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urtheilsfreyen Geist ausgezeichnet, schritt mit sehr sanguinischen Hoffnungen zu der Anwendung aller von Anderen empfohlenen Arzneyen. Aber obgleich das Verhältniß der Heilungen ansehnlich war: so waren dennoch die arzneylichen Mittel so unvollkommen mit den Fortschritten der Genesung verbunden, daß er nicht umhin konnte, zu vermuthen, daß sie vielmehr die Beglei ter, als die Ursache derselben seyn möchten;« und weitere Bersuche bestätigten diese Vermuthung vollkommen (S. 151). Von dem glücklichsten Erfolge zeigte sich jedoch, vorzüglich bey der Melancholie, die Anwendung des warmen Bades; so wie örtliche Aderlässe, wo die Annäherung des Anfalls sich durch den Andrang des Blutes nach dem Kopfe ankündigte. Als das beste schlafbefördernde Mittel wurde eine reichliche Abendmahlzeit vielfach erprobt. Sehr treffend rügt der Verfasser, daß man die Irren ziemlich allgemein mit zu wenig Unterscheidung der Fälle behandle. Im Bedlam - Hospital war es, nach Haslam's Erzählung, seit langen Jahren Gebrauch, allen heilbaren Kranken im Frühlinge jedes Jahres vier oder fünf Brechmittel zu geben, in anderen Anstalten ähnlicher Art wiederholte Aderlässe Mode. Der kalte Brand an den Ertremitäten, über welchen die meisten Vorsteher von Irrenanstalten so viel Klage führen, ist in dieser Anstalt nie vorgekommen, weil die Kranken nie einen Grad von Einschränkung erheischen, der sie verhindern könnte, sich starke körperliche Bewegung zu machen. Uebrigens zeigten zahlreiche Erfahrungen, daß die Irren keineswegs von den gewöhnlichen Wirkungen der Kälte verschont bleiben. Eine sparsame Diät erwies sich nur in sehr wenigen Fällen von gutem Erfolge beglei tet; eigentliches Hungern bringt dem Kranken stets Nachtheil. Das bey weitem größte Gewicht legt der Verfasser auf eine angemessene moralische Lebensordnung. Die meisten Irren besigen einen beträchtlichen Grad von Selbstbeherrschung, so daß nicht selten solche, welche der Anstalt mit Zeuguissen von sehr auffallenden Beweisen des Wahnsinns übergeben worden waren, lange Zeit hindurch so wenig Symptome der Krankheit offenbarten, daß sie der Arzt nicht im Stande war für non compotes mentis zu erklären. Der Verfasser zweifelt, daß die Erregung der Furcht von so großer Wichtigkeit für die Heilung sey, wie man dieselbe meistentheils dargestellt sehe; vielmehr möchte dieselbe wohl in dem größern Theile der Fälle mehr nachtheilig, als vortheilhaft, wirken. Unter keinem Vorwande werden da= her Ketten oder körperliche Strafen, so wie die Androhungen derselben, in dieser Anstalt geduldet; der Zwang überall nur auf eine Weise ausgeübt, welche den Widerwillen des Wärters gegen dessen Anwendung darthut; und diese milde, liebreiche Behand

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lung hat Wunderkuren verrichtet, wovon der Verfasser einige sehr bemerkenswerthe Beyspiele anführt (S. 192 ff.). Die wúthende Manie, welche anderwärts so häufig ist, kommt in dieser Anstalt beynahe gar nicht vor. »Wenn es wahr ist (bemerkt der Verfasser sehr richtig), daß Unterdrückung einen gescheidten Mann toll macht: darf man denn annehmen, daß Streiche, Beleidi gungen und Ungerechtigkeiten, für welche der, welcher sie erduldet, keinen Grund sieht, geeignet sind, einen Tollen gescheidt zu machen? Oder werden sie nicht seine Krankheit verschlimmern, und seine Rachsucht aufregen?