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gewissen Zeit zu Unterhaltung seines Lebens unumgänglich nöthig hat; von den Verstorbenen, die nach Swedenborg und unzähligen Zeugnissen, in sichtbarer menschlicher Gestalt auf der Erde fortleben, läßt sich dieß noch we= niger bestimmen: aber soviel ist doch ziemlich klar, daß der tägliche Aufwand, welchen 200 Millionen Verstorbener von den besagten Nahrungsstoffen machen würden, den tausend Millionen Lebender schwerlich soviel übrig ließe, als zu ihrer nothdürftigsten Subsistenz erforderlich ist... Wer weiß, ob nicht die unendliche Menge von Krankheiten, besonders die Epidemien, keine andere Ursache haben? und ob nicht die Nothwendigkeit, unseren Lebensstoff mit einer so ungeheuren Masse von Verstorbenen zu theilen, der wahre Grund ist, warum die Dauer des menschlichen Lebens von einem Jahrtausend zum anderen so sehr abgenommen hat, während die Menschen in den ersten tausend Jahren der Welt, wo die Anzahl der Verstorbenen noch sehr gering war, ihr Leben bis auf acht und neun Jahrhunderte brachten. Ich muß überhaupt gestehen, daß die Vorstellung, mitten in einem so fürch terlichen Gedränge von lebendigen Todten zu leben, etwas höchst Widerliches für mich hat. Allein da gibt es Rath. Man denke an die Unterwelt der Griechen, wo Raum genug für eine weit größere Menge von Todten, auch könnte von Zeit zu Zeit aus derselben ein bedeutender Transport auf irgend einen anderen Planeten abgeführt werden.“

Sedann zweifelt unser Dichter, ob die Swedenborg'schen Anekdoten" je unläugbar als Thatsachen nachgewiesen werden können, und supponirt verschiedene Möglichkeiten, aus denen der fragliche Vorfall etwa eine ganz natürliche Erklärung finden könnte; gibt später zu, daß der Glaube an ein Jenseits Sache des Gefühls sei; aber eine persönliche Fortdauer dortselbst scheint es nicht zu geben, denn „die Person ist nicht mehr, sobald das Band zerschnitten ist, das Leib und Seele zu einem harmonischen Ganzen zusammen schlang." Fannien's Seele ist für Cajus nicht mehr Fannia, wenn sie ihren individuellen Leib nicht mehr hat; auch die an jenen Leib für ihn sich knüpfenden Vorstellungen aus dem vorigen Leben entschwinden bezüglich der leiblosen Fannia.... Das Jch im Jenseits wäre ein ganz neues Individuum. Das Vergessen dießseitiger Verhältnisse ist kein Unglück, da es ohnedieß schon hier allmählig eintritt, und „die meisten Greise ein sichtbares Bild dessen darstellen, was sie nach dem Tode sein werden.“...

Aber vorausgesetzt, daß der Seele ein unzerstörbares Organ zum Behufe ihrer Verbindung mit der Körperwelt auf immer zugegeben ist, und daß es z. B. durch Ekstasen 2c. in seinen Verrichtungen nie gestört wird, so ist mit diesem ätherischen Körper für uns Lebende kein wahrer Trost geschaffen, wenn es nicht mehr dieselbe Persönlichkeit ist: „Ich sehe ganz und gar keinen wahren Unterschied zwischen gänzlicher Vernichtung und einer Fortdauer ohne Persönlichkeit. Was geht mich das neue Leben an, das nun für eine mir gänzlich fremde Person beginnen mag? Freilich ist eigentlich hiebei wenig oder nichts zu beklagen.. wenn das Menschenleben aufhört, kann das Vergessen desselben nicht die mindesten schlimmen Folgen

