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auch bey der Betrachtung der Militärstaaten von Hrn. v. Haller abweichen mögen; so sehr müssen wir doch den glücklichen Scharfsinn und den richtigen Blick bewundern, welcher ihn den entscheidenden Punkt fast bey allen einzelnen Verhältnissen tref= fen läßt. Denn indem er entwickelt, wie die Feldherrnstaaten in Patrimonialstaaten übergehen, ein Uebergang, der seiner Ueberzeugung nach durchaus nothwendig ist, kömmt er auf alle die Relationen und Konflikte, welche sich an vielen Punkten bilden müssen, weil sich die Ausflüsse ganz heterogener Prinzipien dort begegnen, und der Geist derselben entgehet seiner richtigen Beurtheilung keinesweges. Uns aber dünkt das entscheidende Moment, worauf es hierbey ankömmt, Folgendes. Jene Leere des Göttlichen, sey es nun der Natur oder der Offenbarung, von welcher wir verschiedentlich sprachen, ist nicht dasjenige Vacuum, in welches die Militärmacht eindringt, oder welches sie sogar schaffen hilft, und ein gewisses Bewußtseyn, daß dem so sey, muß sie nothwendig von Zeit zu Zeit beunruhigen. Daher wird sie stets trachten, einen Charakter anzunehmen, der bessere Begründung verspricht. Aber indem sie dieß thut, kann sie doch nie sich dazu entschließen, den Charakter als Prinzip aufzugeben, aus welchem sie entsprungen ist. Daher ihr unabläßiges Bestreben, diesem legteren Prinzip, das sie aufgeben sollte, und das fie beybehält, den Charakter der grundherrlichen PatrimonialVerfassungen zu leihen, oder vielmehr solches in die Formen des legteren zu gießen, woraus denn folgt, daß die Einrichtungen der Militärstaaten niemals einen reinen Typus darstellen. Davon liefert den treffendsten Beweis das Machwerk der napoleonischen Einrichtungen, welches allen in früheren Perioden unternommenen ähnlichen Versuchen recht kläglich nachstehet. Jene Verfuche früherer Zeiten waren viel kunstvoller unternommen, weit besser gelungen und zuweilen so trefflich geglückt, daß sie beym ersten Anblick zu täuschen wohl fähig sind. Auch Hr. v. Haller möchte diese Täuschung in so weit erfahren haben, als er in mehreren Fällen zu glauben scheint, Feldherrenstaaten wären Patrimonialstaaten geworden, wo wir solches bezweifeln müssen und wo wir behaupten, daß nur zwitterartige Formen erfunden und gebildet werden, die das wahre Wesen der Sache verstecken. Diese sind in allem Betracht die gefährlichsten und verderblichsten, weil sie das Echte durch Unechtes erseßen wollen, und nur zu leicht den Sinn der Menschen betrügen. Dem Forscher macht ihr Verständniß die größten Schwierigkeiten, die Geschichte verdunkeln sie am meisten, und der Anlaß zu inneren Reibungen gehet überall hauptsächlich von ihnen aus. Ihr Prinzip ist weit mehr das Prinzip der Volks als das Prinzip der Landes

verfassungen. Durchaus überwiegt das Persönliche, und gibt. doch sich den Anschein vom Entgegengeseßten. Daher die Statthalterschaften, Hof- und Ministerial - Dienste, die Länderverschenkungen, der Hof, Dienst- und Militäradel, sammt dem sogenannten Briefadel, ja sogar die sogenannten Reichsstände und im Volke die Nationalfreyheiten. Auch der wechselseitige Kampf der Großen mit den Königen und die zuweilen eintretenden Königswahlen stehen in inniger Beziehung darauf. Aber, wie gesagt, es ist dieß ein Gegenstand, in Betreff dessen der historische Forscher noch am meisten aufzuräumen hat; und es dürf ten die Resultate solcher Untersuchungen den Verfasser wohl nur in einzelnen Punkten berichtigen. Denn die Hauptsache ist ganz richtig von ihm aufgefaßt worden, daß nämlich bey einem militärisch gegründeten und erst in der Folge grundherrlich gewordenen Reiche immerhin zwey ganz verschiedene Rechtsverhält nisse zu betrachten sind, deren gleichzeitige Eristenz solche Scaaten sehr künstlich und zusammengefeßt macht; und wir bezweifeln hauptsächlich nur, ob der wahre Geist und Entstehungsgrund des hieraus abgeleiteten Lehnwesens richtig aufgefaßt sey, indem wir den Ursprung des Feudalismus aus einem viel höheren Prinzip ableiten möchten.

