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Zweiter Abschnitt.

Cap. I.

§. 1. Menschlicher und thierischer Organismus.

Der Materialismus und Naturalismus unserer Tage hat, wie wir bereits gesehen, die Behauptung durchzuführen gesucht, daß der menschliche Organismus in nichts Wesentlichem von dem der höheren Thiere verschieden. sei, und daß daher der Mensch, wenn auch immerhin das relativ vollkom= menste Thier, doch nur in die große Klasse der manichfaltigen Thiergeschlechter gehöre, welche die Erde bevölkern. Und in der That, wenn man zunächst die Struktur der inneren Theile, Gehirn, Lunge, Herz, Magen, Leber, Nieren, Eingeweide zc. betrachtet, so zeigt sich eine so durchgängige Uebereinstimmung zwischen dem menschlichen Leibe und dem der höheren Thiere (namentlich des Schweins), daß wir werden zugeben müssen, in dieser Beziehung erscheint der menschliche Organismus nur als das nächst höhere Glied in der Stufenfolge der thierischen Organisation und schließt sich unmittelbar an die Klasse der Thiergeschlechter an. Anders verhält es sich in Bezug auf die Gestalt und die dadurch bedingten Modifikationen der Organisation. In dieser Beziehung kommt nur Ein Thiergeschlecht, das der Affen, in Betracht: nur des Affen Gestalt hat soviel Aehnlichkeit mit der menschlichen, daß man die Frage hat aufwerfen können, ob der Mensch nicht bloß ein vollkommener Affe sei, und daß man den Ursprung des Menschen nur aus einer Weiterentwicklung des Affentypus herzuleiten gesucht hat. Wir können immerhin einräumen, sagt Ulrici'), daß im Allgemeinen auch hinsichtlich der äußeren Gestalt der menschliche Leib nur das nächst höhere Glied in der Stufenfolge der thierischen Organismen ist 2), und glauben doch dadurch der Würde des

Gott und der Mensch. p. 66 ff. 2) Eine Abstammung ist jedoch nie zuzugeben! Die Annahme einer solchen bat Hurley „Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur" aus dem Englischen von J. B. Carus Braunschweig 1863 hinreichend widerlegt und 4 Affenarten behandelt, in denen sich die meiste Aehnlichkeit mit dem Menschen findet: Gibbon Orang Chimpanze Gorilla. Bekanntlich gab Bontius (1658) eine durchaus fabelhafte und lächerliche Beschreibung und Abbildung eines Thieres, das er Orang-outang nennt. Der besonnene englische Anatom Tyson war berechtigt, von dieser Beschreibung des Bontius zu sagen: „Ich gestehe, ich traue der ganzen Darstellung nicht." Sie gibt, wie Carus auf Hopins Corie sich berufend bemerkt, nichts als eine sehr behaarte Frau von im Allgemeinen anständigen Ansehen, in ihren Proportionen und Füßen völlig menschlich. Hierüber schrieb auch Cowper eine gründliche Abhandlung »Orang-outang sive homo silvestris or the Anatomy of a Pygmie compared with that of a. Mankey, an Ape and a Man

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Menschen nichts zu vergeben. Aus diesem Zugeständniß folgt wenigstens keineswegs, daß der Mensch eben auch nur ein wenn gleich vollkommeThier sei; denn die Natur liebt nun einmal keine Sprünge, ihr Thun und Wirken ist vielmehr überall ein vermittelndes, überleitendes, ein allmähliges Fortschreiten von Stufe zu Stufe, das keine leere Stelle duldet. Wie es zwischen den beiden großen Gebieten des Pflanzen- und Thierreichs Uebergangspunkte gibt, die sogenannten Lithophyten und Zoophyten (SchwämmePolypen), die eben als Uebergangspunkte zwar mit dem vegetabilischen Organismus nech nahe Verwandtschaft haben, aber doch keine bloßen Pflanzen mehr sind, so könnte auch der Affe das Vermittlungsglied zwischen den übrigen Thiergeschlechtern und dem Menschengeschlechte darstellen, könnte der Mensch nach seiner leiblichen Seite hin insofern noch dem Thierreiche angehören, als er nur das nächst höhere Glied in der Reihe der Entwicklungsstadien des thierischen Organismus bildete. Und doch könnte er eben als das nächst höhere Glied zugleich nach der psychischen Seite hin soweit vom Wesen des Thieres differiren und über dasselbe hinausragen, daß er unmöglich bloß als ein vollkommeneres Thier betrachtet werden könnte.

