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daß Mitrophan sich zum Tode vorbereite. Da bereute Peter die harten Worte, welche er ausgesprochen, ließ die heidnischen Sta= tuen wegschaffen, dafür Weihkessel hinstellen und Lichter anzünden. Von diesem Tage an besaß Mitrophan mehr als je die Gunst seines Kaisers.

Sechstes Capitel.

Von Woronesh bis Neu-Tscherkask.

Abreise; mein Jämschtschik; nächtliches Abenteuer; Ansichten über Diebstahl und Be: trug in Rußland; feurige Erscheinung am Himmel; mein neuer Begleiter; die Feld: jäger und Commissärs; Anhänglichkeit der Russen an ihre kaiserliche Familie; Betrüge: reien der Feldjäger; Windbeuteleien meines Begleiters; Mittel-Ikorez; Pauloffsk; das Land der don’schen Kosaken; die kasanische Staniza; die Steppen; das Steppenleben ;

Neu-Tscherkask.

Es war spåt geworden, als ich nun allein am 15. August gegen Abend von Woronesh wieder abreiste, und um die verlorene Zeit nachzuholen, beschloß ich die Nacht durchzufahren. Mein treuer Bondareffsky half mir noch verschiedene Sachen und unter an= derm Papier zum Trocknen der Pflanzen einkaufen, geleitete mich bis zur Post und empfahl mich auf meiner ferneren Reise dem Schuße Gottes. Selbst unser guter Kutscher Iwan kam noch einmal hierher, um auch seine Wünsche mir mit auf den Weg zu geben. Es war das erstemal, daß ich nun ganz allein unter fremden Menschen, die alle gleichgültig vor mir vorübergingen, mich befand. Mein Jåmschtschik (Postknecht) schien eine ehrliche Seele zu seyn, holte mir, ohne daß ich es ihm hieß, Heu zum Siz und packte alles auf. So fuhr ich weg über den Woronesh; dem Lande der don'schen Kosaken zu und bezwang die Wehmuth, die sich meiner zu bemächtigen schien. Der gemeine Russe ist ein fröhlicher, unverdroffener Mensch, und so zeigte sich auch mein Jämschtschik in hohem Grade vergnügt. Da er in mir sogleich den Nichtrussen erkannt hatte, spannte er den unterwürfigen Ton etwas herab, und überschüttete mich mit Fragen. Meine Antworten machten ihm klar, daß ich ihn nur wenig verstand und so begann er mir förmlichen Unterricht in der russischen Sprache zu geben. Er gebrauchte dabei eine

Art und Weise, die ich nicht bei einem Manne aus dem niedrigsten Stande gesucht hätte.

Die Gegend hinter Woronesh ist eben so einförmig als vor dieser Stadt und wird selbst noch langweiliger, da keine Wålder mir begegneten. Die Getreidefelder, welche allenthalben mich umgaben, kündeten deutlich die Thätigkeit und Betriebsamkeit der Be= wohner des Woronesher Gouvernements an.

Vor der Station frug mich mein Jåmschtschick um Erlaubniß, mich für das festgesetzte Weggeld (Progonů) bis zur nächsten Station fahren zu dürfen, und da er mir eine ehrliche Seele zu seyn schien und ich ihm gern diesen Nebenverdienst gönnte, so ließ ich mich von ihm der Station vorbei der nächsten zufahren. Rasch trieb er die Pferde an, und als eben Nacht eintrat, kamen wir daselbst an. Mit der Summe, welche ich ihm gab, war aber mein Kutscher nicht zufrieden und verlangte genau ein Drittel mehr. Eine Menge Volkes umstellte mich und mischte sich in unsern Streit. Um den Jämschtschik los zu werden, legte ich das Verlangte noch zu und beschloß ein anderesmal vorsichtiger zu seyn. Aber leider hatte dieß Beispiel nicht gut auf meinen nächsten Jämschtschik gewirkt.

