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Diese Welt in den Tiefen der Vergangenheit liegt sie begraben, unter den Trümmern der Jahrtausende liegt sie verschüttet, die Zeit hat ihre Fluthen über sie gewälzt, die Geschichte hat ihre Leichen an sie angeschwemmt, daß ein Knochengebirge wie eine Konchilienbank sich über sie legt, und an der Oberfläche hat die Gegenwart mit ihrer lachenden Drapperie von Blüthen und Kräutern sie umzogen. Aber unter dem aufgewälzten Drucke regt sich von Zeit zu Zeit der Riesengeist, daß die Kerkerwände zittern und die alten festen Gebirge beben und das Werk von Jahrtausenden in seinen Festen wankt und in den Fugen von einander weicht, und durch die geborstenen Schlünde die verhaltenen Flammen gewaltsam drängend sich ergießen und die Nationen zagen und zittern, daß der alte Riese sich erraste und das hochmüthige Geschlecht ertrete ').

In der That! Diese prophetisch begeisterten Worte des genialen Görres haben ihre velle Berechtigung. Bei nur einigermaßen eingehenderem Studium der indischen Philosophie oder des indischen Glaubens werden wir in Staunen verseßt durch den riesigen Ideencompler, der sich da findet, durch die Reinheit der Tradition von der Ureffenbarung, durch die wundersamen Anklänge an christliche Lehren, bei diesem altehrwürdigen Volke. Doch gehen wir auf's Einzelne ein. Wenn sich bei den indischen Ariern eine Art Dreieinigkeitslchre die Lehre von der Trimurti 2) — Brahma, Siwa, Wischnu - findet, so ist ihre Anschauung von Gott und Welt im Grunde doch Pantheismus, dem im praktischen Leben ein in mehrere hundert Millionen von einzelnen Götterindividuen auswuchernder Polytheismus zur Seite geht 3). Der höhere noch irgendwie auf theistische Momente zurückweisende Charakter dieses sehr alten Pantheismus tritt darin zu Tage, sagt Hanne, daß man in der indischen Religion das Göttliche doch noch irgendwie als ein an sich selbst, im ersten Momente seines Wesens d. h. als Brahma über der Welt erhabenes, die Welt selbst erst erzeugendes Gotteswesen anschaut. Es findet sich sogar hier ein dumpfer Ansatz zu einer dreieinigen Selbstvermittlung der Gottheit mit sich selbst. Denn wie die Gottheit schaffend als Brahma über der Welt steht, wodurch eine gewisse Transscendenz Gottes ausgedrückt ist, so klingt hingegen die Vorstellung vom Wischnu einigermaßen an die Idee der Immanenz Gottes in der Welt an. Man meint sogar auf dunkle Ahnungen von einer fortschreitenden, gottmenschlichen Offenbarung Gottes in der Welt zu stoßen, wenn man sich an mehrfache Incarnationen des Wisch nu erinnert. . . . Bedeutsam er

1) Görres J. Glauben und Wissen p. 13. 2) Ueber die Bedeutung der Trimurti und ihr Verhältniß zur christlichen Trinität. cf. J. Görres Glauben und Wissen p. 26. 3) Man denke z. B. an den vorgeblich bis in die ältesten Zeiten zurückreichenden Bund der Thugs, Priester und Priesterinnen der Bhawani oder Kali (der Genoffin des Schiwa), dessen religiöser Zweck außer Herhaltung des Polytheismus der systematische Mord war. Hanne, die Idee der absoluten Persönlichkeit. Hannover 1861. p. 32.

scheinen auch die Hinweisungen auf die Nothwendigkeit einer består.digen Reinigung der Seele von der Sünde und einer innerlichen Ablösung und Erlösung von der Welt des eitlen Scheins (Maja)_durch wesentliche, mystische Vereinigung mit Brahma selbst mittelst ernstlicher Büßungen, und verzüglich mittelst einer völligen Zurückziehung in die Tiefe der religiösen und spekulativen Contemplation (p. 30). Leider ist Hanne im Recht: wenn er sagt: Da mit Schiwa, als dem dritten Prinzip der Trimurtis, das die synthetische, zur vollen Persönlichkeit in sich aufgeschlossene Einheit der ersten und zweiten Hypostase repräsentiren sollte, statt dieser affirmativen Selbstvermittlung der Gottheit mit sich und mit der Welt, das Negative, die Macht der Zerstörung, den Höhepunkt der göttlichen Wirksamkeit bezeichnet, so schlagen damit auch alle tieferen Ahnungen dieser Religion in's Negative um und auch die ideelsten Keime wuchern wieder in innere häßliche, bald mehr dem Nihilismus der Selbstverstümmlung und Selbstkasteiung im Kultus, bald mehr dem Materialismus einer sittenlosen Zuchtlosigkeit zugewandten Tendenzen aus und nur ausnahmsweise kommen felch' liebliche Gebilde der Kunst und des Lebens zur Verwirklichung, wie sie sich in der Scandola darstellen.