Um dieses darzuthun, kommt es darauf an, diejenigen Punkte, in welchen der menschliche Organismus vom thierischen sich unterscheidet, in genauere und gründlichere Erwägung zu nehmen als gemeinhin geschieht. Der ausgezeichnete Physiologe Bischoff in München, bemerkt Ulrici, hat diese Differenzpunkte kürzlich in einer besonderen Abhandlung zusammengestellt. Einleitungsweise macht Bischoff darauf aufmerksam, daß es offenbar kein bloß quantitativer Unterschied psychischer Begabung sei, wenn sich zeige, daß keinem Thiere, sondern nur dem Menschen Selbstbewußtsein und damit „die Fähigkeit und Nothwendigkeit zukomme, über sich selbst, die ganze eigene Erscheinungsweise und deren Zusammenhang mit der übrigen Schöpfung nachzudenken“; denn kein Thier, kein Hund, Elephant, Oran-Outang, Chimpanze 2c. lassen jemals eine Spur von einem solchen Nachdenken merken. Diese Fähigkeit des Menschen hängt nun unzweifelhaft mit der Entwicklung und Ausbildung seines Gehirnes zusammen, durch welches die Kraft, die den ganzen Körper schafft und baut, ihre psychischen Qualitäten offenbart ')". Die frühere Behauptung, daß der

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(herausgegeben v. d. Royal Society a. 1699). Aehnlich verhält es sich mit dem Affen Mandrill oder Boggoe, von dem William Smith (1744) Unglaubliches erzählt. Man ist darüber im Klaren, daß es einfach ein Chimpanze war. cf. Hurley I. c. p. 14.

') Bekanntlich haben schon die Alten oft Gehirnthätigkeit zc. und Seele identificirt. Gumposch (p. 24) macht uns aufmerksam darauf mit den Worten: Hat der Spiri= tualismus alte Autoritäten für sich, so fehlt es dem Materialismus auch nicht an solchen: Kleanthes schloß auf die Körperlichkeit der Seele aus den gleichen Anlagen und Neigungen bei Kindern und Eltern. Herophilos führte die Empfindung auf die Nerven zurück. Galenus suchte die Verbindung der Nerven, wie den Siß der ver: nünftigen Seele im Gehirn. Der Pythagoräer Philolaus verlegte den Siß des Geistes in das Gehirn, den des Gemüthes in's Herz. Hippokrates sagt, nur mittelst des

Mensch das absolut größte Gehirn besize, läßt sich zwar nicht mehr halten, da der Elephant, der Walfisch, der Narval 2c. weit größere Gehirnmassen aufweisen. Auch die Annahme, daß der Mensch durch das relativ größte Gehirn (im Verhältniß zu seinem Körpergewicht) sich auszeichne, scheint dadurch widerlegt, daß viele kleine Vögel 3. B. Blaumeisen, Schwarzmeisen, Zeisige 2c. ein relativ größeres Hirn haben - obwohl dieser Umstand noch nicht vollkommen festgestellt ist. Allein das Gehirn ist ja nicht bloß Seelenorgan, sondern auch zugleich Centralorgan für die unbewußten und ohne Mitwirkung des Bewußtseins erfolgenden Nervenactionen, deren es eine große Zahl gibt. Wir sehen letztere auch noch im bewußtlosen Zustande, im Schlafe, in der Ohnmacht sich fortsehen und auf die Organe des Stoffwechsels (der Verdauung, Respiration, Transspiration) und selbst der Bewegung sich geltend machen. Je mehr wir in der Reihe der Thiere herabsteigen, um so mehr verliert das Gehirn den Charakter als Seelenorgan, und steigt relativ als Centralorgan der unbewußten Nervenfunktionen. Es kann mithin möglicherweise bei einem Thiere, bei welchem Bewegungs-, Bildungs- und Ernährungsvorgänge sehr lebhaft erfolgen, relativ schwerer sein als bei dem Menschen, ohne daß daraus eine Folgerung für seine Bedeutung als Seelenorgan gezogen werden kann." Mit andern Worten: Die Vögel und die noch niedriger stehenden Thiergeschlechter können bei dieser ganzen Frage nicht in Betracht kommen, weil bei ihnen das Gehirn als Seelenorgan mehr und mehr zurücktritt und seine Bedeutung als Centralorgan gewisser Nervenfunktionen überwiegt. Nur das Gehirn der höheren Säugethiere kann mit dem menschlichen verglichen werden, und in dieser Beziehung steht fest, daß der Mensch das relativ größte Gehirn besißt. Auch haben die neueren Untersuchungen ergeben, daß, wenn auch nicht ausnahmsles, doch im Allgemeinen mit der Größe des Gehirns eine größere geistige Begabung verknüpft zu sein pflegt, daß also die bloße äußere Masse