Nacht war eingetreten, als ich wiederum auf meiner Telege saß und rasch vorwärts fuhr. Der Lehre eingedenk, daß man gegen den gemeinen Russen immer den Herrn spielen müsse, wenn man sich nicht Unannehmlichkeiten aussehen wolle, vermied ich alle Berührungen mit meinem Fuhrmann und schwieg zu allem, was zu mir gesagt wurde. Plötzlich lenkte der Jämschtschik vom Wege ab und fuhr einen Seitenweg entlang. Kuda brat? (wohin Bruder ?)*) wot nascha bolschaia doroga! (dort ist unsere große Straße!) Snaiu's (ich weiß es), antwortete mir der Jämschtschik, no sija doroga blishe (aber dieser Weg ist nåher). Alles Protestiren half nichts und der Jåmschtschik fuhr rasch dem einmal eingeschlagenen Wege entlang. Ruhig ergab ich mich und be

*) Der Russe bedient sich des Ausdruckes Brat (Bruder) gewöhnlich, wenn er mit seinem Bedienten oder irgend einer dienenden Person spricht. Mit Bruder redet man jeden Iswoschtschik und Jamschtschik an, und das Wort hat demnach dieselbe Bedeutung wie der Ausdruck Schwager, womit wir unsere Postillone bezeichnen,

schloß den Ausgang abzuwarten. Ich ergriff meine hinter mir liegende Flinte, legte sie vor mich hin und versuchte trotz der Finsterniß meine beiden Terzerole zu laden. Und alles dieses

machte ich für meinen Jåmschtschik so bemerklich als möglich. Nach zwei Stunden hielt er vor einigen einzeln stehenden Håusern, stieg vom Wagen herab und ging auf eines der Häuser zu. Schnarchende Töne gaben mir bald kund, daß mehrere Menschen in der nächsten Nähe schliefen. Es währte eine kurze Zeit, bevor mein Kutscher mit zwei bårtigen Männern wiederum kam. Da wurde mein ahnendes Gefühl in mir zur Ueberzeugung, und be: stimmt glaubte ich in die Hände von Räubern gefallen zu seyn. Merkwürdiger Weise, so ångstlich auch mein Herz noch kurz vorher geschlagen hatte, so muthig sah ich jetzt der Gefahr entgegen. Mit der einen Hand faßte ich ein Terzerol und spannte den Hahn, schweigend auf meinem Plaze verharrend. Die drei Leute traten mit jener unterwürfigen Haltung, die dem gemeinen Russen eigen= thůmlich ist, vor mich hin und bedeuteten mich, daß ich absteigen sollte, da hier das Posthaus sey. Natürlich traute ich den Worten nicht und frug nach dem durch seinen mit besonderen Knöpfen besezten Rock kenntlichen Postmeister. Er schläft, war die Antwort. Ich sah einen andern Wagen vorfahren, aber alles sagte mir, daß hier die Post nicht sey, und als die Männer wiederum heimlich zusammen sprachen, wurde es mir noch unheimlicher. Da kam endlich der größte und stärkste der Männer an den Wagen heran, seine Hand nach mir ausstreckend. Ein Schlag von mir in das Gelenke seines Armes hinderte ihn in der Ausführung seines Planes. Nun erhob ich mich von meinem Size, hielt das eine Terzerol meinem Angreifer vor und drohte ihn niederzuschießen, wenn er nicht augenblicklich sich entfernte. Was und ob die drei Männer mich und mein russisches Kauderwelsch, dem einige deutsche Kraftreden untermengt waren, verstanden, will ich nicht untersuchen, meine Absicht war erreicht, ich hatte unter ihnen eine Bestürzung hervorgerufen. Demüthig nåherte sich der Jämschtschik wieder dem Wagen und bat mich die Schießgewehre auf die Seite zu legen, da sie ja nichts Bdses gegen mich im Sinne gehabt håtten. Dieses Haus wåre allerdings nicht das Posthaus, sondern sein Besitzer ein Verwandter, der mich für dieselben Progonů, wie die Post sie verlangte, weiter gefahren håtte. Er bestieg nun ohne Reisen und Länderbeschreibungen. XXIII. (Neise nach Kaukasien.)

