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auch nicht, daß die von Voltaire angegebenen Gründe die wahren sind. Auch Voltaire hat, wie viele Menschen, wenn er zu beweisen wünschte, sich selbst getäuscht. „Wenn Gott ist, so ist er auch gerecht; schon wir Menschen, die wir doch nur eine so begränzte Einsicht haben, besitzen eine Idee von Gerechtigkeit; da sollte Gott, die höchste Einsicht, ohne sie sein?" so raisonnirte Voltaire. Welch trügerischer Schluß von uns zu Gott! Muß Gott auch hassen, weil wir hassen? und wie kann die bloße Eristenz nur eine einzige andere Eigenschaft schon in sich fassen? Die Eigenschaften, die man dem höchsten Wesen stets beigelegt, sind nie aus seiner bloßen Eristenz gesponnen, entspringen stets dem Meinen über den Zusammenhang der Welt oder einem unbestimmten Bedürfnisse unseres Gemüthes. Auf ein solches werden wir abermals auch bei Voltaire hinauskommen, er wünschte die Unsterblichkeit zur gerechten Ausgleichung von Leid und Freud, daher verlangte er nach einem gerechten Wesen, aus dessen Hand dereinst Lohn oder Strafe femme; und als er dieß Bedürfniß festgesezt, da schloß er umgekehrt, weil Gott gerecht ist, muß ein ewiges Leben sein. Sein Say: Gott ist, so ist er auch gerecht, war Schein. Und hätte Voltaire in Wahrheit so gedacht, so müßte unser Fragen noch weiter gehen; wir müßten ihn nach seinen Beweisen von Gottes Existenz befragen. In seinem Gedichte „la loi naturelle", in der er seine Naturreligion darlegt, bietet Voltaire auf diese Fragen zwei Antworten, er sagt: Si Dieu n'est pas dans nous, il n'existe jamais, und: Quoi! le monde est visible et Dieu serait caché! -Mein Gefühl und die Weltordnung führt mich zur Annahme Gottes, das ist seine Antwort auf jene Frage. Gab sein Gefühl dieser Annahme die Stärke, die ihn während seines ganzen Lebens trotz aller sonstigen Zweifel nicht von ihr weichen ließ, so legte er doch bei seinem Raisonnement stets mehr Gewicht auf die zweite Begründung: „Jedes kunstvolle Werk kündet mir einen Künstler an, der es gemacht; so die Natur, die ganz Kunst ist, einen Gott als ihren Urgrund ')." Lessing sagte von Voltaire: Was er Gutes gesagt, sei nicht neu, und sein Neues sei nicht gut; Meyer meint, mit Recht, Voltaire habe bei allen derartigen philosophischen Problemen nie etwas Neues gesagt. Er war nur ein philosophischer Gedankenerreger, aber seinem Zweifel ging Consequenz und Tiefe ebenso ab, wie seiner Annahme die Neuheit. Das Neue, sein Eigenes war nur die Form und Weise der Verbreitung.

In seinen „éléments de la philosophie de Newton" hat Voltaire, wie u. A. in seinem philosophischen Roman „Jenny oder der Gottesläugner und der Weise" von seinem Standpunkt aus den Atheismus seiner Zeit bekämpft, und dennoch wurde er öfters den Atheisten zugezählt (besonders von einem gewissen Desfontaines), wohl deßhalb, weil er sich, wie Meyer bemerkt (p. 56), zu verschiedenen Zeiten über die Eigenschaften des höchsten

1) cf. Artikel Nature" im Dictionn. philos.

Wesens unsicher ausgesprochen hat. Doch steht für Voltaire Eines fest, daß Gott alleiniger Gott ist. Sein Grund dafür ist einfach: zwei allmächtige Wesen müßten die Einheit der Welt zerstören und die Einheit der Welt gilt ihm durch Newton als bewiesen. Für alle anderen Gott beigelegten Eigenschaften hat Voltaire anfangs nur ein „das weiß ich nicht"; erst später legt er ihm die Gerechtigkeit bei. Auch liebt er Gott, aber seiner Grundanschauung gemäß, wie man den Künstler im Kunstwerk lieb gewinnt'). Die Kunst der Welt, diese, wie er meint, von ihm erfundene Idee, ist die Angel seines Glaubens an Gott. „Die Welt ist ein bewundernswerthes Kunstwerk, so muß es einen Künstler geben, der noch bewundernswerther ist; die Vernunft zwingt uns ihn zuzulassen, der Wahnwiß unternimmt, ihn zu beschreiben. Ich weiß, daß er ist, ohne zu wissen, was er ist; be schränken wir uns daher, seine Werke zu erforschen 2)." Er hofft mit seiner Vernunft im Gebiete der Wahrscheinlichkeiten noch etwas vorzurücken; hofft, wenn es ihm nicht gelingt, Gott zu erreichen, deßwegen nicht verdammt zu werden.

