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später Studiosus der Ingenieurwissenschaft und schließlich im Hofstaate der Kaiserin Katharina angestellt gewesen. In seiner letzten Eigenschaft verwickelte er sich in die Affäre der Kaiserin mit ihrem Liebhaber Mons, und als diesen des Kaisers Rache traf, wurde auch Balakirew der Inquisition ausgeliefert, gepeitscht und zu lebenslänglichem Bagno verurteilt. Katharina I. aber vergaß ihn dort nicht; kaum war sie zur Selbstherrschaft gelangt, als sie Balakirew die Freiheit gab. Anna übernahm ihn in ihren Hofstaat und machte ihn zum Hofnarren.

Ein anderer Hofnarr, Pedrillo, ein Neapolitaner, der eigentlich Pietro Mira hieß, war als Sänger-Bouffon und erster Violinist an die italienische Oper in Petersburg engagiert worden. Eines Tages zerschlug er sich mit dem Orchesterchef, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als unter die Hofnarren zu gehen. Er mußte gewöhnlich beim Kartenspiel für die Kaiserin Bank halten, und das Sprichwort wurde wahr: der Narr hatte Glück und gewann ein Vermögen. Seine Frau war von außerordentlicher Häßlichkeit; als Anna ihn fragte:,,Hast du wirklich eine Ziege geheiratet?" entgegnete er:,,Tatsächlich; und sie wird nächstens gebären. Ich hoffe, daß Ew. Majestät sie besuchen und nicht die üblichen Geschenke vergessen werden." Die Zarin ging auch richtig mit dem ganzen Hofstaat hin, und man fand Pedrillo im Bette, an seiner Seite eine große, mit Bändern und Spitzen geschmückte Ziege als Wöchnerin. Dieser Narr verstand das Geschäft. Die Kaiserin schickte ihn mehrmals ins Ausland, um Sänger und Sängerinnen zu engagieren, Schmuck und Möbel einzukaufen, und er wußte dabei seinen Vorteil wahrzunehmen. Die Schwatzfreiheit, die ihm als einem Narren am Zarenhofe gestattet war, glaubte er aus dem sicheren Hinterhalte an der Newa heraus auch gegenüber fremden Fürstlichkeiten mißbrauchen zu dürfen. Als 1735 die Spanier Toscana besetzten, schrieb Pedrillo an Gaston de Medicis einen Brief, worin er ihm im Namen der Zarin 15000 Kosaken Hilfstruppen versprach ,,für eine konvenable Quantität Danziger Schnaps von jener Sorte, an der Ew. Hoheit sich in Böhmen zu betrinken pflegten.“1)

1) Waliszewski, L'héritage de Pierre le Grand, 267.

Neben den offiziellen Narren gibt es freiwillige, die sich durch ihre sogenannten Späße in die zarische Gunst einschmeicheln wollen; zu ihnen zählt der alte Generalleutnant Ssaltykow, der durch seine unübertrefflichen Gliederverrenkungen der Kaiserin stets ein unstillbares Lachen verursacht.

Die Spezialität des Hofes der Kaiserin Anna sind die Närrinnen. Aus Kurland hat sich die Kaiserin als ihre Hauptfavoritin die Frau Anna Iwanowna Juschkow mitgebracht, deren wichtiges Geschäft es ist, der Zarin die Fußnägel zu schneiden. Anna iẞt leidenschaftlich Schweinebraten mit Essig und Zwiebel; eine Kalmückin von abscheulicher Häßlichkeit versteht diese Leibspeise der Herrscherin am besten zuzubereiten, und da die Köchin beim Präsentieren des Bratens die entsetzlichsten Grimassen schneidet, erhöht sie der Herrin den Genuß und erwirbt sich den Rang einer Hofnärrin. Diese Närrin, Anna Iwanowna geheißen wie die Zarin selbst, wird nun auf Befehl der Kaiserin mit dem Narren Galitzyn vermählt, und ihre Heirat gibt im Winter 1740 Veranlassung zu dem berühmtesten russischen Narrenstück, zu der Errichtung des Palastes aus Eis1), der nach allen Regeln der Architektur aus mächtigen Eisquadern hergestellt wurde und wie aus einem einzigen Stücke gemacht schien. Vor dem Gebäude standen sechs Kanonen aus Eis auf Lafetten von Eis; es wurde aus diesen Kanonen mehrmals mit eisernen Kugeln geschossen. Am Eingang des Eispalastes befanden sich zwei Delphine aus Eis, aus deren Rachen des Abends brennende Naphta floß. Im Hause selbst gab es Treppen, zahlreiche Zimmer, Galerien aus Eis. Die Fenster waren aus dünngeschabtem Eise gemacht. Bei Nacht wurde das Haus illuminiert. Auf den Tischen aus Eis standen Uhren, Spielkarten, Spielmarken, Geschirre alles aus Eis. In diesem Eispalaste feierte Galitzyn seine Hochzeit mit der Kalmückin, und in der Hochzeitsnacht mußte er mit seiner jungen Gemahlin in einem Bette aus Eis schlafen.

