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aus dem Fette ein Diebslicht zu fabrizieren. Im Jahre 1884 überraschte man auf dem Friedhofe der Stadt Perejaslawl im Gouvernement Poltawa drei Burschen bei der Zerstückelung einer dicken Männerleiche; sie brauchten Menschenfett für ein Diebslicht.

Hat man nicht den Mut zur Grabschändung, so zögert man nicht, einen Mord zu begehen. Am 19. April 1869 fand man im Wuikowitschwalde des Kreises Wladimir-Wolynsk die gräßlich verstümmelte Leiche eines Bauernknaben; die Haut am Bauche war rund aufgeschnitten und abgezogen worden. Der Bauer Kyrill Dschuß hatte den Knaben in den Wald gelockt und ermordet, um aus dem Fette des Getöteten ein Diebslicht zu machen, mit dem man ungestraft stehlen könnte. Am 24. April 1881 verhandelte das Kreisgericht in Pensa einen Mordprozeß gegen zwei junge Burschen, die im Tschembarschen Kreise einen Mann ermordet hatten, um aus seinem Bauche die Netzhaut mit den Eingeweiden als Material für ein Diebslicht herauszureißen. Am 15. November 1896 hatte das Kreisgericht von Korotojak im Gouvernement Woronesch genau den gleichen Fall zu verhandeln. Zwei Bauern hatten einen zwölfjährigen Knaben erdrosselt, der Leiche dann den Bauch nach drei Richtungen aufgeschnitten und die Netzhaut mit den Eingeweiden herausgenommen, um aus dem Fett ein Diebslicht herzustellen. Der berühmteste Fall dieser Art in den letzten zwei Dezennien ist aber die am 3. Oktober 1887 stattgehabte Ermordung eines Mädchens im Dorfe Nikitskoje des Kreises Bjelgorod im Kurskschen Gouvernement. Das Charakteristische an diesem Falle war die Hartnäckigkeit, mit der die Mörder ihr Ziel verfolgten, um unbedingt in den Besitz von Menschenfett für ein Diebslicht zu gelangen. Die Bauern Tolmatschew und zwei Brüder Semljänin wollten zuerst eine Leiche schänden, beschlossen aber, sich das Fett lieber von einem frischen Toten zu verschaffen, und machten sich gemeinsam zur Ermordung eines Menschen auf. Sie lauerten zuerst einem Knaben in einem Walde auf, das Opfer entkam ihnen aber durch einen Zufall. Dann begegneten sie einem ihrer Nachbarn, sie verloren jedoch den Mut, weil sie seine riesige Stärke kannten. Hierauf machten sie sich an einen feisten Geistlichen heran

und führten ihn unter irgend einem Vorwande in den Wald; den Popen aber quälte eine beängstigende Vorahnung, und er rief zu seinem Glücke einen Arbeiter herbei, daß er ihn begleite. Endlich gelang den finsteren Gesellen doch ihr Plan. Ein Mädchen kam daher, das ein entlaufenes Pferd suchte. Die drei Männer lockten die Suchende in den Wald, erwürgten sie, schnitten der Leiche das Fleisch ab und schmolzen das Fett aus. Es reichte für ein ganz großes Licht, und die Mörder gingen mit diesem Talisman auf Diebstähle aus. Der Zauber wirkte vortrefflich, ein halbes Jahr lang gelangen alle Unternehmungen nicht bloß, sondern der Mord selbst wurde auch nicht entdeckt. Erst bei einem zufälligen Besuche der Polizei im Hause des Semljänin fand man ein Bündel mit gekochtem Fleisch, und da man in dem Tuche das Eigentum der verschwundenen Magd erkannte, kam das Verbrechen zutage. Die merkwürdigen Begleitumstände dieser Tat machten den Prozeß zu einem sensationellen, und alle Ethnographen und Juristen Rußlands begannen nach dem Ursprung des fürchterlichen Aberglaubens zu forschen. In einer interessanten Abhandlung in einer Zeitung1) sprach ein ungenannter Autor die Meinung aus, daß der Diebslichtaberglaube ein Überbleibsel des Kannibalismus sei, dessen Spuren man noch in folgendem russischen Volksliede erkenne:,,Ich backe ein Gebäck aus den Händen, aus den Füssen; aus dem tollen Kopfe schmiede ich ein Trinkgefäß; aus seinen Augen gieße ich Trinkgläser; aus seinem Blute braue ich berauschendes Bier; und aus seinem Fette gieße ich Licht.“

