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Fleischbrühe, einen dünnen Mehlbrei, Tee ohne Milch. Andere Kranke dürfen nur wenig Milch, wieder andere müssen viel Milch zu sich nehmen. Hämorrhoiden heilt man, indem man dem Kranken mehrere Tage hindurch nichts anderes gibt als eine Schale frischer Kamelmilch morgens und eine Schale abends. Natürlich fehlt es auch nicht an den beliebten orientalischen Medikamenten, wie Rhabarber und Magnesia, und noch weniger an den Heilmitteln des Aberglaubens: so wird nicht bloß der Galle von Tieren, sondern auch der Galle von Menschen eine große Heilwirkung zugeschrieben. Die wichtigsten aller Mittel aber sind Amulette, Beschwörungszeremonien und als letztes und teuerstes: feierliche Gebete. Der kalmückische Arzt ist immer geschäftig, fühlt bald den Puls der linken, bald jenen der rechten Hand, dann beider Hände Pulse auf einmal, läßt sich den Urin des Kranken geben, klopft den Urin mit dem Stab, und wenn die Krankheit gefährlich oder der Patient vornehm ist, macht sich der Doktor kaltblütig daran, den Urin zu kosten. Kommt der gemeine Kalmücke zu einem europäischen Arzte, so bietet er die merkwürdigsten Honorare an, und es ist nicht selten, daß er seine Tochter als Pfand für die Bezahlung, die er gewöhnlich nicht vor vollendeter Kur leisten will, offeriert.1)

29. Räuberwesen und Revolutionen.

Raubwirtschaft als Folge von Hunger und Pest · Organisation der Räuber
Die Sjetsch der Kosaken Die Räuber und der Zar
Räuberlieder Grausamkeit Rasins

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Stenjka Rasin Ermordung der Adeligen und Priester Brigandage unter Peter dem

Ausschweifungen Rasins Nachfolger

Großen

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Der

Räuber und Revolutionäre Hinrichtung der Strjeljzen Richtplatz in Moskau Die Pugatschewsche Rebellion Ihre Folgen Die französische Revolution und Rußland Radischtschew der Freigeist Die Freimaurer in Rußland Nihilismus Das Erwachen des Muschiks Bankerott der Autokratie.

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Tausend Jahre lang hat das russische Volk die Tyrannei der Herrschenden, die Willkür des Tschin, die Knuten der Polizei geduldig und fast widerspruchslos ertragen; aber gegen

1) Bergmann, Nomadische Streifereien II 326. Pallas a. a. O. 295.

die Leiden des Hungers und der Pest hat es sich aufgelehnt. Die von Menschen verhängten Plagen verursachten nur selten Empörungen; doch gegen die Plagen, die die Natur erzeugte, murrte das Volk. Hungersnot und Pest hatten in ihrem Gefolge stets Unordnungen, und wo das Elend herrschte, bildeten sich sofort Räuberbanden. In den alten Chroniken und Annalen wird oft über die Leiden geklagt, die im heiligen Rußland durch die unvertilgbare Raubwirtschaft entstehen. Als 1230 Nowgorod von furchtbarer Hungersnot heimgesucht wird, durchziehen jene, die nicht apathisch den Untergang erwarten wollen, raubend und sengend die Stadt und plündern die Kostbarkeiten in den Häusern der Reichen. 1299 zerstört eine Feuersbrunst Nowgorod, und die dadurch hervorgerufene Verwirrung benützen wilde Banden zur Ausraubung der Paläste und Kirchen. 1314 werden in Pskow 50 Hauptanführer von Räuberbanden, die die Stadt während einer Hungersnot beunruhigen, aufgehängt. Seit dem vierzehnten Jahrhundert, mit dem Beginne der Tartarenherrschaft, nimmt das russische Räuberwesen kolossale Dimensionen an. Aber nachdem die fremden Bedrücker von den moskowitischen Zaren endlich vertrieben worden, wird es durchaus nicht besser. Das Volk, soweit es überhaupt fähig ist, unter dem Elend noch das Gefühl des Leidens zu empfinden, verfällt der Trunksucht oder flüchtet sich in die Wälder, um vom Raube zu leben.

