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richtet, wo eine von der Polizei dirigierte und besoldete Truppe die Moral durch die Kunst lehrte! Die Schauspieler erhielten für jede Vorstellung sofort ihr Honorar fünfzig Kopeken per Person vom Vertreter des Polizeichefs ausbezahlt.

Dies waren die Anfänge des russischen Theaters, das berufen gewesen wäre, in der Geschichte der Sittlichkeit einer der wichtigsten Faktoren zu sein, das aber seine hohe moralische Aufgabe nicht erfüllt hat. Wieviel Gutes hätte es gerade für die Veredlung der Sitten in Rußland leisten können! Trotz der allgemeinen Knechtung des Gedankens und des Wortes hat die Bühne sich einer merkwürdigen Freiheit erfreut. Auf jedem anderen Gebiete der Literatur war die Wahrheit Verbrechen, aber auf der Bühne durfte sie sich frei und kühn aussprechen. Der Publizist Radischtschew wird von Katharina vor Gericht geschleppt und nach Sibirien verbannt, weil er in seiner,,Reise von Petersburg nach Moskau" eine ziemlich harmlose Kritik der sozialen Zustände zu veröffentlichen gewagt hat; aber dieselbe Zarin überschüttet den Lustspieldichter Von-Wisin, der in seinen Stücken erbarmungslos den Hof und die Gesellschaft geißelt, mit einer Überfülle von Ehren; und Patjomkin, selbst durch die Satire schwer verwundet, drückt dem Dichter die Hand und sagt ihm:,,Jetzt stirb, oder dichte nicht mehr!“ Ssumarokow, der erste ernste russische Dramatiker, darf mit Stolz den Beinamen eines Beschützers der Wahrheit und Geißlers der Laster führen. Über Lomonossow wird die Knutenstrafe wegen Beleidigung hoher Beamten verhängt, aber des Dichters Verdienste als Dramatiker erwirken ihm Begnadigung. Knjäschnin und Ssudowtschikow dürfen in Dramen das Sportelnehmen und die Unehrlichkeit des Beamtentums verspotten. Kaiser Alexander I. sperrt den Menschenfreund Karasin, den Begründer der Universität von Charjkow, in das furchtbare Verließ der Schlüsselburger Festung, weil dieser Mann es gewagt hat, dem Zaren in einem Buche das Elend des Reiches zu zeigen; doch der Dichter Gribojedow, der: Wehe dem Gescheiten schrieb und in diesem Lustspiel die vornehmste russische Gesellschaft so furchtbar an den Pranger stellt, daß es anfänglich nur im Geheimen gegeben werden konnte, wird von demselben Zaren ausgezeichnet, als das Stück endlich

in die Öffentlichkeit dringt und die Verurteilung der knechtischen und faulen Bureaukratie jubelnden Beifall findet. Nikolaj I. läßt den Satiriker Ssaltykow-Schtschedrin nach Wjätka verbannen, weil er das verrottete System des Tschin angegriffen; aber wir wissen auch, daß derselbe Nikolaj dem Dichter Gogolj nicht bloß die Aufführung des Lustspiels,,Der Revisor“ ermöglicht, sondern der Première dieses Stückes, das die Willkür und Korruption der Tschinowniki bloßstellt, mit seiner Gegenwart einen besonderen Glanz verleiht. Auch unter Alexander II. darf Ostrowskij in seinem Lustspiel „Eine einträgliche Stelle" ungestraft die heilige Bureaukratie angreifen.

Die russischen Dramatiker haben aber nicht immer der Freiheit und der Gerechtigkeit gedient, sondern häufig genug auch den schlechten Instinkten geschmeichelt und namentlich der Wollust und der Grausamkeit weiten Spielraum auf der Bühne verschafft. Im Herbst 1889 wurde im Abramowtheater zu Moskau ein Stück aufgeführt, worin eine der handelnden Personen bestimmte weibliche Mitglieder des Zirkus Salamonskij bezeichnete, die ihre Gunst willig verschenkten. Wohnung und Tarif der Damen wurden genau angegeben. Außerdem empfahl man in diesem Stücke Hurenhotels und Vergnügungslokale niedrigster Sorte.1) Pissemskij zeigte in seiner Volkstragödie,,Bitteres Los", wie der Bauer Ananij das von seinem Weibe aus einem Liebesverhältnis mit dem Gutsherrn geborene Kind in einem Anfall eifersüchtiger Raserei an einer Tischecke zerschmettert. Leon Tolstoj hat in der ,,Macht der Finsternis" die schauerlichsten Tiefen aufgewühlt, wie Maxim Gorkij in seinen Szenen,,Das Nachtasyl". Am weitesten in der Brutalität aber gehen jene modernsten Dramatiker, die, von der Regierung in den Dienst der Reaktion gestellt, in ihren Stücken zeigen müssen, wie man Juden und Fortschrittsmänner erschlägt; dies geschieht beispielsweise in dem Stück ,,Die Söhne Israels", das seit 1901 aufgeführt wird und von allem Anfang an zu fanatischen Demonstrationen der Liberalen wie der Reaktionären Veranlassung gab.

