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Alle genannten folgen in absteigender Linie auf einander, nicht hinsichtlich ihres poetischen Werths, sondern der dramatischen Tüchtigkeit ihrer Dramen. Nur in jener hellen Zeit des Zusam menwirkens zwischen Göthe und Schiller herrschte das rechte Verhältniß der Bühne zu Poesie. Die Theater beugten sich und nahmen dankend das empfangene Geschenk aus den Händen der Meister. Es war noch die Zeit, wo das Publikum horchend und folgsam auf die Winke der geehrten Dichter achtete, wo es das als dramatisch hinnahm, was die Meister so gegeben; wo es nicht mit kritischer Miene eintrat, um sein Urtheil zu fallen, sondern es zu bilden. Hätten doch die Meister es sich angelegen seyn lassen, diese Bildung zu leiten! Hätte namentlich Göthe, dessen früheste dramatische Arbeiten (mehr als seine vollendeten der lezten Zeit) beweisen, wie er den Geist des Drama aufzufassen, wie er ihn zur Menge fprechen zu lassen verstand, es nicht vers schmäht, mehr dafür zu thun! Sein Göß mit einigen Umánderungen und Vervollkommnungen hätte die Type für die deutsche Tragödie, seine Mitschuldigen für das Lustspiel werden können. Der regsame, für Alles empfängliche Geist des Meisters zog es vor, in allen Gebieten und Formen der Literatur Leben zu schaffen und Anmuth darüber zu hauchen. Wir sind ihm für alles, was er hingestellt, was er geleistet, für die Bahnen, die er gebrochen hat, mehr Dank schuldig, als Deutschland ihm abentrichtet hat; aber wirkungsreicher wäre der große Strom geworden, wenn er den einen Zweig mit ganzer Kraft erfaßt hätte, der sich schon damals als der einflußreichste auf alle Volksbildung erwies. Welches Leben, welche Wahrheit, welche Anmuth hätte er hins einbringen, wie hätte er die sich trennenden Richtungen zusam menfassen, wie dadurch vielleicht das umsonst ersehnte Ziel unserer Weisen, ein echtes deutsches Volksleben fördern können. Bald bemächtigte sich die Spekulation des Theaters, und indem jener berühmte Mann, der beynabe seit einem halben Jahrhundert es beherrscht hat, zuerst das Beyspiel gab, nicht das ewig Wahre und Schöne zum Vorbilde zu nehmen, sondern dem Publikum die Neigungen abzulauschen, war das Verderben der Bühne ausge= sprochen. Indem, seinem Beyspiele folgend, die Theaterdichter nichts Höheres anerkennen, als die momentanen Regungen des Beyfalls oder Mißfallens der zufällig versammelten Menge, ist es dahin gekommen, daß der Gefeyerte und Glückliche, der ge= glaubt hatte, es so weit gebracht zu haben, daß kein Lüstchen, das in einem deutschen Publikum aufsteigen möchte, in seinen Lustspielen unbefriedigt bliebe, jest meistens todt und matt auf der Bühne erscheint. Es ist so weit gekommen, daß Direktionen und Theaterdichter keine neuen Reize mehr auffinden können; es

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ist zu einer Sprachverwirrung gediehen, daß es zu den Wundern gehört, wenn ein Drama, welches an einigen Orten Furore gemacht hat, nicht an andern ausgepocht wird.