Wie der Dieb sich durch einen Talisman vor Entdeckung sichert, so ist der Aberglaube auch dem Bestohlenen zur Erforschung des Diebes durch zauberhafte Mittel behilflich. Wenn in einem Hause ein Diebstahl bemerkt wird, aber der Schuldige nicht entdeckt werden kann, man auch nicht genau weiß, wen man anklagen soll, so beruft man einen Hexenmeister oder eine Wahrsagerin, und diese ,,beobachten den Leib der Verdächtigen." Sabylin, der diesen Brauch erwähnt, weiß aber selbst nicht, wie diese Beobachtung erfolgte, und bemerkte nur,

1) Русскія вѣдомости 1888, 359.

daß von diesem Gebrauche das Sprichwort herstamme: ПIлоxо лежить - брюхо болить; wer schlecht liegt, dem tut der Leib weh.1) Tereschtschenko kennt noch ein anderes russisches Mittel2): Die Wahrsagerin nimmt einen Psalter, schlägt mit einem Messer auf die Mitte einer Seite und sagt:,,Da ist er, und da ist noch ein anderer. Er ist hier und hat sich versteckt!" Wen sie dann nennt, der ist der Dieb. Gesteht er das Verbrechen nicht ein, so muß er seine Unschuld vor dem Bilde des Heiligen Iwan des Kriegers beeidigen. Wenn ein Hausdiebstahl stattgefunden hat, so ruft die Hausfrau das ganze Gesinde zusammen; und eine Babuschka, die Wahrsagerin, deren Hilfe in Anspruch genommen wird, macht so viele Brotkügelchen als Leute da sind, stellt ein Gefäß mit Wasser vor sich hin, wirft eine Kugel nach der anderen hinein und sagt stets einen der Namen der Verdächtigen nebst der Beschwörung,,Bist du schuldig, so fällt diese Kugel auf den Grund wie deine Seele in die Hölle." Die Kugeln der Unschuldigen. aber, behauptet sie, bleiben oben schwimmen. 3) Vor dieser Methode haben die gemeinen Russen eine furchtbare Angst, und der Schuldige bekennt, so wie die Sache ernst wird, freiwillig den Diebstahl, um nicht seine Seele der Hölle anheimfallen zu lassen.

Auch die nichtrussischen Völker in Rußland versuchen es mit der Zauberei, um die Diebe zu entdecken.

Wenn dem Osseten etwas gestohlen worden ist, so ruft er einen Kurismezok oder Zauberer. Dieser geht, mit einer Katze unter dem Arm, in Begleitung des Bestohlenen zu den Häusern jener, die im Verdachte des Diebstahls stehen, und ruft überall laut aus: Wenn du es genommen hast und dem Eigentümer nicht wiedergiebst, so möge diese Katze die Seelen deiner Vorfahren peinigen." Man kann überzeugt sein, daß der Schuldige sofort das Gestohlene zurückerstattet, da nichts mehr gefürchtet wird als die angedrohte Strafe. 4) Die Kam

1) М. Забылинъ, Русскій народъ, Москва 1880, стр. 406, No 29: Отысканіе воровъ.

2) Терещенко, Быть русскаго народа. Vgl. Löwenstimm a. а. О. 88. 3) Haxthausen, Studien I 312.

4) Haxthausen, Transkaukasia, II 20.

tschadalen1) glauben einen Dieb ausfindig zu machen, indem sie unter großen Zeremonien die Sehnen eines wilden Bockes verbrennen; wie sich die Sehnen im Feuer zusammenziehen, so verliert der heimliche Dieb den Gebrauch seiner Glieder, und wenn man in der Gemeinde also einen Gelähmten entdeckt, so ist dies der Verbrecher.

