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verlieren sollte, »den Gemüthskranken, leide sein Verstand auch noch so sehr, immer mit der vollen Achtung zu behandeln, auf die er in der zwiefachen Hinsicht, als Mensch und als unglücklicher Mensch, Anspruch zu machen hat.« Möchten doch diese Erinnerungen bey Allen, welche irgendwie auf das Schicksal solcher Unglücklichen Einfluß haben, eine recht offene Empfänglichkeit und eine recht thätige Berücksichtigung finden!

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Bey dem Berichte über Esquirol's Abhandlung müssen wir uns, da dieselbe ganz aus einzelnen Bemerkungen besteht, noch mehr auf eine allgemeine Uebersicht und Charakteristik, beschränken. Nach Bemerkungen über die Ursachen, den Verlauf, die Heilbarkeit, die Behandlung :c. des Jrrefeyns im Allgemeinen, spricht der Verfasser in besonderen Kapiteln von der Tobsucht, der Melancholie, der Monomanie, dem Blödsinne und dem Idiotismus. Unter der Monomanie versteht er (S. 429) »das partielle Jrreseyn, welches von aufregenden, nach außen strebenden fröhlichen Leidenschaften erzeugt wird.« Die hier ge= brauchten Prädikate sind übrigens so zu verstehen, daß jedes auch einzeln Statt haben kann: denn nach S. 433 sind die Leidenschaften, unter deren Herrschaft die Monomaniaci leben, nicht immer angenehme und heitere. Als eine, in der leßten Zeit sehr felten gewordene, Unterart wird bey der Monomanie die Dámonomanie genannt. Der Blödsinn ist (S. 463) bald akut (in Folge von vorübergehenden Unordnungen im diätetischen Verhalten, von Fiebern, Metastasen 2c.), bald chronisch (durch Onanie, Hypochondrie, Melancholie, Manie, Epilepsie rc. entstan= den), bald Begleiter der Altersschwäche. Davon unterscheidet sich der Idiotismus als angeborene Verstandesschwäche, der theils Idiotismus im engeren Sinne ist (wo sich gar keine Verstandes und Gemüthskräfte entwickeln), theils Imbecillität (wo sich zwar dergleichen, aber in sehr großer, gleichmäßiger Beschränkung finden), theils Fatuitat (in welcher die Aeußerungen einiger Vermögen unverhältnißmäßig größere Kraft gewinnen). In allen Abschnitten dieser Abhandlung finden sich allerdings viele einzelne feine Beobachtungen. Im Allgemeinen aber ist dieselbe für Recens. eine nur zu augenscheinliche Bestätigung der schon aus anderen Werken über diesen Gegenstand gebildeten Ansicht, daß man noch immer nicht weiß, was man ei gentlich an den Seelenkranken beobachten, und wie man das Beobachtete verarbeiten solle. »Der Tobsüchtige (heißt es z. B. S. 380) scheint jeden Begriff von Religion, jedes Gefühl von Scham, alle Grundsähe von Rechtlichkeit abgeschworen zu haben 2c.;« die Tobsüchtigen (S. 384) sind keineswegs gegen die Kälte unempfänglich ic. Bey den