Was bedeutet das Theater in Rußland für die Geschichte

1) Новое Время, 30. окт. 1889.

der öffentlichen Sittlichkeit? Die Herrscher und Herrscherinnen des Zarenreiches haben es nur als ein Mittel ihres egoistischen Vergnügens betrachtet. Die Zarinnen des achtzehnten Jahrhunderts unterstützten es, weil sie im Schauspielerpersonal eine neue Gattung von Liebhabern fanden, gleichwie im neunzehnten Jahrhundert der sittenstrenge Nikolaj I. sich seine Maitressen vom General Gideonow, dem Chef der kaiserlichen Theater, aus dem Ballettkorps auswählen ließ. Nikolaj II., der ein glückliches Familienleben führt, stellt an das Theater keine derartigen Ansprüche; aber da es nun besteht, so werde es eine Stätte der Propaganda für die zarische Autokratie, predige es die Ausrottung der Feinde des Selbstherrschers durch Mord und Feuer.

Ein Nationalvergnügen im guten Sinn des Wortes konnte das Theater schon deshalb nicht werden, weil man das Volk von ihm fast immer ferngehalten hat. Im Hoftheater Nikolajs I. gab es weder Balkone, noch Logen, sondern nur ein Parterre, einen einzigen Raum für die Allervornehmsten, für die Uniformierten; Zivilisten durften nicht erscheinen. Die sogenannten Volkstheater, die im Laufe der zwei Jahrhunderte gegründet wurden, hatten keinen Bestand, weil man aus ihnen Schulen machte, in denen nach autokratischer Lehre mit der Peitsche des Polizisten unterrichtet wurde. Die Zuschauer schleppte man durch Kosaken in diese Theater. So zog es der gemeine Russe vor, bei seinem Hanswurst der Butterwoche zu beharren, der mit seinen obszönen Gesten und zynischen Reden die Sprache spricht, die das Volk versteht, die dem Volke gefällt und die das Volk nicht verlernen wird, so lange die Selbstherrschaft dauert und das Prinzip der Entsittlichung der Massen regiert. Nikolaj II. eröffnete vor einigen Jahren im Alexanderpark zu Petersburg wieder einmal ein Volkstheater und ließ stolz verkünden: ,,Dies soll eine Stätte sein für die Entwickelung der Kultur, ein Geschenk Rußlands an das zwanzigste Jahrhundert." Die Geschichte aber läßt sich nicht durch Worte verblüffen und urteilt unbeugsam nur nach den Ergebnissen.

24. Rauchen und Tabakbuden.

Tabak ein Höllenkraut - Legende vom Tabak Bibelworte

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— Todesstrafe, Folter und Verstümmelung für Raucher - Über die Raucherleiden in der Türkei · Peter der Große Urheber der Rauchfreiheit

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des Marquis Caermarthen und des Grafen Schuwalow

Monopole Rauchen auf den

Straßen Ukas Nikolajs I. zugunsten eines Rauchers - Raßkoljniki und Geistlichkeit gegen das Rauchen Rauchen ein Nationalvergnügen Nogaier Tabaksalons Tabakbude und Bordell.

