüftchen ångstlich von ihnen abwendet, nun erst recht reizbar für den Zugwind? Jedermann wird Reinlichkeit in Krankenhäusern preisen. Aber müssen denn die weißen Kleider folcher Armen, die vielleicht kaum ihre Bldße bedecken können, sogleich gewechselt werden, wenn der Zufall ein Fleckchen darauf bringt? Es kommt deßhalb gar nicht selten vor, daß Gesunde nicht wieder aus dem Spitale herauswollen, und sich selbst Gewalt anthun, um wieder von neuem als Kranke angenommen zu werden. Ich selbst habe solche Menschen gesprochen, die es offen mir gestanden.

Ein zweiter, ich möchte sagen, der Hauptfehler ist der Mangel des Zutrauens, den die Aerzte von Seiten ihrer Vorgesetzten nur zu sehr fühlen müssen. Man meinte es gewiß gut, indem man alles, Nahrung und Arzneien, einer bestimmten Regel unterwarf, aber der Arzt kann allein nur nach dem Kranken ent scheiden und muß in der ganzen Ausübung der årztlichen Kunst freie hand haben. Es ist wahr, Betrügereien werden dadurch zum großen Theil vermieden, aber der Kranke wird in seiner Ge= nesung aufgehalten. So find, um nur eines als Beispiel aufzuführen, die Portionen aller Kranken und Reconvalescenten genau be= stimmt, und diese bekommen entweder eine Viertel-, eine halbe oder ganze Portion, die an der Tafel über dem Bette angezeichnet wird. Nun sind aber die Menschen verschieden, und dem einen ist eine halbe Portion zur Sättigung so viel, wie einem andern die ganze. Die Vorschrift gibt aber auch jenem eine ganze Portion, die, da der Reconvalescent nicht im Stande ist, selbst über die schädlichen Folgen derselben zu urtheilen, sobald er sie verlangt, auch bekommen muß, wenn

der Arzt sich nicht in Unannehmlichkeiten sehen will. Der gemeine Russe ist aber gewöhnt, alles, was er vor sich hat, aufzuessen, und kann seiner Gierde nach dem Essen nicht Einhalt thun. Er ißt über die eigentliche Sättigung, verdirbt sich den Magen und die Krankheit ist von neuem hervorgerufen.

Ein anderer Fehler ist, daß die Lieferung der Arzneien und der Lebensmittel dem Wenigstnehmenden zugeschlagen wird, und wenn auch die Vorschriften dabei alles genau geregelt haben, so wird eben gerade dadurch dem Arzte und dem Lieferanten die Hand geboten, Unterschleife zu machen. Ich habe selbst Beispiele in den Spitålern im Innern Rußlands gesehen, die an das Unglaubliche gränzen, wo die armen Soldaten, die das Unglück hatten, in einem und demselben Zimmer zu seyn, såmmtlich gleichviel, ob sie Nervenfieber, Intermittens oder Leberentzündung hatten, dieselbe wohlfeile Arznei erhielten und auf gleiche Weise behandelt wurden. Solche Lieferanten können auch für die meist niedrigen Preise unmöglich die Arzneien liefern und sind gezwungen, zu andern Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen. Das Mißtrauen ge= gen die Aerzte ruft außerdem noch viele Uebel hervor, die nicht eher aus dem Wege geräumt seyn werden, bis zuverlässige, tüchtige Aerzte die obere Leitung in den Hånden haben, und nur einem wissenschaftlich gebildeten Medicinalcollegium Rechenschaft abzulegen brauchen. Der Kaiser mit dem besten Willen ist nicht im Stande, alles zu sehen, da ihm eben die Medicin als Wissenschaft fern steht und fern stehen muß, und bei allen seinen Visitationen kann er nur åußere, oft unwesentliche Mängel oder sehr grobe Unterschleife entdecken. Man gebe dem Oberarzte unbedingte Vollmacht und unterwerfe die Lieferung der Arzneien und Lebensmittel seiner Controle; man lasse ihn handeln, wie sein Gewissen und die Wissenschaft es vorschreiben; man stelle ihn ferner in pecuniårer Hinsicht vollkommen sicher, und man wird finden, daß ein Drittel der Kosten wenigstens erspart wird. Dann erst wird es unmöglich, daß in großen Spitålern die Inspectoren, welche leider meist Officiere von zweideutigem Rufe sind, jåhrlich oft ein Einkommen von 20-30,000 Rubel sich verschaffen und bei der größten Verschwendung in kurzer Zeit noch reiche Leute werden.

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