1) Wahrhaffte und Umständliche Beschreibung und Abbildung des im Monath Januarius 1740. in St. Petersburg aufgerichteten merckwürdigen Hauses von Eiß, mit dem in demselben befindlich gewesenen Haußgeräthe; den Liebhabern der Natur-Geschichte mitgetheilt von Georg Wolffgang Krafft. 1741. 4°.

Eine bemerkenswerte Truppe am Hofe der russischen Zarinnen des achtzehnten Jahrhunderts bilden die zahlreichen offiziellen Fußsohlenkitzlerinnen. Die russischen Frauen hatten seit jeher in ihrem Terem Sklavinnen, deren einzige Pflicht es war, der Herrin die Fußsohlen zu kitzeln, um ihr Wollust zu bereiten. Anna Iwanowna erhob dieses Amt zuerst zu einer offiziellen Hofwürde. Die Regentin Anna Leopoldowna, die Braunschweigerin, die nach dem Tode der Zarin Anna Iwanowna für das Wickelkind Iwan die Herrschaft führte, hatte in ihrem Alkoven nicht weniger als sechs offizielle Fußsohlenkitzlerinnen, die der Fürstin um die Wette Vergnügen zu bereiten trachteten. Während diese Frauen die Sohlen kitzelten, erzählten sie auch schlüpfrige Geschichten und sangen obszöne Lieder. Bei der Zarin Elisabeth bilden die Kitzlerinnen ein großes Korps, das unter Aufsicht eines besonderen Beamten, des ehemaligen Ofenheizers und späteren Generalleutnants Wassilij Iwanowitsch Tschulkow steht; Tschulkow hat am Hofe Elisabeths die Stellung eines Kammerherrn; seine spezielle Pflicht ist es, allabendlich seine Matratze vor dem Bette Elisabeths auszubreiten und zu ihren Füßen zu schlafen, ganz gleich, ob die Zarin in ihrem Bette allein liegt oder Gesellschaft hat. Die Kitzlerinnen besitzen nicht geringeren Einfluß als die Günstlinge; ja oft muß ein Liebhaber, um sich dauernd in der Gunst der kaiserlichen Maitresse zu erhalten, die Hilfe einer Kitzlerin in Anspruch nehmen. Der Günstling Schuwalow bringt seine eigene Schwester Elisabeth Iwanowna auf einen dieser wichtigen Posten, damit er in ihren Schwätzereien jederzeit eine Stütze finde. Elisabeth Iwanowna weiß ihre Stellung so vortrefflich auszunützen, daß ein Zeitgenosse sie den eigentlichen Minister des Äußeren nennt. Später erhält sie eine scharfe Konkurrentin in der Person der Frau Woronzow, der leibhaftigen Gemahlin des durchlauchtigsten Großkanzlers. Diese kitzelt der wollüstigen Zarin die Sohlen und erfreut sie noch in manch anderer Weise, um dann von der in Verzückung schwelgenden Frau nicht bloß Gnaden für den Gatten zu erbitten, sondern auch Vorteile für den englischen Gesandten zu erhaschen, der durch seine Freigebigkeit den mit ihm konkurrierenden französischen Gesandten Marquis de l'Hôpital leicht

besiegt. Auch die übrigen Kitzlerinnen entstammen größtenteils der vornehmsten Gesellschaft: so Mawra Jegorowna Schepelejew und Maria Bogdanowna Golowin, die Witwe des Admirals Peters des Großen. Die Golowin führt auch den besonderen Titel: Xлопь-бабa, Klapsweib, weil sie hauptsächlich die durch Ausschweifungen erschöpfte Zarin durch Klapsen auf den kaiserlichen Hintern zu erfrischen hat.1)

