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aus den Studenten Leute zu machen, denen ihr Leben nichts gilt; ihm genügt nicht das Elend des Volkes, er schuf auch einen Universitätspauperismus, wie Leroy-Beaulieu die russische Intelligenz nennt, ein Abiturientenproletariat, wie Bismarck in einer berühmten Reichstagsrede den Nihilismus bezeichnet hat. Man werde konsequent, schließe die Elementarschule, vernichte die Mittelschule, öffne niemals mehr die Universitäten und überlasse das Volk ganz dem Aberglauben und der Unsittlichkeit, die ohnehin bis heute mächtiger geblieben sind als Bildung und Wissenschaft.

4. Aberglaube und Verbrechen.

Gesetze betreffend Aberglauben Sterndeuterei

Bischofs

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List und Wollust eines
Schlange

Taube

Träume Abergläubische Anzeichen Insekten als Herdgeister Unverletzlichkeit der Läuse - Vogelflug Böser Blick Kartenaufschlagen Feuer Das Jahr und seine Tage Der Tag des heiligen Wlaßj Fasten Wochentage Der Freitag als Gauner Aberglaube und Verbrechen Erinnerungen an Bauopfer Das Opfer der Müller Verbrechen und Talisman Die Zehe als TalisDer Zahn als Zaubermittel - Leichenteile als Heilmittel Geschlechtsteile als Zaubermittel Angst vor den Toten

man

Mißgeburten

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Der Tod im Aberglauben
Seelenspeisung.

Nach den vorhergehenden drei Kapiteln, in denen wir den Gang der russischen Kultur und ihren gegenwärtigen Zustand kennen gelernt haben, wissen wir, daß Rußland noch abgrundtief im Aberglauben untersinkt. Unter den kultiviertesten Völkern unserer Zeit ist der Aberglaube noch nicht ganz ausgerottet. Aber er ist bei ihnen nirgends mehr allgemein und nimmt in den seltensten Fällen gefährliche Formen an. In Rußland jedoch ist der Aberglaube die wahre geistige, moralische und auch physische Geißel des gesamten Volkes ; er erscheint hier in einer Gestalt, die furchtbar ist; er beherrscht alle Schichten der Gesellschaft und ist begleitet von Verbrechen, wie sie sonst nur noch bei den wildesten Völkern, bei Kannibalen, vorzukommen pflegen. Die grausamsten Folterungen, brutale Vergewaltigungen, Meineid, Mord und Sodomie als Folgeerscheinungen des Aberglaubens sind nicht

die Au nahmen, sondern die Regel. In keinem Lande der Erde sind die Gebiete des Aberglaubens und der öffentlichen Sittlichkeit in so unauflösbarem Zusammenhange wie in Rußland.

Nicht nur die älteren Gesetzgeber, auch die der neuesten Zeit haben diesen Umständen besonders Rechnung tragen müssen. Ich erwähne hier zunächst die bedeutsamsten Paragraphen aus dem Strafgesetzbuche vom Jahre 1845 und die Artikel der Allgemeinen Gesetzessammlung vom Jahre 1890.

In dem Strafgesetzbuche vom Jahre 1845 besagen die Paragraphen 1159 bis 1164: Wer aus Eigennutz, falscher Ruhmsucht oder irgend eines Vorteils willen Gerüchte von geblichen Wundern verbreitet oder eine durch ihn selbst veranstaltete Erscheinung leichtgläubigen Leuten als ein Wunder darstellt, wird für diesen auch in religiöser Beziehung strafbaren Betrug nach Maßgabe seiner Schuld und des dadurch gestifteten Ärgernisses auf sechs Monate bis zu einem Jahre Besserungshaus verurteilt. Im Wiederholungsfalle erfolgt Verlust der Rechte, eine Strafe bis zu zwei Jahren und Kirchenbuße. Dieselben Strafen treffen denjenigen, der um irgend eines unrechtlichen Vorteils willen die Leichtgläubigkeit anderer benützt und sich für einen Wahrsager oder Zauberer ausgibt und bei Ausübung dieser betrügerischen Kunst Gegenstände mißbraucht, die dem christlichen Kultus geweiht sind. Wer ohne einen dem christlichen Kultus geweihten Gegenstand herabzuwürdigen sich für einen Wahrsager oder Zauberer ausgibt und angebliche Gesichte sehen läßt, angebliche Zaubertränke, Zaubermittel, sogenannte Talismane und andere bezauberte Dinge zubereitet, austeilt und verkauft, erhält beim ersten Male sieben Tage bis drei Monate Arrest, beim zweiten Male 6 Monate bis zu einem Jahre Besserungshaus. Wer auf solche Weise Gegenstände austeilt, die der menschlichen Gesundheit schädlich sind, geht auf ein bis zwei Jahre seiner Rechte verloren. Stirbt ein Mensch durch den Gebrauch solcher Gegenstände, so erhält der Schuldige, falls er Christ ist, eine Kirchenbuße auferlegt. Diesen Strafen sind die bei einigen heidnischen Völkerschaften vorkommenden Zauberer und Geisterbeschwörer nicht unterworfen, wenn sie ihre Künste den Gebräuchen dieser Völkerschaften gemäß und bloß für