für den Dahingeschiedenen haben... Die Erinnerung daran würde am Ende seine Ruhe stören: „Was sollte dem entfesselten Geiste das Andenken an sein Menschenleben helfen? Dessen, was in einem höheren Leben der Erinnerung werth sein möchte, ist so wenig! Dessen, was wir schon in diesem vergessen wünschen, so viel! Das Andenken an begangene Fehler und Thorheiten, an vereitelte Entwürfe, an vergebliche Bemühungen, vornehmlich an alle Ausbrüche der Leidenschaften und Launen, wodurch wir uns an Anderen und an uns selbst versündigten, kann in diesem Leben vielleicht einigen Nugen bringen, in jenem ganz und gar keinen. Sogar das Andenken an gelungene Bemühungen und bewirktes Gutes würde nur ein sehr unerheblicher Zuwachs zu der inneren Glückseligkeit eines Geistes sein, dessen Wahrheitssinn von allen Blendwerken der Eigenliebe, der Vorurtheile und der Leidenschaften gereinigt, nun hell und lauter genug ist, Alles nach innerem Werthe zu würdigen, und folglich einzusehen, wie wenig Gutes selbst der beste Mensch zu wirken vermag, wie wenig auch von diesem Wenigen auf seine eigene Rechnung kommt, wie viel falscher Schein und Gleißnerei selbst in seinen Tugenden ist, und wie oft er Böses gewirkt hat, wenn er Gutes zu schaffen wähnte." Wenn wir die Präeristenz zu Hilfe nehmen, so wird, wie das Menschenleben, das wir mit unserer Geburt begannen, keine Fortsetzung des vorigen uns gänzlich unbekannten Lebens ist, auch das Leben, in welches wir durch den Tod geboren werden, aus gleichem Grunde keine Fortsetzung des gegenwärtigen, sondern der Anfang eines ganz neuen sein aber keines persönlichen, wie es nach Wieland's Darstellung den Anschein hat. Ueberhaupt nimmt das Gespräch, auf diesem Punkte angekommen, eine ganz negative Richtung an: Mit dem Verlust der Persönlichkeit fällt alle Bestrafung der Bösen und Belohnung der Guten im künftigen Leben weg. Wie kann ein Bösewicht bestraft werden, wenn er sich nicht mehr erinnert, womit er die Strafe verdient hat?" - Das Paradies wird in Brand gesteckt und das Höllenfeuer ausgelöscht (Bd. 32. p. 141), „damit reine Liebe Gottes künftig das Einzige sei, was die Menschen zum Guten antreibe und vom Bösen zurückhalte;" die Verantwortlichkeit der Verbrechen wird in Frage gestellt und als Folgen der Erziehung oder des Wahnsinns zumeist anzusehen... „Die Religion, das Palladium der Menschheit, die reinste höchste Humanität, steht durch sich selbst und bedarf keiner stützenden Rohrstäbe (scil. der Dogmen von Himmel und Hölle!). Jede Verfinsterung (!), durch welche das Menschengeschlecht schon gegangen, zog auch um ihre himmlische Gestalt einen düsteren Nebel, der sie hinderte, ihm ihr Licht und ihre Wärme mitzutheilen. Aberglauben, Schwärmerei, Magie, Dämonismus, Möncherei, und wie sie alle heißen, jene der Menschheit feindselige Geister, sie seßten sich im Dunklen an ihren Platz und wirkten längere oder kürzere Zeit unter ihrem Rahmen, was sie vermöge ihrer Natur wirken konnten. So wie die Menschheit sich der Quelle des Lichtes (!) wieder näherte, trat auch die Religion wieder aus dem Nebel (1) hervor" 2c. 2c. Am Schlusse des Gespräches empfiehlt unser Dichter, der hier so ziemlich sein Inneres nach

außen gekehrt zu haben scheint, die Unsterblichkeit des Ruhmes bei der Nachwelt als die einzige Art von Unsterblichkeit", wie sie auch die Griechen und Römer kannten.

Jm dritten Gespräche endlich findet sich die Schilderung einer Somnambule, sowie die Erzählung von einer Todten anmeldung. Hieraus ließe sich Manches folgern, meint Wieland, der die Thatsachen glaubt, z. B.: „Daß ein Geist unter gewissen besonderen Umständen, ohne an Raum und Zeit gebunden zu sein, auf einen anderen Geist wirken könne, und daß unsre Dame, Fr. v. K., in dieser Weise auf das Innerste ihres Freundes gewirkt und ihre Gestalt seiner Phantasie vorgespiegelt habe." Mit dem ätherischen Leibe" hat es seine Bedenken! Der Schluß des Gespräches enthält, wie es scheint, die eigentliche Ansicht Wieland's von der Unsterblichkeit. Er läßt Wilibald zu Blandinen also sprechen:

