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gegenüber moralischen Thatsachen. Hier ist die Verschiedenheit der Stellung, welche die Menschen gegen dieselben einnehmen, eine höchst auffallende. Manche Personen scheinen fast unfähig zu sein, an große Beispiele von Edelmuth und Uneigennützigkeit zu glauben. Konnte wohl Nero einer Geschichte, wie der des Kedrus trauen? Ein Liederlicher glaubt nicht an die Tugend der Weiber, und ein Freigeist nicht an die Tugend der Priester 2c. 1). Wir können also in sehr vielen Fällen mit einiger Zuversicht schon vorhersagen, in welcher Weise von diesen oder jenen Personen die Erzählung gewisser Thatsachen aufgenommen werde. Die Ueberzeugung von diesen Thatsachen oder ihre Verwerfung kann bisweilen im ersten Augenblicke unfreiwillig d. h. die unvermeidliche Folge eines moralischen und bereits stehenden Charakters sein, aber in diesem Falle kommt der Charakter vorher schon aus einer Reihe von freiwilligen Handlungen, die ihn für jene Ueberzeugung, auch wenn sie in dem Augenblick selbst nicht von ihm abhängt, moralisch verantwortlich machen. Und so glauben wir denn nicht ungerecht zu sein, wenn wir mit einer solchen einfachen Ueberzeugung den moralischen Tadel oder das moralische Lob verbinden 2). Bei allem dem aber ist nicht zu vergessen, daß ein schiefes Urtheil über große Fragen auch großentheils auf Rechnung der angebornen unverkennbaren Verdorbenheit unseres Willens zu schreiben ist. Die Unsterblichkeitsidee ist gewiß von großen Folgen, wir können dies jetzt schon behaupten, ohne dem Gange unserer Untersuchung vorzugreifen. Die Antwort auf die Frage, ob unsere Seele unsterblich ist oder nicht, übt gewiß einen durchgreifenden Einfluß aus auf unsere Gesinnung und unseren Glauben. Wenn nämlich unsere Ueberzeugungen einmal über die Grenzen dieser Welt hinaustreten, bemerkt Nicolas (ibid. I. p. 100), so stehen wir vor einer geheimnißvollen Zukunft, wo wir glücklich oder unglücklich sein können, je nach dem Gebrauche, den wir von unserer Freiheit in dieser Zeit werden gemacht haben; alle unsere Gedanken, alle unsere Wünsche, alle unsere Handlungen richten und ordnen sich nach dieser Aussicht auf Unsterblichkeit; es entsteht eine nothwendige Beziehung dieses einen Lebens zu dem anderen, ich möchte bald sagen dieser beiden Lebensalter zu einander, gleichwie es hier auf Erden der Fall ist zwischen der Jugend und dem Mannesalter und wiederum zwischen dem Mannes- und Greifenalter, oder auch zwischen dem Leben und Tode. Wir sind höchst begierig zu wissen, was diese andere Welt ist, deren Bewohner wir mit jedem Augenblick werden können, zu wissen, was uns dert erwartet und was wir schon jetzt zu thun haben, um uns dort einen Platz des

1) „Kann ein Schurke,“ fragt Baader (Tgb. 105), „ie dazu kommen, einen Beweis des Christenthums zu fassen oder Geschmack daran zu finden? Antw. Nein! weil hienieden nach der Voraussetzung, daß nichts durch ein Wunder und Alles nach dem Laufe der Natur geschieht, derjenige nicht sehen kann, dem die Augen mit Koth und Leimen verschmiert sind und weil das Licht, dem uralten Naturgefeße gemäß, den einzigen Beweis seiner Erleuchtungskraft in ihm selber und nicht außer ihm hat ?“ 2) Nicolas philos. Studien IV. 16.

Glückes zu bereiten. Alsdann zeigt sich uns die Religion nicht mehr als eine lästige Feindin unserer Vergnügungen, sondern als ein gewogener dienstfertiger Bote, der uns die gute Nachricht von unseren ewigen Interessen bringt, und der die Opfer und die Tugenden, wozu er uns anspornte, gleichsam als Vorräthe für unsere Unsterblichkeit einsammelt und sie schon in diesem Leben entgegenbringt.