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Der vierte Band enthält die Betrachtung und Darstellung der geistlichen Staaten; deren Fortseßung und Vollendung aber würde den fünften Band gebildet haben, wenn er vor dem sechsten Bande erschienen wäre. Der Verfasser fühlte nämlich, daß, um diesem Gegenstand die nöthige Gründlichkeit zu geben, um ihn in allen seinen Materien zu erschöpfen, ein mit der Geschichte der Bildung des christlichen Kirchenstaats, d. h. der christlichen Kirche und des christlichen Staats verwandtes Quellenstudium nöthig sey, welches ihn mehrere Jahre hinhalten könne. Deßhalb hat Hr. v. Haller sich die Ausarbeitung und Nachlieferung des fünften Bandes vorbehalten, und den sechsten Band früher abgefaßt und bekannt gemacht, um so mehr, als die Beschaf= fenheit und Natur der freyen Kommunitäten oder der Republiken ihm recht von Grund aus bekannt ist, und als es wahrhaft zu bedauern gewesen wäre, wenn uns diese länger hätten sollen vorenthalten bleiben. Wir halten dieß auch keinesweges für einen Vorwand, sondern durchaus für die wahre Ursache, denen nicht beypflichtend, welche meinen, Hr. v. Haller habe die Unmöglichkeit gefühlt, diejenige Darstellung des geistlichen Staats, welche aus dem Wesen des Katholizismus hervorgehe, mit den übrigen Theilen seiner Theorie in Uebereinstimmung zu bringen, und er hätte von Grund aus ein anderes Werk liefern müssen, wenn er gleich Anfangs von der Theokratie ausgegangen wäre,

was wahrscheinlich geschehen seyn würde, im Falle er jetzt erst angefangen hatte zu schreiben. Dieß könnte vielleicht einigen Grund nur dann haben, wenn Hr. v. Haller die Entwicklung des Entstehens der mehrmals gedachten vier Formen aller Statenbildun= gen ihrem historischen Gange nach hätte liefern wollen. Dann aber hätte er freylich bey der sehr dunklen Materie von der ursprünglichen Einheit des Patrimonial- und Priesterstaats anheben, das Entstehen ihrer Trennung zeigen, und den Kampf schildern müssen, der sich mit dem Generalat und der freyen Genossenschaft gebildet hat, als worüber nicht nur unsere heiligen Schriften, sondern auch die heiligen Urkunden anderer Völker reich sind an Ueberlieferungen und Andeutungen, die sich jedoch nicht ganz leicht erklären und entziffern lassen, auch noch an so mancher Lücke laboriren.

Was nun den Inhalt dieses vierten Bandes anbetrifft, so zeichnet ihn hauptsächlich die schöne Frömmigkeit des Sinnes aus, mit welchem er ausgearbeitet worden, und die Vorrede dazu kann man nicht lesen, ohne eine innige Zuneigung zu dem Autor zu fassen. Ein klarer Verstand hat sich mit einem frommen Gemüth vereinigt, um einen faßlichen Vortrag, eine ansprechende Darstellung zu liefern. Denn gerade die reine Einfachheit des religiösen Sinnes ist dasjenige, was den Haller ganz vorzüglich auszeichnet, mehr als ein gewisser religiöser Tiefsinn, der den Zeiten, in welchen wir leben, wohl auch nothwendig seyn dürfte, dem jedoch durch eine Wirksamkeit anderer Art die Bahn vorher muß geebnet werden, und den hervorzurufen ein Werk wie das vorliegende nicht verfehlen wird. Jenem Tiefsinn dürfte dann vorbehalten bleiben, zu untersuchen, in wie weit es allen Beziehungen nach gegründet sey, daß die geistlichen Staaten aus dem Verhältniß eines Lehrers oder geistigen Oberhaupts zu seinen Jüngern und Gläubigen hervorgegangen, und daß namentlich der christliche Kirchenstaat so müsse betrachtet werden. Können wir diesen lezteren, wäre dann zu fragen, wohl durch aus und genügend aus dem Verhältniß des Lehrers zu seinen Jüngern ableiten, und beruht er allein auf überlegener Weisheit und höherer Geisteskraft? Es würde demnach auf eine Unterfuchung ankommen, worin das wahre Wesen des Hohenpriesterthums, so wie das Priesterthums überhaupt bestehet. Denn merkwürdig genug lehrt uns die Geschichte, wie auch das Priesterthum von Alters her in zwiefacher Natur erscheint; nämlich gesalbte und geweihte Priester zeigt, die aus dem Schooße der Kirche hervorgehen, gleich wie deren Kinder und Zöglinge, und von denen immer angenommen wird, daß sie deren geistige Nach