„Wer in der Welt sollte mit Ruhe und frohem Muthe an den Tod denken können, als ein so unschuldiges und gutes Wesen wie Du? Denn ich wenigstens kenne dazu kein anderes Mittel, als das Geheimniß des alten Sokrates, das Bewußtsein eines wohlgeführten Lebens. Erinnere Dich der tiefen Ruhe, womit unsere Fannia in welcher auch nicht ein Fünkchen Schwärmerei jemals geglommen hatte dem Tode entgegensah! Das Bewußtsein, daß man nie Böses, immer nur das Gute gewollt und nach Vermögen gethan hat, seht das Gemüth, vornehmlich in den letzten Stunden des Lebens, in eine heitere Stille, die ich einen Anfang der Seligkeit, welche uns die Religion verspricht, nennen möchte. Wer sich in diesen Augenblicken Gutes bewußt ist, traut der ganzen Natur Gutes zu, ist ohne Furcht und Sorge für die Zukunft, und erwartet gelassen und getrost, was da kommen wird. Eine solche Seele senkt sich, wie ein Kind in den Busen der Mutter, so mit voller Zuversicht in den Schoß des Unendlichen, und schlummert unvermerkt aus einem Leben hinaus, worin sie nie wieder erwachen wird. Dieß, liebe Blandine, ist nach meiner Ueberzeugung im reinsten Sinne des Wortes, was meine alten Griechen Euthanasia nannten, die schönste und beste Art zu sterben; und da sie von einer Bedingung abhängt, die immer in unserer Gewalt ist, warum sollten wir uns vergebliche Mühe machen, den undurchdringlichen Vorhang wegzuziehen, der das Leben nach dem Tode vor uns verbirgt? Zwar sehe ich nicht, warum wir in schwächeren Augenblicken nicht befugt sein sollten, mit der liebenswürdigen Elisa Rowe den süßen Träumereien des Herzens und der Phantasie nachzuhängen, oder mit Eduard Young auf die erhabensten Ahnungen eines über die Sinnenwelt emporstrebenden Geistes zu horchen, aber von Allem, was guten Menschen gewiß ist, das Gewisseste bleibt doch immer, daß sie sich nicht betrügen können, wenn sie in ruhiger Ergebung, und gleichsam mit geschlossenen Augen bis zum lezten Athemzug das Beste hoffen." Also die Euthanasia oder: bis zum letzten Augenblick das Beste hoffen bezüglich des Jenseits, dessen Beschaffenheit uns nicht tangiren soll, das ist Alles, was Wieland von der Unsterblichkeit annimmt. Die persönliche Fortdauer ist

ihm zweifelhaft, die Eschatologie des Christenthums und der historische Chriftusglaube findet keine Stelle in seiner „Religion des Lichtes und der Liebe“; von einem „Dichter" wie er, läßt sich nichts Anderes erwarten ').

§. 3. Leffing,

ebenso weit entfernt von Klopstock'scher Empfindsamkeit und Gefühlsüberspannung, wie von Wieland'schem Epikureismus und weltkluger Lebensweisheit, hatte einen derben deutschen Charakter, dessen Grundzüge unermüdlicher Forschungstrieb und rastloses Streben nach Wahrheit sind. Er war ausgezeichneter Kritiker, Schöpfer einer kräftigen edlen Prosa, Reformator des Geschmacks, scharfsinniger Denker und großer Dichter 2). Wir haben es hier natürlich mit Lessing zu thun, insofern seine Theologie und Philosophie etwa unseren Gegenstand berühren. Was die erstere betrifft, so hat er in ihr den tiefen Forschungen der Scholastik gegen die flache Aufklärung seiner Zeitgenossen das Wort geredet, und wurde segar von Seite der Nationalisten einer Hinneigung zum Katholicismus beschuldigt, aber in seinem „Testament der Liebe, nach welchem der Kern des Christenthums in der Liebe besteht, und in seinem „Christenthum der Vernunft", das den Keim der neueren Philosophie enthält, finden sich Dinge, die ein positives Christenthum ausschließen, und schon mehr sind als eine bloße „Bekämpfung der alten Dogmatik, ohne dem Wesen der christlichen Religion wehe zu thun", wie uns G. Weber 3) belehren möchte. Mag auch „Nathan der Weise" die schönste Frucht der theologischen Streitigkeiten Lessing's sein, wie uns derselbe Autor sagt, und gleichsam das Vermächtniß, das er kurz vor seinem Tode der Nation hinterlassen hat, mag auch Lessing in diesem durch Versbau, Sprache und Anlage vortrefflichen Drama gezeigt haben, welch' ein himmelweiter Unterschied es sei zwischen wahrer Religiosität des Herzens und Lebens und zwischen kirchlicher Rechtgläubigkeit und mechanischer Religionsübung, sein Christenthum verliert durch willkürliche Kritik der Offenbarung des alten wie des neuen Bundes den positiven Charakter. Was