Gehen wir vom Brahmaismus zum Buddhaismus über. Dieser ist eine Reformation des Brahmaismus in Bezug auf dessen Entartungen, steht aber dem positiven Elemente des Theismus um Vieles ferner. Das Wesen des Buddha is mus -in China Fehismus, in Thibet Dalailamismus - besteht seinem objektivreligiösen Inhalte nach darin, daß die Gottheit oder das Absolute als reine Negativität gedacht wird, als dies ewige Nichts und leere Sein, das zwar nicht umhin kann, sich stets zu besondern, sich als eine Welt manichfaltiger Erscheinungen und selbstheitlich in sich reflektirter Existenzen zu verwirklichen, das aber ebenso sehr bestrebt ist, alles Besondere wieder in leeren Schein zu verflüchtigen und sich so der Qual der individuellen Existenz völlig wieder zu entziehen.... So bildet sich der Prozeß, daß alle individuellen Wesen, wie sie ursprünglich aus dem reinen Sein des Absoluten wie aus einem ungetrübten stillen Nichts hervorgegangen sind, auch unaufhörlich in dasselbe wieder zurückstreben, um in diesem stillen Nirwana '), wenn auch erst nach mancherlei Wanderungen und Wandlungen wieder zur Ruhe der absoluten Selbstvergessenheit und mithin zum Punkte der völligen individuellen Selbstvernichtung zu gelangen. Und so besteht denn das Wesen der buddhaistischen Religion in subjektiver Hinsicht in dem Streben nach möglichster Abstraktion von aller Wirklichkeit, d. i. in

1) ein schlechthin inhaltloses, negatives Ziel und Ende alles individuellen Lebens und Werdens, worin jede Selbstheit und jedes für sich Sein absolut erlöscht, und was also in Wahrheit als der ewige Tod gedacht wird, dem keine Wiedergeburt folgt. Im Buddhaismus ist die Rückkehr der Seele zu Gott Vernichtung des Jchs; im Brahmaismus ist sie Vereinigung mit Brahma, Aufgehen in denselben, Unsterblichkeit im pantheistischen

dieser Versenkung des Willens in die absolute Leerheit des denkenden Selbstbewußtseins - das Ziel also ist eine absolute Willenlosigkeit, verbunden mit dem Gefühle der völlig inhaltlosen Scelenstille und Seelenruhe. Wer es dahin gebracht hat, nicht nur des Diebstahls, der Lüge, des Trunkes, der Unkeuschheit sich zu enthalten, wie die Religiösen der niederen Stufe, die nach dem Tode in reinere Thiere fahren als jene gemeingesinnten, den zügellofen Trieben der selbstsüchtigen Begierde folgen= den Seelen, die aber noch lange nicht in die Nuhe des absoluten Nichts einzugehen vermögen, nein! wer es soweit gebracht, wer bis zu dem Punkte sich selbst ohne eigentlichen Selbstmord bei lebendigem Leibe aufgegeben hat, daß er sich in seiner Seele der Jchheit bis auf die bloß for= melle unwillkürliche Selbstbeziehung des Bewußtseins auf sich selbst vollständig begeben hat; wer also durch freie gewaltsame Zurückziehung aller seiner Gedanken, Triebe und Begierden in der Punktualität des Ansich= seins der Seele, sich mit seinem persönlichen Fürsichsein bis in die schlechthin selbstlose Zuständlichkeit eines bloß vegetirenden Daseins, dem stillen Wesen der Lotusblume gleich, versenkt hat, und wer nun mit dieser selbsterrungenen Gedanken-, Willen- und Begierdelosigkeit in tiefster Gelassenheit dasteht: der ist ein Religiöser im echten Sinn, der ist wie ein Lama, ja der ist Buddha d. h. Gott selbst geworden, daher nach dem Tode des Leibes aller weiteren Seelenwandrungen überhoben und geht unmittelbar in das volle Sein oder Wesen ein, in dessen tiefstem wellenlosen Urgrunde alle individuellen Lebensmomente sammt jeglicher Erinnerung an das Ver= gangene völlig erlöschen. Dagegen unterliegen alle übrigen menschlichen Seelen jener schrecklichen Nothwendigkeit einer kürzer oder länger dauernden Metempsychose, und müssen auf verschiedenen Stationen ihrer Seelenwandrung allerlei Thierformen durchwandern, je nachdem sie sich im menschlichen Leben geartet haben, so daß die unreineren in die Leiber von Spinnen, Fröschen und Schweinen 2c., die reineren und besseren aber in Elephanten und andere edlere Thiere zu fahren haben und den Kreislauf alles Werdens so oft und so lange mit allen seinen Qualen zu durchmessen genöthigt sind, bis sie geläutert von allen Schlacken endlich ebenfalls zu dem Glück der durch absolute Selbstentsagung zu erringenden absoluten Selbstvernichtung gelangen (Hane l. c.)').