Schon Werner und Oehlenschläger beherrschten nicht mehr das Theater, sie ließen sich aber auch nicht von den Launen desselben beherrschen und erschienen deßhalb nur selten auf den Bretern. Beyder dramatische Thätigkeit war einseitig; sie folge ten ihrem innern Triebe, und da dieser bey beyden mit zweyen Richtungen im Publikum korrespondirte, hatten sie Erfolg, ohne bedeutend einzuwirken, oder gar das ganze Thema zu umfassen, was großen dramatischen Dichtern zur Lösung hingestellt ist. Die mystische Richtung, welcher der Erstere folgte, hat ihre Verehrer, wie die idyllisch sentimentale, welche Oehlenschläger aus dem Hirten- und Familienleben in die Werkstätte der Künstler und in die Hallen der Könige überträgt. Aber beydes sind Richtungen, welche, je weiter sie verfolgt werden, um so weiter abführen von dem wahren Leben, als dessen eigentlichstes Spiegelbild das Drama auftritt. So verfolgten Werner und Oehlenschlä ger nur die benannten Schritte, welche Schiller bereits vorausgegangen war. Das, was der Mehrzahl verständlich, diese erfreuen und bewegen kann, wurde schon von Schiller minder berücksichtigt; er schwebte hinauf zu den höheren Regionen, in die ihm nur die Gebildeten, oder besser gesprochen, die Belesenen, folgen konnten. Aber troß dieser vornehmen Richtung, schwebt doch ein Glanz der Klarheit um seine Dichtungen, das allgemein Menschliche herrscht darin vor, wenn auch die Worte tönender flingen, und die Menge kann sich doch zwischen Verstehen und Staunen darüber theilen. Dabey hat Schiller die Bedürfnisse der theatralischen Darstellung immer berücksichtiget, und er bleibt eine, wenn auch einseitige, doch durchaus schöne Erscheinung auf dem deutschen Theater. Werners und Deh= lenschlägers Streben sonderte sich aber bey weiten mehr von dem erscheinenden Leben ab, und es ist jest schon die Zeit ge= kommen, wo uns der eine fremd dünkt, und der andere uns das Leben so aufgefaßt zu haben scheint, daß sein Mark verflüchtigt ist.

Müllner dachte mehr an das Theater, er dachte auch an die Schauenden; er wußte zugleich, wie tief das Publikum schon verderbt war durch die ihm schmeichelnden Bühnendichter, als er seine Schuld schrieb. Daher ging er darauf aus, zu reizen, aber nicht sowohl durch Bühneneffekte, als indem er Affekte anregte, welche schon einen verderbten Seelenzustand der schauenden Menge vorausseßten. Das dumpfe Schuldbewußtseyn, die Unklarheit zerstörter Gemüther, jener Zustand der Halbbil dung, wo der Mensch sich höher, edler träumt, in beständigem

Kampfe mit der ihn umgebenden Gemeinheit der Außenwelt oder der eignen Natur, wo er sich in dem Zwiespalt zwischen Seyn und Nichtseyn interessant dünkt, kurz jene moderne Halbheit, wie fie in tausend Gestalten spukend zum Vorschein kommt, sind die Elemente, auf welche Müllner baute. Der so geschilderte Zustand bringt die Kraftlosigkeit mit sich; der dumpf Brütende findet keine Mittel, sich zu einem lichtern Zustande hinaus zu arbei ten, ob er ihn doch gleich ersehnt. Er will ohne Anstrengung dahinaus verseht seyn. Daher der Wunsch nach dem Tode, das Liebaugeln mit demselben. Nebenher das wystische Gefühl, welches in der Gerechtigkeitsliebe des deutschen Volkes seinen Stüßpunkt finden. Blut verlangt Blut. Indem Müllner so dem rohen Kigel nach Kriminalneuigkeiten zugleich mit dem dumpfen Hange, die Welt wie eine nichtige Mördergrube zu betrachten, diente, wußte er mehr zu fesseln, als es dem geschicktesten Dramatiker gelungen wäre, der damals ein frisches Bild des Lebens entworfen hätte. Konnten doch dazumal Heinrich von Kleistens Dichtungen nirgend durchdringen und kämpfen noch jezt, und dieser hatte wie wenige vor und nach ihm mit hellem, heiterm Auge, wenn auch nicht heiterem Geiste, jene lebendige Entwickelung aufgefaßt. Müllner selbst verließ später die kriminalistische Seite, ohne zugleich den andern Hebel seiner dramatischen Thätigkeit abzustreifen. Die Schuld spielt auch in seinem König Vngurd und der Albaneserin die große Rolle, welche es dem Dichter unmöglich macht, zu der freyen Anschauung und Auffassung zu gelangen, die den dramatischen Dichter recht eigentlich zu einem solchen macht. Bey vielem Großen und Schönen hat er doch nicht den eigentlichen Lebensquell getroffen, der ihn als deutschen Dramatiker hinstellte. Als er das Kriminalistische selbst verworfen, und das Schuld-Thema nicht mehr fesseln wollte, stand der Mann, dem man dichterische Phantasie und eine seltene Kraft nicht absprechen kann, ja der vermöge letterer recht dazu berufen schien, als Dramatiker auch die schwierigsten Gegenstände zu bezwingen, verlassen vom Publikum da. Seine Albaneserin war der Menge fremd geworden, ohne ihm bey denen Eingang verschafft zu haben, welche den ästhetischen Richtstab an die Dichtungen legen. Müllner hat nichts begründet, als daß viele weit schwächere Nachfolger das Thema seiner Schuld mannigfach variirt haben.