1) Die Euthanasia Wieland's verursachte mehrere Gegenschriften, in denen zumeist die Möglichkeit von Geistererscheinungen überhaupt zugegeben, das Wiedererkennen der Verstorbenen in der Ewigkeit aber (wie bei Wieland) für unmöglich und für einen beliebten Irrthum erklärt wird. U. A. schrieb Fr. Richter, der Hegelianer, „die neue Unsterblichkeitslehre" Gespräch einer Abendgesellschaft, als Supplem. zu Wieland's Euthanasia. Breslau 1833. cf. die Recensionen in den Berliner Jahrb. 1834. Nr. 1-3; 17-19; über die betr. Literatur vergl. Bretschneider, system. Entwicklg. aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe nach d. symbol. Schr. d. evangel. luther. u. ref. Kirche. 4. Aufl. Leipz. 1841. p. 832. (Diese Schrift citirte ich immer bloß als Dogmatik".) - 2) Lessing's Verhältniß zur damaligen Aufklärung, zu Winkelmann und der dortigen wissenschaftlichen Richtung, Lessing's „congenialen Verstand" zeichnet sehr gut Kuno Fischer in seiner Geschichte der neueren Philosophie (2. Ausg.) II. p. 796 ff. — 3) Gesch. d. deutsch. Literatur p. 69.

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soll es u. A. heißen, wenn er auf die historische Wahrheit der Wunder, die er glaubt, den Beweis für die Gottheit Christi nicht bauen lassen will? 1) und was berechtigt ihn, das alte und neue Testament nicht als die letzten Offenbarungen Gottes, sondern geradezu nur als eine Vorschule zu betrachten, womit die Erziehung des Menschengeschlechtes begonnen habe?

Lessing's Ansichten über Religion) bestimmen sich aber näher betrachtet also: Der Grund der Religion ist keine schriftliche Urkunde und keine historische Wahrheit, weder ein Wunder, noch sonst irgend welche einmal geschehene Thatsache. Die Religion besteht in ewigen Wahrheiten, welche niemals durch einzelne Fakta bewiesen werden können, in den ewigen Wahrheiten, welche seit den Anfängen des Christenthums geglaubt und deren Inbegriff frühzeitig als die „regula fidei“ bezeichnet wurde; diese regula fidei ist älter, als die Kirche, als die Gemeinde, als das neue Te= stament3). Die christliche Religion muß wohl unterschieden werden von der Religion Christi: Dort ist Christus Objekt, hier Subjekt der Religion. Die christliche Religion glaubt an Christus als den Sohn Gottes, der durch seinen Tod das Menschengeschlecht erlöst habe; Christus selbst glaubte an das ewige Leben und an die göttliche Bestimmung des Menschen. Lessing ist wie Leibniz überzeugt, daß Christus die reine, praktische Vernunftreligion zuerst gelehrt und gelebt habe, daß Christus der erste prak= tische Lehrer der Unsterblichkeit gewesen sei 2c.*). Um Uebrigen suchte Lessing den Offenbarungsbegriff in einen Vernunftbegriff zu verwandeln und zu beweisen, daß das positive Christenthum nicht übervernünftig, nicht vernunftwidrig, sondern vernunftgemäß sei. Zur positiven Religion. und zur Geschichte überhaupt, bemerkt K. Fischer (1. c. II. 800 ff.), verhält sich Lessing nicht weniger anerkennend als Leibnitz. Ist das geschichtliche Christenthum im Einklang mit der Vernunft, denkt Lessing, so wird sich dasselbe von jeder Offenbarung, von jeder positiven Religion nachweisen lassen. Das geschichtliche Christenthum erscheint unserem Kritiker vernunftgemäß, wenn seine Grundbegriffe als Vernunftlehren können dargestellt werden. Diese Begriffe sind: Das Dogma von der Trinität, und die Vorstellung vom ewigen Leben. Lessing fragt sich: Sind diese Begriffe vernunftgemäß? Ein ewiges Leben sezt voraus, daß der menschliche Geist fortdauert, sich persönlich fortentwickelt und einer höheren Leiblichkeit theilhaftig werden kann. Diese Möglichkeit sucht Lessing in einem fragmentarischen Aufsaße aus den Prinzipien der Leibniz'schen Philosophie zu beweisen: In dem continuirlichen Stufengange der Dinge müssen sich die Vorstellungskräfte immer mehr erweitern und verdeutlichen, sie streben auch im Men

p. 33 ff.

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1) cf. „über den Beweis des Geißtes und der Kraft" s. W. Berlin 1839. X. Bd. 2) Man vergl. auch: Schwarz, Lessing als Theologe. Halle 1850. *) Lessing's nöthige Antwort auf eine sehr unnöthige Frage des Herrn Hauptpastors Goeze", Bd. X. p. 239 ff. 4) Die Religion Christi". Aus Lessing's theologischem

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Nachlaß Bd. XI. p. 603. cf. Erziehung des Menschengeschlechtes" §. 58.

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