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gingen1): Die germanischen Völker, meint er, haben vor den Slawen zur Gewinnung der Bildung große Vorteile und leichteren Weg vorausgehabt; sie fanden in der weströmischen Welt, wo sie sich niederließen und mit den Ureinwohnern zu neuen Volksbildungen amalgamierten, überall eine hohe und alte Kultur, deren Sprache, die lateinische, nicht bloß in allen diesen Ländern verbreitet war, sondern auch als Kirchensprache mit dem Christentum in den eigentlichen germanischen und skandinavischen Ländern Eingang gewann. Dabei war durch den germanischen Ursprung, die germanische Sprache, die germanischen Sitten ein innerer Zusammenhang unter allen diesen Völkern begründet. Diese Völker fanden einen natürlichen, durch die Kirche begründeten Mittelpunkt in Rom. Einigkeit und Disziplin hatte die orientalische Kirche sich ebenfalls erhalten, aber es war mehr der Staat, das orientalische Kaisertum, wodurch diese Einigkeit aufrecht erhalten. wurde, während im Okzident nicht bloß Einigkeit, sondern auch Einheit existierte. Die Kreuzzüge verbreiteten im staatlichen Leben der Völker Europas im Mittelalter das Rittertum und Bürgertum. Die Kultur wurde im Okzident nicht das Eigentum eines bevorzugten Volkes, sondern aller Völker. Der slawische Stamm aber, der sich im jetzigen Rußland niederließ, fand kein Kulturvolk vor, dem er sich hätte anpassen, von dem er eine alte Kultur und Bildung hätte übernehmen können. Was er antraf, waren vielmehr nur spärliche Reste tschudischer Völker, die in Anlagen und Kultur noch tief unter ihm standen. Dann erhielten die Russen das Christentum von der orientalischen Kirche zu einer Zeit, als sich diese Kirche bereits mit der okzidentalischen in eine feindselige Spannung hineingelebt hatte. Das griechische Kaisertum hatte bei aller Fernhaltung vom Westen doch aus politischen Rücksichten den lateinischen Okzident zu sehr nötig, um mit ihm völlig brechen zu können. Rußland aber schloß sich gänzlich vor Europa ab und nahm selbst dem griechischen Kaisertum gegenüber, obwohl es von dort seine Religion be

1) August Freiherr von Haxthausen, Studien über die inneren Zustände Rußlands. Erster Band, S. 40.

zogen hatte, eine mehr feindliche als freundliche Stellung ein. Die Religion knüpfte Rußland nicht allzufest an Konstantinopel, es war kein inniges Band, nur die Person des jeweiligen Patriarchen hielt die Verbindung aufrecht, und diese war sicherlich lockerer als die der Völker des Westens mit Rom. Denn wichtig ist es zu bemerken, daß Rußland mit der griechischen Religion nicht den griechischen, sondern einen slawonischen Kultus akzeptierte; mit der griechischen Religion nicht die griechische Sprache übernahm und also fremd blieb der altgriechischen und byzantinischen Kultur. War auch die altslawische Sprache schön und reich, so hat sie doch nicht die Fähigkeit gezeigt, eine Literatur zu schaffen, konnte also keine Grundlage für eine Kultivierung sein, nicht Rußland instand setzen, mit der Bildung in Europa Schritt zu halten. Ihre Leistungen erschöpfen sich in einigen Heldenliedern in der Zeit vom zehnten bis zum dreizehnten Jahrhundert und in den Annalen des Kijewer Höhlenklostermönches Nestor. Dabei blieb die russische Kultur stehen, und dieses Wenige wurde von den Polowzern und Mongolen, die Rußland in den nächsten Jahrhunderten bedrängten und unterjochten, verweht wie Staub in der Steppe.