Eben so wenig hat Grillparzer etwas begründet. Anfangs in Müllners Fußstapfen tretend, schweift und schwankt er in seinen Dichtungen noch mehr als dieser umher, ohne einen festen Anhaltspunkt, einen Boden zu finden, auf welchem für die Dauer ein neuer Anbau gelingen möchte. In seiner Ahnfrau

sind es noch ganz die Müllnerschen Elemente, welche er geschickt, wenn auch zugleich bizarr auffaßte, und die auf den Bretern einen scheinbar festen Stand gewannen. Das Gräßliche dieser mit Blut getränkten Sinnesmenschen, die in ihrer Hohlheit beständigen Durst nach etwas Unnennbarem empfinden, tritt hier durch den Aufwand der Theaterreizmittel, Spannung, Schreck, peinliche Angst, mehr als irgend in einem ähnlichen Stücke hervor. Wenn wir auch zugeben müssen, daß wenige Dramen neuerer Zeit eine so geschickte Abründung der Fabel aufweisen können, so spukt doch auch in keinem eine so entseßliche Rohheit, und nirgends tritt die einst so beliebte Genialität des gegen die Schranken der geseglichen Ordnung anstürmenden Renomisten so leer hervor, als in diesen Räubern. Welch eine Abstufung von Karl Moor bis zum Räuber Jaromir! Von dem freyen Geiste des Dichters zeugte es, als er in seiner Sappho die dumpfe Blutbahn gänzlich verließ und sich zur heitern Klarheit der Antike zu wenden schien. Aber auch nur schien; denn auch Sappho war auf jenen Elementen verkehrter Bildung, jenem Streben nach Interessantseyn, jener hohlen Sehnsucht nach einer bessern Natur, als die wir nun einmal besißen, gegründet. Durch seine Trilogie der Medea wurde es klar, daß das Antike nicht sein Feld sey, und er kehrte neuerdings zum historischen Schauspiel zurück, zum vaterländischen Interesse, dem höchsten und heiligsten, welches den dramatischen Dichter begeistern sollte. Shakspeare stand ihm unverkennbar als Musterbild bey der Ausarbeitung seines Trauerspiels Ottokar vor Augen; aber es scheint, als sey ihm hier die Kraft ausgegangen, welche zur dramatischen Durcharbeitung eines so großen Thema erforderlich ist. Sein Streven verdient alle Anerkennung, die mannigfaltigen Schönheiten springen hervor, die drastische Kraft einzelner Scenen ist groß; allein jene reproducirende Kraft, welche bey Dramen dieser Art mehr gestählt seyn muß, als bey Erschaffung eigner Phantasiegemälde, eine Kraft, die wir völlig ausgebildet freylich nur bey Shakspeare finden, sie ging dem jungen Dichter ab. Gewiß dürfen wir einen Geist bewundern, der sich über so manche selbst gestellte Schranken hinausarbeitete, der rastlos nach dem Bessern und Wahren rang; wir müssen aber zugleich bedauern, daß er auf seine früheren Produktionen eine Kraft verwendete, welche, gleich auf das Rechte hingewiesen, vielleicht andere Resultate hervorgebracht hätte. So hat Grillparzer der deutschen

Dramatik noch kein neues Feld errungen.