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Wahnsinnigen (S. 271) sind die Sinneseindrücke fehlerhaft, und diese Kranken scheinen das Spielwerk der Täuschungen ihrer Sinne zu seyn 2c. »Der Melancholische (S. 406) ist mager und schlank, hat schwarzes Haar, eine blasse, gelbliche, bisweilen schwärzliche Hautfarbe, während nur die Nase dunkelroth ist. Die Züge starren unbeweglich« c. Was sollen uns Beschreibungen, wie diese? Stimmen denn wirklich alle Tobsüchtigen, Wahnsinnigen, Melancholischen in den bezeichneten Merkmalen überein? Oder sind nicht diese von der Art, daß sie sich nach Maßgabe, bald in Bezug auf die Krankheit ganz zufälliger Umstände, bald der Grade der Krankheit 2c., in dem einen Falle finden, in dem andern nicht finden werden? Rezensent will keineswegs überhaupt die allgemeinen Beschreibungen und Parallelen verwerfen; ohne diese ist ja keine Wissenschaft möglich, und doch wird die Seelenkrankheitskunde gewiß erst, wenn sie wahrhaft Wissenschaft ist, eine zweckmäßige Grundlage für die Seelenheilkunde werden. Aber um solcher allgemeinen Beschreibungen und Parallelen mächtig zu werden, muß man erst, vermöge einer genauen Konstruktion der einzelnen Kranks heitsfälle, eine Kenntniß von ihrer inneren Natur, oder von den bey jeder krankhaften Umwandlung eintreten den psychischen Bildungsformen sich erwerben. Dieß ist das Eine, was Noth ist, mit ihm wird uns dann alles Andere von selber kommen; auch das Verständniß jener Aeußerlichkeiten, welche mit der inneren Grundlage der Krankheit meist erst durch drey oder mehrere Mittelglieder in Verbindung stehen. Dasselbe gilt von den vielen Tabellen, welche der Verfasser beynahe in jeder möglichen Beziehung entworfen hat. So finden wir S. 290 im Allgemei nen, und an mehreren anderen Orten in Hinsicht auf die einzelnen Krankheitsformen, eine Tabelle des Jahreszeiten, in Betreff ihres Einflusses auf das Irrewerden, indem die in neun Jahren in jedem Monate erfolgten Aufnahmen in der Salpetrière angeführt werden. Aber geschieht denn die Aufnahme stets sogleich nach der Erkrankung? Und gesezt auch dieß: hat denn ein jeder Monat des Jahres in unserem Klima einen so bestimmten Cha= rakter? und endlich (was die Hauptsache) läßt sich wohl mit Wahrscheinlichkeit darthun, daß, ich will nicht sagen alle Seelenkrankheiten, sondern nur der größere Theil derselben, eine folche Ursache haben, daß die Witterung einen bedeutenden Einfluß auf ihren Ausbruch, ihre Verstärkung oder Verminderung ausüben könne?. 348 ff. finden sich die mannigfaltigsten Mortalitätstabellen: in Bezug auf die Aufnahmen, die Jahreszeiten, die Lebensalter, die Krankheiten, welchen die Irren un

terliegen. Aber welche nur einigermaßen sichere Resultate sollten wir wohl aus denselben ziehen können? Wie viele zufällige Umstände können in Bezug auf diese Verhältnisse einfließen! Eigenthümlichkeiten der Witterung, durch besondere Umstände in einzelnen Jahren, oder durch die Beschaffenheit der Gegend bedingt, in welcher die Irrenanstalt liegt, die Einrichtung dieser, und die sonstigen häuslichen Verhältnisse; die Lebensart des Volkes, der Proving ic. Der aufgeführten Krankheiten sind übrigens so viele und so mannigfaltige, daß man die schon von einigen Forschern aufgestellte Ansicht bestätigt finden möchte, daß das Irrefeyn im Allgemeinen keine somatische Krankheit besonders begünstige, und daß also alles Entwerfen von Tabellen in dieser Hinsicht unnüß sey. Auch hier also müssen wir erst durch eine tiefer dringende, die eigentliche innere Natur der Krankheit erfassende Einsicht belehrt werden, worauf wir unsere Aufmerksamkeit zu richten haben; und aus dieser Einsicht wird uns über den Zusammenhang oder Nichtzusammenhang jeder einzelnen Krankheitsgattung mit den Jahreszeiten, so wie mit somatischen Uebeln 2c., ein bestimmterer und klarerer Aufschluß werden, als wir aus solchen äußerlichen Erscheinungen, welche, außer auf den in Frage gestellten Momenten, noch auf unzähligen anderen, keiner Berechnung unterliegenden Momenten beruhen, jemals zu schöpfen im Stande seyn werden. Nicht eine blind hin und herspringende, sondern nur eine einsichts voll geleitete Thätigkeit fördert die Wissenschaft!