Voltaire stüßt seinen Glauben an den ewigen Künstler auf die Wahrnehmung der Zweckmäßigkeit in der Natur. Gar oft hat Voltaire die falsche Anwendung der Zweckursachen verspottet, aber eine gesunde konnte er nicht verwerfen 3). Thöricht angewandt erscheint ihm der Begriff des Zweckes nur da, wo man zufällige Verhältnisse durch ihn verbindet. Zweckbeziehungen können nur auf bleibenden allgemeinen Verhältnissen beruhen ; dann aber sind diese nicht ohne sie zu denken, und Gott ist's, der diese Zwecke sezt. Im Grunde der Natur ist daher überall ein Zweck, den Gott gegeben. Gott ist ihr Künstler.

Hier muß auch die Frage berührt werden, wie Voltaire diese große Kunst der Welt mit seiner Ansicht in Einklang seßte, daß sie voll Uebel sei. Man sollte meinen, anstatt die unbewiesene Unsterblichkeit zu glauben, hätte Voltaire mit seinem Pessimismus ja viel leichter Gottesläugnung vereinen können. „Man hat darin nicht Unrecht, meint Meyer, auch sagte es Voltaire selbst, daß von dieser Seite die Annahme Gottes stets die gefährlichsten Angriffe habe erfahren müssen. Wer Veltaire für einen Gottesläugner hielt, der that es, weil er aus seinem Pessimismus die Folgerung zog, die Voltaire selbst niemals gezogen hat. Wer dieß beachtet, der muß gestehen, daß sein Gottesglaube ihm fester im Herzen muß gewurzelt haben, als man oftmals glauben sollte *)."

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2) bei Meyer, Vol

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1) cf. Artikel »Amour de Dieu" im Dictionn. philos. taire 2c. p. 58. 3) cf. Artikel causes finales" im Dictionn. philos. *) cf. Weis teres Meyer p. 60 ff. Was seine Neligion der Humanität betrifft, so unterschied Nisard in seinen im Jahre 1855 in Paris gehaltenen Vorlesungen zwei Epochen. Die erste dauerte von 1732–1752. In ihr schrieb er seine »discours sur l'homme", die als eine Vertheidigung des Optimismus angesehen wurden. Von 1754 an schlägt Voltaire um, er vertieft sich in den Pessimismus. Doch soll er durch seine Klagen den Ueberdruß am Leben (nach Meyer's Ansicht) nicht erhöht haben (?).

Was Voltaire's Christenthum betrifft, so scheint er aus Scheu vor aller systematischen Ergründung keine abgeschlossene Ansicht darüber gehegt zu haben; aus seinen Schriften geht übrigens nur das deutlich hervor, daß er auf die Dogmen wenig hielt, daß er das Streiten um sie für die Ursache der Intoleranz ansah, die seine Zeit bedrückte 1). Wenn Voltaire in seiner Jugend einmal schrieb in einem Gedichte: „Ich bin kein Christ 2c. 2)", so erklärte er dagegen zuletzt dem Abte Gaultier: „Ich sterbe in der heiligen katholischen Religion, in der ich geboren bin3)." Uebri= gens theilte Voltaire mit Rousseau und den Theisten Deutschlands und Englands die falsche Ansicht, daß nicht die Dogmen, sondern die Moral den Kern des Christenthums ausmachen. Den Einfluß letterer schäßten Voltaire und seine Gesinnungsgenossen hoch. Hiemit schließen wir unsere Untersuchungen über Voltaire's Ansicht von der Unsterblichkeit.