Eines größeren Beyfalls als beyde Vorgänger erfreute sich noch vor kurzem auf den deutschen Bühnen Ernst von Hou= wald. Die große Anzahl der weichen Seelen finden bey ihm in

reicherem Maße die Nahrung, welche der verschwindende Oehlenschläger ihnen nur zum Theil gereicht hatte. Zugleich sprach sich in der Anerkennung dieses Dichters das Bedürfniß aus, einmal aus der kriminalistischen Welt der Schuld und Buße, aus dem zerrissenen Zustande der Halbheit, aus den von der Sehnsucht zerstörten Wesen in eine reinere Welt hinaus zu kommen. Diese fand man allerdings bey Houwald, aber noch nicht die gesunde Natur, kein frisches behagliches Leben. Wesen begegnen uns, die der Schmerz niedergedrückt hat, ohne sie zu verklären. Wir können nicht zürnen, wir werden nicht empört; aber auch nirgends erhoben, und wenn wir lange unter den schmachtenden Nebelgestalten uns umgetrieben haben, regt sich recht deutlich das Verlangen, einmal andere Nahrung zu uns zu nehmen, sollten wir auch den gefährlicher Rückschnitt zu den Gottlosen machen müssen. Auf keinen Fall hat Houwald das deutsche Drama erfolgreich kultivirt. Es wird noch lange ein Publikum geben, das seine Stücke gern sieht und noch lieber liest, aber sie werden nur wie Gespenster über die Bühne gehen, da es auch zur Zeit ihrer Blüthe nur Erscheinungen waren, ohne Wurzeln in dem wahren dramatischen Leben und ohne Stämme aufschießen zu lassen mit Kronen, Aesten, Zweigen und Laub, die ihr Daseyn durch sich selbst vertheidigen.

Raupachs früheren Dichtungen sieht man es an, daß sie in der Fremde, als der Dichter abgeschlossen vom geselligen und literarischen Verkehre Deutschlands lebte, komponirt sind. Es find Früchte des Nachdenkens, der Abstraktion, die lebendige Anschauung fehlte ihm in jeder Hinsicht. Daher behandelt jedes diefer Dramen irgend einen philosophischen Saß, und da der Quell des Lebens nicht aus den Charakteren hervor sprießt, ist auch die dramatische Kraft dieser ältern Tragödien des Dichters so gelähmt, daß nur einige davon, weil sie Glanzrollen für berühmte Künstler oder Künstlerinnen liefern, sich auf den Bühnen Eingang verschafft haben. Dazu kam noch ein Element, welches ihn von dem wahrhaft dramatischen Leben abzog, die Polemik. Es ist keines der altern Gedichte ohne einen Stachel, welcher sich ziem lich deutlich als der eigentliche Stimulus zur Erschaffung des Drama fund gibt. Wenn gleich die ersten Dichter und Dramatiker ihrem Unmuth über Welt und Leben in ausgezeichneten Dramen Luft gemacht haben, so bleiben dies doch immer nur Einzelheiten, und eine dramatische, auf Bitterkeit begründete Thätigkeit vermag nie das frische Leben hervor zu bringen, welches im Drama die Flügel entfalten soll. Was Raupach neuerdings, nachdem er Deutschland zum zweyten, das Theater aber zum ersten Male kennen gelernt hat, im Begriffe zu leisten

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