«- Räsonniren ist weder bey verkehrten Vorstellungen, noch bey Melancholischen, von Nußen; wohl aber Beschäftigung mit andern Sachen und anstrengende Leibesübungen. Die Begierde, sich von Anderen geachtet zu fehen; die Nahrung, welche man derselben gibt, indem man sich von dem Kranken über Gegenstände seines Faches belehren läßt, und, wo es nöthig ist, Zwang anzuwenden, seinem Versprechen, sich zu beherrschen, Vertrauen schenkt; die Beförderung des Einflusses religiöser Ansichten endlich haben sich in sehr zahlreichen Erfahrungen als überaus wichtig für die Heilung erwiesen. Der Zwang ward nur als eine schüßende Beschränkung angewendet; von welcher der Verfasser behauptet, daß ihre Nothwendigkeit stets ab- oder zunehmen wird, je nachdem die moralische Behandlung mehr oder minder verständig ist. Selbst in den heftigsten Anfällen von Manie genügen meistentheils ein dunkles und stilles Zimmer, und die Zwangsweste, wobey man den Kranken übrigens gestattet, nach Gefallen umher zu gehen, oder sich auf ihr Bett niederzulegen. Nur bey einem entschiedenen Hange zum Selbstmorde wird es nöthig, den Kranken während der Nacht in einer liegenden Stellung zu befestigen, wofür der Oberaufseher eine (S. 218 beschriebene) Vorrichtung erfunden hat, die dem Zwecke der Sicherheit entspricht, und dabey doch dem Kranken gestattet sich umzu:venden, und seine Lage im Bett anderweitig zu verändern. Doch hat allerdings die Erfahrung in' der Retreat gezeigt, daß es in Fällen heftiger Tobsucht nicht zweckmäßig ist, den Kranken frey ausrasen zu lassen, sondern daß eher durch einen solchen Grad von Zwang, der in einem Zustande von Ruhe nicht schmerzhaft seyn würde, ein Nachlaß herbeygeführt wird. Indeß war es während des leßten Jahres, in welchem die Anzahl der Kranken sich gewöhnlich auf 64 belief, im Durchschnitt nicht nöthig, zwey Kranke auf einmal abzusondern, und die Mittelzahl der durch die Zwangsweste, Riemen zc. Beschränkten belief sich nie höher als auf vier. Dabey ist kein Beyspiel von irgend einem bedeutenden Schaden vorgekommen, der einem Wärter durch einen Kranken zugefügt worden wäre, und

zu keiner Zeit hat sich ein allgemeiner Geist von Unzufriedenheit oder Neigung zur Empörung offenbart. Wo jedoch irgend ein Zwang nöthig ist, da wende man ihn mit so überwiegender Ge walt an, daß kein Gedanke von Widerseßlichkeit in dem Ge=" müthe des Jrren aufkomme. Wo eine solche Gewalt nicht erhalten werden kann, und der Fall dringend ist, wird Muth und Selbstvertrauen gewöhnlich die Heftigkeit des Kranken besiegen. Ein auf einem Spaziergänge zufällig zum Zorn gereizter Kranker schickte sich an, einen großen Stein auf den Oberaufseher zu schleudern. Dieser »keineswegs aus der Fassung gebracht, heftete sein Auge auf den Kranken, und befahl ihm in einem ent schlossenen Tone, indem er zugleich auf ihn zuging, den Stein niederzulegen. So wie er sich näherte, sank die Hand des Jrren allmälich aus ihrer drohenden Stellung herab, und ließ den Stein auf die Erde fallen. Dann gab er zu, daß man ihn ruhig auf sein Zimmer führte.