Gehirns sei der Mensch fähig, zu denken, sich zu freuen und zu betrüben; ihm verdankten wir den Verstand, das Gesicht, Gehör, die Scham, die Kenntniß des Guten und Bösen, des Angenehmen und Unangenehmen; in ihm nehmen Blöd- und Wahnsinn ihren Ursprung, je nachdem das Gehirn gesund oder krank, wärmer oder kälter, feuchter oder trockener sei. Wenn es feucht sei, müsse es erschüttert sein, was Unsicherheit des Gesichts und Gehörs nach sich zieht. So lange das Gehirn unversehrt sei, bleibe auch die Vernunft ungetrübt. Und in allen Theorien, erwähnt unser Verfasser weiter, über Benennung, Erschaffung, Zeugung, Erscheinung der Seelen spielen Luft und Duft eine bedeutende Rolle... Das hebräische ruach und das griechische avevμa, vvxÝ, das römische halo, anhelo (wovon Seele), selbst der heilige Paulus, welcher von „Gewalten in der Luft" redet, find Zeugnisse für die materialistische Auffassung, wie Gumposch versichert. „Bekanntlich sprechen auch Neuere von einer Samenluft bei der Zeugung, einem Nervengeist, Nervenäther (aura nervea) als der leßten leiblichen Bildung." Auch die alten Philosophen Anarimander, Anaragoras (?) werden citirt. Endlich muß selbst die Lehre von der Auferstehung der Leiber für die Körperlichkeit der Seele sprechen. Man vergleiche dagegen (unten) „Wesen und Ursprung der Seele." 1. Theil 2. Abschnitt §. 3.

des Gehirns von Wichtigkeit für das psychische Leben sein, und somit einen beachtenswerthen Differenzpunkt zwischen Mensch und Thier bilden dürfte, wie neuestens H. Welker nachgewiesen hat ').

Bedeutender indeß ist der Unterschied, den die Bildung und Construktion des menschlichen Gehirns im Vergleich mit dem thierischen zeigt. Jener doppelten Funktion des Gehirns nämlich entspricht, sagt Bischoff, wenigstens in vielen Beziehungen, eine doppelte Substanzmasse, die weiße und graue Gehirnsubstanz. Lehtere tritt zwar auch im Inneren des Gehirns, vorzüglich aber an der Oberfläche desselben, besonders des sogenannten großen Gehirns und seiner beiden Hemisphären auf, und von diesen ist es mehr als wahrscheinlich, daß sie und zwar namentlich die an ihrer Oberfläche vorwiegende graue Substanz, wenn auch nicht der ausschließliche Siß der Seele, doch als die materiellen Vermittler des Bewußtseins und der höheren Seelenfunktionen anzusehen sind, während die feinen Röhrchen der weißen Substanz nur die Leiter und Verbindungsglieder zwischen dem Hirn, dem Körper und den einzelnen Hirntheilen bilden. Nun findet sich aber bei keinem Thiere verhältnißmäßig (zu seinem Körpergewicht) und wahrscheinlich sogar absolut eine so bedeutende Entwicklung der Hemisphären und der grauen Substanz als beim Menschen, — namentlich gegenüber dem Rückenmark, das beim Menschen im Verhältniß zum Gehirn leichter ist als bei allen Thieren )." Hierin also zeigt sich ein Unterschied, der anscheinend zwar auch nur ein quantitativer ist, in Wahrheit aber zugleich eine qualitative Differenz involvirt. Denn die graue Hirnsubstanz ist wahrscheinlich auch hinsichtlich der Composition der Stoffe, aus denen sie besteht, von der weißen unterschieden, wenn auch die Physiologie bis jetzt die Differenz nicht hat nachweisen können. Jedenfalls sind ihre Funktionen andere, und mithin inhäriren oder entwickeln sich in ihr andere Kräfte, eben damit aber auch andere Qualitäten. Außerdem involvirt im Gebiete des Psychischen der quantitative Unterschied überall zugleich einen qualitativen : eine klarere Vorstellung oder Perception ist zugleich qualitativ oder materialiter eine andere als die dunkle, weil sie Momente, Bestimmtheiten, Züge und Beziehungen des Gegenstandes enthält, welche der dunklen fehlen, oder was dasselbe ist, wegen ihrer Verworrenheit und Unbestimmtheit nicht zum Bewußtsein kommen d. h. nicht vorgestellt werden.