Die allgemeinsten Prinzipien für diese Leitung anzugeben, war das Hauptbestreben des Rezensenten bey der Beurtheilung des vorliegenden Werkes; möchten seine Bemühungen hiefür nicht vergebens gewesen seyn!

Fr. Ed. Beneke.

Art. VII. 1. Schön Ella. Volks - Trauerspiel in fünf Akten, von Friedrich Kind. Leipzig, bey G. J. Göschen, 1825. 229 S. klein 8.

Wir haben Schicksals - Trauerspiele, Leidenschafts - Trauerspiele, heroische Trauerspiele, bürgerliche Trauerspiele, Heinse nennt den beym Untergang seiner Söhne untergehenden Laokoon ein Natur - Trauerspiel, warum sollten wir nicht auch ein VolksTrauerspiel haben. Unter dieser Bezeichnung kann sogar ein doppeltes verstanden werden; ein Trauerspiel, dessen Stoff aus dem Volksleben genommen wird, und ein solches, welches bey der Wirkung, die es hervorzubringen strebt, auf das Volk Rücksicht nimmt; es kann ein Volkstrauerspiel geben dem Inhalte

nach, und eins nach der Behandlungsart; der Verfasser des gegenwärtigen hat beyde Wege zugleich eingeschlagen.

Der Gang seines Stücks ist folgender: Der erste Akt zeigt uns beym Beginnen ein bürgerliches Wohnzimmer, in welchem die Hauptperson Ella, mit ihrer Mutter Margreth, der Witwe eines Schullehrers sich befindet. Die Eingangsscene schildert uns die Gefallsucht und die Eitelkeit schön Ellas, die Spinnrad und Gebetbuch zur Seite legt, und, im Spiegel sich wohlgefällig beschaut, worüber sie von ihrer Mutter zur Rede gestellt wird. Bald darauf erscheinen Rachel, eine Nachbarin, und Joseph, ein junger Goldarbeiter, Margareths Pathe. Nach einem kurzen Gespräche, in dem Josephs Liebesglut für Ella sich beständig Bahn zu machen sucht, drückt er ihr eine von ihm zierlich gearbeitete goldene Kette in die Hand, und entfernt sich schnell. Ella zögert eine Weile, ob sie Josephs Geschenk anneh men soll, wird aber von Rachel dazu überredet. Diese bindet die Kette dem Mädchen um den Hals, nachdem sie früher eine Korallenschnur, an der ein Kreuzchen hängt, ein Geschenk ihres seligen Vaters, bey Seite gelegt hat. Indem sie bey diefer Gelegenheit Ellas Stiramung benügt, beredet sie dieselbe, sich in den Garten des reich,en Kaufherrn und Rathsmanns Gebe hard zu schleichen, um dort Gesicht, Hals und Arme im frischen Springquell zu waschen, und im Mondschein trocknen zu lassen. Dieß würde, von einer gewissen Zauberformel, die Rachel ihr mittheilt, begleitet, ihr heute, als an dem dazu günstigen Tage, eine feltne Weiße und Reinheit der Haut verschaffen. Die eitle Ella läßt sich bethören und geht, Rachel bleibt zurück, indem fie Ella verspricht, sie bey der Mutter, welche sich indeß zur Ruhe begeben hat, wenn sie wach werden sollte, zu entschuldigen. Die veränderte Scene zeigt uns einen Garten bey Gebhard's Hause mit Hecken, Blumenbeeten, einem Springbrunnen mit Wasser. strahlen, und der Figur einer Nymphe. Born auf beyden Sei, ten eiserne Gitterthore. Mond und Sternenhimmel. Wilhelm, Gebhard's Sohn, tritt auf, von dem schwedischen Hauptmann Silberström begleitet. Wilhelm entdeckt seinem Freunde, daß er schön Ella hier erwarte, welche in des Springborns kühlen Silberwellen, als Balsam ew'ger Jugend, sich waschen werde, wozu ihm Rachel, seine alte Amme, verholfen, und ihn durch ein Zeichen, von Ellas Fenster her, vom Gelingen des Plans in Kenntniß gesezt hätte. Als ihm Silberström dies Thun verweist, erklärt ihm Wilhelm, daß sein Herz von reiner Glut entbrannt fen, und er Ella als seine Braut zum Altar führen wolle. Das Mädchen naht, Silberström geht in das Haus. Wilhelm verbirgt sich hinter einer Buchenwand. In einem schön gearbeite

