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dern der Vater der Gemordeten; nicht durch das Schwert, sondern aus großväterlicher Zuneigung hat er die Söhne zu sich genommen. Dieß mußte der Dichter, seiner Absicht gemäß, umändern. Periander verlangt nach der Liebe seines Sohnes Lykophron. Weil dieser ihn zurückstößt, weil er nicht abstehn will, gibt er das harte Gebot den Korinthiern, um den Sohn zur Rückkehr zu zwingen. Als er ihn nach vier Tagen im Elend »ohne Trank und ungebadet« auf dem Markte umher schleichen sieht, und er ihn anredet, hat die Härte den Troß gesteigert, der Vater wird von dem Sohne mit den Worten des Verbotes: »Du bist Apollen eine Sühne schuldig« zurückgewiesen. Der Troß erweckt in dem Vater die Rachsucht, nicht gegen den Geliebten, sondern gegen den, welcher durch aufregende Worte die Ursach der schweren Mißhelligkeit geworden, gegen Prokles. Er nimmt die be schriebene Rache an diesem; aber die Liebe des Sohnes ist damit nicht zu gewinnen. Periander sendet Boten über Boten nach Korcyra, um die geliebte Stüße für sein Alter zur Rückkehr zu bewegen. Je mehr der Troß des Sohnes steigt, um so gewaltiger wird Sehnsucht und Liebe in dem alternden Vater. sendet die Tochter, und deren Vorstellungen gelingt es, den Sohn zur Rückkehr unter der Bedingung zu bewegen, daß er den Vater nicht mehr in Korinth antreffe. Der König Periander, der kräftige Held, entschließt sich, selbst diesem wahnsinnigen Verlangen nachzugeben, er will in die Verbannung nach Korcyra gehen, aber die Korcyräer, aus Furcht vor seiner Ankunft, ermorden den Jüngling.

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Auch dieser ist ganz getreu in seinen Handlungen und faktischen Aeußerungen dem überlieferten Berichte geschildert. Der Tiefsinn überkommt ihn, und artet in den Troh aus, welcher der ganzen Familie den Untergang bringt. Auch der zuerfundene Wahnsinn ist nur das Symbol der erzeugten Gemüthsstimmung. Selbst von der Tochter des Periander dürfte man annehmen, der Dichter habe ihren Charakter psychologisch mehr aus den Andeutungen entwickelt, welche sich in ihrer Rede an den Bruder vorfinden.

Und dennoch, troß der Wahrheit der Thatsache, troß der Wahrheit der Entwicklung der Charaktere, troh der hohen Tragik der Situationen, verläßt uns nicht ein störendes Gefühl, welches die ganze Tragödie als widernatürlich, als unmotivirt erscheinen macht.

Es ließe sich die doppelte Behandlung des Sujets, auf an= tike und moderne Weise denken. Griechische Tragiker haben unferes Wissens niemals den Stoff behandelt. Außerdem, daß die Handlung so viele durch Ort und Zeit getrennte Ereignisse um

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faßt, wie sie kaum durch seine trilogistische Behandlung ausge drückt werden könnten, liegt die Begebenheit schon über die my thische Zeit hinaus, aus deren Kreisen die Tragiker ihre Stoffe wählten. Lezteres ist nicht ohne Bedeutung. Die Zeit, wo die Götter unmittelbarer in das menschliche Leben einwirkten, ist vorüber, jene Zeit, wo die Motive zu außerordentlichen Thaten durch ihren Einfluß natürlicher, wo die Leiden durch ihr Mitwir ken großartiger erscheinen. Vieles, was in jenes Alter hinausspielt, ließ man sich gefallen, wenn es auch nach den Ansichten der Gegenwart unnatürlich oder irgend eine Sitte beleidigend dünkte. Der Kreis der Heroenwelt, anderen Gefeßen, als denen durch Vernunft und Erfahrung entstandenen unterworfen, adelte. Doch auch die Heroenwelt hatte ihre Normen; auch hier herrschte nicht die Willkür. Vergehen der Kinder gegen die Aeltern erscheinen unter mannigfachen Gestalten, ob aber Periander und Lykophron wären gewürdigt worden in diese Kreise gewaltiger Männer zu treten, ist sehr zu bezweifeln. Mancherley Grauel und mancherley Frevel bezeichnen das Haus der Labdakiden und Atriden, auch Aelternmord kommt vor, aber es ist eine unwissend begangene oder in der Aufwallung des Zornes rasch verübte That, und zugleich ist es — das allersträflichste Verbrechen. Oedipus schlägt unwissend seinen Vater Lajus todt und heiratet unwissend die Mutter Jokaste, und doch wird der allergerechteste, hochgerühmte Mann deßhalb der unglücklichste Sterbliche. Orestes tödtet auf Geheiß des Delphiers die eigne Mutter, weil sie aus ehebrecherischer Lust seinen Vater hinterlistig umgebracht hat. Es ist eine rasche, eine gerechte That, auf Befehl des Gottes unternommen, und doch wie wird sie gerächt! Es ist eine That, die so über das Menschliche hinausgeht, daß sie in den Kreis der Götter gezogen wird, weil der von Zweifeln befangene Mensch nicht mehr entscheiden kann. Welcher Erfindungen, welcher Umwege bedurfte es selbst in jenem Heroenkreise, die That des Orestes zu motiviren, und sie späterhin zu entfühnen. Wie anders Lykophrons That! Sein Vater ist kein Verbrecher wie Klytemnestra; aus Eifersucht hat dieser Periander Melissen umgebracht, was er allenfalls als König hätte mit Recht thun mögen; endlich ist die That vor langen Jahren geschehen; Orestes hat selbst über Unmütterlichkeit zu klagen; Lykophron wird vom liebevollsten Vater empfangen! Der Geist des Zorn's überkommt den Sohn des Agamemnons und die blutige That ist das Werk des Augenblicks; Lykophron ermordet nicht den Vater, aber er begeht größeren Frevel, er maßt sich das Richteramt über den Vater an. Er spielt den Zürnenden,

