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männer, ihre Frauen aus dem Terem zu befreien, in die Gesellschaft zu schicken und in den Armen fremder Männer herumdrehen zu lassen. Die Frauen folgten zumeist willig und freudig dem zarischen Befehle. Aber es gab auch manche, die aus Furcht vor dem eifersüchtigen Gatten, aus Angst vor der Strafe des Himmels oder aus bloßer Trägheit mit den alten Gewohnheiten der Abgeschlossenheit hinter vier Mauern und der Scheu vor fremden Männern nicht brechen wollte. Diese Ängstlichen und Zögernden wurden von der Polizei abgeholt und gewaltsam in den Tanzsaal geschleppt.

Lefort, der Lehrer und maître de plaisir des jungen Zaren, hatte in seinem Palaste in der Sloboda zu Moskau einen Ballsaal einrichten lassen, der 1500 Personen fassen konnte. Die ersten Bälle müssen gar kurios gewesen sein. Die Bojaren und ihre Frauen hatten sich von ihren Leibeigenen und Sklavinnen zwar oft etwas vortanzen lassen, aber selbst nicht getanzt. 1) Zur Not könnten sie nun wohl einen Nationaltanz nach dem Muster ihres Gesindes nachhopsen, aber Peter verlangt von ihnen gleich europäische Zeremonialtänze nach allen Regeln der Kunst. Da bleibt schließlich dem Zaren nichts anderes übrig, als selbst den Tanzmeister zu machen und seine Russen tanzen zu lehren. Noch lange nach der Gründung von Petersburg sieht man Peter den Großen als Tanzmeister Bälle eröffnen, der Gesellschaft vortanzen, und alles macht im Takte die Bewegungen und Verrenkungen des hohen Herrn nach. Während man aber beim Tanzen selbst die Regeln streng beobachten muß, darf man die Etikettefragen ganz außer acht lassen. Der Kaiser ergreift die erstbeste Frau, die ihm gefällt, und dreht sich mit ihr, bis er genug hat; so steht es auch jedem der Gäste frei, die Kaiserin ohne weiteres zu einem Tänzchen aufzufordern. 2) Nur für die Hochzeitsfeste der Vornehmen hat der Zar genau festgestellt, in welcher Reihenfolge und was für Tänze man tanzen müsse: Sobald die Tafel aufgehoben ist, so befahl die kaiser

1) Reise nach Norden / anno 1706. S. 155:,,Die Russen können nicht tantzen / und halten dafür / der Tantz komme ihrer Gravität nicht zu / doch geschiehet es zu weilen / daß sie mitten in einer Debauche ihre Tartarische und Polnische Sclaven tantzen lassen".

2) Bergholz bei Büsching XIX 135, 154 und 170.

liche Instruktion, tanzt zuerst der Hochzeitsmarschall mit der Braut, während die zwei ältesten Schaffer die Brautmutter und Brautschwester engagieren. Diese drei Paare tanzen polnisch, nachdem sie vorher einige Touren mit langsamen Schritten gemacht und im Vorbeitändeln der Gesellschaft ihre Reverenz erwiesen haben. Dann tanzt der Marschall, der seinen Marschallstab in der Linken hält, noch einmal mit der Braut, während die Brautmutter und Brautschwester von zwei anderen Schaffern engagiert werden. Hierauf tanzt der Bräutigam mit der Braut, der Bräutigamsvater mit der Brautmutter, der Brautbruder mit der Bräutigamsschwester. Dann tanzen wieder Bräutigam und Braut, ferner die Bräutigamsmutter mit dem Brautvater, und die Brautschwester mit dem Bräutigamsbruder. Schließlich tanzt der Vorschneider mit jeder Brautjungfer. Bei allen diesen Tänzen muß der Marschall mit dem Marschallstabe allein voraushüpfen. Nachdem die Zeremonialtänze beendet sind, herrscht Tanzfreiheit.

Trotz des Eifers, den Peter persönlich auf diesem Zivilisationsgebiete entfaltet hat, können sich die Russen nur schwer an die Bälle nach europäischer Art gewöhnen. Am Hofe der Kaiserin Anna Iwanowna herrscht bei Bällen die größte Verwirrung. Die Zarin hat zwar den französischen Ballettmeister Landet eigens dafür engagiert, daß er die Hofbälle arrangiere1), aber der gute Mann kann nicht verhindern, daß mitten im zierlichsten Menuett ein Unteroffizier der Garde mit seiner Gattin, einem Kosakenweibchen aus der Ukraine, einen feurigen Schurawlj, einen schmachtenden Golubez oder einen phallischen Zigeunertanz aufführt. Selbst die Kaiserin Elisabeth Petrowna, der es gelungen ist, ihren Tartarenhof mit einer brutal dicken französischen Schminke zu übermalen, muß ihren heimlichen Gemahl, den ehemaligen Kirchensänger Rasumowskij, in den Schäferstunden im Tanzen unterrichten und ihm schließlich, da ihre Mühe umsonst ist, einen Franzosen, der für den Zarenhof Ballette komponiert, als ständigen Lehrer der Tanzkunst beigesellen. 2) Im übrigen geht es bei Elisabeths

1) Иванъ Забѣлинъ, историческіе этюды, II 447.