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ihre Glaubensgenossen üben. Die angeblich besessenen Weiber, die gegen andere Leute aussagen, als hätten diese ihnen durch Zauberkünste geschadet, werden für solchen boshaften Betrug auf sechs Monate bis zu einem Jahre ins Besserungshaus eingesperrt. Wer sich für eine mit übernatürlichen Kräften oder besonderer Heiligkeit begabte Person ausgibt und das so gewonnene Zutrauen der Menge anwendet, um im Volke Unruhen oder Verwirrung zu erregen, es zur Widersetzlichkeit gegen die Regierung anzureizen, verfällt in die Strafe der Verbannung und der Ansiedelung in Sibirien und erhält zwanzig bis dreißig Peitschenhiebe.

Im vierzehnten Bande der Allgemeinen Gesetzessammlung vom Jahre 1890 handeln die Artikel 28 bis 35 vom Aberglauben. Hier wird verboten: Der Gebrauch sich zur Weihnachtszeit in Götzenkleider zu stecken, auf den Straßen zu tanzen und verführerische Lieder zu singen; in der Osterwoche solche Leute zu baden oder mit Wasser zu bespritzen, die nicht bei der Frühmesse gewesen sind. Andere Artikel befassen sich in ähnlicher Weise wie die Gesetze vom Jahre 1845 mit lügnerischen Weissagungen und Afterprophezeiungen und mit den Personen, die sich für Zauberer und Hexen ausgeben. Am 5. Oktober 1772 fürchtete die Regierung anläßlich der Pestepidemie eine stärkere Verbreitung des alten Gebrauches, in Zeiten der Seuchen die Gräber jener zu öffnen, die man für Krankheitsgeister und Vampyre hält.1) Damals entstand

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1) Dieser Aberglaube erhält sich hartnäckig. 1871 kam zum Geistlichen des Fleckens Boguschewitschi im Gouvernement Minsk eine Witwe und bat, man möge das Grab ihres verstorbenen Mannes öffnen, der Leiche den Kopf abschlagen und zu Füßen des Toten legen, damit er nicht mehr aufstehe; er komme noch allnächtlich in seine Hütte zurück, klagte die Witwe. Wird eine Witwe schwanger, so redet sie sich leicht auf den toten Mann als Vampyr aus! Mangel an Regen schreibt man dem Einflusse plötzlich, also unbußfertig Verstorbener zu; sie sind Vampyre, melken die Wolken und stehlen den Tau. Man muß ihre Leichen in Schluchten, Seen oder Flüsse werfen. Das Wasser vertreibt den Zauber. Als im Jahre 1889 große Dürre herrschte, grub man im Dorfe Ssinokriwez im Kreise Cherson die Leiche eines Greises aus, der im Leben als Vampyr gegolten hatte, viele wollten sogar einen Schwanz auf seinem Rücken gesehen haben. Man begoß also die Leiche und glaubte die Bosheiten des Vampyrs nicht mehr fürchten zu müssen. Aus dem gleichen

ein Gesetz, das für solche Verbrechen als Strafe Zwangsarbeit und Verschickung zur Ansiedelung in Sibirien vorschrieb; die neuere Gesetzgebung setzte für solche Fälle die Strafe auf Gefängnis und Korrektionsanstalt herab. Weitere mit dem Aberglauben zusammenhängende Gesetzartikel werde ich später an verschiedenen Stellen erwähnen.