Und als sich Rußland wieder erhob zu selbständigem Leben, zu einem unabhängigen Staatswesen, knüpfte man nicht an die einstigen Versuche zur Kultivierung an, sondern hielt sich schon für vollkommen, weil man Kraft genug bewiesen hatte, das Mongolenjoch abzuschütteln. Als unter dem vierten Iwan einige fremde Kaufleute in Archangelsk erschienen, um von den Russen Getreide, Holz und Kaviar zu erhandeln, glaubte man in Moskau schon: Rußland sei der Stapelplatz und Speicher von Europa, und der ganze Westen müßte ohne russisches Holz vor Kälte umkommen, ohne russischen Kaviar verhungern. Das glaubten dieselben Russen, die noch kein anderes Geld kannten als Stücke von Fellen1),

1) Dieses Tauschmittel nannte man Kunen Die einzelnen Sorten bestanden aus größeren oder kleineren, feineren oder gröberen Fellen, aus Ohren von Mardern, Hälsen von Zobeln, Füßen von Füchsen und aus Iltisschweifen. Eine am Ufer der Oka gelegene Vorstadt von Nischny-Nowgorod heißt noch heute Kunawino von den vielen Kunen, die hier als Zoll entrichtet wurden.

und nicht imstande waren zu zählen, wenn sie nicht die auf einer Schnur aufgezogenen Kugeln, also die primitivste aller Rechenmaschinen, zur Hand hatten. Noch mehr, die Russen hielten sich in ihrer Ignoranz, die dem Größenwahn häufig verwandt ist, sogar für das höchstgebildete Volk der Welt, obwohl sie nach den Geständnissen ihrer eigenen Historiker im ganzen Reiche nur drei Priester hatten, die Griechisch verstanden; obwohl sie die Astronomie, Anatomie und die meisten anderen Wissenschaften für Künste des Teufels erklärten.

Es kann nicht wundernehmen, daß die Europäer, die damals mit Rußland in Berührung zu kommen Gelegenheit hatten, nicht tiefer in das Reich eindrangen und sich nicht bemühten, ehrlich zu erforschen, wie das Volk wirklich beschaffen war. Nach den Erlebnissen an der Peripherie des heiligen Rußland meinte man schon das Günstigste gesagt zu haben, wenn man ein Urteil wie dieses fällte1):,,Le Moscovite est précisement l'homme de Platon, animal sans plumes, auquel rien ne manque pour être homme, si non la propreté et le bon sens."

In einem in meinem Besitze befindlichen außerordentlich selten gewordenen Büchlein 2) heißt es noch im Anfang der Regierung Peters des Großen von den Russen:,,Das gemeine Volck in Russen ist in Wahrheit überaus dumm und abgöttisch. Diejenigen, welche gegen Norden bey Archangel und Cola wohnen / erkennen keinen andern Gott als den St. Nicolas, den sie vor den Regierer der gantzen Welt halten. Sie behaupten, daß er von Italien bis an einen Haven / der seinen Namen führet/ und nahe bey Archangel lieget / auf einem

An der Überfuhr mußten die Kaufleute oft lange warten, bis sie ihre Waren verzollen konnten; es wurden Hütten und Häuser gebaut, und so entstand das Dorf Kunawino. Vgl. Bernhard Stern, An der Wolga. S. 5.

1) Aus dem Berichte Johann Gotthilf Vockerodts bei Herrmann, Zeitgenössische Berichte zur Geschichte Rußlands. S. 2.

2) Reise nach Norden/Worinnen die Sitten/Lebens-Art und Aberglauben derer Norwegen/Lappländer/Kiloppen, Borandier, Syberier, Moẞcowiter/Samojeden, Zemblaner und Iẞländer accurat beschrieben werden. (Mit Kupfern.) Zum andernmahl gedruckt und mit den annehmlichsten Nordischen Curiositäten vermehret. Leipzig, Bey Gottfried Leschen. 1706. 120. 511 Seiten. Vgl. S. 214, 215-216.

Mühlsteine geschwummen kommen / und wann ein Russe einigen Zweiffel in diese Historie stellet / so setzet er sein Leben gantz gewiß in Gefahr . . . Die meisten Russen seyn ungeschickte / tölpische und unerbare Leute ausgenommen etliche die durch die Handlung / so sie mit denen Fremden gehabt haben/ civil worden sind und den Polnischen Hoff durchwandert haben. Die Polen sind nicht so barbarisch als sie: Es giebt derer / die ihnen den Verstand durch das Studieren und die Wissenschafften/ die aus Russen gantz verbannet seynd / zuwege bringen und sie haben die Freyheit zu reisen/ die denen Russen benommen ist."