kommen und Sprossen (also von ihr geistig geboren und genährt) in Form der Erbfolge aus ihr hervorgegangen oder durch Adoption genetisch mit ihr verbunden waren; dann aber Priester anderer Art, welche von Menschen anerkannt, durch Menschen zu Priestern erhoben, durch Menschen mit der priesterlichen Funktion beauftragt wurden. Diese Doppelheit des priesterlichen Wesens und der dadurch vermittelte Zwiespalt spricht sich schon im frühesten Alterthum aus, und hängt so nothwendig mit dem zusammen, was unter allen Verhältnissen Religionsfehden gestiftet, daß es ein arger Irrthum wäre, wenn man die berühmten Investiturstreitigkeiten unabhängig davon betrachten und als eine bloße Wirkung des Eigensinnes, der Herrschsucht oder der Willkür betrachten wollte. Aber ohne einen gewissen religiösen Tiefsinn ist weder dieß, noch der wahre Geist der Kirchenverfassung zu ergründen, und doch ist es von hoher Nothwendigkeit, daß solches geschehe. Denn, mag es auch Vielen ein Genüge leisten, wenn sie zur Einsicht gelangen, weßhalb da, wo Verschiedenheit der Lehren und Meinungen im Christenthum obwaltet, die eine der andern vorzuziehen, die eine besser sey als die andere; so ist doch damit die Sache noch keinesweges abgemacht. Es kommt darauf an, in welcher Lehre sich die uranfängliche ungetheilte Wahrheit am vollkommensten erhalten hat, zu der die Rückkehr dem Menschengeschlecht in solchem Maße nothwendig ist, daß erst mit ihr dasselbe zu derjenigen Ruhe gelangen kann, die die echte Wahrheit allein zu geben vermag, und in deren Mangel man den wirksamsten Anlaß aller unseligen Bewegungen zu suchen hat, wodurch die Söhne der Erde in mannigfache Kämpfe und Kriege verwickelt wurden.

Daß Hr. v. Haller die Verfassung der freyen Genossenschaften oder Republiken und deren Charakter sehr genau kennt, ist bereits früher bemerkt worden, und deßwegen hat er durch den sechsten Band seines Werkes eine vorzüglich schäßenswerthe Arbeit geliefert. Wahrhaft neu und belehrend ist die Entwicklung, wie auch in den Republiken ein echt grundherrliches, oder ein dem grundherrlichen analoges, die Unabhängigkeit und Oberherrschaft begründendes Verhältniß sich zu bilden pflegt, der diejenigen unterworfen sind, die solches nicht theilen. Dabey liefert gerade diese Entwicklung ein Zeugniß von der Parteylosig= keit, von dem richtigen Blick und von der wohlunterscheidenden Sachkunde des Verfassers; denn gewiß werden jeden Bürger eines Freystaats die Ausführungen derjenigen Urtheile und Vorzüge befriedigen, welche nur die republikanischen Verhältnisse zu gewähren vermögen, von denen jedoch deßhalb nicht auf

hört zu gelten, was in Betreff aller menschlichen Verhältnisse zu sagen ist, daß in ihnen verschiedenartige Vortheile und Nachtheile anzutreffen sind, so daß jedem Vorzug hier, wieder ein Mangel dort gegenüberstehet, der eine den andern aufwiegt, und daß zuleht ein allgemeiner durchgreifender Ausspruch über das mehr oder minder Gute seine große Schwierigkeiten findet.

Art. II. Sophoclis Tragoediae. Ad optimorum librorum fidem iterum recensuit, et brevibus notis instruxit CAR, GOTTLOB AUG. ERFURDT. Vol. III, Ajax. Lipsiae, apud Gerhardum Fleischerum, 1825. XX und 200 S., kl. 8,

Nebentitel: Sophoclis Ajax Ad optimorum libr. fidem iterum rec. et brev. not. instruxit GODOFREDUS HERMANNUS. Editio secunda, elc.

La vérité, rien que la vérité, toute la vérité.

Rousseau.

Eins der berühmtesten Trauerspiele des Alterthums, von so

kundigen Männern herausgegeben, muß ohne Zweifel bald in den Händen aller Liebhaber dieses Literaturzweiges seyn, und seines mäßigen Preises wegen auch in die Schulen Eingang finden, und die gewählten Sammlungen der minder Begüterten vermehren. Um so weniger kann es unzweckmäßig seyn, diese Arbeit einer vorurtheillosen Kritik zu unterwerfen, mitforschend den Herausgebern gleichsam die Hand zu bieten, und gemeinschaftlich das Wohl der Wissenschaft, der ihre Bemühungen gewidmet sind, zu fordern.

Der verdienstvolle Erfurdt, zuleht Lehrer der Alterthumswissenschaften auf der Universität Königsberg in Preußen, wurde in der Blüthe des Alters dahingerafft, und es fand sich in seinem Nachlasse für Ajar in dieser Ausgabe nichts weiter als Anmerkungen zu der griechischen Inhaltsanzeige und zu dem Verzeichnisse der Personen. Demnach mußte Hermann alles Uebrige hinzufügen, und er that dieß mit freundschaftlicher Rücksicht auf den Verstorbenen, indem er dessen Anmerkungen in seiner größern Ausgabe des Sophokles vorzugsweise dabey zu Rathe zog. Von Erfurdis Plane wich er in sofern ab, daß er viel seltener als dieser in der Antigone und König Oedipus die Noten Bruncks und anderer Bearbeiter wiederholte, theils wegen der Langweiligkeit solches Geschäftes (nam nec delector magnopere, ut ingenue fatear, describendis repetendisque observationibus aliorum etc., heißt es in der Vorrede), theils und vornehmlich aber, damit das Buch nicht zu einer unverhältnißmäßigen Stärke anwüchse. Nur das Noth

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