Diese Wahrheit ist also von großen Folgen, aber eben darin liegt der Grund, warum unsere Vernunft mehr Anstand nimmt, sie zuzugeben als andere einfache Wahrheiten von der Seele oder von Gott. An sich ist sie nicht weniger klar, als diese, aber ihre wichtigen Resultate veranlassen unseren Geist zu größerem Widerstreben und hartnäckigerem Zweifeln. Das ist in der That das Schicksal der Wahrheit, daß die Anerkennung, die wir ihr zollen, jedesmal nicht in dem Verhältnisse steht zu ihrem Lichte, sondern zu ihren Folgen, und daß wir mit unserem Verstande desto geneigter sind, sie zu bestreiten, je mehr sie Ansprüche hat, von unserem Herzen gebilligt zu werden. Das ist der geheime Fehler unseres Willens! Auch die Zeitströmung, der Zeitgeist trägt das Seinige dazu bei, daß derlei Wahrheiten oder Erscheinungen nicht anerkannt, ja sogar verspottet werden. Das 18. Jahrhundert hat darin Großzes geleistet. Man betrachtete 3. B. in jener aufgeklärten“ Zeit den Geisterglauben gerne als Volksglauben im Unterschiede von den Ansichten höherer und gebildeter Stände und sprach von „Köhlerglaube“ und „Pöbelglaube"; zum Theil ist es noch der Fall, obgleich der Glaube an Geister ein allgemeiner Menschheitsglaube ist - und der Typus der bezüglichen Erscheinungen, wie sie in volksthümlicher Vorstellung und Tradition leben und wie sie sich in den damit in so hohem Grade übereinstimmenden Aussagen seherischer Personen darstellen, immer und überall der nämliche ist. An den verschiedensten Orten und in den verschiedensten Zeitaltern, bemerkt Daumer '), nehmen wir die große unverkennbare Familienähnlichkeit dieser Phänomene wahr; die Klassiker des Alterthums, z. B. Plinius d. J. (lib. VII. 27), geben ebensogut Zeugniß dafür, wie neuere anerkannte Autoritäten wie Schopenhauer 2), I. Fichte3); die Schriften von Hennings, Wenzel, Teller und die von Horst, Kerner, Görres, Perth, die Daumer anführt, sind bekannt. Das sollte ein „Gebildeter" doch wohl wissen! Nebenbei läßt sich nicht leugnen, daß, wie ders. Verf. hervorhebt, eine Menge der feinsten, vornehmsten, geist= reichsten und gelehrtesten Persönlichkeiten Theil nimmt an diesem „Köhlerglauben", aber selten den Muth hat, sich ehrlich und offen dazu zu bekennen. Solchen, die in den letzten Jahrhunderten Geistergeschichten sammelten und drucken ließen, pflegten viele Nachrichten der Art aus den gebildetsten Kreisen der Gesellschaft zuzukommen, meist aber mit dem Verbote, die bezüglichen Personen und Orte zu nennen, weil man sich der Sache schämte und nicht

1) Geisterreich 1. p. 48.

— 3) Anthropologie p. 429.

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2) Parerga und Paralipomena Berlin 1850 I. 215.

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in den Ruf des Geisterglaubens und der Geisterscherei kommen wollte. Die Schriftsteller klagen darüber, weil in Folge solchen Mangels an persönlicher und örtlicher Bestimmtheit die von ihnen publicirten Geschichten minder bezeugt und gewiß erscheinen. Soviel aber ist aus diesen Mittheilungen doch immer klar, daß der Glaube an objektiv geisterhafte Eristenzen und Erscheinungen ein sehr allgemeiner, von unten nach oben, wenn nicht offen, doch insgeheim durchgehender und daß es durchaus unpassend ist, ihn als einen ausschließlichen Volks- oder Pöbelglauben" zu behandeln. In neuester Zeit hat sich die Sache sogar umgedreht; es ist eine moderne Magic und Geisterscherei entstanden, die ihre Anhänger und Theilnehmer selbst in den höchsten Kreisen hat; und es werden aus den „spiritualistischen“ und „spiritistischen" Zirkeln und Sitzungen Dinge berichtet, die das Gepräge einer auf die äußerste Spiße getriebenen Abenteuerlichkeit und Phantasterei tragen '). So übt also die Zeitrichtung ihren Einfluß aus auf die Behandlung und Beurtheilung der größten und interessantesten Fragen. Auch die Unsterblichkeitsfrage kann sich diesem Einfluß nicht entziehen 2).