Der letzte russische Hofnarr, der diesen Titel offiziell führte, war Aksakow; er nahm ein böses Ende. Er erlaubte. sich einmal mit der Kaiserin Elisabeth einen Scherz zu machen, indem er aus seinem Hute ein Stachelschweinchen herausfallen ließ. Die Kaiserin hielt das Tier für eine Maus und flüchtete schreiend; Aksakow wurde der Geheimen Kanzlei überliefert und zur Strafe der Tortur verurteilt,,,weil er Ihre Majestät erschreckte." 2) Katharina II. schaffte die Institution der Hofnarren ab; aber sie hatte doch, wenn auch mehr keine offiziellen Titulare dieser Würde, einen Lustigmacher in der Person des Leo Naryschkin, der ihr in seinen Taschen stets allerlei Kleinigkeiten, Süßigkeiten, Spielereien mitbringen mußte; und eine alte Plaudertasche, Matrona Danilowna, die das Recht hatte, den Höflingen die größten Frechheiten ins Gesicht zu sagen. Nicht-offizielle Hofnarren und Hofnärrinnen finden wir am Zarenhofe noch bis in die jüngste Zeit.3) Aber sie spielen nicht mehr die wichtige Rolle, wie namentlich im

1) Des Vergleiches halber lese man folgende Stelle aus Flögels Geschichte der Hofnarren, Liegnitz und Leipzig 1789, S. 120 (Von den Lustigmachern bei den Griechen und Römern):,,Es haben nicht allein Männer ihre Schmarotzer, sondern auch Frauen ihre Parasitinnen gehabt, als die Königinnen in Syrien und Cypern, welche Leitern genannt worden, weil sie ihren Frauen den Rücken darbothen, daß sie sich deßelben als einer Leiter oder Stiege bedienten, wenn sie auf den Wagen steigen wollten. In Macedonien wurden sie zu schändlichen Verrichtungen gebraucht (roíßades). Andere Frauenzimmer bedienten sich, in Ermangelung menschlicher Spaßmacher, gewisser Thiere, womit sie sich die Zeit vertrieben."

2) Catherine II, Mémoires, Londres 1859. 115.

3) Der Großfürst Konstantin Pawlowitsch, der Diktator Polens, hatte einen Affen als Spaßmacher. Einmal ergriff der Affe eine Flinte und schoß auf den Großfürsten, der nur durch eine schnelle Bewegung der Kugel entging. Vgl. Harring, Memoiren über Polen, Deutschland 1831. S. 61.

Laufe des achtzehnten Jahrhunderts. Die Französierung Rußlands machte unter Elisabeth schon, dann aber unter Katharina II. solche Fortschritte, daß die Gesellschaft sich der alten moskowitischen Narrensitten und Maskeraden zu schämen und europäisch zugeschnittene Unterhaltungen und Tänze, elegante Bälle und vornehme, wenn auch langweilige Komödien zu besuchen begann.

Tanzen Ketzerei

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22. Tanz und Bälle.

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Ein geplanter Ball als Zarenstürzer Peters Reformwerk Polizisten müssen Tänzerinnen bringen Peter der Große als Tanzmeister Zeremonialtänze Am Hofe der Zarin Anna Rasumowskijs Tanzstunden Toilettenluxus der Kaiserin Elisabeth Aus den Erinnerungen der Kaiserin Katharina Maskenbälle Am Hofe Katharinas Stolz der Adeligen Geschichte des russischen Klubwesens - Paul verbietet Tanzen und Klubs Neues Leben unter Alexander I. Ball und Politik Der Herzog zu Vicenzia Kaiser Alexander und Naryschkin Sittenlosigkeit auf den Bällen der Vornehmen Etikette Nikolajs I. Sittenstrenge Der Bart des Orchesterdirektors Tanzwut der Kaiserin Alexandra - Katharina Dolgoruckij auf den Hofbällen - Volkstänze - Volksspiele Der Taubentanz Sexueller Charakter der Nationaltänze Schumki oder Tanzbrauser der Kosaken Obszöne und erotische Tanzlieder aus der Ukraine Der Text der Kamarinskaja Der Kranichtanz Der Chaliandratanz Polnischer Nationaltanz Tänze der Wotjäken und Kalmücken Tartarische

und Frau Wladek

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und tscherkessische Tänze.

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Der Tanz im alten Rußland konnte infolge der strengen. Trennung der Geschlechter nur eine Unterhaltung der niederen Volksklassen sein. Der Kirche und den Orthodoxen war Wissenschaft Ketzerei, Kunst ein Verbrechen, Musik und Tanz eine Entheiligung des Glaubens. Die Polin Marina, die Gemahlin des Pseudo-Dmitrij, beschleunigte selbst den Sturz und die Ermordung des falschen Zaren dadurch, daß sie im ehrwürdigen Kremlpalaste einen polnischen Ball veranstalten wollte.1) Erst Peter der Große sah auch in der Einführung der Bälle nach europäischer Art ein kulturelles Reformwerk. Er zerriß mit rauher Hand die Traditionen und zwang die Ehe

1) Karamsin, deutsche Ausgabe X 238.

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