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Strauben wiederum meine Lelege, fuhr der Station zu, und schon nach einer Stunde erreichten wir sie. Ich war froh, als ich mich wiederum unter ehrlichen Menschen befand und beschloß sogleich das Nachtreisen aufzugeben. Es war möglich, daß wirklich der Jämschtschik nichts Uebles im Sinne hatte, aber verdächtig bleibt es mir doch. Daß ich nicht in die Hände von Räubern ex professo gefallen seyn konnte, wurde mir spåter klar, da mir hinlånglich bekannt ist, daß nirgends in Europa die Polizei eine solche Macht und solche Einrichtungen besitzt, als in Rußland. Auf jeder Station werden die Namen der Durchreisenden genau aufgeschrie ben, und so wåre ja sogleich die Spur, wo ich verschwunden, aufgefunden. Der eigentliche Russe ist auch gar nicht zu Räubereien geneigt, und nur sehr selten hört man in Rußland von Fållen, daß Menschen auf offener Straße angefallen sind, oder daß in einem Hause ein Einbruch verübt worden ist. Der Russe ist grundehrlich, und nur dann wenn Verführungen der großen Städte oder an den großen Landstraßen auf ihn eingewirkt haben, wird er ungemein leicht betrügerisch und unehrlich. Räubereien bleiben ihm aber trotzdem fremd, und wenn solche vorkommen, so sind sie in der Regel von Tataren begangen. Häufig wird man aber in größern Städten betrogen und nicht selten auch bestohlen, und die dem Russen angeborne Schlauheit unterstüßt nun leider dieses Laster sehr. Bes trug wird von dem Russen hinlänglich vom Diebstahl, worunter er aber eigentlich auch wiederum Diebstahl auf gewaltsame Weise, z. B. durch Einbruch versteht, unterschieden, und die allgemeine Meinung, wenn sie auch Betrüger und schlaue Diebe durchaus nicht vertheidigt, sieht sie doch nicht für so verbrecherisch an. Ein Theil der Schuld wird immer dem Betrogenen, eben weil er sich betrůgen ließ, zugeschrieben. Die herrschenden Ansichten schaden in der Moral mehr als alles andere. Im Handel hålt der Russe es durchaus nicht für eine Unehrlichkeit, wenn er seine schlechten Waaren für gute anpreist; er glaubt, daß er dadurch, daß er dem Kåufer die Waare zur Ansicht gibt, aller Anforderungen ledig wåre. Kann der Käufer die Waare nicht beurtheilen, so hat er eigene Schuld, so (wie der Russe weiter folgert) betrügt er sich selbst. Die Leibeigenschaft hat ebenfalls den großen Nachtheil, daß der Leibeigene, eben weil sein freier Wille beengt ist und er selbst keinen reellen Besik haben kann, nach Gelegenheiten hascht, um seine angeborne

Freiheit in Anwendung zu bringen. Er bestiehlt nicht selten seinen eigenen Herrn und beschönigt sogar sein Verbrechen damit, daß all' sein Gut und er selbst ja dem Herrn gehöre und er demnach diesem gar nichts stehlen könne. Leider hat sich auch diese Ansicht bei den Angestellten eingeschlichen und auch sie entschuldigen oft ihre Veruntreuungen durch die Meinung, daß sie ja selbst mit Hab und Gut dem Kaiser angehörten. In dem Innern Rußlands tritt aber einem der Russe wie er ist entgegen, treu und ehrlich. Des Nachts verschließen nur selten die Bewohner ihre Häuser, und häufig bin ich ein offenes Haus durchgangen, ohne einen Menschen darin zu finden. Es ist demnach nothwens dig, bei Beurtheilung eines Volkes das Volk fern von den großen Städten kennen zu lernen.

Ich kann nicht umhin hier eine eigenthümliche Erscheinung am Himmel zu erwähnen, die ich in derselben Nacht zu beobachten Gelegenheit hatte. Nach Westen erhellte sich plötzlich der Himmel und immer heller trat eine Stelle, von der aus das Licht sich strahlenförmig nach allen Seiten verlor, mir entgegen. Anfangs hielt ich es für ein Nordlicht, aber die Himmelsgegend sprach dagegen. Plößlich schien sich der Himmel aufzuthun und aus der Mitte schoß ein dicker Feuerstrahl zur Erde hinab, Hinter ihm verschwand plößlich alles Licht, und als er die Erde erreicht zu ha= ben schien, trat die vorige Finsterniß wieder ein. Die Dauer der ganzen Erscheinung mochte doch einige Minuten betragen haben.

Als ich eben von meiner Telege abstieg, sah ein Herr aus einer Karete, die eben abfahren wollte, heraus und rief mir zu: „,sind Sie Professor Koch"? Erstaunt, plößlich Jemand meine Muttersprache sprechen und meinen Namen nennen zu hören, wendete ich mich augenblicklich nach dem Wagen hin und frug verwundert, wer hier wäre, der mich mit Namen kenne? Ohne sich weiter auf meine Fragen einzulassen, schlug er fragend mir vor mit ihm zu fahren. Ich glaube fast selten ein so freudiges,,Ja, von Herzen gern" ausgesprochen zu haben als dießmal. Die Freude, die sich plößlich meiner bemächtigte, läßt sich nicht beschreiben, sie war aber ohne Gränzen! Die kurze Zeit, welche ich allein schon zugebracht, hatte bereits meinen Muth etwas heruntergestimmt,

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