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und diese Rolle spielt sein ganzes Leben hindurch. So möchte Lykophron aus doppeltem Grunde kein Held der antiken Tra= gödie geworden seyn, einmal, weil sein Verhältniß zum Vater selbst hier als ein widernatürliches gegen die ewigen Normen erschienen wäre, das andere Mal, weil seine ganze Handlung nur in einer Negation besteht. Die darin ausgesprochene Willensstärke ist zwar ganz dem antiken Charakter angemessen; die Aeuße rung aber ist wie dem romantischen Leben entnommen. Warum follten auch nicht solche Erscheinungen ausnahmsweise dort vorkommen? Melissa sagt von ihm:

So sieht der Jüngling aus, der, müßig träumend,
Sich eine Welt voll lügender Gedanken

Mit leichter Mühe schuf, zu schwach und träge,
Um Arm und Füße je zur That zu regen,
Ein schreckenloser Held der Einbildung.

Als seiner Phantasieen Seifenblase

Stieß an den rauhen Fels der Wirklichkeit,
Zerplatzte sie, und ließ ihm nichts zurück,

Als nur ein winzig Tröpfchen Schaum und Wasser,
Das er seitdem verzweiflungsvoll betrachtet.

Die antike Tragödie konnte diesen Helden nicht brauchen; es ist die Frage, ob er sich für die moderne, oder sogenannte romantische eignete. Hier schien der Schwärmer eben so interressant, als die ganze Entwickelung romantisch. Wie überall im Antiken die Handlung, plastisch ausgeprägt, mehr in ihren Erscheinungen als in ihren Motiven sich zeigt, so findet die Gemüthswelt mehr Raum in den romantischen Dichtungen angewiesen. Lykophron verbannet den Vater, das natürliche Pflichtgefühl des Sohnes hindert ihn aber, feinen rächenden Unwillen anders als durch Schweigen und Nichtsthun auszudrücken; er vernichtet sich daher selbst. Dieser Kampf widerstreitender Verpflichtungen, endigend und sich äußernd in einer Selbstaufopferung ist ganz für die romantische Tragödie. Es liegt zu Tage, daß dem Dichter Calderons Standhafter Prinz vorgeschwebt hat. Nicht allein dessen Entsagung und Aufopferung, einer Idee wegen, sondern auch der spezielle Umstand, daß beyde Prinzen verschmachten im buchstäblichen Sinne des Wortes, während ein einziges Wort ihr Elend in Ueberfluß verwandeln könnte, knüpft eine nahe Verwandtschaft zwischen Lyfophron und Don Fernando. Troß dieser Verwandtschaft ihrer Schicksale, wie weit stehen sie von einander!

Was gab dem Portugiesen Kraft zu jenem Heldenmuthe, und was dem Sohne des Korinthischen Tyrannen? Der Glaube, und zwar ein ganz spezieller, befonders ausgeprägter, flößte jenem Dulder die Kraft ein, welche bis zu seinem Tode mit Freu

digkeit und edler Sitte gepaart ist. Stellen wir uns auf den Standpunkt dieses Glaubens, und die That verliert, nicht ihre Größe, aber das Unnatürliche und Wunderbare verschwindet. Alles dieß ist anders beym Ly kophron. Weder Glaube noch Liebe konnten ihn begeistern, er kannte beyde, auch die Hoffnung nicht. Er hatte nichts zu erwarten, als das düstre Schattenleben unten in den stygischen Fluren. Was gab ihm nun Kraft? Nichts als die Idee der todten Gerechtigkeit. Uns friert, wenn wir es lesen. So gar kein Strahl erleuchtet das trübe Heidengemälde. Jener Göttin opfert der Jüngling sein frisches Leben, ihr sein ganzes Haus. Er schwelgt im Gefühle und verschwelgt dabey seine Kraft. So trägt er das Schlimme beyder Zeiten in sich, den starren Troß des Alterthums und das gefällige Liebäugeln mit Hirngespinnsten, den Kindern eigener Laune, das Unkraut unserer Zeit.