« Die Verweigerung der Nahrung hat man nicht selten dadurch überwunden, daß man die Kranken in die Speisekammer führte, und ihnen erlaubte, sich dort selber zu bedienen; oder daß man, wie zufällig, Speisen in ihrem Zimmer stehen ließ, zu welchen sie unbeobachtet gelangen konntenDas gesellige Wohlseyn der Kranken ist überaus wichtig für ihre Heilung Daher z. B. von der Oberaufseherin dann und wann eine allgemeine Theepartie veranstaltet wird, wo die Kranken mit der größten Aufmerksamkeit bedient werden. Selten ereignet sich dabey ein unangenehmer Vorfall. Der Umgang mit den Ges meinemitgliedern in der Stadt hat sich ebenfalls stets als sehr heilsam gezeigt; dagegen sind Besuche von vormaligen vertrauten Freunden häufig nachtheilig geworden. Ueberhaupt gestattet man den Kranken so viel Freyheit, als ihr Gemüthszustand irgend zuläßt. Wissenschaftliche Beschäftigungen sind sehr wohlthätig, vorzüglich wenn man die Kranken veranlassen kann, Einen Ge=' genstand beharrlich zu verfolgen; indeß muß man ihnen doch in manchen Fällen die Mittel zum Schreiben versagen, wo sie sich derselben nur zur Befestigung ihrer verkehrten Ideen bedienen würden. Eine Angabe der Verschiedenheiten, welche man in Bezug auf die Natur und in Bezug auf die Heilung der Krankheiten in dieser Anstalt wahrgenommen, beschließt die Abhandlung. Die Uebersicht der Todesfälle zeigt, daß Geisteszerrüttung keinen wesentlich nachtheiligen Einfluß auf das animalische Leben hat;« in den Tabellen hat sich der Verfasser bescheiden des Ausdruckes »genesen« vorzugsweise vor dem Ausdrucke »ge= heilt« bedient, »da wir durchaus kein specifisches Mittel gegen den Wahnsinn entdeckt haben, und bekennen, daß wir wenig mehr thun, als die Natur in ihrer eigenen Heilung unterstützen.«

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Die von Hrn. Jakobi beygefügten Anmerkungen verbreiten sich vorzüglich über die Art der Anlage von Irrenanstalten (dabey speziell über den Sonnenstein), über die Nothwendigkeit einer Verschiedenheit der Behandlung, nach Maßgabe des Standes der Kranken, über die Mittel zur Erhaltung der Sicherheit, über die traurigen Folgen der blinden Empirie, über die Empfänglichkeit der Kranken gegen Kälte und Hunger, über ihre zweckmäßigste Beschäftigung 20. Beherzigenswerth ist S. 212 f. der Vorschlag, die Irrenanstalten win ökonomischer Hinsicht, so weit als möglich, durch die gemeinsame und verständig geleitete Thatigkeit der in dieselbe aufgenommenen Irren bestehen zu lassen. Später bemerkt der Verfasser sehr richtig, daß Stricken, Nähen, Spinnen und ähnliche Handarbeiten gar nicht als Beschäftigungen, vorzüglich der Melancholischen, betrachtet werden können, da sie dem In- sich - versinken und den Ausschweisungen der Phantasie und des Verstandes den freyesten Raum gewähren; eben so auch in vielen Fällen Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Musik 2c. Eben so wahr sind die Bemerkungen über die Schädlichkeit des Verfahrens, das Wärterpersonal (wie selbst auf dem Sonnenstein) aus Sträflingen zu bilden. Interessant ist das S. 230 f. aufgestellte Problem: weßhalb wohl die in England fo häufige Verweigerung aller Nahrung, bis zum Verhungern, nach allen vom Verfasser eingezogenen Nachrichten, in Deutsch= land, selbst in den größten Jrrenanstalten, zu den ungewöhnlichsten Erscheinungen gehören möge. Die S. 172 ff. angeführten Beyspiele von höchst zweckwidrigen Anwendungen kalter Bäder, kalter Uebergießungen und Douchen ic., find wahrhaft schauder= erregend, und predigen mehr, als die beredteste Sprache thun könnte, die Nothwendigkeit der Anspannung aller Geisteskräfte, um die Seelenheilkunde endlich aus dem Zustande der blinden Empirie zu erheben, in welchem dieselbe leider dem größten Theile nach noch immer befangen liegt.