Ferner ist diese Frage gewiß mehr eine praktische als eine theoretische; deßungeachtet ist da, wo sie wissenschaftlich erörtert wird, eine große Umsicht, sowie eine tiefe Einsicht in die philosophischen Systeme erforderlich, und es kann diese Frage in gewissem Sinne zu den schwierigsten, aber auch zu den interessantesten in der Weltweisheit gerechnet werden. Der Gelehrte, wie der Ungelehrte findet Interesse an ihr, und versucht deßhalb, wie die Geschichte zeigt, ihre Lösung, aber nicht zu allen Zeiten zeigt sich ein gleiches Interesse dafür. Das wenigste Interesse wird dann vorhanden sein, wenn die Philosophie und philosophische Ideen überhaupt mißachtet werden. Die Mißachtung der Philosophie aber, bemerkt Droßbach, hat auch ihren Grund in der materiellen Richtung der Zeit, die nichts Anderes sucht, als die Gegenwart so angenehm als möglich zu machen, das gegenwärtige Leben durch die Früchte der Erfindungen und Entdeckungen zu schmücken, ohne zu bedenken, daß das höchste Glück, der schönste Schmuck dieses Lebens darin besteht, das zukünftige vollkommen gesichert zu wissen 3). Wir halten diese materielle Zeitrichtung für das größte Hinderniß für den Unsterblichkeitsglauben, welcher eben mit dieser unmoralischen Richtung im Widerspruch steht. Wenn der Gelehrte, wie Baader irgendwo sagt, die Unsterblichkeit negirt, weil er sie eben nicht glaubt, so glaubt sie der Ungelehrte nicht, weil

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') Daumer Geisterreich I. p. 50; der bezügl. leßteren Punktes verweist auf Perth's Werke. 2) Nicht gleichgiltig kann es sein, bemerkt daher Schelling (II. 3. 9), wie sich die Wissenschaft zur Unsterblichkeitsfrage verhält, am allerwenigsten in einer Zeit, in der die moralischen und geistigen Mächte, durch welche die Welt, wenn auch bloß gewohnheitsmäßig noch zusammengehalten werden, durch die fortschreitende Wissenschaft längst untergraben sind, und selbst die früher als unantastbar betrachteten Wahrheiten keine Stelle im Bewußtsein finden (bei Beckers Unstt. Schellings p. 12). — 3) In der Vorr. zu s. Schr. „individuelle Unsterblichkeit.“

sie ethische Rücksichten fordert. Eine rein sinnliche Richtung wäre der Beweis von dem traurigen Geisteszustande eines Zeitalters. Schon von einem Einzelnen sagt unser Philosoph: „Wer die Vorstellungen, die ihm die Sinnenwelt nahe legt, immer beibehielt, und durch Abstraktion sich nicht über dieselben zu erschwingen vermag, gleicht einem Menschen, der seiner Entwicklung nach nicht das Kindesalter überschreitet, ist ein Kaspar Hauser." Was müßte man von einem Jahrhundert sagen, das nichts Abstraktes mehr wollte 1)?

Ebenso zu bedauern ist ein Säkulum, in welchem zwar eine Wissenschaft, aber mit einseitig empiristischer Richtung dominirt. Es ist bekannt, sagt Frohschammer (Athen I. 3), daß gegenwärtig die sogenannten Fachwissenschaften fast ganz in Empirismus und Positivismus aufgehen. So insbesondere die Naturwissenschaften, deren Pfleger fast durchgängig einzig nur empirieselig sind und in Detailforschungen sich verlieren; nur die tiefe ren Geister fühlen das Bedürfniß nach Zusammenhang 2c.

Andererseits stellt man zu hohe und an sich unzulässige Forderungen bei Befriedigung des Bedürfnisses nach Zusammenhang. Man verlangt von der Philosophie, bemerkt Baader, immer ein vollständig abgerundetes, Alles in sich begreifendes System 2), als ob ein innerer Zusammenhang der Gedanken überall nur da anzutreffen wäre, wo ein Schematismus von a. b. c. etc. in das Auge fällt, wo die Gedanken nummerirt in Reih' und Glied sich aufgestellt zeigen, während doch die wahrhafte Gnosis nicht eine Reihe von Begriffen, sondern einen Kreis derselben bildet. Deshalb kommt es weniger darauf an, von welchem dieser Begriffe aus man im Vortrage der Wissenschaft anhebt, wohl aber darauf, daß man jeden Begriff bis in das Centrum durchführt, aus welchem er sodann nothwendig auf alle anderen regressiv oder anticipirend wieder weiset und führet, eine Durchführung, die allein als systematische in der That und im Wesen sich erweist 3).