Was Brahmaimus und Buddhaismus im Allgemeinen betrifft, so

1) Zu einem solchen Pantheismus in der Form des Nihilismus, der hier in Gestalt eines religiösen Systems ver uns tritt, ist Schopenhauer zurückgekommen. Dieser hypochondrische Philosoph theilt auch die Ansicht der Inder über Lust und Schmerz im Leben und behauptet, daß der Schmerz das weitaus Ueberwiegende sei. Hiernach ist freilich die Vernichtung erwünscht.

finden wir in ersterem mehr Volksglauben, in letterem mehr Philosophie. Der Brahmaismus war Volksglaube seinem Prinzip nach, denn er berief sich auf Tradition und Autorität '). Philosophiren ist gewöhnlich nicht Sache des Volkes. Was die indische Unsterblichkeitslehre im Besonderen anbelangt, so ist beiden Religionsformen die populäre Seelenwandrungstheorie gemeinsam, erleidet aber als ursprünglich dem Brahmaismus eigen durch die Philosophie des Buddha einige Modificationen 2); im Buddhaismus finden wir diese Theorie vollständiger und consequenter ausgeführt die Gymnosophisten Indiens sollen die Seelenwandrungslehre am reinsten gehabt haben. Wenn ferner das Betreiben von Zauberei und Beschwörungen auf den Glauben an Unsterblichkeit der Geister schließen läßt, so findet sich der Unsterblichkeitsglaube gewiß bei den Indern, denn Indien ist von Alters her Siß der Zauberei. Die vordringende Civilisation mag jezt einen mindernden Einfluß auf derlei Unwesen ausüben, aber die Magie wird ausdrücklich unter den brahminischen Künsten aufgeführt. Ein Veda, der Atharvaveda, auf welchen sich viele indische Zauberbücher berufen und der von den Brahminen (wenigstens früher) verheimlicht wurde, enthält Anleitung zur Magie 3). Weiter enthält Patandschalis Yoga - Lehre ein eigenes Kapitel über eine gewisse ascetische Thatkraft, vibbúti, wörtlich

1) In Indien lehrte der Philosoph Sankara (s. Windischmann): Nicht durch Vermittlung von Vernunftgründen, sondern durch Hülfe der von jeher überlieferten Lehren könne man Brahma erreichen. 2) Vom Standpunkt der Mythologie und Religion ist der Buddhaismus später als der Brahmaismus, wenn sich auch eine frühere Periode des ersteren annehmen läßt nach Strabo XV. (cf. Ritter, Vorhalle europäischer Völkergeschichte). Nach Baur (Symb. I. 314) ist Brahmaismus und Buddhaismus ein und dasselbe System, und der Unterschied besteht nur darin, was die leßten Prinzipien betrifft, daß, was der Buddhaismus mit dem kalten leblosen Verstande erfaßt, im Brahmaismus aus der bildenden und in sich selbst lebendigen Phantasie hervorgeht. Dagegen äußert sich Kirchmann „über die Unsterblichkeit“ Berlin 1865 p. 157: „An die Stelle der jenseitigen Welt der Götter und ihres Cultus tritt im Budhaismus nichts als eine Moral der Ruhe, des Friedens, des Mitleidens und an die Stelle des Ceremoniells und der harten Bußübungen eine leichte Ascese. Vor Allem war es diese Moral, dieses Evangelium eines friedlichen Lebens und die Hoffnung eines Todes ohne Auferstehung und ohne Seelwandrung, die dem Buddhaismus eine so große Verbreitung verschaffte. Er zählt noch heute unter allen Religionen die meisten Anhänger 300 Millionen. 3) Windischmann, Fortschritt der Philo= sophie I. b. 886. R. Noth (zur Literatur und Geschichte der Veden. Stuttg. 1845) hat nachgewiesen, daß die Beden den ältesten Theil der indischen Literatur ausmachen, und unter diesen wieder der Rig-Veda der älteste sei, mithin die in ihnen enthaltene einfachere Religion viel älter sei, als die früher allein beachtete Gestalt der indischen Religion in den Puranas und großen Epopöen. Dann war es besonders Ad. Kuhn, der in dem Rig-Veda Mythen entdeckte, die unverkennbar in griechischen Mythen wiederklingen, zuerst in der Hall. Lit. Zeitung 1846 I. p. 1075; Il. 841; dann seit 1848 in einer Reihe von Monographien. Wilh. Mannhardt verglich die indische mit der germanischen Mythologie in seinem Buche: „Germanische Mythen" Berlin 1858.