Von der, dieser Abhandlung vorangeschickten Einleitung des Uebersezers ist das Hauptsächlichste schon oben bey der Erläuterung der Hauptprobleme mitgetheilt worden. Außerdem ist noch der Schluß dieser Einleitung bemerkenswerth, wo der Verfasser zusammenhängender über die zweckmäßigste Behandlungsweise der Seelenkranken handelt. Die Hauptsache seht der Verfasser darein, daß der Arzt, in seiner Erscheinung und in seinem Handeln, stets das Bild der Menschheit im schönsten Sinne dieses Wortes darstelle. Verbannt sey daher jedes angenommene, unnatürliche Benehmen, wie z. B. das von Vielen als so wirksam gepriesene Firiren mit den Augen: nur zu leicht sehen die Irren, welchen man überhaupt im Allgemeinen viel zu wenig

zutraut, ihren Aufsehern die schwachen Seiten ab, wo dann diesen, indem sie ihren Pflegbefohlenen lächerlich werden, auch aller Einfluß auf dieselben verloren geht. Soll dieser Einfluß heilsam wirken, so muß der Arzt sein eigenes Temperament, seine eigenen Leidenschaften und Affekte, zu beherrschen vermögen: dadurch allein wird ihm auch die Beherrschung der Affekte an den Jrren möglich werden. In diesen aber rege stets nur die besseren und wohlthätigen Affekte an: nur diese können eine wahre und dauernde Besserung begründen. Er lasse in der Behandlung der Unglücklichen vor Allem Liebe, Wohlwol len und Mitleid hervortreten: welche auf die Kranken einen um so wohlthuenderen Einfluß ausüben werden, je weniger sie dieselben in den neuen und fremden Verhältnissen erwarteten. Daß der erste Eindruck auf einen Gemüthskranken bey dem Eintritt in eine Heilanstalt der des Staunens, Schreckens, AußerFassung - Gerathens seyn müsse, ist gewiß ein falscher Grundsaß; so wie man auch das dem Affekte der Furcht Nachgerühmte sehr beschränken muß, indem diese ja doch immer allseitig schwächt, und überdieß das Vertrauen zerstört oder nicht aufkommen läßt. Außerdem suche der Arzt auf das Gewissen des Kranken zu wirken, welches keineswegs überall vernichtet ist, sondern vielleicht am längsten der Umwandlung durch die Krankheit trozt.Sehr lesenswerth ist, was der Verfasser bey dieser Gelegenheit gegen die sogenannte indirekt-psychische Methode mit großer Wärme, ja mit einer Art von begeistertem Unwillen, erinnert (S. 104-113). Diese Methode ist eine »systematische Marterung, welche man nicht anders als mit Abscheu betrachten kann, und deren Heilkraft doch, indem sie das eigentliche Wesen der Krankheit ganz unberücksichtigt läßt, noch überaus sehr problematisch ist. Auf dem Sonnenstein, wo alle äußeren Mittel, welche nur den Anschein von Härte an sich tragen, verbannt sind, zeigt doch die Anzahl der Heilungen ein so günstiges Verhältniß, wie schwerlich in irgend einer Anstalt, wo die indirekt - psychische Methode in ihrer ganzen Strenge angewendet wird. Als mächtige Hebel für die Heilung des Kranken hebt der Verfasser außerdem noch die Ehrliebe, und deu Sinn für Ordnung, Maß und Takt hervor. Ueberall herrsche die sorgsamste Reinlichkeit, so wie eine regelmäßig abgemesfene Folge der Arbeiten, Erholungen, Mahlzeiten 2c. Die Musik hat sich nicht selten außerordentlich heilkraftig erwiesen. Was die Beschäftigung betrifft, so lasse man nie einen Kranken etwa eine Grube graben, um sie gleich wieder zuzuwerfen 2c., sondern stetswerde derselbe so viel möglich, eines verständigen Zweckes dabey inne; so wie man überhaupt die Regel nie aus den Augen

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