16. Korruption.

Zarisches System alter Zeiten Die Verwaltung - Eine Anekdote des Jehan Sauvage aus Dieppe

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Strafen für Bestechlichkeit - Einfache Methode Iwans
Die Gerichtsdiener Das Trinkgeld
Strafgericht Peters I. - Hin-

Cato Nesterow und sein Ende · Die Ansichten des Cato Tatisch

des Schrecklichen Der Richterstand
im Osterei Das Heiligenbild als Vermittler
richtungen
tschew Erlaubte und unerlaubte Korruption
Jaguschinskij Die Geschenke für den Zaren
Lichoïmstwo oder Geschenkfressen

Ausspruch des Günstlings Katharina II. gegen das Korruption unter Nikolaj II. — Die Zollbeamten Medizinalinspektoren und Rekruten Prügelgesellen in den Schulen Richter und Recht im Sprichwort Das Rechtsmärchen Kaulbars Bortig Das Urteil des Schemjaka Satiren Ssumarokows und Gogoljs Unausrottbarkeit der Korruption.

Wollte ein Zar im alten Rußland einen Bojaren für besondere Dienste belohnen oder einem Günstling große Gnade erweisen, so schenkte er ihm eine Provinzverwaltung mit folgenden Worten:,,Ziehe hin, lebe daselbst und iẞ dich satt!" Und jeder tat nach den Worten des Zaren. War die Provinz dem Begnadigten zu fern, so hatte er das Recht, das Gouvernement einem anderen zu verkaufen, und dieser mußte nun doppelt fleißig stehlen und plündern, um den riesigen Kaufpreis hereinzubringen und sich nebenbei selbst sattzuessen.

Ein solches von dem Zaren statuiertes System mußte naturgemäß die Korruption in der ganzen Verwaltung einbürgern. Plündern und Rauben wurden die Grundgesetze der Administration; es gab gar keine Möglichkeit, auf normale ehrliche Weise das Fortkommen zu finden. Der Gouverneur mußte

1) Histoire de Kamtschatka, II 107.

stehlen, um sich sattzuessen, die höheren und die niederen Beamten suchten durch Diebstahl und Trinkgelder ihr Leben zu fristen.

Das erste, was der Fremde sieht, der nach Rußland kommt, ist die offene Hand des Zollbeamten; und bei jedem weiteren Schritte muß man, um unangefochten zu bleiben, nach rechts und nach links dem Moloch der Korruption opfern. Das früheste französische Memoire über Rußland, von dem Matrosen Jehan Sauvage aus Dieppe verfaßt, erzählt wie der Kommandant des Hafens von Archangelsk die Franzosen nicht landen lassen wollte,,,weil er noch niemals zuvor Franzosen gesehen hatte." Da half aber ein Mittel:,,environ 250 dalles," und die Franzosen wurden sofort willkommen geheißen. 1)

Zuweilen rafften sich die Zaren zu einer Bestrafung der korrupten Beamten auf, aber sie griffen nicht das System an, sondern begnügten sich mit der Praktizierung einzelner Beispiele. Iwan der Schreckliche erfuhr einmal, daß einer seiner Wojwoden sich durch eine mit Dukaten gefüllte Gans hatte bestechen lassen. Er verheimlichte seinen Zorn, aber als er bald darauf mit diesem Wojwoden über den Platz ging, wo die Exekutionen stattzuhaben pflegten, ließ er den Beschuldigten plötzlich vom Henker ergreifen und ihm die Arme und Beine abhacken2); und bei jedem Hiebe fragte der Zar spöttisch: ,,Na, Batuschka, wie schmeckt das Gansfleisch?"

Sporadische Züchtigungen dieser Art konnten das Übel nicht hemmen. Man fand leicht Mittel und Wege, das Gesetz zu umgehen. Am traurigsten und verkommensten blieb der Richterstand. Schon der Gerichtsdiener stellte den Parteien. Klagen und Vorladungen nicht zu, wenn er nicht dafür extra bezahlt wurde; Zar Alexej mußte in seinem Gesetzbuche einen besonderen Paragraphen den Gerichtsdienern widmen und ihnen androhen, daß sie beim ersten Male der Pflichtverletzung mit den Batogy, beim zweiten Male mit der Knute gestraft

1) Das interessante Manuskript des Jehan Sauvage wurde von Louis Paris entdeckt und der französischen Übersetzung der Nestorschen Chronik angefügt.

2) Reise nach Norden, anno 1706. S. 167.

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