Es ist keine Kollision zweyer gleich berechtigten Wesen, wie man es wohl nennen möchte, das Recht des Sohnes ist nie vorhanden gewesen. Sein Anspruch ist eine Krankheit. Weder die Mythe, weder der Glaube der alten Welt, noch der der neuen, gibt dem Sohne ein Recht auch nur ein poetisches — so mit dem Vater zu rechten. Auch die Romantik des Mittelalters kennt das Verbrechen. Es gibt Volksballaden, wo der Sohn an dem Vater die der Mutter angethane Schmach rächt. Immer aber unter den auch in der antiken Welt angegebenen Bedingungen. So hat z. B. der Vater einen wirklichen Frevel begangen, er hat die von ihm verführte Mutter heimlich umgebracht, damit der Fehler mit seinen Folgen nicht an's Tageslicht komme. Der Sohn, in rascher Aufwallung des Zorns, ersticht den Vater. Immer sind die Furien bereit. Jenes langwierige, versteckte Zürnen, jene Dauer der richterlichen Erekution findet sich nirgend. Lykophron kann nur als Heide, oder Bekenner des alten Testaments, dem die Erfüllung des strengen Wortes das höchste ist, so das Leben der Grille opfern. Darum ist die Sache wieder so ganz antik, daß sie als Fabel einer romantischen Tragödie widernatürlich wird.

Nicht der Sohn, der Vater steht berechtigt da; der Trok des Sohnes wird, je länger wir es betrachten, um so unnatürlicher. Wenn diese Wage, auf welche das Interesse der Tragödie basirt ist, somit völlig um und das Interesse auf die eine Seite zurückschlägt, so zerfällt der ganze Bau der Dichtung. Was wir Anfangs unbestimmt fühlen, wird bey genauerem Eingehn immer klarer die Widernatürlichkeit. Das es wirklich

so in der Geschichte sich ereignet hat, beweist noch nicht, daß dieß ausnahmsweise Faktum auch für die Tragödie geeignet sey;

wie ja so vieles höchst Wunderbare aus dem wirklichen Leben zu wunderbar für die Kunst ist. Der Dichter hat durch Hervorhebung des Schuldthema das Gleichgewicht wieder herstellen, und eine höhere Idee in dies Schicksalsdrama bringen wollen. Perianders Schuld wetteifert mit der des Prokles, »welcher aus Eigennuh, statt den Mörder seiner Schwester zu bestrafen, dessen Kinder an sich nimmt, um sie, wie die feinigen zu erziehen « Daraus rechtfertigt sich allenfalls, wenn es ein Verbrechen von Seiten des Prokles war, daß er den Gattenmörder nicht ums brachte, seine nachherige Gefangennahme, und das ihm bereitete Elend, sonst aber bleibt es ohne Einfluß.

Wir überlassen den Tages-Kritikern, welche es lieben, ohne mit dem Dichter zum Quell' und zur Wurzel seiner Dichtung zu rück zu steigen, über die Unnatürlichkeit der Einzelheiten in der Erscheinung loszufallen, alle Unnatürlichkeiten, die aus dieser Vermischung der Prinzipe entspringen, hervorzuheben. Die Unzahl der unmotivirten Stellen scheint sehr groß. Man kann fra gen: Warum bleibt der von seinem Vater verstoßene, seinen Vater verachtende Lykophron in Korinth, wo ihn der Hungertod quált, während er nur über die Gränze des kleinen Gebietes zu schreiten brauchte, und beym Oheim in Epidaurus die freundlichste Aufnahme fände? Hunger und Durst quälen so unausgeseht, daß auch der fanatischste Schwärmer den Vorsat umzukommen, wenn ihm andere Mittel offen stehen, nicht auf diese Weise durchseßte. Dem Lykophron stehen noch außerdem die Thore offen. Warum kehrte er überhaupt nach Ko= rinth zurück, da er nichts dort that, als den ihm entgegen eilenden Vater zurück zu stoßen? Wie mochte der Vater nach Berlauf von so kurzer Zeit den Sohn nicht wieder erkennen? Wie konnte ein Periander, der so erstaunlich weich in jenem Moment geschildert wird, daß er über den Anblick eines ausfähigen Bettlers zurückschaudert, so gegen den Sohn handeln?« u. s. w.

Troß der Unwahrheit im Prinzip ist die Tragödie doch voll ergreifender Wahrheiten im Einzelnen. König Periander ist in der Jukonsequenz, zu der ihn die Liebe zum Sohne verleitet, am besten gehalten. Seine Härte bey Erlassung des Befehls und bey Durchführung desselben ist nicht unnatürlich. Der von ihm angeführte Grund läßt sich vollkommen hören:

Wohl weiß ich, Aeltern dieser weichen Zeit
Freun sich der Kindlein, die mit ihnen rechten,
Der jungen Klüglinge. Es wird sie reuen.
Der Mund, im sechsten Jahre widersprechend,
Wird Lästrer in dem zwanzigsten, und Sclaven
Zu seines Vaters Tode dingen. Alles,

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