2) Waliszewski, La dernière des Romanov, 51, 65; 40-42.

Hoffesten schon prunkvoll genug zu. Die Zarin treibt einen unerhörten Toilettenluxus. Als Großfürstin war sie knapp gehalten gewesen, nun holt sie alles fieberhaft hastig nach. Sie braucht viel, denn sie ist sehr dick, schwitzt furchtbar und muß während eines Balles wenigstens dreimal die Wäsche und die Kleider wechseln. Ferner zieht sie dasselbe Kleid nicht gern viele Male an. So häufen sich in ihren Garderobeschränken ganze Magazine auf. Im Jahre 1753 verbrennen beim Ausbruch eines Feuers in ihrem Moskauer Palais viertausend Roben. In ihrem Petersburger Palais findet man nach ihrem Tode 15000 Kleider, zwei Koffer vollgepropft mit Seidenstrümpfen, tausende Taschentücher und hundert Stück noch nicht angeschnittener Stoffe. Eigens dazu angestellte Hofbeamte müssen auf die im Hafen ankommenden Schiffe aufpassen und im Namen Elisabeths Hand auf die Nouveautés legen, ehe andere Frauen sie zu Gesicht bekommen. Der russische Gesandte, der 1760 in Paris weilt, um die Beziehungen beider Länder, die unterbrochen waren, wieder anzuknüpfen, verwendet seine meiste Zeit dazu, um Seidenstoffe mit den neuesten Mustern aufzutreiben. Der englische Gesandte in Petersburg, Lord Hyndford, beschäftigt sich tagelang mit Modeblättern, um für die Zarin Stoffe aus England bestellen zu können. Eine Merkwürdigkeit in der Garderobe Elisabeths sind die zahllosen Männerkleider. Zweimal wöchentlich gibt die Kaiserin in der Ballsaison Maskeraden; sie hat von ihrem Vater den Geschmack an Verkleidungen ererbt und liebt es, bei Hofe in Männertracht zu erscheinen, einmal als französischer Musketier, ein andermal als holländischer Matrose, ein drittesmal als Kosakenataman. Sie hat schöne Beine, und in Hosen kann sie ihre Pracht zur Geltung bringen. Sie ist der Meinung, daß die Männertracht nur sie allein gut kleide, ihre Rivalinnen. aber nicht begünstige. Sie befiehlt deshalb, daß bei den Maskeraden die Frauen alle in französischer Herrentracht, die Männer in Frauenkleidern erscheinen. 1) Auch sieht sie sehr streng darauf, daß die Modelle jener Kleider und Koiffüren, die sie adoptiert hat, vollständig für sie reserviert bleiben, solange sie

1) Mémoires de Catherine II, 148.

ihr gefallen; erst dann darf man sie nachmachen, wenn die Kaiserin sie aufgegeben hat. Wehe der Unglückseligen, die es wagt, mit Elisabeth zu konkurrieren, ihr den Preis der ersten Schönheit im Reiche oder den Rang der geschmackvollsten Frau am Hofe streitig zu machen; die arme Frau Lopuchin zieht sich aus solchem Anlaß den Zorn der Zarin zu und wird dem Henker überliefert, der mit der Knute ihre Schönheit in Fetzen reißt.

Eine glänzende Ballsaison ist der Winter 1745/46. Rußland führt Krieg, aber am Hofe Elisabeths amüsiert man sich. Die Vornehmen sind gehalten abwechselnd bald in diesem, bald in jenem Palaste Maskenbälle zu veranstalten. Es vergeht kein Abend ohne Fest. Tagsüber gibt es ein wildes Treiben von Schneiderinnen, Modistinnen und Friseurinnen, und der Tanzmeister fliegt von Palast zu Palast, um die Schönen die neuesten Pas zu lehren. Abends um sechs beginnt die Reunion mit einem Tanz für die Jugend und einem Kartenspielchen für die Älteren. Um zehn Uhr geht man zum Büfett. An einem Tische speisen nur die Kaiserin, ihr Neffe Peter, dessen Gemahlin Katharina und einige Privilegierte; die übrigen Gäste nehmen das Souper stehend ein. Nach dem Essen wird wieder getanzt bis zum frühen Morgen. Eine höfische Etikette wird bei diesen Bällen nicht beobachtet. Die Hausherren und Hausfrauen brauchen niemandem beim Eintritt entgegenzugehen, niemanden beim Fortgehen hinauszubegleiten, selbst die Kaiserin macht keine Ausnahme. Ja, es ist geradezu untersagt, sich von den Plätzen zu erheben, wenn die Kaiserin plötzlich in einen Ballsaal kommt, was häufig geschieht; Elisabeth pflegt sich bald bei einem Aristokraten, bald bei einem fremden Gesandten selbst zum Ball oder Souper einzuladen.

Auch um die Weihnachtszeit 1750 geht es lustig her; Katharina II. erzählt in ihren Memoiren1), daß bei Hofe Bälle und Maskeraden miteinander abwechselten und des Tanzens kein Ende war:,,Um jene Zeit tanzte ich gern. Auf großen Bällen mußte ich mich dreimal umkleiden. Mein Anzug war immer sehr gewählt. Wenn auf einem Maskenball mein Kostüm

1) Seite 155.

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