Rousseau hat in seinen Werken den Grundgedanken ausgedrückt, daß den Menschen, der gut aus den Händen der Natur kommt, nur die Gesellschaft verderbe; daß diesem Verderben nur gesteuert werden könne, wenn die Erziehung eine bessere Generation bilde, indem sie den Menschen aus sich selbst und in eigenthümlicher Weise sich entwickeln lasse, und nur verhindere, daß das Böse in ihn hineintrete. Daß dieß nun am sichersten geleistet wird in völliger Abgeschiedenheit von der Welt, außerhalb der Familienbande, durch einen dazu gewählten Privatlehrer, in einer Einsamfeit, die man eine künstlich geschaffene Robinsons-Insel nennen möchte, ist nach jenen Vordersätzen ganz consequent. In seinem „Émil" lehrt er, daß dem Menschen eigentlich an Gott sehr wenig, dagegen desto mehr an dem Genusse des Gottesgefühls liege. Dabei stellt Rousseau über Alles die Gewißheit, unsterblich zu sein und einst eine Ausgleichung von Verdienst und Glückseligkeit zu erleben, womit er, weil beides ohne Gottheit nicht denkbar (wie Voltaire) diese in den Kaufnimmt. Darum dieser Gifer, mit welchem er behauptet, das Wesen des être des êtres sei unerkennbar, darum der Zorn gegen jedes Dogma, der Rousseau in der neuen Heloise den Atheisten Wolmar mit solcher Liebe schildern läßt. Auch ihm gilt die ethische Seite des Christenthums vor Allem *). In Rousseau's

1) In seinem Traité de la tolérance chap. XXIX. (Vertu vaut mieux que science) sagt er: Moins de dogmes, moins de disputes; et moins de disputes, moins de malheurs: si cela n'est pas vrai, j'ai tort. La religion est instituée pour nous rendre heureux dans cette vie et dans l'autre. Que faut-il pour être heureux dans la vie à venir? être juste etc. 2) Epitre à l'Uranie 1722: Je ne suis pas chrétien, mais c'est pour t'aimer. 3) »Je déclare que je me suis confessé à lui, et que si Dieu dispose de moi, je meurs dans la sainte religion catholique où je suis né, espérant de la miséricorde divine qu'elle daignera pardonner toutes mes fautes, et que si j'avais jamais scandalisé l'Eglise, j'en demande pardon à Dieu et à elle. 2 mars. 1778." 4) Er schreibt (bei Meyer, Voltaire p. 76): Je suis chrétien, non comme disciple des prêtres, mais comme disciple de Jésus Christ. Mon maitre a peu subtilisé sur le dogme et

Religion des Herzens muß man die ersten Keime der später, namentlich in Deutschland herrschenden Gefühlstheologie anerkennen, bei der die Gotteslehre von der Frömmigkeitslehre verdrängt wird, und die (sagt Erdmann), wenn sie der Begriffsvergötterung das „pectus est, quod theologum facit“ entgegenstellte, wörtlich mit Rousseau übereinstimmt, der nicht müde wird, der Welt zuzurufen, daß Herz und Gefühl mehr seien, als die Vernunft. Rousseau war es, der das in seinen Gedanken schwelgende Jch auf den Thron erhob; er war mehr Egoist, als Helvetius, aber sein Egoismus zeigt sich in der Bewundrung der eignen Vortrefflichkeit, die ihn dahin bringt, selbst da, wo er Niederträchtigkeiten von sich erzählt, auszurufen: nie habe es einen Besseren gegeben, als er sei 1).

B. Die neuere Philosophie.

§. 1. Kant.

Vor Allem müssen wir, um unsere Leser in Kant's Philosophie einzuführen, die Grundlegung seines Systems näher in's Auge fassen. Wir folgen hiebei Erdmann2), welcher sagt: „Die Frage, welche dem gewöhnlichen Dogmatiker (darunter versteht Kant meistens den Metaphysiker, darum sett er sehr oft dem Dogmatismus den Empirismus entgegen) gar nicht einfällt, ob eine Metaphysik, d. h. ob Erkenntnisse möglich, die a priori, d. h. unabhängig von aller Erfahrung erworben werden und wirkliche Allgemeinheit und Nothwendigkeit haben, möglich, diese ist unabweislich ge= worden, seit Hume nachgewiesen hat, daß der Causalitätsbegriff nicht aus der Erfahrung stammt, sondern von uns zu den Eindrücken hinzugebracht wird, und auch nicht aus dem Saße der Identität abgeleitet werden kann, sondern eine Synthesis enthält. Soll aus dem Funken, welchen Hume schlug, ein helles Licht werden, so muß man untersuchen, wie unser Erkennen dazu kommt, dergleichen Verknüpfungen zu machen. Da diese Untersuchungen nicht die erkannten Gegenstände zu ihrem Objekte machen, sondern das Erkennen selbst, so müssen sie sich über dasselbe stellen, und da sie dieß wieder nicht so thun, wie die empirische Psychologie, welche uns erzählt, was in das Erkennen fällt, sondern vielmehr das, was als Bedingung oder Voraussetzung des Erkennens vor demselben liegt, so gibt Kant dem in der scholastischen und späteren Philosophie längst eingebürgerten Terminus transscendental diese Bedeutung, daß jede Untersuchung so genannt wird,