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ten Monologe äußert. Ella die Eindrücke, welche die romantische Umgebung auf sie macht. Zwischen der Lust nach dem Besih einer vollkommenen Schönheit und einer Bangigkeit, welche sich ihrer bemächtigt, schwankend, trägt die erstere den Sieg davon:

Thu' ich denn ́unrecht? (ruft sie aus) gleich' ich nicht dem Kinde,
Daß allenthalben ich Gespenster seh'!

Schön seyn zu wollen — ist das Sünde?

Wäscht nicht das Täubchen, weißer schon als Schnee,
Un jedem Strand von neuem sein Gefieder?

und mit den Worten:

Strömt, reine Perlen, segnend auf mich nieder! neht sie sich Arm und Gesicht, indem sie leise dazu den Zauberspruch singt. Wie sie sich tiefer in den Brunnen bückt, tritt Wilhelm schnell hervor, und wirft aus einem Gartenkorbe Blumen auf fie. Ella will entfliehen, wird aber von Wilhelm zurückgehalten. Seine Liebesschwüre bringen Ellas Bedenklichkeiten allmälich zum Weichen, sie gesteht ihm mit schüchterner Zärtlichkeit, daß schon früher, obschon sie nur vom Sehen und Grüßen ihn kenne, er einen Eindruck auf ihr Herz gemacht habe, und als er ihr seine Hand anträgt, vermag sie nicht länger zu widerstehen, »Dein auf Ewigkeiten!« lispelnd; sinkt sie in seinen Arm. In der Ferne wird dumpfer Donner gehört. Die Liebenden werden davon aufgeschreckt. Der alte Gebhard kehrt, von einem Diener begleitet, nach Hause zurück. Wilhelm küßt schnell die Geliebte, und läßt sie durchs Thor entschlüpfen. In demselben Augenblicke leuchtet ein heftiger Blig, dem ein starker Donnerschlag folgt.

Den zweyten Akt eröffnet eine Scene zwischen dem alten Gebhard und seinem Sohne, in welcher der Vater in Wilhelm dringt, Elisabethen, seiner bestimmten Braut, die Hand zu reichen. Wilhelm erklärt, daß er niemals sich darin dem Willen des Vaters fügen werde, und bekennt zuleßt, daß ihn die heiligsten Schwüre, beym Flammen der Himmelsblige geschworen, mit Ella zusammenbänden. Gebhard wird durch diese, seine Absichten vernichtende Erklärung seines Sohnes so aufgereizt, daß er taub für dessen Bitten zu den Worten gebracht wird:

Hinweg von mir!

Vergessen will ich, daß ich Vater war
Dem Undankbaren und der Heuchlerinn,
Die so der Pflichten heiligste vergaßen,
Noch sterbend

*) bleib im Innern, furchtbar Wort! Daß auch du dort (gen Himmel deutend) nicht donnernd wiederhallst. Einem Monologe Wilhelms, in welchem er sich über den Zorn. und das Benehmen seines Vaters durch den Umstand zu trösten

*) Er will »fluchen« aussprechen.

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