Eines der wertvollsten Zeugnisse aus der Zeit am Ende des sechzehnten Jahrhunderts hat der Engländer Fletcher1) geliefert,,Die Zaren," sagte er, ,,die im Handel ein Mittel zur Bereicherung ihres Schatzes sehen und sich wenig um den Wohlstand ihrer Kaufmannschaft bekümmern, begünstigen auch die Volksbildung nicht. Sie lieben nichts Neues, veranlassen keine Ausländer nach Rußland zu kommen, ausgenommen Solche, die sie zu ihren Diensten brauchen, und erlauben ihren Unterthanen nicht außer Landes zu gehen aus Furcht vor der Aufklärung, deren die Russen bedeutend fähig sind, da sie viel natürlichen Verstand haben, den man sogar bei den Kindern bemerkt. Nur Gesandte und Landläufer sieht man von den Russen dann und wann in Europa." Der berühmte russische Historiker Karamsin, der eingestehen mußte, daß Fletcher viel Wahres über den damaligen Zustand Rußlands gesagt, konnte die von mir ausgewählten Bemerkungen des Engländers nicht verwinden und kommentierte) sie

1) Of the Russe Common-Wealth, or manner of governement by the Russe Emperour; commonly called the Emperour of Moscovia, with the manners and fashions of the people of that countrey. At London printed by T. D. for Thomas Charde, 1591. Die Gesellschaft der Londoner Kaufleute, die mit Rußland Handel trieben und den Zorn des Zaren fürchteten, bat den Minister Cecil, Fletchers Buch zu verbieten.

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2) Karamsin, Geschichte des Russischen Reiches. Nach der zweiten Originalausgabe übersetzt. Neunter Band, Leipzig 1827. S. 293. (In der französischen Übersetzung Bd. X. 340.)

an der einem gebildeten Geiste eigentümlichen Wiẞbegierde mangelte; den Kaufleuten war es nicht verboten, außer Landes Handel zu treiben, und der eigenmächtige Johann schickte junge Leute nach Europa auf Universitäten. Ausländer nahmen wir in der That nur mit Auswahl und wohl überdacht bei uns auf. Gelehrte wiesen wir nicht ab, sondern luden sie vielmehr zu uns ein." Karamsins Polemik ist eine unglückliche, und das Beispiel, das er für die Einladungen gibt, spricht klarer noch als Fletcher. Wen berief der Zar? Wen berief der Zar? Den berühmten Mathematiker Dee; aber nicht seiner mathematischen Gelehrsamkeit wegen, sondern weil sein Ruf als Sterndeuter und Alchemist in Moskau phantastische Hoffnungen erweckte. Dee war übrigens klug genug, die Berufung abzulehnen.

Das Reisen ins Ausland war den Russen faktisch streng untersagt. Man weiß, daß im Jahre 1075 der Großfürst Isäslaw von Kijew in Mainz den Kaiser Heinrich den Vierten besuchte; aber das Rußland des sechzehnten Jahrhunderts war fanatischer und abgeschlossener als das des elften, und seit Iwan dem Schrecklichen galt schon der bloße Wunsch ins Ausland zu reisen als Hochverrat. Unter dem ersten Romanowschen Zaren Michael Feodorowitsch war der Fürst Chworostinin Gegenstand einer strengen Verfolgung, weil er seinen Freunden gesagt hatte:,,Ich möchte einmal eine Reise nach Polen und Rom machen, um jemanden zu finden, mit dem man sprechen könnte." Kurz darauf wagte es der Sohn des meistgehörten Ratgebers des Zaren Alexej, Ordin-Natschokin, heimlich die Grenze zu überschreiten, und es war davon die Rede, den Hochverräter im Auslande töten zu lassen.1) Und Zar Alexej Michajlowitsch galt bereits als aufgeklärt. Er ließ seine Kinder in der Mathematik und Astronomie unterrichten, so daß die Geistlichen weinten und jammerten ob der Sünden des Herrschers2), der ,,Philosophen bei sich hielt, die

1) K. Waliszewski, Pierre le Grand. L'éducation, l'homme, l'œuvre. D'après des documents nouveaux. 5ème édition, Paris 1897. S. 81 (Nach Ssolowjew, Bd. IX 461 und X 93).

2) Bernhard Stern, Zwischen der Ostsee und dem Stillen Ozean. Zustände und Strömungen im alten und modernen Rußland. Breslau 1897. S. 10.

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