Die Epoche Iwans des Schrecklichen schafft ganze Armeen von Verzweifelten; und als unter Boriß Godunow um 1600 die entsetzlichste aller russischen Hungerzeiten anbricht, ergibt sich alles, was dem Hunger entrinnen kann, dem Straßenraub. Aus der Ukraine brechen Scharen nach Inner-Rußland ein, um zu morden und zu plündern. In abgelegenen Gegenden errichten die Räuber förmliche Standquartiere, wo man die Streifzüge berät und von wo aus man bis unter die Tore von Moskau zieht. Einer der verwegensten Räuberhauptleute der Zeit ist Chlopko, mit dem Beinamen Koßolap, der Krummpfotige; der Zar muß ihm ein ganzes Heer entgegenschicken, aber erst nach hartem Kampfe wird Chlopko gefangen und unter gräßlichen Marterungen getötet; auch alle seine Unteranführer werden auf die Folter gespannt und hingerichtet, ob

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(Nach einer Abbildung in J. Hanway's Reisebeschreibung, 1754.)

Bestrafung von Räubern an der Wolga.

Titelbild aus Montmorin,

Histoire de Pierre III. et des amours de

Catherine II.

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wohl Zar Boriẞ bei seinem Regierungsantritt gelobt hat, keinen Menschen mit dem Tode zu bestrafen.1) Aber dieses Gericht schreckt niemanden ab, und 1609 wagt es der Räuberhauptmann Salkow, ein chatunskischer Bauer, Moskau zu umzingeln und alle Getreidetransporte aufzuhalten, so daß in der Hauptstadt Hungersnot herrscht. 2)

Die Räuberbanden ziehen zuweilen gleich mächtigen Heeren durch die Provinzen und behandeln das Vaterland wie eroberte Reiche; sie lagern nicht bloß auf den Landstraßen und in den Wäldern, um von den Wanderern und den Kaufleuten Abgaben und Steuern zu erheben, sondern brandschatzen auch Städte und nehmen Festungen in Besitz. Die Сѣчь (Sjetsch3), die Niederlassung der Saporeger Kosaken, ist das Zentrum aller Räuberbanden. Flüchtige Leibeigene, Diebe und Mörder, die dem Henker entkamen, Abenteurer aller Art, unschuldig Verfolgte, mit einem Worte alle, die unter einem Regime der Ordnung oder unter der Herrschaft der Willkür nichts Gutes zu erhoffen haben, suchen das Asyl in der Sjetsch auf. Gogolj hat von diesen Glücksrittern und Verfehmten in seinem Roman Taraẞ Buljba ein krasses Bild entworfen. Aus der Sjetsch strömen von Zeit zu Zeit und Jahrhunderte hindurch die Scharen der Freibeuter, die namentlich die Bojaren und den niederen Adel drangsalieren und fast überall auf die Sympathien, wenn nicht gar Anteilnahme des bedrückten Muschik und des geknechteten Volkes rechnen können. Wenn die Räuber die Bojaren und Gutsherren ausplündern und ermorden, so erscheinen sie nicht als Diebe und Mörder, sondern als Rächer des namenlos leidenden Volkes, als Geißel für die Herren und Befreier der Leibeigenen.

Die Macht des Räubertums vermag diese kolossalen Dimensionen anzunehmen, weil sich die Bewegung niemals gegen den Zaren richtet. Wie dem einfachsten Muschik, bleibt auch dem zügellosen Räuber der Zar noch immer der Inbegriff alles Heiligen auf Erden. Ja, der Räuber ist geradezu ein Mann

1) Karamsin, deutsche Ausgabe X 97, französische XI 153.
2) Ebenda, deutsche Ausgabe XI 145.

3) Dieses Wort ist altrussisch, gleichwie chчeшь, der Krieger, und cчиво, die Axt. In der modernen Sprache heißt cчa oder căчь: das Blutbad.

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