Man will Alles fertig und abgeschlossen, allein eine solche Anforderung ist unwissenschaftlich; denn alle Ideen, mögen sie auch wie die Gottes- und Unsterblichkeitsidee als unmittelbar durch das Bewußtsein gegeben, gewissermaßen für sich abgeschlossen und fertig sein, unterliegen, wie Schelling (I. 9. 234) sich ausdrückt, dem Entwicklungs-Prozesse, „in der Philosophie läßt sich nichts als reiner fertiger Sah hingeben, nur allmählig läßt sich der vollständige Begriff erzeugen." Ein Blick in die Geschichte der Philosophie belehrt uns hierüber. Man lernt hier außerdem das Maß dessen kennen, was die Vernunft aus sich leisten kann, was nicht; ihre geraden und

1) Wir wollen aber mit Frohschammer (Athen I. 440) eine Philosophie, die nicht in todter histor. Gelehrsamkeit ihr Dasein fristen, oder in leeren Abstraktionsgespinnsten sich bewegen, und isoliren, sondern die in lebendigem einflußreichen Verkehr mit Wissenschaft und Leben bleiben will. 2) Das Wort „System" hatte ursprünglich bei den Griechen) eine niedrige Bedeutung, indem man jedes Aggregat ein System – 3) bei Hoffmann Weltalter p. 105.

nannte.

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krummen Wege, die sie durchwandert, und die objektiven Gesetze, die sie mit innerer Nothwendigkeit dabei beebachten muß. Was aber dabei ungemein erhebend ist, das sind die großen Ziele, die sie anstrebt und die sie trotz alles Irrens dennoch immer auf's Neue zu erreichen trachtet '). Daher bemerkt Laforet in seinem neuesten Werke (p. 5): Das Ringen des Menschengeistes nach Wahrheit hat nicht minder einen großartigen dramatischen Charakter als das Ringen nach Freiheit; darum muß das Erbtheil, das die Menschheit vor uns auf diesem Wege des Ringens uns übermacht hat, ein theueres sein, weil dieses Erbe mit den wahren Werth des eigenen Daseins begründet. Was ist nun von dem Einwurfe zu halten: Die Philosophie sei uneinig unter sich, besonders die neue, sie widerspreche theilweise dem Christenthum. Frohschammer (Athen I. 5) antwortet darauf: Gescht es sei wirklich so, ist deßhalb die Philosophie überhaupt gering zu schäßen und zu vernachlässigen ?

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Könnte man denn nicht dem Glauben gegenüber ebenso räsonniren, daß er wenig oder nichts werth sei, weil es so verschiedene, einander theilweise feindliche Glaubensbekenntnisse gebe, einer also den anderen aufhebe und zerstöre? und nicht selbst in ähnlicher Weise dem Christenthum gegenüber råsonniren, um der manichfachen Glaubensspaltungen willen innerhalb desselben? Und wenn die Philosophie mißbraucht worden ist, ist sie deßwegen nichts werth oder zu vernachlässigen? So wenig wohl, als Geseß und Autorität werthlos und gering zu schätzen sind, weil sie mißbraucht worden sind und mißbraucht werden. Derlei Urtheile beruhen auf Unkenntniß 2c. Bekannt ist, sagt ferner derselbe Verfasser (I. 24), wie man gegenwärtig vor philosophischen Werken, insbesondere in Deutschland gerade deßhalb soviel Abneigung und Schrecken hat, weil man sogleich an verworrene, orakelhafte Phrasen, sublime und dunkle Abstraktionen und unverständliches technisches Formelwerk denkt 2). Allerdings sind das Eigenthümlichkeiten neuerer philosophischer Systeme, die nicht wenig dazu beigetragen. haben, die Philosophie in Mißcredit und Vernachlässigung zu bringen bei dem deutschen Volke und den Spott des Auslandes ihr zuzuzichen. Gegenwärtig indeß ist diese Unart der deutschen Philosophie verschwunden und die

1) Dabei ist noch hervorzuheben, was Prant! (anthropol. System in d. Philos. in s. histor. u. inneren Zusammenhang zc. p. 33) bemerkt: „So abstrakt eine Philosophie ist, so hat sie doch in ihrer Entwicklung einen bedeutenden Einfluß auf das Leben, sie muß entweder positiv oder negativ, christlich und religiös oder antichriftlich und irreligiös sein. Ein Drittes ist nicht möglich." — 2) Was den Mißbrauch betrifft, den unsere deutsche neuere Philosophie mit der Sprache getrieben hat, so ist er gewiß nicht größer und abgeschmackter gewesen als derjenige, welchen die meisten Scholastiker mit der lateinischen Sprache verübten; jedenfalls ist es kleinlich, wenn man sich, wie Balmes es thut, gar so sehr über die Ausdrucksweise von Fichte, Kant 2c. ärgert. Ein endgültiges Urtheil über die deutsche Philosophie kann man diesem spanischen Denker wohl nicht zugestehen, um soweniger als seiner Kenntniß der Geschichte der Philosophie gründliches Verständniß des Alterthums mangelt.

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