Soldaten

Das Rauchen ist dem Russen gleicherweise Vergnügen wie Lebensbedürfnis. Merkwürdig aber, daß just in Rußland und in der Türkei, also in jenen Staaten, die gegenwärtig als die eigentlichen Raucherländer gelten, der Tabak1) im Anfang verpönt war als das Kraut der Hölle. Die russische Literatur des siebzehnten Jahrhunderts besitzt sogar eine ,,Legende vom Ursprung des Tabaks"2), worin alle Schrecken ausgemalt sind, die dem Seelenheil des Tabakfreundes drohen. Besonders die Mönche verabscheuten den Tabak. Ein Abt aus einem Kloster in der Ukraine sagte dem preußischen Legationssekretär Vockerodt3):,,Gott habe das Tabakrauchen ausdrücklich verboten; es heißt in der Bibel: Was zum Munde hineingeht, verunreinigt den Menschen nicht; aber was zum Munde herausgeht, verunreinigt den Menschen. Deshalb sei eher Bier oder Branntwein erlaubt als Tabakrauchen." Zar Michael Feodorowitsch, der erste Romanow, verbot in einem Gesetze,,sowohl den Russen als den Ausländern, Tabak bei sich zu haben, Tabak zu trinken oder damit zu handeln." Käufer und Verkäufer sollten festgenommen und sogleich mit dem Tode gestraft

1) Dr. Gustav Klemm (Das Feuer, die Nahrung, Getränke, Narkotica, Leipzig 1855, S. 366) meint, daß die Russen den Tabak durch die Engländer kennen lernten. Nach England aber kam Tabak erst um 1583, während nach Olearius, Orient. Reise S. 126, schon im Jahre 1542 der Tabak in Rußland verboten wurde. Es wird daher angenommen, daß die Russen wie den Tee auch den Tabak aus China erhielten. Vgl. Nicotiana, oder: Taschenbuch für Tabakliebhaber, Berlin 1801, S. 35 und 44.

2) Vgl. A. v. Reinholdt, Geschichte der russischen Literatur, S. 240. 3) Bei Herrmann, Zeitgenöss. Berichte, S. 15, Abschnitt 22.

werden; ihre Häuser und Güter verfielen der Konfiskation, das einfließende Geld erhielt die zarische Kasse. Zar Alexej Michajlowitsch der Aufgeklärte1) bestätigte nicht bloß das Gesetz des Vaters, sondern verschärfte es noch durch die Anordnung, daß der Todesstrafe die Folterung vorausgehen sollte. Wenn jemand beteuerte, daß er den Tabak nicht gekauft, sondern zufällig auf der Straße gefunden, so wurde er auf die Folter gespannt; bestand er in der Folter bei seinen Angaben, so nahm man diese als wahr an. War der Beschuldigte ein Bojar, so ließ man ihn jetzt frei;,,ein Streljze, ein Ausländer, ein Herrenknecht, ein Bauer oder ein Spaziergänger" aber wurden, bevor man sie freiließ,,,über dem Bock mit der Knute" geschlagen. Wenn ein Streljze zum zweiten Male im Besitze von Tabak gefunden wurde, so folterte man ihn falls er angab, den Tabak wieder nur gefunden zu haben diesmal wiederholt, um die Wahrheit zu erfahren. Bestand er auf seinen Angaben, so ließ man ihm das Leben, verbannte ihn jedoch in ferne Provinzen oder nach Sibirien und gab ihm einen Denkzettel, indem man ihm die Nase abschnitt oder wenigstens die Nasenlöcher aufschlitzte 2).

Peter der Große, der seine Russen rasierte und nach europäischer Art kleidete, steckte ihnen auch die Tabakspfeife in den Mund. Schon vor seiner Reise ins Ausland, im Jahre 1697, hob er das Verbot des Tabakrauchens auf. In England schloß er mit dem Marquis von Caermarthen einen Vertrag betreffs eines Tabakshandelmonopols für Rußland. Er selbst raucht und schnupft; bei den Assembleen müssen auf allen Tischen Tabaksäckchen und Pfeifen aufliegen3), und die Russen, in neuen eleganten französischen Kleidern herumspazierend, dampfen auf zarischen Befehl aus den plumpen

1) Vgl. die §§ 10-21 des Kap. XXV in Struvens Allg. Russ. Land-Recht, Dantzig 1723, S. 241 ff.

2) In der Türkei waren die gleichen Strafen in Gebrauch. Dem Raucher wurde die Nase durchbohrt und der also bestrafte Rauchlüstling als abschreckendes Beispiel zur Schau herumgeführt. Murad IV. ließ 1638, zur selben Zeit wie Zar Michael, die Raucher in seinem Heere köpfen, hängen, vierteilen und die Leichen solcher Verbrecher vor die Zelte werfen.

3) Waliszewski, Pierre le Grand, pp. 60, 212, 458.

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