Braucht man es besonders hervorzuheben, daß alle diese Gesetze nur illusorischen Wert haben und nicht geeignet sind, den Aberglauben zu bekämpfen, wenn gleich hier gezeigt werden wird, daß noch heutzutage die Herren Richter selbst in Rußland dem Aberglauben huldigen? Am 16. März 1896 hatte das Bauerngericht im Dorfe Ustj-Mulljänka im Permschen Kreise des Kama- und Wolgagebietes über die Klage eines Bauern zu entscheiden, der behauptete, im Dorfe wäre eine Hexe, die seinen Stier bezaubert hätte. Er verlangte, daß man, um die Hexe herauszufinden, alle Weiber des Dorfes durch ein Kummet kriechen lassen sollte; diejenige, welche nicht hindurch käme, sei die Hexe. Und das löbliche Dorfgericht entschied wirklich im Sinne des Klägers. Im Dorfe Peressadowka, Gouvernement Cherson, schrieben die Bauern die Regenlosigkeit der Zauberei der alten Weiber zu. Die Gemeindeverwaltung berief drei verdächtige Weiber ins Gerichtshaus und befahl ihnen, dafür Sorge zu tragen, daß es am 17. Juli regnen solle. 1) Dann wurde mit den Frauen die Probe angestellt, man badete sie im Flusse, wodurch nach altem, auch in anderen Ländern in früheren Zeiten angewendeten Gebrauche herausgefunden werden kann, wer eine Hexe sei; eine solche geht nämlich dank ihrer Verbindung mit dem

Grunde grub man im Jahre 1868 im Dorf Tichij Chutovj im Kreise Tarachtschan des Kijewschen Gouvernements die Leiche eines Altgläubigen aus, der als Vampyr gegolten. Man schlug der Leiche auf den Kopf und rief dabei: Gib uns Regen. Dann begoß man den Toten durch ein Sieb und beerdigte ihn wieder. Vgl. Aberglaube und Strafrecht von August Löwenstimm, Gehilfe des Juriskonsults im Justizministerium zu St. Petersburg. Übersetzung aus dem Russischen, mit Vorwort von Dr. J. Kohler. Berlin 1897. S. 101-103. 1) Geschehen im Jahre 1883. Харьковскія вѣдомости No 185. Сумцовъ, Кіевская старина 1889, стр. 82. Vgl. Löwenstimm a. a. O. 41 und 83.

Teufel im Wasser nicht unter.1) Die Wasserprobe nützte nichts und am 17. Juli gab es auch keinen Regen. Man zitierte abermals die drei Weiber, diese aber erklärten jetzt in ihrem Zorn, es werde auch in Zukunft nicht regnen. Tief erschrocken zogen die Gemeindemitglieder andere Saiten auf und verlegten sich aufs Bitten; und die Frauen ließen sich erweichen, führten die Gemeindeältesten und die Dorfpolizei in die Hütte der einen von den Dreien und zeigten ihnen dort in der Ofenröhre zwei Feilen und ein verkittetes Schloß als die geheimnisvolle Zauberkraft. Der Bericht erzählt nicht, ob die drei Hexen zum Danke für die aufgelöste Verzauberung zu Ehrenbürgerinnen des Dorfes Peressadowka ernannt wurden. Das Gemeindegericht von Schetin im Poschechonschen Kreise des Gouvernements Jaroslaw verurteilte am 3. Oktober 1884 den Bauer David Charitonow wegen zauberischer Zufügung eines Bruchschadens zu zwanzig Rutenschlägen.2) Im Dezember

1887 verurteilte die Gemeindeverwaltung von Alexandrowo im Kreise Choper einen Bauer zur Ansiedelung in Sibirien3),,,weil er den Satan in die Leute treibt; sobald er jemandem ein Glas Wasser reicht, beginnt dieser zu schimpfen, seine Kleider zu zerreißen, und der Teufel gibt ihm keine Ruhe."

Wenn die Richter an Hexen und Zauberer glauben, können sie natürlich auch selbst behext und bezaubert werden: Die Dorfrichter im Kreise Tscherkaẞk des Dongebietes verurteilten im Mai 1880 eine Saldatenwitwe wegen Kuppelei zur Auspeitschung. Als der Übeltäterin auch mit der Verbannung nach Sibirien gedroht wurde, verfiel die erschrockene Frau auf den Gedanken sich durch Hexerei die Neigung der Richter

1) Löwenstimm a. a. O. 81–82 erwähnt diese Wasserprobe mehrmals. Die Wasserprobe dient nicht bloß zur Erkennung der Hexe, sondern auch zur Behebung der Dürre. Im Kaukasus wurden im Jahre 1870 dreizehn alte Weiber aus dem Dorfe Nowo Alexandrowska der herrschenden Dürre wegen ins Wasser geworfen. Es ereignete sich ein solcher Fall auch im Slawjänoserbschen Kreise.

2) Mitgeteilt von den pocлавск. губ, в3⁄4ÃOм. 1889, No 67. Козьмо-Демянское, сочиненіе С. Р. Дерунова. Vgl. Löwenstimm a. a. O.

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Vgl. Löwenstimm a. a. O.

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