die Anderswerdung, also die Umwandlung (durch Ascese) '). In Folge der= selben erlangt man allerlei Zaubermacht, Gedanken errathen, Elephantenstärke erlangen, durch die Luft fliegen, alle Welten in Einem Blick übersehen zu können 2c. Yogi und Zauberer sind daher beim gewöhnlichen Volke in Jndien gleichbedeutend. Der Jndier fand also außernatürliche Einwirkungen und Zustände für denkbar, nicht widervernünftig, vermochte aber, der Offenbarung entbehrend, dieselben nicht positiv richtig zu bestimmen.

Mehr philosophischer Natur — gleichsam esoterisch 2) im Gegensatz zum Seclenwandrungsglauben ist auch die brahminische Auffassung des Himmels und der Unsterblichkeit. Für die Guten, frommer Betrachtung sich hingebenden, gibt es eine andere Unsterblichkeit als für die Bösen. Die Unsterblichkeit ist immer die Frucht frommer Betrachtung. „Die Unwissenden", die nicht nach dem Geiste verlangen, gehen, wann die Seele vem Leibe scheidet, nicht (durch den Scheitel zur Sonne) zu Brahma's Welt. Das Gehen in Brahma's Welt wird näher beschrieben: Wenn die zur vellen Befreiung aufsteigende Seele in ihre eigenthümliche Wohnung, das Herz, zurückgegangen ist, dann blißt dieses Eingeweide bis zum Scheitel des Hauptes. Durch die Ader des süßen Schlafes tritt die Seele des Weisen, begünstigt durch die Gnade Brahma's, der im Herzen wohnt", nun hervor und unterscheidet sich vom Leibe. Hier begegnet sie einem Sonnenstrahl; Strahlen von Licht kommen von der Sonne zur Ader und erstrecken sich umgekehrt von dieser zur Sonne. Aber diese Verbindung mit der Sonne durch den Scheitel und gerade nach oben während des Abscheidens vom Leibe zeige sich nur frommen Sterbenden, sie mögen nun zum ununterrichteten Volke gehören oder andächtig betrachtende Gottesverehrer sein 3). Was die Vorstellung der Inder vom Aufenthalt der Verstorbenen im Himmel betrifft, so ist sie späteren Ursprungs, wie die Vergleichung von Rig-Veda VII. 5, 13, wo die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt zum Mrityu, mit VII. 6, 11, wo sie in den Himmel kommen, zeigt. Wenn Yama, der früher sein Reich in den Wolken hatte, Gott der Unterwelt heißt, muß er spåter dem Mrityu gleichgesetzt sein *).

Besonders klar und verlässig sind die Aufschlüsse, die uns das indische Gedicht Bhagavad-Gitâ, eine Episode des Mahá - Bhárata über den philosophischen Begriff der Inder bezüglich der Unsterblichkeit gibt. Wilhelm von Humboldt führt (W. Bd. I. p. 87 ff.) in einem Auf

Die Yogalehre ist vom Gotte Krischnas geoffenbart (f. unten) und hauptsächlich Volksglaube. 2) Gleich der obig angeführten buddhaistischen Lehre von den „Religiösen im ächten Sinne" und ihrem Tode. 3) Windischmann I. c. 1361. Ueber Yama (pers. Oschemschid) der die Seelenwage hält und das Kiancha (concha) das Sinnbild der Auferstehung cf. I. Th. 2. Abschn. Sinnb. des Todes 2c.: „Gärten und Inseln“ und „Wage“. 1) Roth, die Sage des Dschemschid, Zeitschr. d. D. Morgl. Gesellschaft Bd. IV. 417; Windischmann, Ursprung des arischen Volkes. Abh. d. bayr. Afad. 1846. phil. Abthl. p. 127 2c. cf. Ersch Encycl. I Sect. 82 Th. p. 80.

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