beaucoup insisté sur les devoirs, il préscrivait moins d'articles de foi que des bonnes oeuvres.

1) cf. Erdmann, Geschichte der Philosophie II. 231-233. 2) Geschichte der Philosophie II. p. 320-322. cf. Kirchmann, die Unsterblichkeit, ein philos. Versuch. Berlin 1865. p. 191 ff.

welche die Bedingungen des Erkennens untersucht. Kant dehnt dann aber später dieses Prädikat auch auf die Bedingungen des Erkennens selbst aus, und so kommt es, daß er von einem transscendentalen Gegenstand sprechen kann, welcher von dem in das Erkennen fallenden Gegenstande verschieden. ist, wie von dem Inhalte des Erkennens die Vorbedingung. Sieht man hier zunächst von dieser Erweiterung ab, so wären also transscendentale Untersuchungen die, welche das betrachten, was die Erkenntniß möglich macht, also das Vermögen zu erkennen, das Erkenntnißvermögen, und wenn es außer demselben noch andere Bedingungen der Erkenntniß gäbe, diese, durchaus aber nicht das Erkannte. Der Compler aller dieser Untersuchungen kann Transscendental philosophie heißen, und zu dieser will die Kritik der reinen Vernunft ein Grundriß sein. Sie nennt sich eine Kritik der reinen Vernunft, weil es ihr vor Allem darauf ankommt, die Bedingungen zu finden, die ein von allem Empirischen reines Wissen, das also wirklich a priori ist, möglich machen. Sie will die eine Frage beant= worten: Ist und wie ist Metaphysik möglich? Fällt die Antwort auf diese Frage bejahend aus, so kann also erst, wo die Kritik der reinen Vernunft schließt, die Metaphysik anfangen. Da es feststeht, daß eine jede Erkenntniß ein Urtheil ist, so kann der Frage, ob es Erkenntnisse a priori oder Metaphysik gebe, als gleichbedeutend die substituirt werden: Sind Urtheile a priori möglich? Ven analytischen Urtheilen, die vom Subjekt nur aussagen, was darin schon liegt, vom ausgedehnten Wesen das Ausgedehntsein, von dem Geraden das Geradesein, zweifelt kein Mensch, daß diese möglich seien. Weil uns diese aber nichts Neues sagen, unsere Erkenntniß nicht bereichern, höchstens verdeutlichen, so interessiren sie uns nicht. Desto mehr die synthetischen Urtheile, wo das Prädikat zum Subjekt etwas hinzubringt (wie dort, wo vom Ausgedehnten das Schwersein 2c. ausgesagt wird). Ob es Erkenntnisse gibt, durch die wir etwas Neues gewinnen und die doch a priori sind, das ist die Frage; man kann sie am besten so formuliren: Sind synthetische Urtheile a priori, und wenn sie es sind, wie sind sie möglich ')?" - Kant beantwortet nun in seiner transscendentalen Aesthetik die Frage, wie Mathematik, in seiner transscendentalen Analytik, wie reine Naturwissenschaft, in der transscendentalen Dialektik, ob Metaphysik des Uebersinnlichen möglich sei.

In der Metaphysik, behauptet Kant, wenn man sie auch nur für eine bisher bloß versuchte, dennoch aber durch die Natur der menschlichen Vernunft unentbehrliche Wissenschaft ansieht, sollen synthetische Erkenntnisse a priori enthalten sein, z. B. der Sat: die Welt muß einen ersten Anfang haben. Metaphysik besteht wenigstens ihrem Zwecke nach aus lauter synthetischen Säßen a priori 2). Für unseren Gegenstand ist zunächst die

') Die Antwort siehe u. A. Ueberweg, Grundr. III. p. 143. Grundt. III. p. 151.

2) cf. Ueberweg,

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