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Mit jener verschiedenen Composition des menschlichen Gehirns hängt eine andere Eigenthümlichkeit zusammen, welche mehr die äußere Form oder Gestaltungsweise betrifft. Die vergleichende Anatomie lehrt, daß die Ausbildung der sogenannten Windungen des Gehirns, d. h. der die Oberfläche durchziehenden Furchen mit den zwischen ihnen befindlichen Substanzleisten, in bestimmter Beziehung steht zu der Entwicklung und Ausbildung der Thiere und ihrer Intelligenz. Das Gehirn der Vögel, der Nager, der Beutel

') cf. Ulrici I. c. p. 69 Anmerkung.

2) Es beträgt beim Menschen nur 1/10 von der Masse des Gehirns, bei den Säugethieren 1/4-1/5, bei den Vögeln 1/9.

thiere, der Zahnlosen, entbehrt sie noch ganz oder zeigt nur geringe Spuren derselben; erst in den höheren Ordnungen der Säugethiere treten sie ent= wickelter auf. Kein Thier aber hat gleichzeitig so zahlreiche und so tief und manichfaltig angeordnete, asymetrische Windungen auf beiden Hemisphären als der Mensch. Die Bedeutung derselben ist, daß sie auf eine Vergrößerung der Oberfläche des Gehirns abzielen. Jede Windung besteht wieder aus einer Lamelle oder einem Blatte weißer Substanz, das von einer grauen Rinde bedeckt ist. Die Windungen sind daher der Ausdruck der Massenbildung der grauen Substanz und ihrer Berührungsfläche mit der weißen, d. h. mittelst ihrer wird nicht nur die Masse der grauen (psychischen) Substanz, sondern auch die Manichfaltigkeit der Communication derselben mit der weißen vermehrt, und folglich der psychische Standpunkt des Menschen erhöht')."

Auf einen anderen bedeutsamen Unterschied macht der Züricher Physiologe J. M. Schiff aufmerksam und legt auf ihn das Hauptgewicht. Das menschliche Gehirn zeigt nämlich in physiologischer Beziehung eine ganz andere Thätigkeitsweise", welche se bedeutend von der des thierischen abweicht, daß wir an einer verschiedenen Organisation beider kaum zweifeln dürfen; denn es ist eine Thatsache, daß beim Menschen vollkommene Hemiplegie, d. h. Lähmung der Extremitäten einer Körperhälfte und Einer Seite des Gesichts, bei Hirnkrankheiten ein sehr gewöhnliches Symptom ist, während Thiere vom Hirn aus nie (vom Rückenmark aus nicht dauernd) hemiplegisch werden können. Dieß deutet darauf hin, daß bei den Thieren die motorischen Centren (die Knotenpunkte der die Bewegung der Glieder bedingenden, sog. motorischen Nervenfasern) jeder Hirnhälfte sich nicht ausschließlich auf nur Eine Körperhälfte, sondern auf beide zugleich beziehen, beim Menschen dagegen jede Hirnhälfte den freien (durch den Willen bewegbaren) Körpermuskeln nur Einer Seite vorstehe. Und damit hängt offenbar der Umstand zusammen, daß bei Hirnkrankheiten des Menschen die Lähmung und die Anästhesie (Unempfindlichkeit) sich stets auf der der wahrnehmbar veränderten (kranken) Gehirnhälfte entgegengesetzten Körperseite befindet, daß also höchst wahrscheinlich eine vollkommene Kreuzung der Körpernerven bei ihrem Eintritt in's Gehirn stattfindet“ (Lehrbuch der Physiologie I. p. 363). In der That dürfte sich jene Erscheinung der Hemiplegie, bemerkt Ulrici (p. 72) weiter, -die gewöhnliche Form, in welcher beim Menschen der sog. Schlagfluß auftritt, schwerlich anders als aus einer solchen vollkommenen Kreuzung der Körpernerven" erklären lassen. Damit aber wäre der ganze Bau, die innere Construktion des menschlichen Gehirns eine wesentlich abweichende und somit eine fundamentale Differenz desselben von allen thierischen Gehirnen gegeben. Diese eigenthümliche Construktion gewährt dem Menschen

1) Bischoff, Ueber den Unterschied zwischen Thier und Mensch, in den „wissenschaftlichen Vorträgen gehalten zu München“ Braunschweig 1858 p. 315. 318. cf. Ulrici p. 70 ff.

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